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Die Revolution In Finnland | |
|---|---|
| Autor*in | Otto Wille Kuusinen |
| Verfasst in | 1921 |
1. Auf der Flucht vor der Revolution.
Proletarische Revolulionen — sagt Marx — kritisieren sich ständig selbst. Wir Revolutionäre sind befugt, diese Selbstkrilik der Revolution klarbewußt zu fördern, ohne uns natürlich der ge- schichtlichen Verantwortlichkeit für unsere frühere Tätigkeit ent- ziehen zu wollen,
Die Revolution in Finnland brach im Januar 1918 los. Ihre Grundfehler nahmen schon im Jahre voraus ihren Anfang,
‚Ebenso überraschend, wie der Krieg für die meisten so/ial- demokratischen‘ Parteien der größeren europäischen Länder kam und die Enthüllung brachte, daß diese Parteien ihrer historischen Mission nicht gewachsen waren, kam auch für die finnische Sozial- demokratie die russische Revolution im März 1917. Die Früh- lingsfreiheit kam über uns wie eine Gabe des Himmels, und unsere Partei geriet außer Fassung, Das offizielle Programm unserer Partei nahm dieselbe Position des „selbständigen Klassenkampfes‘: ein, wie z. B. vor dem Kriege die deutsche Sozialdemokratie. Zur Zeit der Reaktion war diese Position nicht schwer zu behaupten ‚gewesen; sie war damals keinen ernstlichen Heimsuchungen aus- gesetzt, und die Opposition der offenen Rechtssozialisten konnte keinen Wind unter ihre Flügel bekommen. Im März jedoch trat an unsere Partei eine ernste Prüfung auf die Festigkeit ihrer prole- tarischen Gesinnung heran, und auf diese Versuchung Tolgte denu auch der Fall. In der Tat, die finnische Sozialdemokratie trat in ein schändliches Konkubinat mit der Annischen Bourgeoisie, an- fangs sogar mit der russischen Bourgeoisie (wobei die ru Menschewiki Zuhälterdienste leisteten). Der finnische Senat, die Ko- alitionsregierung, bildete die Lagerstätte dieser Unzucht, Als die- selbe im März gebildet wurde, sprach sich ungelähr die Hälfte un- seres Parteivorsiandes gegen «die Teilnahme aus, und nur die rechten Sozialisten traten in die Regierung ein. Doch die Opposition unserer übrigen Parteimitglieder trug einen derart passiven Charakter, daß sie unserem Zusammenarbeiten nicht im geringsten hinderlich war, Diese aber machten in Wirklichkeit gemeinsames Spiel mit der finnischen und russischen Bourgeoisie. Und es ist sehr charakteristisch, daß auf unserem Parteikongreß im Juni (auf welchem wir uns übrigens an Zimmerwald anschlossen) nicht eine änzige Stimme für die Loslösung von den Sozialisten der Kon itionsregierung laut wurde.
Uns bezauberle vor allem das Blendwerk des parlamentari- schen Demokratismus. Hätten wir nicht das Einkammersystem, Iro- portionalwahlen und ein schr weitgehendes Wahlrecht gehabt, hätte schließlich unsere Partei im Wahlkampfe nicht schon die Mehrzahl der Abgeordnetensitze erobert (Sommer 1916), so hätten wir der Frühjahrsversuchung vielleicht leichter widerstehen können So jedoch schien es uns, als ob sich nun vor unserer Arbeiterbi wegung der Weg des parlamentarischen Demokratismus wie eine unerwartet breite und ebene Straße auftue. Unsere Bourgı verfügte über keine Armee, nicht einmal über eine zuverlässi Polizei, und hatte zudem auch nicht die Aussicht, auf geselz- mäßigen Wege dazu zu gelangen, da sie hierzu der Einwilligung der sozialistischen Mehrheit des Landtags bedurfte, Die Soziul- demokralie, schien es, halte alle Ursache, auf dem Wege der parlı- wentarischen Geseizlichkeit zu verharren; es schien, als würde sic auf diesem Wege der Bourgeoisie eine Eroberung nach der. au. deren leichten Spiels abringen können.
Der Horizont dieses parlamentarischen Demokratismus war schon derart klar, daß man sich all seines Glanzes hätte nach Nlerzenslus Ireuen können, Nur eins verfinsterte ihn noch: die Tatze der russischen provisorischen Regierung, die allerdings nicht so stark war, Die finnische Bourgeoisie strecke nach ihr die Hand aus, wie ein Ertrinkender nach dem Strohhalm. Die Soz; demokraten suchlen diese Tatze nach Kräften abzuwenden oder wenigstens ihre Einmischungsfreiheit durch strenge gesetzliche Vi fügungen einzuschränken, um ihre Versüche, sich in die „inneren Angelegenheilen“ einzumengen (mit anderen Worten: die finnische in Schutz zu nehmen) zu unterbinden. Auf diese Weise
digkeit Finnlands, unser Patriotisınus allerbestens gerechtfertigt,
war es doch ein direkter Kampf um die demokratische Freiheit, ein
organischer Teil unseres proletarischen Klassenkampfes.
Die Wirkung der parlamentarischen optischen Täuschung wurde noch durch die Resultate verstärkt, die im Sommer ın der Gesetzgebung auf dem Landtage erzielt wurden. Ueber den Acht-Stundenlag, den die Arbeitermassen in den Betrieben vieler Produktionszweige schon seit Frühlingsanfang eingeführt hatten, wurde ein derarig weitgehendes Gesetz durchgebracht, wie es vielleicht noch kein Parlament zustande gebracht hat, Auf dem Gebiet der Demokratisierung des Kommunalwesens wurde chen- falle eine Reform erreicht, die den Uebergang von der unbegrenzte Alleinherrschaft der Bourgeoisie zum System des. allgemei Stimmrechts bedeutete, — auch ein Sprung, wie er auf diesem (ie: biet der Gesetzgebung wohl noch nirgends auf einmal so groll gemacht worden ist. Es liegt allerdings auf der Hand, daß die Erlassung dieser Gesetze nicht allein den parlamentarischen Bc- mühungen zu danken war. Der Revolutionswirbel außerhalb der Parlamentsmauern trug dazu bei, daß sie schneller als. gewöhn- lich von der parlamentarischen Sandbank losgerissen wurden. Dieser Wirbel manifestierte sich in Massendemonstrationen, die fast unablässig die Sitzungen des Landtags begleiteten. Bei diesen Demonstrationen herrschte dank der Beteiligung der russischen Soldaten ein ganz besonders stürmischer Geist, Doch dies schien uns nicht ungewöhnlich; wir waren gewöhnt, auch früher den Parlamentarismus eben in der Weise aufzufassen, daß er die besten Früchte nur dann bringt, wenn das Volk einen Druck von außen ausübt,
Ein schlechteres Zeichen für die Wirksamkeit unserer parlamen- tarischen Tätigkeit war, daß die Spekulation, die im Lebensmittel- handel herrschte, keine Grenzen kannte, Dies war ein Beweis da- für, daß auch die oben erwähnten Errungenschaften nur Errungen- schaften auf dem Papiere waren. Den das Gesetz, das die Speku- lation mit Lebensmitteln einschränken sollte, wurde wohl ge schrieben und auch angenommen, aber das war auch alles. Di Koalitionsregierung unternahm absolut nichts zu seiner Durch- führung, Sie glich einem störrischen Esel, den die Sozialisten an den Ohren und die Bourgeoisie am Schwanze zogen, und der
sieh dabei nicht vom Fleck bewegte. Dabei mußte sich das Volk
den Lebensmittelwucher ruhig gefallen lassen.
Die hungernden Arbeitermassen verloren. bald jedes Vertrauen
in die Politik der Koalitionstegierung und, wie es scheint, gleich-
zeilig in die Führung unserer soziaklemokratischen Partei. In
Helsingtors wollten die erbitterien Arbeitermassen selbst die Butter-
vorräte in Augenschein nehmen und sie unter sich aufteilen, Gegen
Sommerwende brach in unserer Hauptstadt ganz spoutan ein Ge-
neralstreik aus, der zwei Tage dauerte, bis die organisierten Ar-
beiter ihm beendelen. Der Hochdruck der politischen Atmosphäre
Das war die Wirklichkeit des
Demokratismus: die schrankenlose Zuspit-
zung des Klassenkampfes. Wir Sozialdemokraten
sahen jedoch nicht diese Wirklichkeit des Demokratismus, wir sahen
nur sein yerschwommenes Spiegelbild.
‚Dieses uns narrende Spiegelbild erhielt seinen ersten Stoß von der Hand der provisorischen Regierung Kerenskis. Trotz des heftigsten Widerstandes der bürgerlichen Minderheit nahm der Landtag in Uebereinstimmung mit dem Beschluß des Allrussischen Kongresses der A-&.S-Räte das Grundgesetz über die innere demokratische Freiheit Finnlands und über das Recht des Land- tags an, als oberste Staatsgewalt über das Land zu verfügen. Aus Petersburg traf sogar eine halboffizielle menschewistische Dele- ation (Tscheidse, Lieber, Dahn) ein, um die Annahme dieses Ge- erhindern —) doch zu spät. Darauf (Ende Juli) löste « provisorische Regierung den Landtag auf und setzte u an, Die sozialdemokratische Fraktion versuchte zwei- mal, die Sitzungen des auseinandergetriebenen Landtags fortzu- setzen, Das erste Mal fanden die Deputierten an den Eingängen zum Landtag von Kerenski gesandie Husaren vor. Das zweite Mal wies die Tür nur das Siegel der Regierung Kerenskis auf; der. Talman, Genosse Männer, ordnete die Oelfnung der Tür an, und die Sitzung fand statt, allerdings nur unter Teilnahme der Mit- glieder der sorialdemokratischen Fraktion,
Unsere Partei verzichtete nicht auf die Teilnahme an den Neu-
wahlen, die Anfang Oktober stattfanden. Bei diesen Wahlen ver- or sie trokz bedeutender Erhöhung der für uns abgegebenen Stim- menzalıl ihre Mehrheitsstellung im Landtag. Die wesentlichsten
Dienste leisteten der Bourgeoisie bei diesen Wahlen unzweifelhaft
ihre Wahlfälschungen. Schon gleich nach den Wahlen wurde in
den Blättern erörtert, wie in denjenigen Wahlbezirken, in denen
die Wahlkommissionen ausschließlich aus Vertretern der Bour-
geoisie bestanden, die bürgerlichen Parteien mehr Stimmen cr-
halten hatten, als es im gegebenen Bezirk überhaupt Wahlberech-
tigte gab. Und später, während der Revolution, wurden an einigen
Orten bei den Vorsitzenden der Wahlkommissionen ganze Haufen
„versteckter, für Sozialdemokraten abgegebener und vollkommen
vorschriftsmäßig abgefaßter Stimmzettel vorgefunden. Auf dem
Wege der Blockbildung gewannen die bürgerlichen Parteien bei
den Wahlen ebenfalls einige Sitze. Doch außerdem muß man,
meines Erachens, auch den Umstand in Betracht ziehen, dall
wahrscheinlich in den Proletariermassen eine Ueberdrüssigkeit in
bezug auf den Parlamentarismus sich breit zu machen begann und
ihrerseits auf das Wahlresultat wirkte, Die Ohamacht des Land-
tags, die Aussichtslosigkeit, die Verspätung, die Null-und-Nicl
keit der Ergebnisse unserer parlamentarischen Arbeit, ebenso. die
Paralysierung der Tätigkeit der Sozialdemokraten durch die Hand-
lungen der Kolitionsregierung, — alles dies verfehlte ohne Zweifel
nicht, in ungünstiger Weise das Interesse der Arbeiter an den
Wahlen zu beeinflussen, so daß dieses längst nicht so groß war,
als man es bei der allgemeinen politischen Hochspannung hätte
erwarten können. Unser schönes Spiegelbild des parlamentari-
schen Demokratismus erhielt 2lso seinen zweiten Stoß schon nicht
mehr durch einen äußeren Faktor, sondern auch zum Teil durch
unsere eigene innere Ohnmacht und Fehlerhaftigkeit.
Der Strom der Geschichte schoß jetzt mit reißender Geschwin- digkeit seinem ersten brausenden Wasserfall entgegen. Wie es sich erwarten ließ, machte die Bourgeoisie alle Anstrengungen, ihr auf «den Wahlen erhaltenes Uebergewicht auszunutzen, um die diktatorische Gewalt zu erlangen und die Volksvertretung In cin bioßes Feigenblatt ihrer. Diktatur zu verwandeln, Die Arbeiter- klasse verlor alle ihre Hoffnung auf die unmittelbare Hille des Landtags und trachtete bewußt oder unbewußt nach der Revo- lution, Die Koalitionsregierung war schon vor den Wahlen zerfallen. Die Verschärfung des Klassenkampfes wurde nun durch nichts. mehr aufgehalten.
Zudem fühlte man auch "bereits in Finnland, daß Rußland rasch einer neuen, tieferen Revolution entgegensteuerte, die über kurz oder lang ausbrechen mußte. Die Kerenskische Regierung zitterte wie Espenlaub vor dem Sturme. Die Macht der Bolsche- wiki wuchs wie eine Gewitterwolke.
Anstatt nun alle ihre Kräfte auf die-Vorbereitung der Revo- Iution zu verwenden, wie es die Umstände erheischten, verharrte unsere ‚sozialdemokratische Partei tatenlos in der Erwartung der Sitzungen des Landtags. Der Block der bürgerlichen Fraktionen brachte Anfang November einen Erlaß im Landtag durch, laut welchem die oberste Gewalt in inneren Angelegenheiten des Lan- des einem dreigliedrigen Direktorium übergeben werden sollte; doch es ermangelte ihm an Kühnheit, seinen eigenen Erlaß zur Ausführung zu bringen. Gleichzeitig pllog er Unterhandlungen mit der provisorischen russischen Regierung betreffs einer Tei- lung in die Regierungsgewalt mit der letzteren. Ja, der General- ‚gouverneur der Kerenski-Regierung, Nekrassow, eilte schon mit einem diesbezüglichen Projekt nach Petersburg, um es dort aus- fertigen zu lassen.
Doch er kehrte schon nicht mehr nach Helsingfors zurück. Gerade in jenen Tagen stürzte das russische Proletariat unter Füh- rung seiner bolschewistischen Partei die Regierung der Bourgeoisie und ihrer Handlanger und nahm die Zügel der Regierung in seine eiggenen Mändk
Auch durch unser Land zog nun der Geist der Revolution. Doch wir erioben uns nicht auf seinen Schwingen, wir zogen un- seren Kopf in die Schultern und Heßen ihn über uns. hinwegfliegen. Für uns ist der November auf diese Weise der Jahrestag der Walenstreckung geworden,
Konnle die Revolution damals in Finnland zu irgend einem Siege führen? Dies ist eine Frage; eine andere ist die: konnte damals die proletarische Revolution unmittelbar wie in Rußland siegen? Die Bejahung der ersteren scheint uns nach allem Ge- ‚schehenen berechtigt, die der letzteren jetzt, wie auch damals zweifelhaft. Die allgemeinen Voraussetzungen für das Gelingen der RevoIution fehlten damals durchaus nicht gänzlich. Die Erregung des Proletariats und die Kampfeslust waren groß. Die Bourgeoisie ‘war verhältnismäßig schlecht vorbereitet; sie litt großen Mangel an Waften, obgleich sie diese schon aus Deutschland einzuführen begann. Allerdings hatte ja auch das Proletariat nicht genügend Waften. Einige Hundert Gewehre, die man leihweise bei russischen ‚Truppenteilen genommen hatte, das war die ganze damalige Be- waflnung. Doch zweifellos hätte man von den russischen Kame- raden im wirklichen Notfalle noch einige Waffen, wenn auch nicht viel, erhalten können. Und was vielleicht noch wichtiger is die russischen Genossen waren damals noch in der Lage, der fi schen Revolution direkte militärische Hilfe zu leisten, viel meh später im Winter, als die Zersetzung in der russischen Armee und Flotte ihren Höhepunkt erreichte. In unserem Lande gab «+ damals unter den russischen Truppen allerdings noch manche Ele- mente, die, wie man befürchten mußte, eher auf das Kommando ihrer reaktionären Oifiziere als auf die Stimme der proletarischen Solidarität hören würden. Doch trotz alledem hätten diese Ele- mente im Wirbelwind der Revolution kein nennenswertes aktives Hindernis bilden können. .
Vor diesen Anzeichen schwankten wir Sozialdemokraten, „‚An- hänger des Klassenkampfes“, hin und her, neigten uns zuerst stark auf die Seite der Revolution, um dann ganz. von ihr abzuweichen, Die Rechtssozialisten, die in unserer Partei ungefähr die Hälfte ausmachten, teilten sich in zwei Gruppen: die eine widersetzte sich offenkundig der Revolution, die andere verlangte sie. In der sozial- demokratischen Fraktion des Landtags war die Mehrheit jeglichen Revolutionsbestrebungen so offenkundig feindselig gesonnen, daß man sagen kann, ihre Stimmung war eher für die Bourgeoisi als für die Arbeiterklasse, Die rechtssozialistische Leitung. u serer gewerkschaftlichen Verbände wollte den Weg einer bis zu einem gewissen Grade revolutionären Sireikbewegung einschlagen, deren praktisches und eigentlich einziges Ziel nach ihrer Mei- nung die Erlangung der Mehrheitssitze in der Regierung, im Senat, sein sollte. Unser Parteivorstand gründete mit ihnen zu- sammen ein „revolutionäres Zentralkomitee“, das wohl, besonders nach dem sich ihm die von Anfang an zur Revolution sich. oppo- sitionell verhaltenden Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion des Landtags angeschlossen hatten, für revolutionäres Oeschwätz, nicht aber für eine wirkliche revolutionäre Tätigkeit getaugt hätte. Dieses Komitee beschloß anfangs, die Erklärung des Generalstreiks zu befürworten. Auch auf dem Gewerkschaftskongreß, der da- mals gerade tagte, wurde der Beschluß gefaßt, für das ganze Land ‚den Generalstreik zu erklären. Bedeutete dies ein revolutionäres Hervorfreten oder nur eine Demonstration zur Unterstützung der während des Generalstreiks aufgestellten Forderungen, — darüber mochte jeder denken wie er wollte. Denn darüber war kein Be- schluß gefaßt worden, weil die Meinungen hierüber auseinander gingen,
Der Generalstreik ergriff das Land. Unser „revolutionäres Zentralkomitee“ erörterte die Frage: vorgehen oder nicht? Wir, die wir uns mit Unrecht Marxisten nannten, wollten nicht vor- wärts gehen, Ohne uns wollten die „Revolutionäre“ aus dem zen- tralen Gewerkschaftsverbande auch nicht gehen.
Wenn wir Zentralisten-Sozialdemokraten nicht den revolutio- nären Weg betralen, so handelten wir hierin ganz konsequent, ge- mäß unserer Ueberzeugung, die sich uns im Laufe unserer lang- jährigen Tätigkeit tief eingeprägt hatte, waren wir doch Sozialdemokraten und nicht Marxisten. Unsere sozial- ‚demokı che Position bestand erstens in einem friedlichen, all- mählichen, jedoch nicht revolutionären Klassenkampf; gleichzeitig
aber war sie zweitens die Position des selbständigen Klassen-
mpfes und nicht das Streben nach einem Bündnis mit der Bour- Be x Diese beiden Gesichtspunkte zusammen bestimmten un- sere Taktik
1: Wir glaubten nicht an die Revolution; wir setzten keine
Hofinwngen in sie und strebten nicht nach ihr. Das ist überhaupt
eine Ligenschaft der Sozialdemokratie,
‚Die Sozinldemakratie ist ja eigentlich ihrem ganzen Wesen nach gerade eine Arbeiterbewegung, die die Arbeiterklasse für. den bürgerlich-gesetzlichen (parlamentarischen) Klassenkampf orga- nisiert und rüstet, Allerdings ist ja der Sozialismus in ihrem Pro- ‚gramm das Endziel und bestimmt auch bis zu einen gewissen Grade die Richtung des aktuellen oder sog. „Minimal“-Programms sılionell verhaltenden Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion des Landtags angeschlossen hatten, für revolutionäres Oeschwätz, nicht aber für eine wirkliche revolutionäre Tätigkeit getaugt hätte. Dieses Komitee beschloß anfangs, die Erklärung des Generalstreiks zu befürworten. Auch auf dem Gewerkschaftskongreß, der da- mals gerade tagte, wurde der Beschluß gefaßt, für das ganze Land ‚den Generalstreik zu erklären. Bedeutete dies ein revolutionäres Hervorfreten oder nur eine Demonstration zur Unterstützung der während des Generalstreiks aufgestellten Forderungen, — darüber mochte jeder denken wie er wollte. Denn darüber war kein Be- schluß gefaßt worden, weil die Meinungen hierüber auseinander gingen,
Der Generalstreik ergriff das Land. Unser „revolutionäres Zentralkomitee“ erörterte die Frage: vorgehen oder nicht? Wir, die wir uns mit Unrecht Marxisten nannten, wollten nicht vor- wärts gehen, Ohne uns wollten die „Revolutionäre“ aus dem zen- tralen Gewerkschaftsverbande auch nicht gehen.
Wenn wir Zentralisten-Sozialdemokraten nicht den revolutio- nären Weg betralen, so handelten wir hierin ganz konsequent, ge- mäß unserer Ueberzeugung, die sich uns im Laufe unserer lang- jährigen Tätigkeit tief eingeprägt hatte, waren wir doch Sozialdemokraten und nicht Marxisten. Unsere sozial- ‚demokı che Position bestand erstens in einem friedlichen, all- mählichen, jedoch nicht revolutionären Klassenkampf; gleichzeitig
aber war sie zweitens die Position des selbständigen Klassen-
mpfes und nicht das Streben nach einem Bündnis mit der Bour- Be x Diese beiden Gesichtspunkte zusammen bestimmten un- sere Taktik
1: Wir glaubten nicht an die Revolution; wir setzten keine
Hofinwngen in sie und strebten nicht nach ihr. Das ist überhaupt
eine Ligenschaft der Sozialdemokratie,
‚Die Sozialdemakratie ist ja eigentlich ihrem ganzen Wesen nach gerade eine Arbeiterbewegung, die die Arbeiterklasse für. den bürgerlich-gesetzlichen (parlamentarischen) Klassenkampf orga- nisiert und rüstet, Allerdings ist ja der Sozialismus in ihrem Pro- ‚gramm das Endziel und bestimmt auch bis zu einen gewissen Grade die Richtung des aktuellen oder sog. „Minimal“-Programms Uebrigens wird in den theoretischen Schriften der Sozialdemo- kratie mit Hilfe von Hinweisen auf Marx erklärt, daß die Ergeb- nisse der organisatorischen Tätigkeit besonders dazu angesammelt und erhalten werden, um die Forderungen und den Erfolg der proletarischen Revolution im Auge zu "haben, Ohne Zweifel werden sie auch in dieser Revolution schließlich zur Geltung kom- men. Doch das wird wahrscheinlich nicht dank, sondern trotz der Sozialdemokratie geschehen. (So z. B. ist ja auch der Militaris- mus im bürgerlichen Staate der proletarischen Revolution in hohem "Maße dienlich, jedoch natürlich ganz entgegen den Zwecken dieses Wenn die Sozialdemokratie immer nach ihrem Wunsche die Arbeitermassen leiten könnte, so würde die Arbeiter- klasse wohl katım jemals in ein so gefahrvolles Unternehmen wie die Revolution geraten und würde auch wohl kaum ihrem Ziele, dem Sozialismus, näher kommen, außer wenn die Bourgeoisie mit der Waffe in der Hand eine Revolution provozieren würde. Nur in diesem letzteren Falle wird eine konsequente Sozialdemokratie — ob sie es wirklich tun wird, kann nicht so fest behauptet wer- den — sich zum revolutionären Kampfe erheben, um die Errungen- schaften ihres bürgerlich-gesetzlichen Klassenkampfes und die ‚Chancen seiner Fortsetzung zu wahren, so wie wir es Ende Januar getan haben.
‚Doch in November entschlossen wir uns, der Revolution aus- ichen, teils um unsere demokratischen Eroberungen keinen fahren auszusetzen, teils in der Hofinung, mit parlamentarischen Mitteln vielleicht den Strudel der Geschichte zu umschiffen, und te ch wohl in der fatalistischen Erwägung: wenn die Revo- hution früher oder später kommen muß, so kommt sie auch unge- achtet unseres Widerstrebens und beweist dadurch gerade so recht
die Folge dieses historischen Fehlers? Vermieden
wir einen bewaffneten Zusammenstoß? Nein. Er wurde nur bis
zu einem Zeitpunkt aufgeschoben, zu dem die Bourgeoisie bedeu-
tend besser gerüstet war als im November. Die Bourgeoisie hat
& immer in der Hand, die Arbeiter zu einem bewaffneten Zusam-
menstoß zu provozieren, sobald sie es nur wünscht. Und das ist
eben die Gefahr für den Kampf der Arbeiter, daß die Bourgeoisie
die Möglichkeit hat, den Moment des Anfangs des Bürgerkrieges zu bestimmen. Wenn die Arbeiterklasse ihn. beginnt, so ist die Bourgeoisie noch nicht überall für die Revolution genügend ge-
rüstet, die Revolution überrascht sie mehr oder weniger. Eine von
den Arbeitern begonnene revolutionäre Bewegung kann insbeson-
‚dere dort, wo eine reaktionäre Regierungsgewalt im Laufe eines
längeren Zeitraums in breiten Volksmassen eine feindliche Haltung
sich gegenüber genährt hat, entweder direkt die unzufriedenen
Mittelschichten mit sich fortreißen oder aber zum mindesten in
das Lager der Beschützer der Regierungsgewalt Verwirrung und
Schwäche tragen. Besonders unter solchen Umständen (wie z. B.
jetzt in der Kriegezeit), wo in den kriegführenden Ländern die
Proletariermassen einstweilen noch die Waffen in den Händen
haben, ist es von ungeheurer Wichtigkeit, zu vermeiden, daß. die
Regierung die Möglichkeit bekommt, den Klassenkrieg zu beginten,
denn die Regierung würde schon nach einer verhältnismäßig kurzen
Vorbereitungszeit in der Lage sein, die großen Massen zu enl-
wafinen, die der Revolution nötigen Elemente zu verhaften, ihre
zuverlässigeren Truppen zweckmäßig auf die Angriffs- und Ver-
teidigunsstellungen gegen den „inneren Feind“ zu verteilen und
überhaupt alle ihre verfügbaren Kräfte zur aktiven oder passiven
gegenrevolutionären Tätigkeit zu sammeln. Außerdem kann man
gewiß sein, daß eine Regierung, wenn sie den Klassenkrieg beginnt,
Sich im voraus bemüht, für sich günstigste außenpolitische Bedin-
‚gungen zu schaffen, sich im äußersten Noffalle die Hilfe des Aus-
ländes zu sichern oder sich wenigstens den Rücken gegen äußere
Einmischung zu decken. Im November wäre es der finnischen
Bourgeoisie um vieles schwerer gewesen, eine so bedeutende Hilfe
von der deuttschen Regierung zu erhalten, als später im Winter,
als die deutschen Truppen an der russischen Front frei wurden, —
was alles im November und sogar im Januar immerhin schwer
vorauszuschen war,
2. Wir Zentralisten-Sozialdemokraten wollten in kein Regie- rungsbündnis mit bürgerlichen „Demokraten“ treten, wie es die Rechtssozialisten taten, ob sie nun für oder gegen die Revolution waren. Ohne ein solches Bündnis war auch nicht an die Verwirk- lichung des Zieles zu denken, das denjenigen Rechtssozialisten im Geiste vorschwebte, die für die Revolution waren, d. h. die Schaf- füng einer demokratischen Regierung, in welcher den Sozialisten mindestens die bedeutende Mehrheit der Sitze gehören und die sich in ihrem Programm die Einschränkung der Spekulation in der Lebensmittelfrage und die Durchführung verschiedener demo- kratischer Reformen auf parlamentarischem Wege zum Ziele stecken mußte. Der Umstand, daß in diesen auf revolutionärem Wege zu erobernden „roten Senat“ auch mindestens einige Vertreter des sogenannten Agrarbundes eintreten würden, schien den Rechts- sozialisten — was ganz verständlich ist — eine überaus nohven- dige Verstärkung. Von dieser Erwägung ausgehend, wurden auch ihrerseits und seitens der sozialdemokratischen Fraktion des Landtags Unterktandlungen mit der Fraktion des Agrarbundes und ebenso, aller Wahrscheinliehkeit nach, auch mit anderen „pro“ gressiven“ Deputierten geführt, und „Genosse“ Tokoi hielt sogar unter den Beamten des Senats Umfrage, ob sie einverstanden wären, auch einem „roten Senat“ zu dienen. Somit also liel das ganze revolutionäre Streben der „revolutionären“ Sozialisten eigentlich auf eine Wiederbelebung des Koalitionssenats vom Frühjahr hin- aus, nur in etwas vollkommenerer Form, dank der sozialistischen ‘Mehrheit und vielleicht auch der Entfernung der alleräußersten Reaktionäre.
Dies wäre auch aller Wahrscheinlichkeit nach und bestenfalls das Resultat, die einzige Errungenschaft einer Revolution im No- vember gewesen, Nicht mehr. Mehr zu erobern wäre die fin- nische Arbeiterbewegung damals noch nicht imstande gewesen. Ein Teil der organisierten Arbeiter hätte ohne Zweifel sofort einen vrößeren Schritt gelordert, doch die mit wenigem zufriedene Mehr- heit unserer Arbeiterbewegung hätte sich sogleich nach der Er- reichung ihres sich unmittelbar gesteckten Ziels gegen das Stre- ben nach einer revolutionären Arbeiterdiktatur gewendet und wäre damals auch wohl imstande gewesen, diese Forderung und überhaupt die wahre revolutionäre Stimme des Proletariats mil Leichligkeit niederzudrücken. Ihr Ziel hätte die Mehrheit damals, wenigstens zum: größten Teil, verwirklichen können. Jetzt nach allem Vorgefallenen erscheint einem diese Möglichkeit. bei nüch- terner Ueberlegung viel wahrscheinlicher als damals. Die finnische Bourgeoisie hätte damals allem Anschein nach wenigstens zeit- weise ungefähr soweit der revolutionären Bewegung nachgeben müssen, um ihre hauptsächlichsten Interessen wahrzunehmen, denen die revolutionäre Bewegung: der rechten Sozialisten. nicht drohte, Aus der. Novemberrevolution in Finnland wäre somit aller Wahr- scheinlichkeit nach in Wirklichkeit eine bürgerlich demokratische Revolution geworden, Das würde in den Reihen der organisierten Arbeiter geradezu eine völlige Scheidung bewirkt haben: der rechte Teil hätte mit der Bourgeoisie „zur Aufrechterhaltung der öffent- lichen Ordnung“, gemeinsam Front gemacht, während der linke Teil in das Lager des wirklich revolutionären Sozialismus oder Kommunismus übergegangen wäre und nach nichts änderem ge- irächtet hätte, als gegen den bürgerlichen Staat und gegen alle seine Helfer und Helfershelfer anzukämpfen.
Ungelähr in dieser Art, wenn auch noch etwas ‚unklar, stellten Wir sogenannten „margistischen Sozialdemokraten“ des Partei- vorstandes uns während ‚des Generalstreiks vom November dus unmittelbare Resultat vor, zu dem «ie Revolution damals besten- falls hätte führen können. Und eben deshalb handelten wir, als wir uns gegen die revolutionäre Aktion entschlossen, noch aus zwei {riffigen ergänzenden Beweggründen: erstens wollten wir nicht der Vereinigung der Rechtssozialisten mit der Bourgeoisie Vorschub leisten und zweitens wollten wir es nicht zu einer Spal- fung der Arbeiterbewegung kommen lassen. Auch hier. folgten wir der der Sozialdemokratie eigenen Bahn und nicht der marxisti- schen Methode. In Wälrheit hielten wir die geschichtliche Ent- wicklung auf, indem wir die Spaltung der Arbeiterbewegung un- seres Landes verhinderten, für die die Voraussetzungen schon reif und zur notwendigen Bedingung dazu geworden waren, daß die Arbeiterbewegung vom Fleck vorwärts zur zielbewußten revo- Nutionären Tätigkeit kommen konnte. Bei dem künstlichen gleich- zeitigen Unterslützen zweier gegensätzlicher Bestrebungen war diese Bewegung vollkommen außerstande, sich zu entfalten. Die Spaltung konnte selbstverständlich der sozialdemokrati- schen Wirksamkeit, mit anderen Worten, dem direkten Einfluß der parlamentarischen (und gewerkschaftlichen) Tätigkeit bringen. Die Aussichten auf Wahlsiege konnten sich s ständlich verschlechtern. Jedoch der tatsächlichen. Fortentwi ‚der Arbeitersache, der Verstärkung des Klassenkampfes der Ar- beiter hätte diese ganz naturgemäße Zweiteilung nur Nutzen briu- ‚gen können. Denn das bedeutete ja nur die Säuberung der, wirk- lichen Arbeiterfront von allen Elementen, die dem Klassenkampf im Wege standen und das klare Bewußtsein der Massen trübten, von Elementen, die drüben, auf seiten der Bourgeoisie, dem revolu- tionären Klassenkampf der Arbeiter immerhin weniger schaden konnten, als in den Reihen der Arbeiter selbst.
Wir selbst hätten ja allerdings der Revolution trotz allen un- seren Anstrengungen vielleicht kein unmittelbares Resultat nach un- serem Wunsche geben können. Das würde die Geschichte schon besorgt haben. Unsere Pflicht wäre jedoch gewesen, den Versuch zu machen, den Kampf aufzunehmen und so weit als möglich vor- zustoßen, um der geschichtlichen Entwicklung unter die Arme zu greifen. Denn auch die Geschichte konnte ja ihr Werk nicht mit leeren Fausthandschuhen verrichten, sie bedurfte der Fäuste entschlossener Kämpfer. Und wenn auch der große Eisgang auf dem Geschichtsstrom des finnischen Klassenkampfes damals noch ‚nicht hätte vonstatten gehen können, wenn auch der damalige L.os- bruch allem Anschein nach in bürgerlich demokratischer Stag- nation stecken geblieben wäre, ähnlich wie des Eis sich auf dem Strom zu großen Haufen aufstaut, so wäre dieser Losbruch immer- hin doch ein Schritt vorwärts gewesen. Er hätte die Widerstands- kraft der Eisdecke vermindert; der nach Freiheit strebende Strom hätte dann nicht mehr alle seine Kräfte im Kampfe gegen den ge- schlossenen, breiten Eismantel aufzureiben brauchen, sondern er hätte alle seine gewaltige Kraft nun gegen den sich bildenden Eis- haufen richten und so lange auf ihn drücken können, bis dieser hätte weichen müssen. Auf.dem Strome ist dies beim Eisgang der ichste und rascheste Phasenwechsel. Genau so wickelten in Rußland ab. Und es ist der leichtere Weg. Ein ender Teil der Widerstandskraft des die Gesellschaft umklam- hen Staates bleibt auf diese Weise im entschei- denden Moment unausgenutzt. Wenn dagegen die Eisdecke an allen Stellen sich gleichmäßig bis zum Ende halten und nirgends Risse erhalten würde, so würde der. Eisgang auf lange Zeit hinaus aufgehalten werden. N
Wir vereitelten den Ausbruch der ersten Bewegung, als wir ‚nach einer Woche das Signal zum Ausbruch des Generalstreiks ‚gaben und die Revolutionstrage der Entscheidung des Parteitages zu überweisen beschlossen! Infolgedessen herrschte in den Ar- beitermassen eine allgemeine Unzufriedenheit und sogar eine starke Entrüstung; diese gipfelte wohl nicht in einer offenen Rebellion gegen die Parteileitung, ihre Folge war aber vielleicht noch ver- derbenbringender für. den künfigen Klassenkampf; sie entzog der Führung der Arbeiterbewegung den besten Teil des Vertrauens der Massen. Der Leitung, die des Feuers gegen den dreister wer- denden Feind der Arbeiterklasse bedurite, blieb jetzt nichts mehr "als die erkalteten Kohlen des Mißtrauens zu schüren, Die auf diese Weise erzeugte Mißtrauensstimmung und Feindseligkeil machte sich später im Laufe der ganzen Revolution wie ein schwerer Albdruck geltend. Durch sie wurde schon im November die Saat gestreut, die dann in der Auflösung im April ihre Früchte trug. Der Parteitag, der nach einigen Wochen zusammentrat, mußte konstatieren, daß die allerhöchste Welle der Revolution unter Kreuzwind bereits vorübergeilulet war. Die Dei Parteikongresses waren noch dieselben wie die im anderen Bedingungen gewählten. Ungefähr die Hälfte von ihneı schien auf dem Standpunkt einer mehr oder weniger unumwun denen revolutionären Handlungsweise zu stehen, die andere Hälfte war dagegen, Wir Zentralisten bemühten uns aus allen Kräften, die Partei vor einer Spaltung zu retten, und dies „gelang“ uns ch, In der beide Teile verbindenden Resolution wurde einziges bestimmtes Wort für oder gegen die Revolution gesagt; dafür aber kehrte sie den Geist des früheren selbständigen Klassenkampfes hervor, Außerdem wurde in ihr an die Bourgeoisie eine Unmenge frommer Forderungen nach allerhand Reformen ge- stellt und den Arbeitern anheimgegeben, sich zu bewaffnen, — nicht zur revolionären Offensive, sondern zum nohwendigen Selbst- schutz.
Die Notwendigkeit des Selbstschutzes wurde allgemach für die Arbeiterklasse auch die allerdringendste Tagesirage. Denn die Bourgeoisie, die sich überzeugte, daß sie für dieses Mal vor der Reyolutionsgefahr gerettet war, rüstele sich nunmehr in klarer Er- kenntnis der Lage zum Ueberfall. Sie betrieb ganz offen eine tolle Hetze gegen die Sozialisten, unter der Hand aber entwarf sie Kriegspläne, schaffte sie Waiten herbei, organisierte und exerzierte sie eine weißgardistische Armee und entsandte ihre Agenten ins ‚Ausland mit eiligen Aufträgen. Auf der anderen Seite wurde auch
die Rote Gärde der Arbeiter organisiert, und die Parteileitung
nahm Anteil an dieser Arbeit. Diese ging jedoch langsam von-
statten und wurde nicht mit der erforderlichen Energie und Zweck-
mäßigkeit betrieben. Hier und da drohte der spontane Ausbruch
zersplitterter örtlicher revolıtionärer Explosionen mit anarchisti-
schen Begleiterscheinungen, so z. B. brach in Abo solch ein
Putsch aus.
Von einer parlamentarischen Arbeit war und konnte jetzt für die Arbeiterklasse nichts mehr als nur Schaden zu erwarten sein, Sie lenkte nur ganz umsonst unsere Kräfte ab, die jetzt alle ohne Ausnahme auf die Vorbereitung des herannahenden revolutionären Kampfes verwendet werden mußten. Sie führte jetzt nur irre und hinderte, das zu sehen, was bevorstand, was die Bourgeoisie im ‚Schilde führte und worauf die Arbeiterklasse sich hätte vorbereiten müssen, Als die Revolution im November auszubrechen drohte, wurde auf dem Landtag ein Beschluß der Mehrheit erzielt, nach welchen nur der Landtag ı und nicht irgend eine Regierungs- klique — einstweilen das Recht haben sollte, über die Regierungs- gewalt im Lande zu verfügen. Das sah schon nach einem wirk- lichen, wenn auch noch schwachen Schritt hin zum „untadelhaften‘“ Demokratismus aus. In der Kommission der Grundgesetze maciı- ten wir sogar schon den Versuch, einen ausführlicheren Plan für dieses schöne Staatsgebäude zu entwerfen und faßten den Beschluß, einen künstlerischen Wettbewerb für die schönste Flagge auszu- schreiben, mit der man das Dach des finnländischen Staatsgebäudes schmücken sollte.
hi en wir aus dem Munde Syinhufvuds das Grundge- als zu hören; es enthielt nur einen Punkt: „Strenge Ordnunpsmacht !* ‚eine „schweinische“ und blutgierige Konstitution. e gemahnle an die Wirklichkeit des Klassenkampfes, an sengewalt, und das zu einer Zeit, da manche Sozial- ‚demokraten von einer demokratischen Konstitution träumten, die sie dureh Wahlsiege zu erringen wähnten.
2. Der Wahn demokratischer Illusionen.
Die finnische Sozialdemokratie trachtele während der Revo- lution im Winter 1918 nicht danach, aus dem Rahmen des meinen: Volksvertretungssystems herauszutreten. Im Gegenteil, strebte gerade naclı einem möglichst noch allgemeineren Volksver- tretungssystem, nach einer möglichst demokratischen Regierungs- form. Darauf zielte auch das vom Volksbeauftragtenrat ausge- arbeitete Verfassungsprojekt hin, das im Frühjahr zur Volksab- ‚stimmung kommen sollte. Laut diesem Projekt sollte die oberste Staatsgewalt einer auf breiter demokratischer Basis gewällten Volksvertretung gehören; die Regierung war bloß ein Vollzugs- ausschuß ohne einen mit dem Rechte selbständigen Handelns aus- gestatteten Präsidenten; dieser Vollzugsausschuß handelte unter der regulären und strengen Kontrolle der Volksvertretung; das ‚Recht der Volksinitiative sollte recht breite Anwendung finden, das Referendum jedoch nur in Fragen, die direkt die Konstitution be: treffen; die Beamten sollien ihre Plätze auf bestimmte Zeit inne- haben, die höheren Beamten durch die Volksvertretung gewählt werden.
Natürlich war eine solche Verfassung auch für den Volksbe- Auftragtenrat nicht Seibstzweck, sondern sollte nur als politischer ‚Rahmen für die Verwirklichung sozial-ökonomischer Bestrebungen dienen. Innerhalb dieses Ralmens sollte die Möglichkeit zur Her- beiführung sozialer Reformen auf dem Wege zum Sozialismus ‚gegeben werden, zur Durchführung von Maßnahmen, aus denen letzten Endes die sozialistische Öesellschaft eütstehen sollte.
‚Diese Idee erschien damals unter den finnischen Verhältnissen gar nicht so unmöglich. Es schien, als ob die demokratische Ver- fassung in Finnland der Volksvertretung eine Mehrheit garantieren könnte, die zur Hälfte direkt den Sozialismus gefordert und zur änderen Hälfte sich aller Wahrscheinliehkeit nach der Einführun von vorsichligen Reformen, die zu dieser Gesellschaftsondnungt führen, nicht widersetzt haben würde, Die Gegner des Sozial mus wären in dieser Volksvertretung zur ohnmächtigen, lalımge- legten Minderheit verdammt gewesen. So dachten wir. Wenn man den damaligen Stand des ökonomischen Lebens in. Finnland berücksichtigt, klingt solch ein Gedanke gar nicht so un- wahrscheinlich, Ungeachtet dessen, daß die kapitalistische Ent- wicklung Finnlands nicht weit vorgeschritien st, hätte der größere Teil der Produktionsverhältnisse des Landes dank der Einfachheit ihrer Struktur verhältnismäßig leicht erfaßt werden können, leichter als die Volkswirtschaft mancher weit vorgeschrittener Länder. Die Holzverarbeitungs- und Papierindustrie bildet in Finnland in be- zug auf ihren Produktivwert geradezu den überwiegenden Teil der gesamten kapitalistischen Industrie, Der allergrößte Teil (un- gefähr neun Zehntel) aller Waldungen war schon von früher her fiskalisch. Die Papierindustrie ist sehr konzentriert; die Konfis- zierung von ein paar Dutzend der größten Unternehmungen wäre unzweifeihaft fast der Konfiszierung dieses ganzen ‚Industriezweiges gleichgekommen. Ebenso befindet sich der größte Teil der Säge- mühlenindustrie in den Händen verhältnismäßig. weniger großer Aktiengesellschaften, die sich noch dazu keiner Sympathie, beson- ders nicht unter den bäuerlichen Landbesitzeru, erfreuten. Die Konfiszierung von im ganzen ungefähr 200 Unternehmungen durch den Staat hätte man mit sehr viel Recht als ausschlaggebend für die Vorherrschaft.des Staates in diesen Industriezweigen bezeichnen können, und das würde wiederum eine beispiellose indirekte Beein- lussung der übrigen Gebiete des Kapitalismus durch den Staat bedeutet haben. Die Umwandlung der Staatsbank in die einzige oder doch wenigstens vorherrschende Handels- und Industriebank ad die Konzentrierung des gesamten Außenhandels in den Hän- (es, die durch die Kriegsbedingungen einfach eine ‚yeworden war, hätten obendrein zur Genüge die Um- Haates in eine die ganze Volkswirtschaft des Landes leitende M ergänzt. Der Staat wäre in diesem Falle zwar der erste Kapitalist im Lande gewesen, doch schon nicht so sehr än Staat, den die Kapitalisten und die Bourgeoisie leiten, nicht mehr deren Klassenorganisation, sondern ein „Volksstaat“, in welchem sie, da sie sich in der Minderheit befanden, keine aus- schlaggebende Macht melır haften. Die ausschlaggebende Macht mußte fest in den Händen der arbeitenden Volksmehrheit liegen, die dieselbe entsprechend ihren Interessen zur Umwandlung der ökonomischen Staatstätigkeit in eine Tätigkeit benutzen würde, die der Arbeiterklasse mehr und mehr von Nutzen wird, um auf diesem: Wege der bürgerlichen Staat in die sozialistische Gesellschaft zu verwandeln.
Solch eine Politik eben hatte der finnische Volksbeauftragten- rat offenbar im Auge, Jedenfalls war ein Teil seiner Mitglieder ‚der Ansicht, daß die Mehrheit der demokratischen Volksvertretung ‚der Konfiszierung der Holzbearbeitungs- und Papier-Großunter-
> nehmungen im obenangeführten Umfange und der Unterordnung,
des Außenhandels unter Staatsleitung zustimmen würde; aus diesen
Maßnahmen würde sich ebenfalls die Stellungnahme zur Staatsbank
ergeben haben. Was eingetreten wäre, wenn der deutsche Imperia
tismus den finnischen Kapitalisten nicht zur Hilfe gekommen wär
und die Arbeiterklasse in ihrem Kampfe gesiegt hätte, — darüher
jetzt Vermutungen auszusprechen, ist schwer und auch zwecklos,
Doch auch ohne diese zweifelhaften Vermutungen kann man jetzt
schen, daß die Idee des politischen Demokratismus, die der Volks-
beauftragtenrat verfolgte, historisch unberechtigt war.
Sie wollte eine Brücke, eine Uebergangsstufe vom Kapitı mus zum Sozialismus bauen. Doch dazu war der. Demokrali untauglich.
Schon während der Revolution machte sich das fühlbar, Diese Idee taugte weder für die Bourgeoisie noch für die Arbeiterklasse, — das fühlte man, obgleich keine der beiden Seiten sich gegen sie aussprach. Die Bourgeoisie hielt es nicht für dienlich, gegen den Demokratismus hervorzutrelen, und die Arbeiterklasse, diese selbe Arbeiterklasse, die in den Jahren 1904, 1905 und 1906 in stürmischer Erregung für den Demokrafismus gekämpft hatte, ver- hielt sich jetzt zu ihm überaus gleichgültig, Für beide Seiten taugte jetzt nur die Diktatur, der Bourgeoisie die weiße, der Ar- beiterklasse die role. Beide Seiten fühlten deutlich, daß der Vor- schlag des Demokratismus im Grunde ein Kompromißvorschlag war. Doch weder die eine noch die andere Seite wünschte einen Kompromiß, einen Ausgleich. Die eigene Macht war für beide Seiten viel erwünschter als irgend eine sogenannte Volks- macht.
Die Volksmacht, die Demokratie war für Finnland die Kon- stitution des vergangenen Jahres. Die russische bürgerliche Revolution hatte sie uns im März gegeben. Sie bestand nicht auf dem Papier, nicht in einem allgemein anerkannten Grundgesetz, doch sie bestand in Wirklichkeit. Es war kein reiner Demokratis- mus, bei weiten nicht ein so schöner, wie ihn später der Entwurf des Volksbeauftragtenrates plante, doch er war so gut, wie es über- liaupt: ein Demokratismus in einer bürgerlichen Republik jemals sein kann, Weiter den Weg des Demokratismus, mit anderen Worten des „friedlichen Klassenkampfes“ zu gehen, war historisch unmöglich.
Jetzt, nach allem Vorgefallenen, ist es leicht, diese wichtige Beobachtung anzustellen. Im vorigen Jahre war dies in Finnland bedeutend schwerer. Die verhältnismäßige Schwäche der finni- schen Bourgeoisie, ihre Schwäche im parlamentarischen Kampfe
und der Umstand, daß sie über keine Armee verfügte, hat uns |
Sozialdemokraten zu verleiten vermocht, uns von der Fata Mor-
gana des Demokratismus bezaubern zu lassen, nach dem Sozialis-
mus auf dem Wege des parlamentarischen Kampfes und der demo-
kratischen Volksvertretung zu streben und damit also gerade den
Weg: zu gehen, auf dem die geschichtliche Wirklichkeit nicht
gehen konnte; wir wurden zu dem Bestreben verleitet,
die sozialistische Revolution zu vermeiden, die Zwischenstufe
zwischen Kapitalismus und Sozialismus — die Diktatur des Prole-
tarials — zu umgehen, die die geschichtliche Wirklichkeit nicht
umgehen kann.
Der Demokratismus vom vorigen Jahre schien uns das rich- lige Programm nicht nur der vergangenen, sondern auch der zu- künftigen Geschichte zu sein. Er schien uns nur zu unvoll- ständig undschwach für die Schaffung des Sozialismus. Zu k wollten wir ihn ergänzen und vervaliständigen. Ja, h, viel zu schwach. Wir bemerken nicht, daß er
daß er sich überhaupt nicht stärken ließ. Die ne Haupteigenschaft; sie ist überhaupt die Haupt- eigenschuft des Demokratismus im bürgerlichen State. Zwar war er auch zur Unterstützung der Bourgeoisie zu schwach, doch noch schwächer war er für die Arbeiterklasse, Sein einziger historischer Vorzug — ein Vorzug für beide Seiten, also ein sich selbst wider- sprechender Vorzug — bestand in der Eigenschaft, die von je den Vorzug. des Demokratismus gebildet hatte, nämlich darin, daß er für den Klassenkampf die Möglichkeit schuf, sich verhältnismäßig frei zu entwickeln, "Er gab ihm die Möglichkeit, sich bis zu einem solchen Grade von Anspannung zu entwickeln, bei dem mut noch die Möglichkeit einer Entscheidung mil der Wale in der Hand geblieben ist, d. h. wo die geschichtliche Aufjgabe eben dieses Demokratismus sein mußte: zu verschwinden ala eine überflüssige, alte, verfaulte Schranke zwischen zwei aufeinnder losstärmenden Fronten.
Der blutige Kampf unter einer Abendmahlstosung
Als die finnische Bourgeoisie Ende Januar ihren Weilsar
disten das Kommando zum Vormarsch gab, gerieten die Sozial
demokraten außer sich und riefen zum Schutz. der Demokratie aul
„Die Bourgeoisie hebt den Demokratismus auf, vernichtet ihn“,
Tief man im Lager der Sozialdemokraten; „Wache heran! Die
Demokratie ist in Todesgefahr!“ Und so war es in der Tat, Die
Bourgeoisie wollte ein für allemal ihre Oluynacht abschülteln,
sich aller Schranken des Demokratismus entledigen, die für sie wohl
keine Gefahr bedeuteten, wohl aber ihr die Ellbogenlreiheit
nahmen; sie wollte ihre nackte Klassenherrschaft, die schrankun
lose Freiheit des Raubes, die „strenge Ordnungsmacht“, wie man
sich damals ausdrückte, — die Republik (oder Monarchie, wie sich
dann herausstellte) der Henker aufrichten.
Das wollte die Bourgeoisie. Die Sozialdemokratie antwor- tete darauf mit der Revolution. Doch unter welcher Parole? Unter der Parole der Arbeitermacht? Nein, unter der Parole des Demokratismus. Eines solchen Demokratismus, der nicht wieder
kann es auch in ihr nicht geben, Die ausbeutende Klasse hat bein