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=== ''Neue Rheinische Zeitung'' Nr. 263, 4. April 1849, Seite 3 === | === ''Neue Rheinische Zeitung'' Nr. 263, 4. April 1849, Seite 3 === | ||
==== Italien. ==== | |||
<nowiki>*</nowiki> Jetzt endlich liegen die Ereigniſſe des piemonteſiſchen Feldzugs bis zum Sieg der Oeſterreicher bei Novara offen und deutlich vor uns. | |||
Während Radetzky abſichtlich das falſche Gerücht verbreiten ließ, er werde ſich auf der Defenſive halten und gegen die Adda zurückgehn, zog er in der Stille ſeine ſammtlichen Truppen um Sant Angelo und Pavia zuſammen. Er war durch den Verrath der öſterreichiſch-reaktionären Partei in Turin vollſtändig von allen Plänen und Dispoſitionen Chrzanowskis, von der ganzen Stellung ſeiner Armee unterrichtet, wogegen es ihm gelang, die Piemonteſen über die ſeinigen vollſtändig zu täuſchen. Daher die Aufſtellung der piemonteſiſchen Armee zu beiden Seiten des Po, die nur darauf berechnet war, von allen Seiten zugleich mit einer konzentriſchen Bewegung gegen Mailand und Lodi vorzudringen. | |||
Aber dennoch war bei einem ernſthaften Widerſtand im Centrum der piemonteſiſchen Armee keineswegs an die raſchen Erfolge zu denken, die Radetzky jetzt errungen hat. Trat ihm das Corps Ramorino bei Pavia in den Weg, ſo blieb Zeit genug, ihm den Uebergang über den Teſſin zu beſtreiten, bis Verſtärkungen herangezogen waren. Inzwiſchen konnten die Diviſionen, die auf dem rechten Po-Ufer und bei Arona ſtanden, ebenfalls eintreffen; die piemonteſiſche Armee, parallel dem Teſſin aufgeſtellt, deckte Turin, und war mehr als hinreichend, die Armee Radetzkis zu Paaren zu treiben. Darauf, daß Ramorino ſeine Schuldigkeit thun würde, mußte natürlich gerechnet werden. | |||
Er that ſie nicht. Er geſtattete Radetzki den Uebergang über den Teſſin, und damit war das piemonteſiſche Centrum durchbrochen, waren die jenſeits des Po aufgeſtellen Diviſionen iſolirt. Damit war eigentlich der Feldzug ſchon entſchieden. | |||
Radetzki ſtellte nun keine ganze, 60—70,000 Mann mit 120 Kanonen ſtarke Macht zwiſchen dem Teſſin entlang aufgeſtellten piemonteſiſchen Diviſionen in die Flanke. Die zunächſt aufgeſtellten vier ſchlug er mit ſeiner koloſſalen Uebermacht bei Mortara, Garlesco und Vigevano am 21. zurück, nahm Mortara, zwang dadurch die Piemonteſen ſich auf Novara zurückzuziehen, und bedrohte die einzige ihnen noch offne Straße nach Turin, die von Novara über Vercelli und Chivaſſo. | |||
Dieſe Straße war aber bereits für die Piemonteſen verloren. Um ihre Truppen zuſammenzuziehen und namentlich um die am äußerſten linken Flügel um Arona aufgeſtellte Diviſion Solaroli heranziehen zu können, mußten ſie Novara zum Knotenpunkt ihren ihrer Operationen machen, während ſie ſonſt hinter der Seſia eine neue Aufſtellung nehmen konnten. | |||
Von Turin daher bereits ſo gut wie abgeſchnitten, blieb ihnen Nichts, als entweder eine Schlacht bei Novara anzunehmen, oder ſich in die Lombardei zu werfen, den Volkskrieg zu organiſiren und Turin ſeinem Schickſal, den Reſerven und den Nationalgarden zu überlaſſen. Radetzki würde in dieſem Fall ſich gehütet haben, weiter vorzudringen. | |||
Dieſer Fall ſetzt aber voraus, daß in Piemont ſelbſt der Aufſtand in Maſſe vorbereitet war, und das war eben nicht der Fall. Die bürgerliche Nationalgarde war bewaffnet; aber die Maſſe des Volks war waffenlos, ſo laut ſie nach den Waffen verlangte, die in den Arſenalen lagen. | |||
Die Monarchie hatte es nicht gewagt, an dieſelbe unwiderſtehliche Gewalt zu appelliren, welche Frankreich 1793 rettete. | |||
Die Piemonteſen mußten alſo die Schlacht von Novara annehmen, ſo ungünſtig ihre Stellung und ſo groß die feindliche Uebermacht auch war. | |||
40,000 Piemonteſen (zehn Brigaden) mit verhältnismäßig ſchwacher Artillerie, ſtanden der ganzen öſtreichiſchen Macht, mindeſtens 60,000 Mann mit 120 Kanonen gegenüber. | |||
Die piemonteſiſche Armee war zu beiden Seiten der Straße von Mortara unter den Mauern von Novara aufgeſtellt. | |||
Der linke Flügel unter Durando zwei Brigaden, ſtützte ſich auf eine ziemlich ſtarke Stellung, La Bicocca. | |||
Das Centrum, unter Bès, drei Brigaden, lehnte ſich an ein Gehöſt, La Cittadella. | |||
Der rechte Flügel, unter Perron, zwei Brigaden, an das Plateau von Corte Nuovo (Straße von Vercelli) angelehnt. | |||
Zwei Reſerve-Corps, das eine von zwei Brigaden unter dem Herzog von Genua, das nach dem linken, das zweite von einer Brigade und den Garden, nach dem rechten Flügel zu aufgeſtellt, unter dem Herzog von Savoyen, jetzigen König. | |||
Die Aufſtellung der Oeſtreicher iſt nach ihrem Bülletin weniger klar. | |||
Das zweite öſtreichiſche Korps unter d'Aspre griff den linken Flügel der Piemonteſen zuerſt an, während hinter ihm das dritte Korps unter Appel, ſowie das Reſerve- und das vierte Korps aufmarſchirten. Es gelang den Oeſtreichern, ihre Schlachtlinie vollſtändig zu entfalten und einen konzentriſchen Angriff auf alle Punkte der piemonteſiſchen Schlachtordnung zugleich mit ſolcher Uebermacht auszuführen, daß dadurch die Piemonteſen erdrückt wurden. | |||
Der Schlüſſel der piemonteſiſchen Stellung ar die Bicocca; hatten die Oeſtreicher ſich ihrer bemächtigt, ſo wurde das Centrum und der linke Flügel der Piemonteſen zwiſchen die (nicht befeſtigte) Stadt und den Kanal eingeſchloſſen und konnten entweder zerſprengt oder gezwungen werden, die Waffen niederzulegen. | |||
Auf den linken piemonteſiſchen Flügel, deſſen Hauptstütze die Bicocca war, richtete ſich daher auch der Hauptangriff. Hier wurde mit großer Heftigkeit, jedoch lange ohne Reſultat gekämpft. | |||
Das Centrum wurde ebenfalls ſehr lebhaft angegriffen. Die Citadella wurde mehrere Male verloren, und mehrere Male von Bès wiedergenommen. | |||
Als die Oeſtreicher ſahen, daß ſie hier auf einen zu ſtarken Widerſtand ſtießen, wendeten ſie ihre Hauptſtärke wieder gegen den piemonteſiſchen linken Flügel. Die beiden piemonteſiſchen Diviſionen wurden anf die Bicocca zurückgeworfen und die Bicocca endlich ſelbſt erſtürmt. Der Herzog von Savoyen warf ſich mit den Reſerven auf die Oeſtreicher; umſonſt. Die Uebermacht der Kaiſerlichen war zu groß, die Poſition war verloren, und damit die Schlacht entſchieden. Der einzige Rückzug, der den Piemonteſen blieb, war der gegen die Alpen, nach Biella und Borgomanero. | |||
Und dieſe, durch Verrath vorbereitete und durch Uebermacht gewonnene Schlacht nennt die Kölniſche Zeitung, die ſo lange nach einem Siege der Oeſterreicher geſchmachtet: "eine Schlacht, die in der Kriegsgeſchmitte für alle Zeiten glänzen wird (!), da der Sieg, den der alte Radetzky davon getragen hat, eine Reſultat ſo geſchicht kombinirter Bewegungen und ſo wahrhaft großartiger Tapferkeit iſt, daß ſeit den Tagen des großen Schlachten-Dämons Napoleon nichts Aehnliches vorgekommen iſt!!!" | |||
Radetzki, oder vielmehr Heß, ſein Generalſtabschef, hat ſein Komplott mit Ramorino ganz gut durchgeführt, wir gehen es zu. Daß allerdings ſeit Grouchys Verrath bei Waterloo eine ſo großartige Niederträchtigkeit wie die Ramorinos nicht vorgekommen, iſt auch wahr. Aber nicht mit dem "Schlachten-Dämon" (!) Napoleon", ſondern mit Wellington gehört Radetzki in dieſelbe Klaſſe: ihre Siege koſteten Beiden von jeher mehr bares Geld als Tapferkeit und Geſchicklichkeit. | |||
Auf die übrigen geſtern Abend von der Köln. Ztg. verbreiteten Lügen, als ſeien die demokratiſchen Deputirten von Turin durchgebrannt, als hätten die Lombarden ſich wie "feiges Geſindel benommen" u. ſ. w. gehen wir gar nicht ein. Die letzten Ereigniſſe haben ſie ſchon widerlegt. Dieſe Lügen konſtatiren weiter nichts als die Freude der Kölniſchen Zeitung darüber, daß das große Oeſtreich, und noch mit Hülfe des Verraths, das dazu kleine Piemont erdrückt hat. |
Aktuelle Version vom 19. Oktober 2024, 17:33 Uhr
Die Niederlage der Piemontesen war ein Zeitungsartikel von Friedrich Engels über der Schlacht bei Novara, der erstmals am 31. März 1849 in der Neuen Rheinischen Zeitung veröffentlicht wurde.
Volltext
Neue Rheinische Zeitung Nr. 260, 31. März 1849, Seite 1
Deutſchland.
* Köln, 30. März. Der Verrath Ramorino's hat ſeine Früchte getragen. Die piemonteſiſche Armee iſt bei Novara vollſtändig geſchlagen und nach Borgomanero, an den Fuß der Alpen, zurückgetrieben. Die Oeſtreicher haben Novara, Vercelli und Trino beſetzt und die Straße nach Turin ſteht ihnen offen.
Es fehlen bis jetzt alle näheren Angaben. So viel aber ſteht feſt, daß ohne Ramorino, der den Oeſtreichern erlaubte, ſich zwiſchen die verſchiedenen piemonteſiſchen Diviſionen zu drängen und einen Theil derſelben, zu iſoliren, der Sieg unmöglich war.
Daß Karl Albert ebenfalls Verrath geübt hat, kann nicht bezweifelt werden. Ob aber bloß durch Vermittelung Ramorino's oder auch ſonſt noch, werden wir erſt ſpäter erfahren.
Ramorino iſt derſelbe Abenteurer, der, nach einer mehr als zweideutigen Laufbahn im polnſchen Tage, wo die Sache einen ernſthaſten Charakter annahm, mit der ganzen Kriegskaſſe verſschwand, und der ſpäter in London dem Ex-Herzog von Braunſchweig für 1200 Pf. Sterl. einen Plan zur Eroberung Deutſchland's machte.
Daß ein ſolcher Induſtrieller nur angeſtellt werden konnte, beweiſt, wie ſehr Karl Albert, der die Republikaner von Genua und Turin mehr fürchtet als die Oeſtreicher, von vorn herein schon auf Verrath ſann.
Daß man nach dieſer Niederlage eine Revolution und die Proklamirung der Republik in Turin erwartet, geht daraus hervor, daß man ihr durch die Abdankung Karl Albert's zu Gunſten ſeines älteſten Sohnes vorzubeugen verſucht.
Die Niederlage der Piemonteſen iſt wichtiger als alle deutſchen Kaiſerpoſſen zuſammen. Sie iſt die Niederlage der geſammten italieniſchen Revolution. Nach der Beſiegung Piemonts kommt die Reihe an Rom und Florenz.
Aber wenn nicht alle Zeichen trügen, ſo wird gerade dieſe Niederlage der italieniſchen Revolution das Signal ſein zum Losbruch der europäiſchen Revolution. Das franzöſiſche Volk ſieht in demſelben Verhältniß, als es im Innern des Landes von der eigenen Contrerevolution mehr und mehr geknechtet wird, die bewaffnete Contrerevolution des Auslandes ſeinen Gränzen näher rücken. Dem Juniſieg und der Diktatur Cavaignac in Paris entſprach der ſiegreiche Marſch Radetzky's bis an den Mincio; der Präſidentschaft Bonaparte, Barrot und dem Clubgeſetz entſpricht der Sieg bei Novara und der Marſch der Oeſterreicher an die Alpen. Paris iſt reiſ zu einer neuen Revolution. Savoyen, das ſeit einem Jahr ſeinen Abfall von Piemont und ſeinen Anſchluß an Frankreich vorbereitet, das ſich Frankreich in die Arme werfen wollen; Barrot und Bonaparte müſſen es zurückweiſen. Genua, vielleicht Turin, wenn es noch Zeit iſt, werden die Republik proklamiren und Frankreichs Hülfe anrufen; und Odilon-Barrot wird ihnen gravitätiſch zur Antwort geben, er werde die Integrität des fardiniſchen Gebiets zu ſchützen wiſſen.
Aber wenn das Miniſterium es nicht wiſſen will, das Volk von Paris weiß es, Frankreich die Oeſtreicher in Turin und Genua nicht dulden darf. Und das Volk von Paris wird ſie dort nicht dulden. Es wird auf die Italiener durch eine ſiegreiche Erhebung antworten, und die franzöſiſche Armee, die einzige in Europa, die ſeit dem 24. Februar nicht auf offenem Schlachtfelde ſtand, wird ſich ihm anſchließen.
Die franzöſiſche Armee brennt vor Begierde, die Alpen zu überſchreiten und ſich mit den Oeſtreichern zu meſſen. Sie iſt nicht gewohnt, einer Revolution entgegenzutreten, die ihr neuen Ruhm und neue Lorbeeren verheißt, die mit der Fahne des Kriegs gegen die Coalition auftritt. Die franzöſiſche Armee iſt nicht "Mein herrliches Kriegsheer".
Die Niederlage der Italiener iſt bitter. Kein Volk, außer den Polen, iſt ſo ſchmählich von der Gewalt übermächtiger Nachbarn erdrückt worden, ſeins hat ſo oft und ſo muthig verſucht, den Druck abzuſchütteln. Und jedesmal muß dies unglückliche Volk ſeinen Unterdrückern wieder erliegen; das Ziel aller Anſtrengungen, aller Kämpfe iſt nichts als neue Niederlagen! Aber wenn dieſe Niederlage eine Revolution in Paris zur Folge hat und den europäiſchen Krieg zum Ausbruch bringt, deſſen Vorzeichen an allen neuen Bewegung über den ganzen Kontinent, einer Bewegung, die diesmal einen andern Charakter haben wird als die des vorigen Jahres — dann haben ſelbſt die Italiener Urſache ſich dazu Glück zu wünſchen.
Neue Rheinische Zeitung Nr. 261 (zweites Aufgabe), 1. April 1849, Seite 7
Deutſchland.
* Köln, 1. April. Nach den letzten Berichten, die aus Italien eintreffen, iſt die Niederlage der Piemonteſen bei Novara keineswegs ſo entſcheidend, wie die nach Paris geſandte telegraphiſche Depeſche berichtet hatte.
Die Piemonteſen ſind geſchlagen, ſie ſind von Turin abgeſchnitten und ins Gebirge worden. Das iſt Alles.
Wäre Piemont eine Republik, wäre die Turiner Regierung revolutionär und hätte ſie den Muth zu revolutionären Mitteln zu greifen — es wäre Nichts verloren. Aber die italieniſche Unabhängigkeit geht verloren — nicht an der Unbeſiegbarkeit der öſtreichiſchen Waffen, ſondern an der Feigheit des piemonteſiſchen Königthums.
Wodurch haben die Oeſtreicher geſiegt? Dadurch, daß in der piemonteſiſchen Armee, durch den Verrath Romarino's zwei Diviſionen ſind jeßt an den Fuß der Walliſer Alpen zurückgedrängt.
Es war von vornherein ein enormer Fehler, daß die Piemonteſen den Oeſtreichern bloß eine regelmäßige Armee entgegen ſetzen, daß ſie mit ihnen einen gewöhnlichen, bürgerlichen, honetten Krieg führen wollten. Ein Volk, das ſich ſine Unabhängigkeit erobern will, darf ſich nicht auf die gewöhnlichen Kriegsmittel beschränken. Aufſtand in Waffe, Revolutionskrieg, Guerillas überall, das iſt das einzige Mittel, wodurch ein kleines Volk mit einem großen fertig werden, wodurch eine minder ſtarke Armee in den Stand geſetzt werden kann, der ſtärkeren und beſſer organiſirten zu widerſtehen.
Die Spanier haben es 1807—12 bewieſen, die Ungarn beweiſen es noch jetzt.
Chrzanowski war bei Novara geſchlagen und von Turin abgeſchnitten; Radetzki ſtand 9 Meilen von Turin. In einer Monarchie, wie Piemont, ſelbſt in einer konſtitutionellen, war damit der Feldzug entſchieden; man kam um Frieden bei Radetzki ein. Aber in einer Republik war damit gar nichts entſchieden. Hätte nicht die unvermeidliche Feigheit der Monarchien, die nie den Muth hat, zu den äußerſten revolutionären Mitteln zu greifen, hätte nicht dieſe Feigheit davon zurückgehalten, die Niederlage Chrzanowskis hätte ein Glück für Italien werden können.
Wäre Piemont eine Republik, die keine Rückſicht auf monarchiſche Traditionen zu nehmen hätte, ſo ſtand ihm ein Weg offen, den Feldzug ganz anders zu beendigen.
Chrzanowski war nach Biella und Borgo Manero zurückgetrieben. Dort, wo die Schweizeralpen jeden weitern Rückzug, wo die zwei oder drei engen Frußthäler jede Zerſtreuung der Armee ſo gut wie unmöglich machen, dort war es leicht, die Armee zu konzentriren und durch einen kühnen Marſch Radetzki's Sieg fruchtlos zu machen.
Wenn die Chefs der piemonteſiſchen Armee revolutionären Muth beſaßen, wenn ſie wußten, daß in Turin eine revolutionäre, aufs Außerſte geſaßte Regierung ſaß, ſo war ihre Handlungsweiſe ſehr einfach.
Am Lago Maggiore ſtanden nach der Schlacht von Novara 30—40,000 Mann piemonteſiſcher Truppen. Dies Corps, in zwei Tagen konzentrirt, konnte ſich in die Lombardei werfen, in der nicht 12,000 Mann Oeſtreicher ſtehn; es konnte Mailand, Brescia, Cremona beſetzen, den allgemeinen Aufſtand organiſiren, die einzelnen aus dem Venetianiſchen heranrückenden öſtreichiſchen Corps einzeln ſchlagen und damit Radetzky's ganze Operationsbaſis in die Luft ſprengen.
Radetzki's ſtatt auf Turin zu marſchiren, hätte ſofort umdrehen, und in die Lombardei zurückkehren müſſen, verfolgt von dem Maſſnaufgebot der Piemonteſen, das natürlich die lombardiſche Inſurrektion unterſtützen mußte.
Dieſer wirkliche Nationalkrieg, ein Krieg, wie ihn die Lombarden im März 1848 führten und womit ſie Radetzki hinter den Oglio und Mincio jägten, dieſer Krieg hätte ganz Italien in den Kampf geſagt und den Römern und Toskanern ganz andere Energie eingeflöſt.
Während Radetzki noch zwiſchen Po und Teſſin ſtand und ſich beſann, ob er vorwärts oder rückwärts gehen ſolle, konnten die Piemonteſen und Lombarden bis vor Venedig marſchiren, Venedig entſetzen, La Marmora und römische Truppen an ſich ziehen, den öſtreichiſchen Feldmarſchall durch zahlloſe Guerrillasſchwärme beunruhigen und ſchwächen, ſeine Truppen zerſplittern und ihn endlich ſchlagen. Die Lombardei wartete nur des Einmarſches der Piemonteſen; ſie erhob ſich ſchon, ohne ihn abzuwarten. Nur die öſtreichiſchen Citadellen hielten die lombardiſchen Städte im Zaum. Zehntauſend Mann Piemonteſen waren ſchon in der Lombardei; wären noch 20 — 30,000 hineinmarſchirt, ſo war Radetzki's Rückzug unmöglich.
Aber der Aufſtand in Maſſe, die allgemeine Inſurrektion des Volkes, das ſind Mittel, vor deren Anwendung das Königthum zurückſchreckt. Das ſind Mittel, die nur die Republik anwendet — 1793 liefert den Beweis dafür. Das ſind Mittel, deren Ausführung den revolutionären Terrorismus vorausſetzt, ſind wo iſt ein Monarch geweſen, der ſich dazu entſchließen konnte?
Was die Italiener alſo ruinirt hat, das iſt nicht die Niederlage von Novara und Vigevano, das iſt die Feigheit und Mäßigung, in die die Monarchie ſie hineinzwängt. Die verlorne Schlacht von Novara brachte blos einen ſtrategiſchen Nachtheil: ſie waren von Turin abgeſchnitten, während den Oeſterreichern der Weg dahin offen ſtand. Dieſer Nachtheil war gänzlich bedeutungslos, wenn der verlornen Schlacht der wirkliche Revolutionskrieg auf dem Fuße folgte, wenn der Reſt der italieniſchen Armee ſich ſogleich zum Kern der nationalen Maſſenerhebung erklärte, wenn der honette ſtrategiſch. Armeekrieg in einen Volkskrieg umgewandelt wurde, wie die Franzoſen ihn 1793 führten.
Aber freilich! Revolutionskrieg, Maſſenerhebung und Terrorismus — dazu wird die Monarchie ſich nie verſtehen. Eher ſchließt ſie Frieden mit ihrem bitterſten, ebenbürtigen Feind, ehe ſie ſich mit den Volk verbündet.
Karl Albert mag Verräther ſein oder nicht — die Krone Karl Alberts, die Monarchie allein hätte hingereicht, Italien zu ruiniren.
Aber Karl Albert iſt Verräther. Durch alle franzöſiſchen Blätter geht die Nachricht von dem großen europäiſchen Contrerevolutions-Komplott zwiſchen ſämmtlichen Großmächten, von dem Feldzugsplan der Contrerrevolution zur ſchließlichen Unterdrückung aller europäiſchen Völker. Rußland und England, Preußen und Oeſterreich, Frankreich und Sardinien haben dieſe neue heilige Allianz unterzeichnet.
Karl Albert hatte den Befehl, mit Oeſtreich Krieg anzuſangen, ſich ſchlagen zu laſſen und dadurch den Oeſtreichern Gelegenheit zu geben, in Piemont, in Florenz, in Rom die "Ruhe" wieder herzuſtellen, und überall ſtandrechtliche Konſtitutionen octroyiren zu laſſen. Dafür bekam Karl Albert Parma und Piacenza, die Ruſſen pacificierten Ungarn; Frankreich ſollte Kaiſerreich werden und damit war die Ruhe Europas hergeſtellt. Das iſt nach franzöſiſchen Blättern, der große Plan der Contrerevolution; und dieſer Plan erklärt Romarinos Verrath und erklärt die Niederlage der Italiener.
Die Monarchie aber hat durch den Sieg Radetzkis einen neuen Stoß erhalten. Die Schlacht bei Novara und die darauf folgende Lähmung der Piemonteſen beweißt, daß ein Volk in den äußerſten Fällen, wo es ſeiner ganzen Kraftanſtrengung bedarf, um ſich zu retten, durch Nichts mehr gehemmt wird, als durch die Monarchie. Wenn Italien nicht an der Monarchie zu Grunde gehen ſoll, ſo muß vor Allem die Monarchie in Italien zu Grunde gehen.
Neue Rheinische Zeitung Nr. 263, 4. April 1849, Seite 3
Italien.
* Jetzt endlich liegen die Ereigniſſe des piemonteſiſchen Feldzugs bis zum Sieg der Oeſterreicher bei Novara offen und deutlich vor uns.
Während Radetzky abſichtlich das falſche Gerücht verbreiten ließ, er werde ſich auf der Defenſive halten und gegen die Adda zurückgehn, zog er in der Stille ſeine ſammtlichen Truppen um Sant Angelo und Pavia zuſammen. Er war durch den Verrath der öſterreichiſch-reaktionären Partei in Turin vollſtändig von allen Plänen und Dispoſitionen Chrzanowskis, von der ganzen Stellung ſeiner Armee unterrichtet, wogegen es ihm gelang, die Piemonteſen über die ſeinigen vollſtändig zu täuſchen. Daher die Aufſtellung der piemonteſiſchen Armee zu beiden Seiten des Po, die nur darauf berechnet war, von allen Seiten zugleich mit einer konzentriſchen Bewegung gegen Mailand und Lodi vorzudringen.
Aber dennoch war bei einem ernſthaften Widerſtand im Centrum der piemonteſiſchen Armee keineswegs an die raſchen Erfolge zu denken, die Radetzky jetzt errungen hat. Trat ihm das Corps Ramorino bei Pavia in den Weg, ſo blieb Zeit genug, ihm den Uebergang über den Teſſin zu beſtreiten, bis Verſtärkungen herangezogen waren. Inzwiſchen konnten die Diviſionen, die auf dem rechten Po-Ufer und bei Arona ſtanden, ebenfalls eintreffen; die piemonteſiſche Armee, parallel dem Teſſin aufgeſtellt, deckte Turin, und war mehr als hinreichend, die Armee Radetzkis zu Paaren zu treiben. Darauf, daß Ramorino ſeine Schuldigkeit thun würde, mußte natürlich gerechnet werden.
Er that ſie nicht. Er geſtattete Radetzki den Uebergang über den Teſſin, und damit war das piemonteſiſche Centrum durchbrochen, waren die jenſeits des Po aufgeſtellen Diviſionen iſolirt. Damit war eigentlich der Feldzug ſchon entſchieden.
Radetzki ſtellte nun keine ganze, 60—70,000 Mann mit 120 Kanonen ſtarke Macht zwiſchen dem Teſſin entlang aufgeſtellten piemonteſiſchen Diviſionen in die Flanke. Die zunächſt aufgeſtellten vier ſchlug er mit ſeiner koloſſalen Uebermacht bei Mortara, Garlesco und Vigevano am 21. zurück, nahm Mortara, zwang dadurch die Piemonteſen ſich auf Novara zurückzuziehen, und bedrohte die einzige ihnen noch offne Straße nach Turin, die von Novara über Vercelli und Chivaſſo.
Dieſe Straße war aber bereits für die Piemonteſen verloren. Um ihre Truppen zuſammenzuziehen und namentlich um die am äußerſten linken Flügel um Arona aufgeſtellte Diviſion Solaroli heranziehen zu können, mußten ſie Novara zum Knotenpunkt ihren ihrer Operationen machen, während ſie ſonſt hinter der Seſia eine neue Aufſtellung nehmen konnten.
Von Turin daher bereits ſo gut wie abgeſchnitten, blieb ihnen Nichts, als entweder eine Schlacht bei Novara anzunehmen, oder ſich in die Lombardei zu werfen, den Volkskrieg zu organiſiren und Turin ſeinem Schickſal, den Reſerven und den Nationalgarden zu überlaſſen. Radetzki würde in dieſem Fall ſich gehütet haben, weiter vorzudringen.
Dieſer Fall ſetzt aber voraus, daß in Piemont ſelbſt der Aufſtand in Maſſe vorbereitet war, und das war eben nicht der Fall. Die bürgerliche Nationalgarde war bewaffnet; aber die Maſſe des Volks war waffenlos, ſo laut ſie nach den Waffen verlangte, die in den Arſenalen lagen.
Die Monarchie hatte es nicht gewagt, an dieſelbe unwiderſtehliche Gewalt zu appelliren, welche Frankreich 1793 rettete.
Die Piemonteſen mußten alſo die Schlacht von Novara annehmen, ſo ungünſtig ihre Stellung und ſo groß die feindliche Uebermacht auch war.
40,000 Piemonteſen (zehn Brigaden) mit verhältnismäßig ſchwacher Artillerie, ſtanden der ganzen öſtreichiſchen Macht, mindeſtens 60,000 Mann mit 120 Kanonen gegenüber.
Die piemonteſiſche Armee war zu beiden Seiten der Straße von Mortara unter den Mauern von Novara aufgeſtellt.
Der linke Flügel unter Durando zwei Brigaden, ſtützte ſich auf eine ziemlich ſtarke Stellung, La Bicocca.
Das Centrum, unter Bès, drei Brigaden, lehnte ſich an ein Gehöſt, La Cittadella.
Der rechte Flügel, unter Perron, zwei Brigaden, an das Plateau von Corte Nuovo (Straße von Vercelli) angelehnt.
Zwei Reſerve-Corps, das eine von zwei Brigaden unter dem Herzog von Genua, das nach dem linken, das zweite von einer Brigade und den Garden, nach dem rechten Flügel zu aufgeſtellt, unter dem Herzog von Savoyen, jetzigen König.
Die Aufſtellung der Oeſtreicher iſt nach ihrem Bülletin weniger klar.
Das zweite öſtreichiſche Korps unter d'Aspre griff den linken Flügel der Piemonteſen zuerſt an, während hinter ihm das dritte Korps unter Appel, ſowie das Reſerve- und das vierte Korps aufmarſchirten. Es gelang den Oeſtreichern, ihre Schlachtlinie vollſtändig zu entfalten und einen konzentriſchen Angriff auf alle Punkte der piemonteſiſchen Schlachtordnung zugleich mit ſolcher Uebermacht auszuführen, daß dadurch die Piemonteſen erdrückt wurden.
Der Schlüſſel der piemonteſiſchen Stellung ar die Bicocca; hatten die Oeſtreicher ſich ihrer bemächtigt, ſo wurde das Centrum und der linke Flügel der Piemonteſen zwiſchen die (nicht befeſtigte) Stadt und den Kanal eingeſchloſſen und konnten entweder zerſprengt oder gezwungen werden, die Waffen niederzulegen.
Auf den linken piemonteſiſchen Flügel, deſſen Hauptstütze die Bicocca war, richtete ſich daher auch der Hauptangriff. Hier wurde mit großer Heftigkeit, jedoch lange ohne Reſultat gekämpft.
Das Centrum wurde ebenfalls ſehr lebhaft angegriffen. Die Citadella wurde mehrere Male verloren, und mehrere Male von Bès wiedergenommen.
Als die Oeſtreicher ſahen, daß ſie hier auf einen zu ſtarken Widerſtand ſtießen, wendeten ſie ihre Hauptſtärke wieder gegen den piemonteſiſchen linken Flügel. Die beiden piemonteſiſchen Diviſionen wurden anf die Bicocca zurückgeworfen und die Bicocca endlich ſelbſt erſtürmt. Der Herzog von Savoyen warf ſich mit den Reſerven auf die Oeſtreicher; umſonſt. Die Uebermacht der Kaiſerlichen war zu groß, die Poſition war verloren, und damit die Schlacht entſchieden. Der einzige Rückzug, der den Piemonteſen blieb, war der gegen die Alpen, nach Biella und Borgomanero.
Und dieſe, durch Verrath vorbereitete und durch Uebermacht gewonnene Schlacht nennt die Kölniſche Zeitung, die ſo lange nach einem Siege der Oeſterreicher geſchmachtet: "eine Schlacht, die in der Kriegsgeſchmitte für alle Zeiten glänzen wird (!), da der Sieg, den der alte Radetzky davon getragen hat, eine Reſultat ſo geſchicht kombinirter Bewegungen und ſo wahrhaft großartiger Tapferkeit iſt, daß ſeit den Tagen des großen Schlachten-Dämons Napoleon nichts Aehnliches vorgekommen iſt!!!"
Radetzki, oder vielmehr Heß, ſein Generalſtabschef, hat ſein Komplott mit Ramorino ganz gut durchgeführt, wir gehen es zu. Daß allerdings ſeit Grouchys Verrath bei Waterloo eine ſo großartige Niederträchtigkeit wie die Ramorinos nicht vorgekommen, iſt auch wahr. Aber nicht mit dem "Schlachten-Dämon" (!) Napoleon", ſondern mit Wellington gehört Radetzki in dieſelbe Klaſſe: ihre Siege koſteten Beiden von jeher mehr bares Geld als Tapferkeit und Geſchicklichkeit.
Auf die übrigen geſtern Abend von der Köln. Ztg. verbreiteten Lügen, als ſeien die demokratiſchen Deputirten von Turin durchgebrannt, als hätten die Lombarden ſich wie "feiges Geſindel benommen" u. ſ. w. gehen wir gar nicht ein. Die letzten Ereigniſſe haben ſie ſchon widerlegt. Dieſe Lügen konſtatiren weiter nichts als die Freude der Kölniſchen Zeitung darüber, daß das große Oeſtreich, und noch mit Hülfe des Verraths, das dazu kleine Piemont erdrückt hat.