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Die Unsterblichkeitsfrage vom Standpunkt der Anthropologie | |
|---|---|
| Autor*in | Ludwig Feuerbach |
| Verlag | Alfred Kröner Verlag in Leipzig |
| Veröffentlicht | 1923 |
| Quelle | https://www.projekt-gutenberg.org/feuerbal/unsterbl/titlepage.html |
Vorwort
Ludwig Feuerbach wurde am 28. Juli 1804 zu Landshut in Bayern als vierter Sohn des berühmten Kriminalisten Anselm von Feuerbach geboren. (Der Maler Anselm Feuerbach war seines Bruders Sohn.) Er studierte in Heidelberg Theologie, wurde durch Daub für Hegel begeistert und ging, um diesen selbst zu hören, 1824 nach Berlin. Wie er später bekennt, fühlte er damals schon die innere Zwietracht zwischen Philosophie und Theologie, die Notwendigkeit, daß man entweder die Philosophie der Theologie oder die Theologie der Philosophie opfern müsse. Er hörte Schleiermacher und Neander, aber er konnte es nur kurze Zeit bei ihnen aushalten. »Der theologische Mischmasch von Freiheit und Unabhängigkeit, Vernunft und Glaube waren meiner Wahrheit, d. h. Einheit, Entschiedenheit, Unbedingtheit verlangenden Seele bis in den Tod zuwider.« Er entschied sich für die Philosophie, hörte und verehrte zwei Jahre lang Hegel.
Im April 1826 kehrte er nach Bayern zurück, voll von Hegel, aber schon entschlossen, sich mit seinen Fragen, anstatt an die spekulative Philosophie, an die Wirklichkeit, an die Natur selbst zu wenden. In Erlangen, wo er seine Studien abschloß, beschäftigte er sich vor allem mit Naturwissenschaften, speziell Anatomie, Botanik und Physiologie. Der Schritt vom Hegelschen Idealismus zum entschiedenen Naturalismus bereitete sich vor. Während Hegel alles Sein aus dem Denken erzeugen wollte, beschließt jetzt Feuerbach seine Fragen und Zweifel mit der These: »Gäbe es keine Natur, nimmermehr brächte die unbefleckte Jungfer Logik eine aus sich hervor.« Während Hegel auf die Übereinstimmung mit der Religion, namentlich mit den Lehren der christlichen Religion drang, begann Ludwig Feuerbach die Religion als eine Stufe der geistigen Entwicklung aufzufassen. Während Hegel seine Philosophie, in ihrer Übereinstimmung mit dem Christentum, als die absolute, nicht zu überbietende Offenbarung des objektiven Geistes betrachtete, fragt Feuerbach kühl: »Wie verhält sich überhaupt die Hegelsche Philosophie zur Gegenwart und Zukunft? Ist sie nicht die vergangene Welt als Gedankenwelt? Ist sie mehr, als eine Erinnerung der Menschheit an das, was sie war, aber nicht mehr ist?«
1829 läßt er sich in Erlangen als Privatdozent nieder und liest über Cartesius und Spinoza, über Logik und Metaphysik und über die Geschichte der neueren Philosophie. Noch ganz in Hegelscher Diktion, veröffentlicht er 1830 »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit«, worin er sich entschieden auf die radikale »Hegelsche Linke« stellt und die Unsterblichkeit verneint. Wie aber immer, so bleibt auch Ludwig Feuerbach schon hier nicht in der bloßen Negation stecken. Die positive Tendenz seiner Schrift kennzeichnet er selbst mit den Worten: »Jetzt gilt es vor allem, den alten Zwiespalt zwischen Diesseits und Jenseits aufzuheben, damit die Menschheit mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen auf sich selbst, auf ihre Welt und Gegenwart sich konzentriere; denn nur diese ungeteilte Konzentration auf die wirkliche Welt wird wieder neues Leben, wird wieder große Menschen, große Gesinnungen und Taten zeugen. Statt unsterblicher Individuen hat die »neue Religion« vielmehr tüchtige, geistig und leiblich gesunde Menschen zu postulieren, die Gesundheit hat für sie mehr Wert als die Unsterblichkeit.«
Ludwig Feuerbach bewegt sich mit diesen Gedanken ganz im Geiste Goethes, der (1824) zu Eckermann bemerkt: »Die Beschäftigung mit Unsterblichkeitsideen ist für vornehme Stände und besonders für Frauenzimmer, die nichts zu tun haben. Ein tüchtiger Mensch aber, der schon hier etwas Ordentliches zu sein gedenkt, und der daher täglich zu streben, zu kämpfen und zu wirken hat, läßt die künftige Welt auf sich beruhen und ist tätig und nützlich in dieser.« Gedanken, die am Schlusse des Faust wiederkehren in den prometheisch-trotzigen Worten:
Der Erdenkreis ist mir genug bekannt,
Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
Tor, wer dorthin die Augen blinzend richtet,
Sich über Wolken seinesgleichen dichtet.
Er stehe fest und sehe hier sich um,
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm,
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen!
Was er erkennt, läßt sich ergreifen.
Angehängt sind den Gedanken über Tod und Unsterblichkeit theologisch-satirische Xenien gegen das Unwesen der Frömmelei, gegen die Liebäugelei zwischen Philosophie und Theologie, gegen die Halbheiten und Wortklaubereien der modernen Bibelauslegung im Interesse des absterbenden Glaubens, gegen die »Heuchler im Talar« und die »Zeloten auf der Kanzel« usw. usw. Es läßt sich denken, wie die Schrift Feuerbachs auf die reaktionäre, glaubenseifrige Gesellschaft seiner Zeit gewirkt hat. Sie wurde sofort polizeilich konfisziert; sein Vater prophezeite ihm: »Die Schrift wird dir nie verziehen, nie bekommst du eine Anstellung.« Und so war es auch. Mit Feuerbachs akademischer »Karriere« war es aus. Die außerordentliche Professur, um die er sich drei Jahre nach seiner Habilitation bewarb, wurde ihm versagt. Auch spätere Bemühungen um eine Professur schlugen fehl. Im Bewußtsein des schneidenden Widerspruches seines Geistes mit dem sanktionierten und privilegierten Geist der Universitäten hatte er im Grunde seiner Seele eigentlich nie auf eine Professur gehofft und spekuliert. Er suchte nichts als einen Ort, wo er frei und ungestört dem Studium und der Entwicklung und Äußerung der in ihm schlummernden Gedanken und Gesinnungen leben konnte.
Diesen Ort fand er, abseits vom akademischen Markt, in dem Schloß Bruckberg zwischen Ansbach und Nürnberg. Hier besaß die Familie Löw eine Porzellanfabrik. Ludwig Feuerbach heiratete im Jahre 1837 die liebreizende Berta Löw, die Mitbesitzerin der Fabrik, und hier hat er in der Folge 25 Jahre lang in der Stille gelebt und gearbeitet. Es waren die schönsten und glücklichsten Jahre seines Lebens. »Jetzt«, so schreibt er, »beginnt eine neue Periode in meinem Leben, jetzt bin ich berechtigt, wozu ich mich berufen fühle, jetzt ist mein innerster Wille mir zu äußerlicher Notwendigkeit gemacht, jetzt kann ich meinem Genius huldigen, frei, rücksichtslos der Entfaltung des eigenen Wesens mich weihen.« Und weiter: »Einst in Berlin und jetzt auf einem Dorfe! Welch ein Unsinn! Nicht doch, mein teurer Freund! Siehe, der Sand, den mir die Berliner Staatsphilosophie in die Zirbeldrüse wohin er gehört aber leider auch in die Augen streute, wasche ich mir hier an dem Quell der Natur vollends aus. Logik lernte ich auf einer deutschen Universität, aber Optik, die Kunst zu sehen, lernte ich erst auf einem deutschen Dorfe.« Und endlich: »Der Philosoph, wenigstens wie ich ihn erfasse, muß die Natur zu seiner Freundin haben; er muß sie nicht nur aus Büchern, sondern von Angesicht zu Angesicht kennen. Längst sehnte ich mich nach ihrer persönlichen Bekanntschaft; wie glücklich bin ich, daß ich endlich dieses Verlangen stillen kann.« Auch den Wissenschaften von der Natur brachte er tiefes und dauerndes Interesse entgegen, getreu seiner Maxime, daß die Wahrheit nur in der Wirklichkeit zu finden sei. Auch in seinem eigenen Felde wollte er nichts anderes sein als ein Naturforscher des Geistes.
Im Anschluß an seine Erlanger Vorlesungen beschäftigte er sich zunächst mit der Geschichte der Philosophie. 1833 ließ er seine »Geschichte der neueren Philosophie von Bacon bis Spinoza« erscheinen; 1837 folgt eine Darstellung, Entwicklung und Kritik der Leibniz'schen Philosophie«, auch heute noch »eine der wichtigsten und wertvollsten Anleitungen zu tieferem Eindringen in die eigenartige und schwierige Gedankenwelt des Leibniz« (Friedrich Jodl). Endlich 1838 die Monographie »Pierre Bayle. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und Menschheit.[Anmerkung 1] Bayle war einer der ersten und hervorragendsten Kämpfer für Aufklärung, Toleranz und Humanität, überzeugt, daß der Mensch auch ohne Religion moralisch sein könne. In Bayle verkörperte sich gleichsam der Widerstreit zwischen der Vernunft und dem orthodoxen Glauben. Feuerbach stellt diesen Widerstreit dar und entscheidet ihn zugunsten der Vernunft. »Erkennen wir«, so ruft er aus, »daß die Religion für sich selbst, wenn sie nicht durch die Vernunft erleuchtet wird, den Menschen in der Finsternis läßt, ja daß die Religion, wenn sie, statt der Vernunft zu gehorchen, die Vernunft beherrschen will, die Menschheit in die barbarischsten, greuelvollsten, irrigsten, grundverderblichsten Lehren stürzt! Denn das Dogma vom Gewissenszwang hebt alle Begriffe, alle Gesetze der Sittlichkeit und Gerechtigkeit auf, rechtfertigt jedes Verbrechen, wie Bayle trefflich nachweist. Erkennen wir, daß gerade die Ungläubigen, die Freigeister, kurz diejenigen, welche die unterdrückte Macht der Vernunft wieder zu heben suchen, es waren, welche der Menschheit die Unterschiede zwischen Recht und Unrecht, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen gut und schlecht wieder offenbarten. Erkennen wir, daß es kein Heil für die Menschheit außer der Vernunft gibt. Der Glaube mag den Menschen beseligen, beruhigen; aber soviel ist gewiß: er bildet, er bessert, er erleuchtet nicht den Menschen; er löscht vielmehr das Licht im Menschen aus, um angeblich ein anderes übernatürliches Licht an seine Stelle zu setzen. Aber es gibt nur Ein Licht das Licht der Natur, das in den Tiefen der Natur der Dinge gegründete Licht, das allein auch das göttliche Licht ist; wer dieses Eine Licht verläßt, begibt sich in die Finsternis.«
Im Sinne dieser Entscheidung für die Vernunft schildert Feuerbach in seinem »Pierre Bayle« mit wenigen, aber scharfen Zügen die historische Auflösung des Christentums und zeigt, daß das Christentum längst nicht nur aus der Vernunft, sondern auch aus dem Leben der Menschheit verschwunden ist; daß es nichts mehr ist als eine fixe Idee, welche mit unseren Feuer- und Lebensversicherungs-Anstalten, unseren Eisenbahn- und Dampfwägen, unseren Pinakotheken und Glyptotheken, unseren Kriegs- und Gewerbeschulen, unseren Theatern und Naturalienkabinetten im schreiendsten Widerspruch steht.
Diese »fixe Idee« nun nahm sich Feuerbach zunächst in einer Broschüre »Philosophie und Christentum« (1839) und sodann in seinem Hauptwerke vor, das ihn, als den Begründer der neuen Religionsphilosophie, für alle Zeiten berühmt gemacht hat: »Das Wesen des Christentums« (1841). Feuerbach macht sich hier zur Aufgabe, nachzuweisen, daß den übernatürlichen Mysterien des Christentums, der Religion überhaupt, ganz einfache natürliche Wahrheiten zugrunde liegen: er betrachtet als geistiger Naturforscher die Theologie als Psychopathologie, als eine eigentümliche Krankheitserscheinung des menschlichen Geistes. Theologie ist für Feuerbach Anthropologie. »In seinen Göttern malet sich der Mensch«, aber ohne es selbst zu wissen, und projiziert sich selbst, sein Wesen, seine Wünsche in die Unendlichkeit und nennt das Projektionsbild Gott und Jenseits. »Die Religion«, sagt Feuerbach, »ist der Traum des menschlichen Geistes. Aber auch im Traume befinden wir uns nicht im Nichts oder im Himmel, sondern auf der Erde im Reiche der Wirklichkeit; nur daß wir die wirklichen Dinge nicht im Lichte der Wirklichkeit und Notwendigkeit, sondern im entzückenden Scheine der Imagination und Willkür erblicken. Ich tue daher der Religion auch der spekulativen Philosophie oder Theologie nichts weiter an, als daß ich ihr die Augen öffne, oder vielmehr nur ihre einwärts gekehrten Augen auswärts richte; d.h. ich verwandle nur den Gegenstand in der Vorstellung oder Einbildung in den Gegenstand in der Wirklichkeit.«[Anmerkung 2] In der Tat hat Ludwig Feuerbach das Wesen des Christentums, das Wesen der Religion überhaupt und damit das Wesen oder vielmehr Unwesen der Theologie tiefer erfaßt, als je ein Denker vor ihm. Seine Religionspsychologie, auf tief eindringenden Studien des religiösen Denkens ruhend, war grundstürzend und grundlegend; die Mitwelt empfand es sofort.
Das Buch erregte ungeheures Aufsehen und erwarb Feuerbach viele Freunde, und noch mehr Feinde, als er sich durch seine kritische Stellung zur Religion schon gemacht hatte. Mit maßloser Entrüstung fielen die offiziellen Glaubenshüter über das Buch her. 1843 erschien eine zweite Auflage, 1849 die dritte. Die danach eintretende Reaktion hat das Buch beinahe vergessen lassen, bis es in unseren Tagen wieder neu entdeckt wurde, um von neuem als wirkungsvolles Kampfmittel in den religiösen Kämpfen der Gegenwart verwendet zu werden.
In mehreren Schriften über die »Philosophie der Zukunft« (1843), über das »Wesen der Religion« (1845) und über die »Unsterblichkeitsfrage vom Standpunkte der Anthropologie« die hier neu veröffentlicht wird führte Ludwig Feuerbach seine Gedanken weiter aus. Im Winter 1848/49 hielt er in Heidelberg auf Einladung von Studenten »Vorlesungen über das Wesen der Religion«, die im Jahre 1851 als 8. Band der 1846 begonnenen Gesamtausgabe von Feuerbachs Werken erschienen, dem 1857 als 9. Band die »Theogonie nach den Quellen des klassischen, hebräischen und christlichen Altertums« folgte; diese die durchsichtigste, schlichteste und zugleich mit dem reichsten empirischen Material ausgestattete Darstellung seiner Religionsphilosophie, jene die Synthese seiner religions- und naturphilosophischen Gedanken (Jodl).
Der Lebensabend des einsamen Denkers gestaltete sich recht trübe. Die Fabrik, deren Mitbesitzerin seine Frau war, ging ein, trotz beträchtlicher Zuschüsse, die er aus seinen eigenen Einnahmen leistete. Er mußte sein geliebtes Bruckberg verlassen und in dem Dorfe Rechenberg bei Nürnberg eine notdürftige Zuflucht suchen.
In einer Studie über »Spiritualismus und Materialismus, besonders in Beziehung auf die Willensfreiheit« (veröffentlicht 1866 im 10. Bande der Gesamtausgabe) und in unvollendeten Aufzeichnungen über die ethischen Grundfragen behandelte er noch die ethischen Folgerungen seiner Philosophie. Aber seine Kraft war gebrochen und wurde durch Mangel und Krankheit mehr und mehr vermindert. Er starb am 13. September 1872 und wurde auf dem Johannisfriedhof zu Nürnberg bestattet.
Ludwig Feuerbachs sämtliche Werke erschienen in den Jahren 1846 bis 1866 in zehn Bänden bei Otto Wiegand in Leipzig. Eine neue Ausgabe in ebenfalls zehn Bänden veranstalteten Bolin und Jodl (Stuttgart 1903 ff.). Ausgewählte Briefe von und an L. F. gab, mit einer biographischen Einleitung, Wilhelm Bolin heraus (Leipzig 1904). Eine vortreffliche Monographie über L. F. schrieb Friedrich Jodl (Frommanns Klassiker der Philosophie. Stuttgart 1904). Das biographische Material ist zusammengestellt in Ad. Kohut, L. F., Sein Leben und seine Werke (Leipzig 1909). Friedrich Engels schrieb über L. F. und den Ausgang der klassischen deutschen Philosophie (Stuttgart 1888).
Ludwig Feuerbach hat allen Gebieten der Philosophie reiche Anregungen gegeben, die noch keineswegs ausgewertet sind. Diese Schätze zu heben und für die Philosophie der Gegenwart und Zukunft nutzbar zu machen, hat sich eine »Ludwig Feuerbach-Gesellschaft« zur Aufgabe gemacht. In dem von Bolin-Helsingfors, Börner-Wien und Otto Juliusburger-Berlin verfaßten Aufruf der Gesellschaft heißt es: »Die Entlarvung der Theologie und jeder theologisierenden Philosophie als Anthropologie, ferner das konsequente Festhalten an der Grundüberzeugung, daß der Mensch und die Natur den Ausgangspunkt und Mittelpunkt der Philosophie zu bilden haben, und endlich die restlose Humanisierung der Lebensauffassung machen Feuerbachs unvergängliches Verdienst aus, das bisher in seiner Tragweite noch nicht einmal erkannt, geschweige denn richtig eingeschätzt worden ist. Obwohl er dadurch eine Art Kopernikus auf philosophischem Gebiete geworden, ist seine Gedankenwelt, verdunkelt durch die allzu einseitige und ausschließliche Bewunderung Kants, noch nach keiner Richtung hin zu einem Bestandteile der allgemeinen Bildung geworden. Theoretisch und praktisch hat aber Feuerbach gerade unserer Zeit unendlich viel zu bieten. Theoretisch durch die Klarheit, Besonnenheit und logische Unbestechlichkeit seiner grundlegenden Ansichten; praktisch durch seinen sittlichen Idealismus, die starke Lebensbejahung und die fortschrittsfreundliche Art seiner Stellung zu den sozialen Fragen … Feuerbachs Philosophie ist nicht zersetzend und auflösend, sondern durchaus aufbauend und schöpferisch. Deshalb muß es ein Ziel sein, aufs innigste zu wünschen, daß das Lebenswerk des großen Denkers endlich in die deutsche Bildung eindringe und zu der geistigen Macht gelange, die ihm gebührt.«
Wir unterschreiben diese Worte aus voller Überzeugung. Ludwig Feuerbach, der angebliche »Materialist«, ist in Wahrheit ein glühender Idealist, dem es Ernst ist um den Fortschritt des Menschengeschlechts zur freien Selbstbestimmung unter der Herrschaft der Vernunft. So kann er gerade unserer Zeit ein Führer sein.
Jena, 18. Juli 1923.
Heinrich Schmidt
Der allgemeine Unsterblichkeitsglaube
»Der Unsterblichkeitsglaube ist wie der Gottesglaube ein allgemeiner Glaube der Menschheit; was alle oder wenigstens fast alle Menschen denn es gibt allerdings auch hier traurige Ausnahmen glauben, ist in der Natur des Menschen begründet, ist notwendig, wahr, sowohl subjektiv, als objektiv; also ist ein Mensch, der diesen Glauben noch nicht hat oder gar bekämpft, ein Unmensch, oder doch ein abnormer, defekter Mensch, denn es fehlt ihm ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Bewußtseins.« Dieser von der Übereinstimmung der Völker oder Menschen hergenommene Beweisgrund ist, obgleich er theoretisch für den schwächsten erklärt und daher gewöhnlich nur ganz verschämt nebenbei angeführt wird, in praxi, d. h. in der Tat und Wahrheit, der allermächtigste Beweisgrund, selbst bei denen, die, im Dunkel ihrer Vernunftgründe für die Unsterblichkeit befangen, denselben kaum der Erwähnung wert finden. Er verdient daher vor allem beleuchtet zu werden.
Es ist richtig: fast bei den meisten Völkern findet sich um dieses Wort beizubehalten der Unsterblichkeitsglaube, aber es kommt, ebenso wie bei dem Gottesglauben, darauf an, zu sehen, was dieser Glaube denn eigentlich ausdrückt. Alle Menschen glauben an Unsterblichkeit, das heißt: sie schließen nicht mit dem Tode eines Menschen dessen Existenz, aus dem einfachen Grunde, weil damit, daß ein Mensch aufgehört hat, wirklich, sinnlich zu existieren, er noch nicht aufgehört hat, geistig, d. h. im Andenken, im Herzen der Überlebenden zu existieren. Der Tote ist für den Lebenden nicht Nichts geworden, nicht absolut vernichtet, er hat gleichsam nur die Form seiner Existenz verändert; er ist nur aus einem leiblichen Wesen ein geistiges, d.+h. aus einem wirklichen ein vorgestelltes Wesen geworden. Der Tote macht zwar keine materiellen Eindrücke mehr; aber seine Persönlichkeit behauptet sich, imponiert auch in der Erinnerung noch. Der ungebildete Mensch unterscheidet aber nicht zwischen Subjektiv und Objektiv, d. h. zwischen Gedanke und Gegenstand, Vorstellung und Wirklichkeit, Einbildung, Vision und Anschauung. Er reflektiert nicht auf und über sich; was er tut, das geschieht ihm; das Aktiv ist für ihn ein Passiv, der Traum Wahrheit, Wirklichkeit, die Empfindung Eigenschaft des Empfundenen, die Vorstellung des Gegenstandes Erscheinung des Gegenstands selbst. Der Tote ist für ihn daher, obwohl nur noch ein Wesen der Vorstellung, ein wirklich existierendes Wesen, folglich auch das Reich der Erinnerung, der Vorstellung, ein wirklich existierendes Reich. Natürlich schreibt sich nun auch der Lebende nach dem Tode dieses Sein der Toten zu; denn wie sollte er sich von den Seinigen trennen können? Er war im Leben mit ihnen vereint; er wird und muß es also auch nach dem Tode sein. Der Unsterblichkeitsglaube, wie er ein notwendiger, unverfälschter und unverkünstelter Ausdruck der menschlichen Natur ist, drückt daher nichts andres aus, als die auch von dem Ungläubigen innigst anerkannte Wahrheit und Tatsache, daß der Mensch mit seiner leiblichen Existenz nicht auch seine Existenz im Geiste, in der Erinnerung, im Gemüte verliert.
Zum Beweise, daß die »unsterbliche Seele« ursprünglich nichts andres bedeutet, als das Bild des Toten, mögen folgende mit einigen kritischen Bemerkungen begleitete Beispiele dienen. Als Patroklos dem Achilleus im Traume erschienen, ruft dieser aus:
Götter! so ist denn fürwahr auch noch in Hades' Wohnung
Seel' und Schattengebild, doch ganz der Besinnung entbehrt sie.
Diese Nacht ja stand des jammervollen Patroklos
Seele bei mir am Lager, die klagende, herzlich betrübte,
Und sie gebot mir manches und glich zum Erstaunen ihm selber.
Und als Odysseus in der Unterwelt die Seele der abgeschiedenen Mutter erblickt, da will er sehnsuchtsvoll sie umarmen, aber umsonst:
Dreimal hinweg aus den Händen wie nichtiger Schatten und Traumbild.
Flog sie.
Und die Mutter antwortet ihm darauf:
... So wills der Gebrauch der Sterblichen, wann sie verblüht sind,
Denn nicht mehr wird Fleisch und Gebein durch Sehnen verbunden,
Sondern jenes vertilgt die gewaltige Flamme des Feuers,
Nur die Seel' entfliegt, wie ein Traum von dannen und schwebet.
Was ist diese Seele anders, denn als ein selbständiges, existierendes Wesen vorgestellte Bild des Toten, welches im Unterschied von dem einst sichtbaren, leiblichen Wesen noch in der Phantasie fortexistiert? Die Griechen und Römer nannten daher ausdrücklich die Seele deren physiologischer, vom Leben abgezogener Name bei ihnen der Hauch, der Atem ist ( pneuma, spiritus, anima), daher sie mit dem Hauch des Sterbenden die Seele desselben in sich aufzufangen glaubten Schattenbild, eidōlon, imago oder geradezu den Schatten des Körpers, umbra. Dieselbe Bezeichnung für die Seele: Bild, Schatten findet sich bei mehreren wilden Völkern. Die alten Hebräer glaubten sogar ausdrücklich, daß sie nicht unsterblich wären. »Wende dich, Herr, und errette meine Seele, denn im Tode gedenket man deiner nicht; wer will dir in der Hölle (im Grabe) danken?« (Psalm 6,6). »Laß von mir ab, daß ich mich erquicke, ehe denn ich hinfahre und nicht mehr hier sei (nach neueren Theologen: nicht mehr bin)« (Psalm 39,14). »Wer will den Höchsten loben in der Hölle? denn allein die Lebenden können loben? die Toten, als die nicht mehr sind, können nicht loben« (Sirach 17, 25-27). Aber gleichwohl hatten sie ein Reich der Schatten, der »Seelen ohne Kraft und Tätigkeit«, zum deutlichen Beweis, daß die Vorstellung von einer Existenz des Menschen nach dem Tode nämlich als Schatten, Bild welche man gewöhnlich mit dem Unsterblichkeitsglauben verwechselt, mit diesem nichts gemein hat.
Auch den Chinesen kann man keinen eigentlichen, wirklichen Unsterblichkeitsglauben zuschreiben. »Feierlichkeiten solcher Art, daß ihrer von ihren Nachkommen ehrenvoll gedacht werde, sind dem Wesen nach das Hauptsächlichste, worauf die Chinesen nach ihrem erfolgten Tode hoffen.« Aber gleichwohl feiern sie das Andenken der Toten, ihrer Vorfahren, mit solchen Zeremonien, »als wenn die Verstorbenen noch lebendig wären.« Die Madegassen glauben, daß die Menschen nach dem Tode böse Geister werden, die ihnen manchmal erscheinen und im Traume mit ihnen reden. »Diese sehen also«, bemerkt hierzu richtig, ohne jedoch natürlich die gehörigen Folgen daraus zu ziehen, ein rationalistischer Schriftsteller,[1] »ihre Träume für etwas Wirkliches außer ihnen an. Sie glauben fest, daß es die Verstorbenen sind, die zurückkommen und mit ihnen des Nachts reden. Dies kann aber mit gutem Grunde von allen andern Völkern gelten.« »Die Einwohner von Guayra in Paraguay glauben, daß sich die Seele, wenn sie aus dem Körper scheidet, nicht weit von demselben entferne, und wohl gar bei ihm in dem Grabe zur Gesellschaft bleibe, weshalb man auch einen leeren Raum daselbst läßt, damit sie Platz haben möge. Die ersten Indianer, die das Christentum annahmen, konnte man mit vieler Mühe kaum von diesem Gebrauch abbringen. Man erwischte sogar einige christliche Weiber, welche heimlich an den Begräbnisort ihrer Kinder und Männer gegangen waren, und die Erde, womit sie bedeckt waren, durch ein Sieb laufen ließen, um ihren Seelen eine Erleichterung zu verschaffen, die, wie sie sagten, ohne diese gebrauchte Vorsicht gar zu sehr gedrückt werden würden. Hieraus erhellt, bemerkt der eben angeführte Schriftsteller, daß diese Indianer glauben, daß die Seele sowohl ein von dem Körper verschiedenes Wesen sei, als daß sie nach dem Tode des Körpers noch fortdauere.« Wie falsch geschlossen! Hieraus, wie aus unzähligen anderen Gebräuchen und Vorstellungen der Völker, welche die theistischen Unsterblichkeitsgläubigen samt und sonders in ihren Reisebeschreibungen oder in sonstigen Werken immer nur in ihrem Sinn auslegen, erhellt vielmehr nur dieses, daß sie die Leiche des Menschen noch für den Menschen selbst halten, zugleich aber auch, weil sie noch das Bild des Lebendigen in der Erinnerung haben, dieses von der Leiche unterscheiden und als ein selbständiges Wesen personifizieren, doch aber wegen der Ähnlichkeit der Leiche mit dem Original, mit dieser, wenigstens solange sie existiert, in inniger Verbindung denken. Daher glauben die Caraiben, daß die Toten so lange mit Nahrung bedient werden müßten, solange noch Fleisch an ihnen ist, daß sie nicht eher in das Land der Seelen gehen, als sie gänzlich entfleischt sind.[2] Wenn das Fleisch verschwunden ist, so ist ja auch der letzte Anhaltspunkt der sinnlichen Anschauung des Toten verschwunden; er ist jetzt ganz und gar in das Reich der Seelen, d. h. das Reich der Erinnerung übergegangen.
Die Siamer glauben fest, daß nach dem Tode des Menschen »etwas von demselben übrig bleibe, welches für sich bestehe, von seinem Körper unabhängig existiere und unsterblich sei; allein sie legen dem, was übrig bleibt, die nämlichen Glieder und die nämlichen festen und flüssigen Substanzen bei, aus welchen der gröbere Körper zusammengesetzt ist. Sie nehmen dabei bloß an, daß die Seele aus einer sehr feinen Materie bestehe, um sich dem Gesicht und der Berührung zu entziehen.« Wir haben in dieser dem Gesicht und der Berührung sich entziehenden, vom Körper unterschiedenen, gleichwohl mit den nämlichen Gliedern versehenen Seele nichts als eine getreue Beschreibung von dem Bilde des Toten. »Daß die Hottentotten ein künftiges Leben glauben, erhellt daraus, daß sie fürchten, die Toten möchten wiederkommen und sie beunruhigen. Daher ziehen alle Einwohner eines Dorfes anderswohin, wenn jemand bei ihnen gestorben ist, denn sie glauben, daß sich die Verstorbenen da aufhalten, wo sie gestorben sind.« Wie verkehrt! Wir haben in diesem angeblichen Glauben der Hottentotten und anderer Völker an ein künftiges Leben nichts als ein psychologisches oder anthropologisches Exempel von den Wirkungen der Furcht, welche der Anblick und das Bild des Toten erweckt. Nichts verwandelt ja mehr Bilder, Vorstellungen, Einbildungen in Wesen, als die Furcht. Die Hottentotten glauben, daß sich die Verstorbenen da aufhalten, wo sie gestorben sind, d. h. das Bild des Toten und die Furcht vor ihm haftet hauptsächlich an dem Orte, wo er gestorben oder begraben ist: daher die allgemeine heilige Scheu oder Furcht der Völker vor den Gräbern, den Wohnungen der Toten.
Der Unglaube der Bildung an die Unsterblichkeit unterscheidet sich also von dem angeblichen Glauben der noch unverdorbenen, einfachen Völker an die Unsterblichkeit nur dadurch, daß jener das Bild des Toten als Bild weiß, dieser aber als Wesen sich vorstellt, also nur dadurch, wodurch sich überhaupt der gebildete oder gereifte Mensch von dem ungebildeten oder noch kindlichern Menschen unterscheidet, nämlich, daß dieser das Unpersönliche personifiziert, das Leblose belebt, während jener zwischen Person und Ding, lebendig und leblos unterscheidet. Es ist daher nichts verkehrter, als wenn man die Vorstellungen der Völker von den Toten aus dem Zusammenhang mit ihrer übrigen Vorstellungsweise losreißt, und nun in dieser Losgerissenheit als ein Zeugnis für die Unsterblichkeit anführt. Wenn wir deswegen an die Unsterblichkeit glauben sollen, weil alle Völker daran glauben, so müssen wir auch glauben, daß es Gespenster gibt, glauben, daß Statuen und Bilder reden, empfinden, essen, trinken eben so gut wie ihre lebendigen Originale, denn mit derselben Notwendigkeit, mit welcher das Volk das Bild als das Original denkt, mit derselben denkt es den Toten als lebendig.[Anmerkung 3] Aber dieses Leben, welches das Volk dem Toten zuschreibt, hat ursprünglich wenigstens, keine positive Bedeutung; es denkt sich den Toten nur als lebendig, weil es sich vermöge seiner Vorstellungsweise ihn nicht als tot denken kann. Dem Inhalt nach unterscheidet sich das Leben des Toten nicht von dem Tode; es ist nur ein, aber unwillkürlicher Euphemismus, nur ein lebhafter, sinnlicher, poetischer Ausdruck des Totseins. Die Toten leben, aber sie leben nur als Tote, d. h. sie leben und leben nicht; ihrem Leben fehlt die Wahrheit des Lebens; ihr Leben ist nur eine Allegorie des Todes. Der Unsterblichkeitsglaube im eigentlichen Sinne ist daher nichts weniger als ein unmittelbarer Ausspruch der menschlichen Natur; er ist nur von der Reflexion in sie hineingelegt; er beruht nur auf einem Mißverstand der menschlichen Natur. Die wahre Meinung der menschlichen Natur über diesen Gegenstand haben wir ausgesprochen in der tiefen Betrauerung und Verehrung der Toten, die wir fast ohne Ausnahme bei allen Völkern finden. Die Klage um den Toten stützt sich ja nur darauf, daß er des Glücks des Lebens beraubt, den Gegenständen seiner Liebe und Freude entrissen ist. Wie könnte aber der Mensch die Toten beklagen und betrauern, und zwar so, wie sie die alten Völker betrauerten, und heute noch viele rohe Völker betrauern, wenn er wirklich überzeugt wäre, daß der Tote noch lebe und zwar ein besseres Leben. Was wäre die menschliche Natur für eine schändliche Heuchlerin, wenn sie in ihrem Herzen, in ihrem Wesen glaubte, daß der Tote lebe, und doch zugleich den Toten eben wegen des Verlustes des Lebens beklagte! Freude, nicht Trauer wäre der Ausdruck der menschlichen Natur bei Todesfällen, wenn der Glaube an ein anderes Leben ein wirklicher Bestandteil des menschlichen Wesens wäre. Die Trauer um den Toten wäre höchstens nur eine Trauer wie um einen Verreisten.
Und was sagt die selbst religiöse Verehrung der Toten aus? nichts anderes, als daß die Toten nur noch Wesen der Einbildung und des Gemüts, nur noch Wesen für die Lebendigen, aber nicht mehr für oder an sich selbst sind. Heilig ist das Andenken der Toten, eben weil sie nicht mehr sind, weil das Andenken allein der Ort ihrer Existenz ist. Der Lebende bedarf nicht des Schutzes der Religion; er behauptet sich selbst; es ist sein eigenes Interesse, zu existieren; aber der selbstlose Tote muß heilig gesprochen werden; nur dadurch wird seine Fortdauer gesichert. Je weniger der Tote für seine Existenz tut, desto mehr bietet der Lebende alle ihm nur immer zu Gebote stehenden Mittel auf, um den Toten am Leben zu erhalten. Der Lebende vertritt daher den Toten; der Tote bedeckt nicht mehr seine Blöße, der Lebende tut es statt seiner; der Tote nimmt nicht mehr Speise und Trank zu sich, der Lebende setzt sie ihm daher vor, oder schüttet sie ihm sogar in den Mund ein. Aber das Einzige, was zuletzt der Lebende dem Toten erweisen kann, und selbst durch die Darreichung von Speise und Trank beweisen will, ist, daß er das Andenken des Toten ehrt und heilig hält, den Toten zu einem Gegenstand religiöser Verehrung erhebt. Durch den Genuß der höchsten Ehre sucht der Mensch den Toten wegen des Verlustes des höchsten Gutes, des Lebens, zu entschädigen. Je weniger du für dich selbst bist, so spricht gleichsam der Lebende zu dem Toten, desto mehr sollst du für mich sein; dein Lebenslicht ist erloschen, aber um so herrlicher soll dein teueres Bild ewig in der Erinnerung mir vorleuchten. Du bist leiblich tot; aber dafür soll deinem Namen die Ehre der Unsterblichkeit zu teil werden. Du bist kein Mensch mehr, dafür sollst du mir ein Gott sein.
Wenn daher der Unsterblichkeitsglaube wirklich in der menschlichen Natur selbst begründet wäre, wie käme der Mensch dazu, den Toten ewige Wohnungen, wie die Römer die Grabmäler, wenigstens die Mausoleen nannten, zu errichten, und jährliche Feste zur Erneuerung ihres Andenkens zu feiern Feste, die wie die Grabmäler und alle sonstigen Formen und Gebräuche des Totendienstes zuletzt, d. h. abgesehen von den Zusätzen abergläubischer Furcht, eben keinen anderen Zweck haben, als dem Menschen auch noch nach dem Tode eine Existenz zu verschaffen, den leider nur zu fühlbaren Mangel der wirklichen Existenz durch die freiwillige Gabe einer geistigen Existenz zu ergänzen. So wenig sich ein Vater um die Seinigen kümmert, ist er gleich von ihnen leiblich getrennt, wenn er sie nur geborgen und versorgt weiß, so wenig würde sich der Mensch um die Toten bekümmern, wenn er im Innersten seines Wesens ihnen eine selbständige Existenz zuschriebe. Die ängstliche Sorge der Völker für ihre Toten ist darum nur ein Ausdruck von dem Gefühl, daß die Existenz derselben von den Lebenden abhängt. Der augenfällige historische Beweis, daß die Ehre, welche den Toten erwiesen wird, keinen anderen Sinn als den angegebenen hat, ist, daß gerade die Völker, welchen selbst die Unsterblichkeitsgläubigen eigentlichen Unsterblichkeitsglauben zuzuschreiben Bedenken tragen, oder geradezu absprechen, wie z. B. die Chinesen, am meisten für ihre Toten sorgen, dagegen die Völker, welche ihren Toten eine wirkliche unsterbliche Existenz zuschreiben, wie die christlichen, sich nicht mehr um ihre Existenz wenigstens auf der Erde bekümmern; sie wissen sie geborgen und versorgt; sie brauchen sich also ihretwegen kein graues Haar mehr wachsen zu lassen; sie denken nur noch an sich selbst, aber nicht mehr an die Toten. Die Heiden sind Kommunisten, sie teilen das Eigentum des Lebens brüderlich mit dem Tode; die Christen sind Egoisten; sie lassen den Toten nichts übrig: sie brauchen und verzehren alles für sich selbst; sie fertigen die Toten mit dem Himmel ab.
Cicero führt als eine Autorität für den Unsterblichkeitsglauben die alten Römer an, weil diese nach seiner Meinung nicht ihre Toten würden mit solcher Religiosität verehrt haben, wenn sie nicht geglaubt hätten, daß die Toten noch existierten. Allein Cicero hat selbst diese oberflächliche Auslegung des Totendienstes seiner Vorfahren faktisch bei dem Todesfall seiner geliebten Tochter Tullia widerlegt. Er wollte sie auf alle mögliche Art verherrlichen, ihr einen Tempel weihen, sie als einen Gegenstand religiöser Verehrung der Nachwelt überliefern. Nur in diesem Gedanken fand er Trost. Wozu aber ein Wesen unsterblich machen, wenn es wirklich unsterblich ist? Wozu die Fackel der irdischen menschlichen Unsterblichkeit, wenn der Tote schon am oder im Himmel als ein ewiger Stern leuchtet? Allerdings glaubten die Römer, wie alle anderen Völker, daß die Toten noch existierten; aber es ist eine sehr oberflächliche Psychologie oder Anthropologie, welche die bewußten Vorstellungen, Einbildungen und Glaubensmeinungen der Völker zum Maß und Wesen der menschlichen Natur macht. Was die Völker mit Bewußtsein glauben, das widerlegen sie mit der Tat, das glauben sie unbewußt nicht. Das Bewußtsein ist ein Spiegel, in welchem der Mensch das Gegenteil von dem erblickt, was er in Wahrheit ist, will und denkt, in welchem er alle Aussprüche seiner Natur im entgegengesetzten Sinne auslegt, die bittersten Wahrheiten selbst, die sie ihm sagt, für Schmeicheleien nimmt. Wäre das Bewußtsein, die Vorstellung, die Einbildung das Maß des Wesens, wie viele Heuchler wären dann Gläubige, wie viele Ungebildete Gebildete, wie viele Schurken Heilige, wie viele Tropfen Helden, wie viele Eitelkeiten Notwendigkeiten, wie viele Niedrigkeiten Hoheiten, wie viele Kleinigkeiten Wichtigkeiten, wie viele Obskuritäten Zelebritäten, wie viele Pedanten Genies, wie viele Träumer Denker! Jeder hält sich im Bewußtsein für das, was er in Wahrheit nicht ist, und gerade auf das, was er am wenigsten ist, bildet er sich das meiste ein. Wie viele vergessen über einem eingebildeten Talent ihre wirklichen Talente! Ein Glückskind ist der Mensch, bei dem Bewußtsein und Sein, Wesen, Natur zusammenstimmen; aber es gibt keinen, bei dem Bewußtsein und Wesen vollkommen sich deckten, keinen, der sich wenigstens nicht etwas einbildete zu sein, was er nicht, oder auch umgekehrt, etwas nicht zu sein, was er in Wahrheit ist. So ist es denn auch mit den Glaubensvorstellungen der Völker. Die Unsterblichkeit existiert für ihr Bewußtsein, der Tod für ihr Wesen; bewußt halten sie die Toten für lebendig, unbewußt für tot. In den Tränen und Blutstropfen selbst, die im Schmerz der Mensch über den Toten vergießt, spricht sich die menschliche Natur, in den Opfern, Gebeten, Wünschen für den Toten die menschliche Einbildung aus. Aber gleichwohl ist wenigstens bei den Völkern, die sich schon auf einen gewissen Grad geistiger Bildung erhoben, aber sich noch nicht durch die Theologie mit der menschlichen Natur entzweit haben, wie z. B. bei Homer, die Einbildung noch insofern ein getreuer Ausdruck der menschlichen Natur, als seinem Inhalt nach das Leben, das sie dem Menschen noch nach dem Tode vorspiegelt, nur ein poetisches Bild des Todes ist.
Da das den Tod überlebende, von der Leiche unterschiedene, unsterbliche Wesen des Menschen in dem allgemeinen Unsterblichkeitsglauben der Völker nichts anderes ist, als das nach dem Tode übrig bleibende Bild des Menschen, die Menschen aber im Leben nicht einander gleich sind; so ist eine natürliche Folge, daß auch die Toten sich unterscheiden und folglich, da sie die Phantasie als existierend vorstellt sie existieren ja auch wirklich in der Erinnerung und Einbildung ihr Zustand, die Beschaffenheit und Lokalität ihrer Existenz verschieden vorgestellt wird. Die unsterblichen Seelen unterscheiden sich daher, wie die sterblichen Menschen, in Reiche und Arme, Vornehme und Niedrige, Starke und Schwache, Tapfere und Feige, Schöne und Häßliche, Glückliche und Unglückliche, Gute und Böse, Selige und Unselige. Hieraus erklärt sich auch, warum bei allen sinnlichen Völkern, welche unmittelbar ihre Vorstellungen in Handlungen umsetzen, sinnlich verwirklichen, verleiblichen,[Anmerkung 4] der Tote alles, was er im Leben hatte, mit sich in das Grab oder Feuer bekommt, warum mit dem Manne sein Weib, mit dem Herrn seine Dienerschaft, mit dem Jäger seine Jagdgeräte und Jagdhunde, mit dem Weibe Nadel und Faden, mit dem Krieger seine Waffen, mit dem Künstler seine Werkzeuge, mit dem Kinde seine Spielzeuge begraben oder verbrannt werden. Alles, bemerkt schon Cäsar von den Galliern, wovon sie glauben, daß es ihnen im Leben am Herzen lag, werfen sie mit dem Toten ins Feuer. Mit vollem Rechte. Was ist der Mensch ohne das, was er liebt und treibt? Was er liebt und treibt, bestimmt ja sein ganzes, sein innerstes Wesen. Wer kann dem Kinde seine Spielzeuge, dem Krieger seine Waffen nehmen, ohne ihm sein Leben, seine Seele zu nehmen? Was ist wohl die Seele eines Germanen, der nur in der kriegerischen Kraftäußerung seine Seligkeit und Gottheit findet, nur in voller Rüstung sein volles Selbstgefühl hat, wenn du ihm seinen Waffenschmuck nimmst? Wenn man daher aus dem Unsterblichkeitsglauben, wie er sich fast bei allen Völkern findet, auf die Unsterblichkeit des Menschen schließt, so folgt auch aus eben diesem Glauben die Unsterblichkeit der Tiere,[Anmerkung 5] Kleider, Schuhe, Waffen, Geschirre, Werk- und Spielzeuge, die den Toten mit ins Jenseits nachfolgen. Wenn ich in der Erinnerung ein Wesen lebendig halten will, so muß ich es in dieser Bestimmtheit, in dieser Tracht, dieser Beschäftigung, dieser Lebensweise, die seine Individualität bezeichnete, festhalten. Auch der phantastische christliche Spiritualist kann sich keine Fortdauer der Seele oder des Geistes eines Menschen anders denken, als in der individuellen Gestalt, die er im Leben hatte, kann überhaupt nichts von dem, was im Leben zu ihm gehörte, weglassen, wenn er nicht aus der Erinnerung seine Existenz vertilgen will. So notwendig daher die Völker infolge ihrer unkritischen, ungebildeten, nicht unterscheidenden Denkweise das vorgestellte, subjektive Wesen für ein wirkliches, existierendes Wesen ansehen, so notwendig denken sie die vom Toten unzertrennlichen Dinge, selbst wenn sie dieselben von den Flammen verzehren lassen, als existierend. Wenn ihr euch darüber nicht wundert, daß die Menschen glauben können, daß die Toten noch leben, daß die noch existieren, die vor ihren Augen die Existenz verloren und kein einziges gegenständliches, allein gültiges Zeichen ihrer Existenz mehr von sich geben; wie wollt ihr euch darüber wundern, daß die vom Toten unabtrennbaren Dinge, selbst wenn sie vor ihren Augen das Feuer vernichtet hat, in ihrer ehemaligen Gestalt und Brauchbarkeit noch fortexistieren?
Der angebliche Glaube der Völker an ein » anderes« Leben ist nichts anderes, als der Glaube an dieses Leben. So gut dieser verstorbene Mensch noch nach dem Tode derselbe ist, so gut ist und muß notwendig das Leben nach dem Tode noch dieses Leben sein. Der Mensch ist im allgemeinen, wenigstens in seinem Wesen, wenn auch nicht in seiner Einbildung, mit dieser Welt trotz ihrer mannigfachen Leiden und Beschwerlichkeiten vollkommen befriedigt; er liebt das Leben und zwar so, daß er sich gar kein Ende, kein Gegenteil desselben denken kann. Gleichwohl macht ihm wider alles Erwarten der Tod einen Strich durch die Rechnung. Aber er versteht den Tod nicht; er ist zu sehr vom Leben eingenommen, als daß er auch der altera pars Recht geben könnte; er macht es, wie der Theolog und Spekulant, welche für die evidentesten Gegenbeweise undurchdringlich sind; er betrachtet den Tod nur als einen »kräftigen Irrtum«, einen Geniestreich, einen zufälligen aphoristischen Einfall eines bösen Geistes oder einer üblen Laune[Anmerkung 6] von der strengen Konsequenz und Notwendigkeit des Todes hat er ja keine Ahnung; er setzt daher ohne Unterbrechung nach dem Tode sein Leben vor dem Tode fort, wie der Theolog und Spekulant seine Beweise vom Dasein Gottes auch nach den augenfälligsten Beweisen von seinem Nichtsein. Aber das Leben nach dem Tode setzt der Mensch auf seine eigene Faust fort; es ist bloß ein Leben in seiner Vorstellung; als ein bloßes Objekt der Vorstellung steht es daher unter der Botmäßigkeit der menschlichen Reflexion, Phantasie und Willkür, und bekommt so durch ihre Zusätze und Weglassungen den Schein eines anderen Lebens. Aber gleichwohl sind diese Veränderungen der Phantasie nur oberflächliche; es ist dem wesentlichen Inhalte nach dasselbe wie dieses.
Gewöhnlich erklärt man sich die Vorstellungen der Völker vom Jenseits also: Alle oder wenigstens fast alle Menschen stimmen darin überein, daß sie ein anderes Leben glauben, aber sie machen sich davon je nach Verschiedenheit ihres Charakters, Landes, Lebens und Treibens verschiedene Vorstellungen. Daß ein Leben nach dem Tode ist, das ist gewiß, das bezeugt dieser allgemeine Glaube; was und wie es ist, das wissen wir nicht; aber eben deswegen machen sich die Menschen davon so verschiedene Vorstellungen; denn der Mensch ist neu- und wißbegierig; er nimmt daher das Bekannte zum Maßstab des Unbekannten; er will mit endlichen Begriffen das Unbegreifliche in den Kot der Erde herabziehen. So füllt er das dunkle Jenseits mit den Gestalten des Diesseits aus. Es ist mit der Unsterblichkeit, wie mit der Gottheit; beide Ideen »sind ja im Grunde identisch«. Alle Menschen, sagt man, glauben an Gott; nur in den Vorstellungen, in den Begriffen, die sie sich davon machen, weichen sie von einander ab. Allein die Theisten beweisen sich als sehr willkürliche und befangene Exegeten, wenn sie dem Gauben der Völker ihren Glauben unterschieben, den Gott des Theismus zu dem gemeinschaftlichen Gegenstand machen, woran alle Menschen nur unter verschiedenen Vorstellungen glauben. So verschieden die Namen der Götter, so verschieden sind die Götter selbst. Wer dem Griechen seinen Zeus, dem Deutschen seinen Odin, dem Slaven seinen Swantowit, dem Juden seinen Jehova, dem Christen seinen Christus nimmt, der nimmt ihm den Gott überhaupt. Gott ist ursprünglich kein Eigen-, sondern Gattungsname, kein Wesen, sondern Eigenschaft, kein Subjekt oder Substantiv, sondern Prädikat oder Adjektiv: furchtbar, schrecklich, mächtig, groß, ungewöhnlich, außerordentlich, herrlich, gut, wohltätig. Das Hauptwort oder Subjekt liefert die Natur, das Eigenschaftswort oder Prädikat der Mensch, denn das Prädikat ist nichts anderes als der Ausdruck der menschlichen Phantasie und Empfindung, womit er den Gegenstand der Natur bezeichnet, welcher auf seine Sinne, sein Gemüt, seine Phantasie eben den mächtigsten, schrecklichsten oder wohltätigsten Eindruck macht. Die Götter sind daher so verschieden, als die Eindrücke der Natur auf den Menschen verschieden sind,[Anmerkung 7] aber diese Verschiedenheit der Eindrücke richtet sich selbst wieder nach der Verschiedenheit der Menschen. Der in der wesentlichen, charakteristischen Bestimmtheit des Menschen begründete, bleibende, herrschende Eindruck von der Natur ist der Gott des Menschen. Wer daher dem bestimmten Menschen die Bestimmtheit der Gottheit nimmt, der nimmt ihm nicht etwas, sondern alles, nicht ein Prädikat, sondern das Wesen selbst; denn nicht die Gottheit als solche, sondern die Bestimmtheit derselben ist seine wahre Gottheit. Mit der Unsterblichkeit ist es nun gerade so. Wer einem Menschen dieses bestimmte Leben nach dem Tode nimmt, der nimmt ihm das Leben nach dem Tode überhaupt; er weiß und will von keinem anderen Leben etwas wissen; er hat keinen Sinn dafür; es existiert gar nicht für ihn. Der Germane will nur in Walhall, der Muhamedaner nur im muhamedanischen Paradies fortleben; in dem christlichen Jenseits würde er nicht seine Rechnung finden.
Die alten Germanen glaubten, daß nach dem Tode der Bräutigam die Braut, der Gatte die Gattin wieder finden und umarmen werde. Wie lächerlich wäre es, diesem lebensvollen, fleischlichen Jenseits, diesem ehrlichen altdeutschen Bekenntnis der Sinnlichkeit die hinterlistige theologische Ausrede des leeren, unbekannten Jenseits des modernen Christentums unterlegen zu wollen! So notwendig der Germane glaubte, daß er nach dem Tode leben werde, so notwendig glaubte er, daß er nach dem Tode auch noch das Kriegs- und Liebeshandwerk treiben werde. Nimmst du ihm die Kriegs- und Liebeslust, so nimmst du ihm die Lebenslust, dort wie hier. Er will vom Jenseits nichts anderes, als was ihm der Tod genommen hat. Der Tod nimmt dieses Leben, aber die Phantasie stellt es wieder her; sie gibt dem Gatten wieder die Gattin, dem Krieger seine Waffen, dem Kinde seine Spielwerkzeuge. Das Jenseits ist nichts anderes als die sinnliche, wirkliche Welt, als Welt der Phantasie. Aber diese Welt schließt dem Menschen zuerst nur der Tod auf. Die Macht der Phantasie lernt der Mensch erst kennen und schätzen, nachdem ihm ein geliebter Gegenstand aus der Anschauung entschwunden. Selbst die rohsten Völker erhebt der Schmerz über die, sei es nun zeitliche oder ewige, räumliche oder tötliche Trennung von dem, was sie lieben, zur Poesie. Die Phantasie (Einbildung, Erinnerung, Unterschiede, die hier gleichgültig sind ) ist das Jenseits der Anschauung, worin der Mensch zu seiner größten Überraschung und Entzückung wieder findet, was er diesseits, d. h. in der sinnlichen, wirklichen Welt verloren. Die Phantasie ersetzt und erfüllt die Lücken und Mängel der Anschauung; die Anschauung gibt Wesen, Wahrheit, Wirklichkeit, aber eben deswegen ist sie zeit- und ortbeschränkt. Die Anschauung ist gründlich, materiell, sachgetreu, wortkarg, feind allem Floskelwesen; ihre Werke sind gehaltvoll, gediegen; sie gelingen ihr darum nur unter besondern Bedingungen; aber eben deswegen kann sie die ungebührlichen Forderungen nicht befriedigen, die der Mensch an sie stellt. Die Phantasie dagegen ist quantitativ unbeschränkt; sie kann alles ohne Unterschied, zu jeder Zeit und an jedem Ort; sie schreibt auf Verlangen Folianten über Dinge, wovon sie nicht das Geringste weiß, kurz sie ist allmächtig, allwissend, allgegenwärtig; sie erfüllt daher alle Wünsche des Menschen; aber sie gibt auch dafür statt der baren Münze der Anschauung nur Anweisungen auf das Jenseits, nur Scheine, Schatten, Bilder Bilder, die aber gleichwohl für den Menschen mehr Wert und Realität haben, als die Wirklichkeit, die nicht mehr die geliebten Gegenstände enthält. Die Phantasie oder Einbildung ist aber ursprünglich nichts als das geistige Sehen; mit der Erinnerung an das Verlorene, mit der Wiederherstellung desselben in der Phantasie, mit diesem geistigen Wiedersehen verknüpft daher sich unmittelbar der Wille und die Hoffnung des wirklichen Wiedersehens. Die Vergegenwärtigung des Abwesenden in der Vorstellung, die Erinnerung ist ja selbst nichts weiter, als das Bestreben, den Sinnen zum Trotz das zu sehen, was man nicht sieht. Es ist daher ganz natürlich, daß den Völkern das Wesen der Einbildung für ein wirkliches Wesen, die Phantasiewelt für eine existierende Welt gilt. Aber gleichwohl ist der Inhalt, der Gegenstand, das Wesen dieser »übersinnlichen« Welt nur der Inhalt dieser sinnlichen Welt, für den bestimmten Menschen daher nur der Inhalt dieser seiner bestimmten Welt, seines Vaterlandes. Wenn es daher euch Christen und Theisten für unmenschlich gilt, dem Menschen das Jenseits zu nehmen, so seid vor allem ihr selbst so menschlich, den Heiden nicht ihr heidnisches Jenseits, dem Germanen nicht sein Walhall, dem Indianer nicht das Land seiner geliebten Vorfahren zu nehmen. Er kennt und will keine andere Unsterblichkeit, als die seinige, als die eben, die ihr ihm ableugnen wollt. Er zieht den Tod der christlichen Unsterblichkeit vor.
Die sinnlichen Vorstellungen von der »Glückseligkeit des künftigen Lebens«, d. h. auf deutsch von der Unendlichkeit der Glückseligkeit des gegenwärtigen irdischen Lebens, von der Unendlichkeit, z. B. der Freuden des Tanzes, der Musik, der Liebe und Freundschaft, der Jagd und anderer ritterlicher Künste, der Mahlzeiten und Trinkgelage, sind bei vielen Völkern so mächtig gewesen, daß sie freiwillig dem Jenseits, d. h. dem eingebildeten Diesseits das wirkliche Diesseits aufopferten. So stürzten sich die Nordgermanen freiwillig in das Schwert, ihre Weiber freiwillig in die Flammen des Scheiterhaufens; sie entleibten sich, um die Phantasie des Jenseits zu verleiblichen, zu verwirklichen. So »ließen sich auch die Kamtschadalen sonst lebendig von Hunden zerreißen, ertränken, erhenken und legten sogar, wenn Trübsale sie beugten, Hand an sich selbst. Solche Wirkung kann auf die Menschen die Einbildung haben, daß sie den Zustand des künftigen Lebens kennen, und durch Vergleichung mit dem des gegenwärtigen jenen besser finden, als diesen. Die Menschen wünschen so sehr die Decke aufzuheben, die uns die Zukunft verhüllt. … Wenn dieser Blick über das Grab hinaus möglich, wenn er untrüglich hell und vollständig wäre … würde uns dann nicht diese Welt weit weniger interessieren? Unsere gegenwärtigen Freuden würden uns anekeln, unsere Beschäftigungen kindisch werden … Es ist folglich Weisheit, daß ein undurchdringlicher Schleier den Zustand des künftigen Lebens sterblichen Augen verhüllt.« Ja, es ist Weisheit, aber auch hier wie anderwärts, ist diese Weisheit, die ihr als Weisheit eines von euch unterschiedenen Wesens, als göttliche Weisheit bewundert, nur eure eigene Weisheit oder vielmehr Klugheit, die es euch verwehrt, der Phantasie die Wirklichkeit, der Einbildung die Wahrheit, den zehn Sperlingen auf dem Dach, wie es im Sprichwort heißt, den einen Sperling in der Hand aufzuopfern. Allerdings würde uns, wenn wir die Aussicht in ein anderes, besseres, ewiges Leben hätten, das gegenwärtige Leben in nichts verschwinden, wie es denn wirklich dem Menschen in nichts verschwindet, wo der Glaube an das Jenseits noch eine praktische Wahrheit ist, wo ihm seine Einbildung noch für Wirklichkeit gilt; aber wie sonderbar! auf die verschwindende Kürze, Eitelkeit und Nichtigkeit dieses Lebens gründet sich ja gerade die Annahme eines anderen Lebens. Warum nehmt ihr also die Beschäftigungen und Freuden, d. h. die Eitelkeiten und Miserabilitäten dieses Lebens gegen die Übergriffe des Jenseits in Schutz? Ihr wißt nicht, wie euer Sein dort beschaffen ist, aber das wißt ihr doch unbezweifelbar gewiß, daß es ewig währt, daß es kein Ende, keine Grenze eures lieben Ichs und Lebens gibt, d. h. ihr wißt die Hauptsache, das, was ihr wissen wollt, aber die Nebensache wißt ihr nicht, weil sie euch gleichgültig ist. Allein eben diese Gewißheit und Vorstellung eines ewigen Lebens, wenn auch die Beschaffenheit desselben in Zweifel gestellt wird, ist allein schon hinreichend, mir dieses Leben zu verleiden. Wozu ist denn überhaupt dieses Leben, wenn es noch ein anderes gibt? wozu ein zeitliches, sterbliches Leben, wenn ein ewiges ist? Wozu bin ich denn ein Taglöhner dieser Erde, wenn ich im Himmel ein Rothschild, ein Millionär werde? Welchen Wert haben für mich ein paar Pfennige, die ich als irdischer Proletarier im Vermögen habe, wenn mir Millionen gewiß sind, wenn ich gleich nicht weiß, in welcher Geldsorte mir diese Millionen ausbezahlt werden? Warum soll mir nicht über der Gewißheit dieses unerschöpflichen Lebensreichtums im Jenseits der Bettel dieses Lebens mit seinen paar Jährchen in nichts verschwinden? Und wenn uns wirklich ein anderes Leben bevorsteht, warum soll es denn nicht der einzige Gegenstand unseres Denkens, Sinnens und Trachtens in diesem erbärmlichen Leben sein? Und wenn es wirklich in unserer Natur begründet, wenn es eine notwendige Folge und Fortentwickelung unseres Lebens und Wesens ist, warum soll es für uns kein Gegenstand des Wissens sein? Warum ist die irdische Zukunft mir ungewiß? Weil tausend und abermal tausend zufällige unvorhergesehene Ereignisse und Vorfälle mir einen Strich durch die Rechnung machen, weil meine zukünftige Existenz keine notwendige Folge der gegenwärtigen, mein Leben überhaupt kein vorausbestimmtes, vorausberechnetes und berechenbares ist. Aber die himmlische Zukunft ist eine mathematische Gewißheit wie viele haben dies ausdrücklich behauptet! sie kann uns nicht entrissen werden; sie ist eine notwendige Konsequenz unseres Wesens. Wir können daher aus unserer Gegenwart unsere Zukunft so gut herauswickeln und zu einem Gegenstand des Wissens erheben, als der Naturforscher aus der Raupe den Schmetterling vor unseren Augen herauszieht. Und gründet ihr denn nicht ausdrücklich auf den Schmetterling den Beweis des himmlischen Jenseits? Warum protestiert ihr also gegen die Ansprüche, welche das Jenseits von Rechtswegen schon auf dieses Leben zu machen hat? Warum sträubt ihr euch mit den schalsten Ausflüchten gegen seine notwendigen Wirkungen und Folgen? Warum laßt ihr euch durch dasselbe nicht in den Genüssen und Beschäftigungen dieses Lebens stören? Warum? weil, was euch bewußt für eine Wahrheit gilt, unbewußt, tatsächlich, eine bloße Täuschung ist.
Die subjektive Notwendigkeit des Unsterblichkeitsglaubens
Die wesentliche Bedeutung des Lebens nach dem Tode in dem allgemeinen oder volkstümlichen Glauben an die Unsterblichkeit ist nur die, daß es die ununterbrochene Fortsetzung dieses Lebens ist, oder daß dieses Leben als endlos vorgestellt wird. Nicht der Vervollkommnungstrieb, sondern der Selbsterhaltungstrieb ist der Grund des Glaubens. Der Mensch will, was er gern hat, ist und treibt, nicht fahren lassen, will es ewig haben, sein und treiben. Und diese Ewigkeit ist eine subjektiv notwendige Vorstellung. »Wir können«, sagt Fichte, »keinen Gegenstand lieben, ohne ihn für ewig zu halten.« Richtig; aber wir können überhaupt nichts unternehmen, ohne die Vorstellung der Dauer damit zu verbinden. Wenn ich den möglichen Fall, daß das Haus, das ich heute aufbaue, morgen einstürzt oder ein Raub der Flammen wird, mir als wirklich denke, so vergeht mir die Baulust. Wenn ich denke, ich werfe die Kunst oder Wissenschaft, die ich jetzt treibe, einst zum Teufel, so bin ich ein Tor, wenn ich sie nicht jetzt schon wegwerfe; ja ich kann sie gar nicht treiben, wenigstens mit Eifer und Erfolg, wenn ich nicht denke, daß ich ihr nie untreu werde. Alles, auch das Endlichste, treibt der Mensch im Sinne der Unendlichkeit. Aber diese Unendlichkeit oder Ewigkeit ist nur ein negativer, unbestimmter Ausdruck, ich denke mir etwas ewig, d. h. ich denke mir keinen Zeitpunkt seines Endes. Erst der Mißverstand der Reflexion oder Spekulation und Abstraktion, welche den Ursprung der menschlichen Vorstellungen nicht untersucht und kennt, verwandelt diese verneinende Vorstellung in eine bejahende, diesen Ausdruck des Affekts denn nur im Affekt des Eifers, der Lust, der Liebe denkt sich der Mensch das Vergängliche als ewig in eine Vernunftbestimmung oder Vernunftidee. Und sie ist mir nur eine Notwendigkeit im Gegensatze gegen eine unzeitige, voreilige Vorstellung. Wenn ich denke, daß mir das, was mir jetzt das Höchste und Heiligste ist, einst nichts ist, so ist dieser Gedanke für mich ein ebenso vernichtender, erschrecklicher, unerträglicher, als der Gedanke meines Todes in der Fülle meiner Lebenslust und Lebenskraft. Ich muß daher dieses in der Vorstellung vorausgenommene Ende durch die entgegengesetzte Vorstellung, die Ewigkeit, niederschlagen. Gleichwohl kommt im Leben der Zeitpunkt, wo diese Ewigkeit sich als Vergänglichkeit erweist, wo sich zeigt, daß nur die Vorstellung der Ewigkeit ein Bedürfnis, wo die Vorstellung der Endlichkeit eine vorwitzige, unzeitige Vorstellung war; denn alle die schrecklichen Folgen, die sich für unser Gemüt an das vorgestellte Ende einer Sache, einer Liebe, einer Wissenschaft, eines Glaubens knüpften, und denen wir eben durch den Gedanken der Ewigkeit auszuweichen suchten, erweisen sich bei dem wirklichen im Laufe des Lebens erfolgten Ende derselben als nichtig. Wir glaubten das Ende nicht überleben zu können, wir identifizierten den Gegenstand so mit uns, daß wir uns gar keine Existenz ohne denselben denken konnten, und dennoch sind wir mit heiler Haut davon gekommen. So ist das wirkliche Ende ein ganz anderes, als das vorgestellte; dieses steht im Widerspruch mit unserem dermaligen Wesen und Standpunkt; es ist ein herzzerschneidender Mißton in der Harmonie, in der wir mit dem Gegenstand stehen, ein gewaltsamer Einbruch in unser Eigentum; jenes aber ist organisch begründet, vorbereitet, eingeleitet; es bricht den Gegenstand nicht in der Mitte ab; es schließt ihn da, wo nur noch der Schluß, aber nicht mehr die Fortsetzung Vernunft gibt, da, wo der Gegenstand, wenigstens für uns, erschöpft ist, und daher keinen Wert, keine Bedeutung mehr hat. Das Ende in der Vorstellung ist ein un- und widernatürliches, das Ende in der Wirklichkeit ein natürliches, allmähliches, darum unmerkliches. Ist auch der letzte Akt des Bruches ein barscher, so ist er es doch nur dem Ausdruck, der Form, aber nicht dem Wesen nach. Die Leibniz'schen Monaden können wohl nur durch Schöpfung anfangen und durch Vernichtung enden, aber alle natürliche Dinge und Wesen vergehen und entstehen nur allmählig, denn sie sind sehr zusammengesetzte Wesen; und sie entstehen, indem sich Faden an Faden ansetzt, und vergehen, indem sich das Gewebe wieder ebenso Faden für Faden auflöst.
So wie es nun eine Notwendigkeit für den Menschen ist, die Bündnisse der Liebe, die er während des Lebens schließt, sei es nun mit Göttern oder Menschen, mit Personen oder Dingen als unauflöslich sich zu denken, wenn sie auch gleich mit der Zeit sich auflösen; so ist es auch für ihn eine Notwendigkeit, sich sein Leben überhaupt ewig vorzustellen; denn er verliert alle Lebenslust, es erscheint ihm alles, was ihm das Leben wert und teuer macht, eitel, umsonst, zwecklos, wenn er sich vorstellt: morgen ist alles, wenigstens für mich, nichts. Aber aus dieser Notwendigkeit des Gedankens einer ewigen Existenz, d. h. einer unbegrenzten Lebensdauer, folgt nichts weniger, als die gegenständliche Notwendigkeit und Wirklichkeit derselben. Denn warum ist mir dieser Gedanke notwendig? weil ich ohne Notwendigkeit, ohne Grund, weil ich voreilig, unzeitig an mein Ende denke. Natürlich erscheint mir so mein Ende als eine gewaltsame Vernichtung, als ein unerträglicher Gedanke; ich muß also die Vorstellung meines Endes aufgeben, mich wieder als seiend denken. Wie anders ist dagegen das wirkliche Lebensende! Es kommt, wenn es wenigstens ein normales ist, allmählig; es kommt, wenn bereits das Lebensfeuer erloschen, das Leben für uns höchstens nur noch den Wert und Reiz einer alten Gewohnheit hat, wo also der Tod nichts weniger als eine gewaltsame, brutale, unmotivierte Vernichtung, sondern der Schluß des vollendeten Lebens ist. Selbst wenn der Gedanke an meinen Tod, d. h. an mein Nichtsein ein der Zeit nach begründeter ist, so ist er doch immer noch logisch ein unbegründeter; und wenn ich mich daher genötigt sehe, den unerträglichen Gedanken meines Nichtseins durch den Gedanken eines nach dem Tode fortgesetzten Seins zu überwinden, so bestätige ich dadurch nur die Wahrheit der naturgemäßen, freilich nicht christlichen, spekulativen Logik, daß es ein unvernünftiger Widerspruch ist, mit dem Sein den Gedanken des Nichtseins zu verbinden, seiend sich als nicht seiend, lebend sich als tot zu denken. Die Unsterblichkeit ist daher eigentlich nur eine Angelegenheit für Träumer und Müßiggänger. Der tätige, mit den Gegenständen des menschlichen Lebens beschäftigte Mensch hat keine Zeit, an den Tod zu denken, und folglich kein Bedürfnis der Unsterblichkeit; denkt er ja an den Tod, so erblickt er in ihm nur die Mahnung, das ihm zu Teil gewordene Lebenskapital weise anzulegen, die kostbare Zeit nicht an nichtswürdige Dinge zu verschwenden, sondern nur auf Vollendung der Lebensaufgabe, die er sich gesetzt, zu verwenden. Wer dagegen seine Zeit nur dazu verwendet, um an sein Nichtsein zu denken, wer über diesem nichtsnutzigen Gedanken das wirkliche Sein vergißt und verliert, der muß freilich sein vorgestelltes Nichtsein durch ein wieder vorgestelltes, erträumtes Sein ergänzen, sein Leben, sei's nun als gläubiger oder spekulativer Tor, nicht mit Beweisen wirklichen Lebens, sondern mit Beweisen des zukünftigen Lebens hinbringen.
Nirgends zeigt sich daher die Unvernunft und Verderblichkeit des Christentums deutlicher, als darin, daß es die Unsterblichkeit, die selbst den träumerischsten Weisen des Altertums immer etwas Zweifelhaftes, Ungewisses blieb, für etwas Gewisses, ja das Allergewisseste ausgegeben, und so den Gedanken an ein künftiges, besseres Leben zum angelegentlichen Gedanken der Menschheit gemacht hat. Der Mensch soll allerdings nicht, wenigstens wenn ihm dieser Gedanke das Leben verbittert, an sein Ende, sein Nichtsein denken; aber töricht, ja verderblich ist es, dem Menschen ein besseres Leben nach dem Tode zu versprechen; denn »das Bessere ist der größte Feind des Guten.« Genießt das Gute des Lebens und verringert nach Kräften die Übel desselben! Glaubt, daß es besser sein kann auf der Erde, als es ist; dann wird es auch besser werden. Erwartet das Bessere nicht von dem Tode, sondern von euch selbst! Nicht den Tod schafft aus der Welt; die Übel schafft weg die Übel, die aufhebbar sind, die Übel, die nur in der Faulheit, Schlechtigkeit und Unwissenheit der Menschen ihren Grund haben, und gerade diese Übel sind die schrecklichsten. Der naturgemäße Tod, der Tod, als Resultat der vollendeten Lebensentwickelung ist kein Übel; aber wohl der Tod, der eine Folge der Not, des Lasters, des Verbrechens, der Unwissenheit, der Rohheit ist. Diesen Tod schafft aus der Welt, oder sucht ihn wenigstens so viel als möglich zu beschränken! So spricht die Vernunft zum Menschen. Anders das Christentum, welches, um ein eingebildetes Übel zu beseitigen, die wirklichen Übel des Lebens unangefochten bestehen ließ; welches, um den Tod zum Leben zu machen, das Leben uns zum Tode gemacht hat, welches, um übernatürliche, phantastische, luxuriöse Wünsche des Menschen zu befriedigen, den Menschen gegen die Befriedigung der nächsten, notwendigsten natürlichen Bedürfnisse und Wünsche gleichgültig gemacht hat. Das Christentum hat dem Menschen mehr geben wollen, als er selber in Wahrheit verlangt; es hat sich die Erfüllung der unerreichbaren Wünsche zum Ziel gesetzt, aber eben deswegen nicht die erreichbaren Wünsche erfüllt. Das Christentum ist so wenig der klassische, vollendete Ausdruck der menschlichen Natur, daß es vielmehr nur auf den Schein derselben, nur auf dem Widerspruch des menschlichen Bewußtseins mit dem menschlichen Wesen gegründet ist. Die Unsterblichkeit ist ein Wunsch der menschlichen Einbildung, aber nicht des menschlichen Wesens. Das Christentum hat mit der Unsterblichkeit dem Menschen eine Schmeichelei gesagt, an die abnorme Fälle und solche Menschen abgerechnet, bei welchen die Macht der Einbildung die Stimme der menschlichen Natur übertäubt hat im Grunde seines Wesens, d. h. in der Tat und Wahrheit, kein Mensch glaubt,[Anmerkung 8] wie unter anderem die Tatsache beweist, daß die Unsterblichkeitsgläubigen ebenso ungern sterben, als die Todesgläubigen, dieses Leben solange als möglich zu behaupten und festzuhalten sich bestreben. Es gibt Wünsche, deren geheimer Wunsch ist, nicht erfüllt zu werden, denn die Erfüllung würde sie kompromittieren, sie entlarven, zeigen, daß sie bloß auf Täuschung beruhen, Wünsche also, die nichts anderes sein und bleiben wollen, als Wünsche. Ein solcher Wunsch ist vor allen der Wunsch eines ewigen Lebens. Es hat nur Wert in der Einbildung; würde es wirklich, so würde der Mensch inne werden, daß er es nur im Widerspruch mit seiner wahren Natur verlangt, daß er sich in und über sich getäuscht, daß er sich selbst mißverstanden hat; denn es würde das ewige Leben, wenn es auch von anderer Beschaffenheit wäre, als dieses, endlich satt bekommen; es ist daher nur eingebildeter, illusorischer, kein ernstlich gemeinter Wunsch.
Lediglich in Beziehung auf die Zeit gedacht, ist die Vorstellung des ewigen Lebens dem Menschen ein Bedürfnis im Gegensatz gegen die Vorstellung der Kürze dieses Lebens. Aber auch diese Vorstellung steht mit der Wahrheit und Wirklichkeit in Widerspruch. Das Leben ist lang, aber erscheint uns in der Vorstellung kurz. Warum? weil wir die Vergangenheit nicht mehr zu uns rechnen, vergangenes Sein gleich Nichtsein anschlagen. Unsere Selbstliebe interessiert nur die Zukunft, nicht die Vergangenheit. Wir machen es mit unserer Lebenszeit, wie der Geizhals, der, während er in der Wirklichkeit die Kästen voll Geld, in seiner Vorstellung doch nichts hat; denn die Vorstellung ist unbeschränkt; in der Vorstellung kann ich immer noch mehr haben, als ich wirklich habe; die Wirklichkeit bleibt immer hinter ihr zurück. So ist auch das wirkliche Leben immer kurz gegen die Vorstellung gehalten; wir können es uns unbegrenzt denken; wir vergessen über dem Möglichen das Wirkliche. Wenn daher auch dem Menschen sein Wunsch gewährt würde, wenn er Jahrtausende, ja ewig fortlebte, so würde er doch damit nichts gewinnen; Jahrtausende würden in seiner Erinnerung in Tage, in Stunden, in Minuten zusammenschmelzen; er würde die Vergangenheit immer als verloren betrachten, sich selbst eben so, wie jetzt, als eine Ephemere, als ein Tagesgeschöpf erscheinen. Wie wir der Natur der Abstraktion, des Geistes gemäß alles abrevieren, verkürzen, verallgemeinern, das Wirkliche mit Weglassung seiner unendlichen Einzelheiten und Verschiedenheiten in ein Bild, eine Vorstellung, einen Begriff zusammenfassen; so fassen wir auch in der Vorstellung das unendlich reiche, langwierige und oft sehr langweilige Leben in ein verschwindendes Nu zusammen, und ergänzen daher diese eingebildete Kürze durch eine eben so eingebildete Dauer.
Wenn wir in unsere Vergangenheit zurückblicken und sie gehörig überdenken, so können wir uns auch überzeugen, wie roh und oberflächlich der denkt, welcher den Tod, wenn er als wirkliches Ende des Menschen gedacht wird, als eine krasse, despotische Vernichtung sich vorstellt. So wenig unsere teilweise Vergänglichkeit eine rohe, gewaltsame Vernichtung ist, so wenig ist es unsere vollständige, obgleich sie nicht einmal eine vollständige ist; denn wenn ich sterbe, so stirbt ja nur das, was ich jetzt noch bin; ich sterbe ja, wenn mein Tod ein normaler ist und dieser kommt nur hier in Betracht, denn der Unsterblichkeitsglaube beanstandet nicht den gewaltsamen, sondern natürlichen Tod, den Tod als Tod nicht als Jüngling, nicht als Mann, nicht in der Blüte, sondern als Greis. Der Tod fällt nicht mit der Tür in das Haus; er wird eingeleitet, bevorwortet, begründet. Er ist eine vermittelte Verneinung; die Vermittlung nimmt aber der Verneinung ihren Stachel. Und diese Vermittlung des Todes ist das Leben selbst. Jede neue Lebensstufe ist der Tod der früheren. Wo ist die Seele meiner Kindheit, meiner Jugend? Bei Gott im Himmel oder auf einem Stern? Nein! sie ist so wenig mehr, als ich selbst einst nach meinem Tode noch sein werde. Der Tod ist nicht mehr negativ, vernichtend gegen mich, als ich als Mann vernichtend bin gegen mich, als Kind und Jüngling. Das Kind hält nur sein Leben für Leben, ebenso der Jüngling. Nimm dem Kinde seine Spiele, und du nimmst ihm sein Leben. Nimm dem Jüngling sein Burschenband, seine Turnhose, seinen Arndt und Jahn, seinen deutschen Kaiser, und das Nichtsein dieses seines jetzigen Seins und Wesens ist für ihn eine eben so schreckliche Vernichtung, als für dich der Tod. Gleichwohl verneint der Jüngling das Kind, der Mann den Jüngling; es ist ihm nichts mehr, was ihm einst alles war. So natürlich es nun ist, daß wir als Jünglinge, als Kinder vergehen, so wenig wir über diese Vergänglichkeit uns entsetzen, so wenig haben wir Grund, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen, weil wir endlich sterben. So wenig bösartig die Vergänglichkeit überhaupt, so wenig ist es der Tod. Oder: so gleichgültig es uns ist, daß wir nicht mehr sind, was wir einst mit allem Jugendfeuer waren (und nota bene! immer sein wollten), so gleichgültig, so wohlbegründet, so wenig schrecklich und empörend ist unser einstiges Nichtmehrsein. Freilich lassen wir aus Egoismus diesen Schluß nicht gelten, so wenig als überhaupt die Schlüsse von der Historie auf die Gegenwart, wenn gleich derselbe Fall vorliegt; denn die Anerkennung einer Wahrheit in der Vergangenheit geht uns nicht zu Leibe, während ihre Anwendung auf den gegenwärtigen Fall uns höchst empfindlich und lästig ist. Darum haben wir nichts dagegen, daß das Herz des Kindes, das Herz des Jünglings mit dem Traume seiner Unsterblichkeit zu Grunde gegangen ist; aber daß es unserem jetzigen alten verstockten Philisterherz mit der Einbildung seiner Unsterblichkeit eben so ergehen soll, das können wir uns nicht gefallen lassen, das ist ein anderer Kasus. Wo unser Egoismus beginnt, da gelten die Gesetze der Logik nicht mehr.
Die phantastischen Vorstellungen des Christentums haben seit Jahrhunderten die Menschen so sehr des Gebrauchs ihrer fünf Sinne entwöhnt, daß sie, wenn man sie aus ihren Träumen aufweckt, und ihnen die Augen öffnet, wie die Blinden, wenn sie sehend werden, in dem Lichte der wirklichen Welt nichts sehen, daß ihnen die Zurückführung des Menschen auf die Reichtümer der Wirklichkeit für Pauperismus, für Nihilismus gilt. So erscheint ihnen auch, wenn man sie aus dem Traume ihres ewigen Lebens und himmlischen Jenseits aufschreckt, das Leben auf den elenden Tropfen des gegenwärtigen Augenblicks zusammengeschwunden, die Verneinung des Jenseits daher als eine unpraktische Lehre, die namentlich für die Jugend verderblich sei, den Menschen alles Schwunges, aller ihm doch so notwendigen Erhebung über die engen Schranken der Gegenwart berauben. Sie sehen nicht, die Toren, daß das Jenseits der Gegenwart schon in das Diesseits fällt, daß der Mensch, um über ihre Schranken sich zu erheben, nicht nötig hat, sich ein himmlisches Jenseits zu erträumen; daß er nur einen Blick in seine eigene, in die menschliche Zukunft zu werfen braucht, daß der Gedanke der menschlich-geschichtlichen Fortdauer und Unsterblichkeit unendlich mehr geeignet ist, den Menschen zu großen Gesinnungen und Taten zu begeistern, als der Traum der theologischen himmlischen Unsterblichkeit. Ja, es ist nicht einmal notwendig, über den Lebenskreis des Individuums in das Gebiet der Geschichte auszuschweifen: das Leben des einen und selben Individuums ist selbst schon so reichhaltig, daß in seine eigene Zukunft die Verneinung der Schranken seiner Gegenwart fällt. Was der Mensch noch einst im Laufe seines Lebens wird, das ist ebensogut ein Gegenstand der Einbildung, der Ahnung, der Poesie, liegt ebenso, ja noch mehr jenseits seines gegenwärtigen Bewußtseins und Gesichtskreises, als das himmlische Jenseits; denn eben weil unsere irdische Zukunft unbekannt und ungewiß ist, weil wir jeden Moment als unseren letzten vorstellen können und nach den Lehren des wahren Christentums vorstellen sollen, setzen wir an die Stelle dieser dunkeln Zukunft die gemalte Zukunft des Jenseits.
Das Jenseits ist daher in dieser Beziehung, seiner psychologischen Genesis und Notwendigkeit nach, nichts anderes, als die Vorstellung der Zukunft, die aber der Mensch als einen von der wirklichen Zukunft unterschiedenen Zustand hypostasiert, verselbständigt, gleichwie er die von der Natur abgezogenen und aus ihrem Zusammenhang mit der Materie herausgerissenen Verstandesgesetze in einem von der Natur unterschiedenen Verstandeswesen verselbständigt. Eben hieraus, weil das Jenseits nichts anderes ausdrückt, als die Vorstellung der Zukunft, ergibt sich auch, warum der Mensch es sich schöner denkt als das Diesseits, die Wirklichkeit. Die Übel der Gegenwart fühle ich, aber nicht die der Zukunft; die Zukunft hängt von meinen Wünschen ab; sie ist ganz in der Gewalt meiner Phantasie; sie leistet ihr keinen Widerstand, wie die materielle Gegenwart; sie beschränkt mich nicht; in ihr ist alles möglich; in ihr ist der Bettler Millionär, der Korporal Kaiser, der Mensch Gott.
Aber wie, wenn nun der Mensch wirklich keine Zukunft mehr vor sich hat, aber gleichwohl noch sich eine vorstellt, ist diese Vorstellung nicht der Beweis noch eines jenseitigen Jenseits oder wenigstens seiner Notwendigkeit? Für den allerdings, der seine Vorstellungen zum Maßstab des Seins macht, der aus dem Gedanken, dem Worte, dem Geiste die Welt erschafft, hat es keinen Anstand, aus dieser Vorstellung künftige Welten zu erbauen. Aber für den, der kein gläubiger oder spekulativer Wundertäter ist, ist diese Vorstellung nur ein Beweis und Ausdruck der Natur der Vorstellungstätigkeit. Ich kann in der Vorstellung, wenn ich anders noch zu leben wünsche, mein Leben unbeschränkt und ungehindert bis in alle Ewigkeit hin ausdehnen, aber es ist eben wegen dieser Unbeschränktheit auch nur ein vorgestelltes. Übrigens ist gerade da, wo der Mensch keine Zukunft mehr vor sich hat, wo er sich seinem Lebensende nähert, wo also gerade der meiste Grund zur Vorstellung der Zukunft vorhanden wäre, diese ihm am wenigsten Bedürfnis;[Anmerkung 9] denn seinem Ende nähert sich der Mensch gewöhnlich durch Krankheiten und Leiden; aber in Leiden, wenigstens in schweren, vergehen dem Menschen alle poetischen oder vielmehr scheinbar poetischen Vorstellungen der Zukunft, hat er keinen anderen Wunsch, als von seinen Leiden erlöst zu werden, und sollte er auch diese Erlösung um den Preis des Nichtseins erkaufen. Es ist daher nur ein eitler Vorwand, wenn man das Jenseits lediglich nur um der Armen, der Leidenden, der Unglücklichen willen nicht angefochten wissen will. Der Unglückliche will nichts als das Ende seines Unglücks. Der Tod aber ist das Ende aller Leiden; der Tod ist daher der Wunsch der Not, des Elends, die Unsterblichkeit aber der Wunsch der Üppigkeit, des Luxus. Die Not ist ein Materialist, der Luxus ein Idealist. Die Not verlangt tatsächliche, materielle, zeitige Hilfe; kann ihr diese nicht gewährt werden, so ist ihr Wunsch nicht der geile Wunsch himmlischer Wollüste, sondern nur der bescheidene, negative Wunsch, nicht zu sein, aufzuhören. Der Unglückliche hat kein anderes Bewußtsein mehr, als das Bewußtsein seines Unglücks. Er erblickt daher in dem Tode einen Wohltäter, indem er ihm mit seinem Selbstbewußtsein nichts anderes nimmt, als das Bewußtsein seines Unglücks.
Das Jenseits hat aber nicht nur zeitliche, sondern auch räumliche Bedeutung. Das Jenseits ist das Jenseits dieses Orts; es ist die räumliche Ferne. Der Glaube an das Jenseits ist insofern ein ganz natürlicher, notwendiger, allgemeiner Glaube, denn er ergänzt die Beschränktheit des örtlichen Standpunktes, an den jede menschliche Existenz gebunden ist; er hat also zunächst keine andere, als geographische Bedeutung. Wenn rohe Völker ihr Jenseits in Sonne, Mond und Sterne versetzen, so verlassen sie damit nicht die Erde, denn sie wissen ja nichts von ihrer wahren Entfernung; sie gehören für sie in denselben Raum, den sie bewohnen, nur daß jene oben, nicht mit den Händen erreichbar, sie aber unten sind. Die Frage, wie der Mensch zur Vorstellung eines Jenseits kommt, beantwortet sich also einfach dadurch, daß es jenseits seines Ortes noch andere Orte gibt. Aber die Sinnlichkeit, die Anschauung, gibt ihm nur den Raum; er sieht, daß es immer weiter geht, oder sein Auge reicht wenigstens weiter als sein örtlicher Standpunkt; er ist da mit dem Auge, wo er nicht mit dem Leibe ist. Als ein bloßes Objekt des Auges ist es daher für ihn ein bloßes Objekt der Vorstellung, der Phantasie, der Poesie; als dieses ein schönerer Ort, als der Ort seiner wirklichen, leiblichen Existenz. So wenig der christliche Rationalist bedenkt, daß, wenn die Sterne lebensfähige Körper sind, sie auch bereits von lebenden, ihrer Individualität entsprechenden Wesen erfüllt sind, also kein Platz für fremde Gäste da ist; so wenig bedenkt oder weiß der Unkultivierte, daß diese fernen Gegenden ihre eigenen Bewohner schon haben, die ebenso, wie sie, Wesen von Fleisch und Bein, vielleicht ihr Jenseits gerade an den Ort setzen, der für sie das traurige Diesseits ist. So macht der Mensch die Ferne zum Tummelplatz seiner Wünsche und Phantasien. Was jenseits seiner nächsten Umgebung und ihrer fühlbaren Mängel liegt und welcher Ort, welches Klima ist frei von Unannehmlichkeiten? hält er für etwas besseres; aber wohlgemerkt! nur in der Einbildung; denn in der wirklichen Entfernung von seinem Heimatland ergreift den Menschen gewöhnlich das Heimweh; in der Ferne erblickt er nur die Lichtseiten seiner Heimat, wie in der Nähe nur ihre Schattenseiten.
Wie kommt nun aber der Mensch dazu, in diese Ferne auch seine Toten, und folglich, da er sich mit seinen Toten identifiziert, auch seine eigene ferne Zukunft zu verlegen? Der Mensch weiß, wie schon oben bemerkt wurde, ursprünglich nichts von einem Grunde, einer Notwendigkeit des Todes; er kann sich nicht erklären, warum der Mensch gestorben ist; er hatte ja alles, was er wünschte. Die Toten sind daher für ihn nur verreist, sie haben sich nur entfernt. Wohin sollten sie aber gegangen sein, als eben dorthin in die Ferne, jenseits der Berge oder des Meeres, oder dort hinauf zu den Sternen? Die Toten sind ja nur noch Wesen der Vorstellung, der Phantasie; wo sollten sie also noch sein, als an jenem Ort, der zwar seinem Dasein nach ein Gegenstand des Sinnes, seinem Wesen nach aber nur ein Gegenstand der Vorstellung, der Phantasie ist? Der Ort, der nur der sinnliche Ausdruck der menschlichen Unwissenheit ist, ist der geeignetste Ort für die Wesen, die der Tod aus dem Gebiete der Handgreiflichkeit in das Gebiet der Unwissenheit versetzt hat. Der Ort der Unwissenheit ist ein leerer Raum. Aber der Mensch hat weit mehr als die Natur einen horror vacui, einen Abscheu vor der Leere; er weiß nichts und will doch allwissend sein. So füllt er den leeren Raum seiner Unwissenheit mit den Gestalten seiner Phantasie aus. Aber was sind die ersten reinen Wesen der Phantasie für den Menschen? Die Toten. Der Tod, als die für den noch ungebildeten Naturmenschen unbegreiflichste und zugleich erschrecklichste Erscheinung der Natur, ist daher eigentlich erst die Geburtsstätte der Phantasie und folglich der Religion; denn die Religion ist nichts anderes als die Ergänzung oder vielmehr Vergötterung der menschlichen Unwissenheit durch die Einbildungskraft. Wo das gewisse Wesen aufhört, fängt das vorgestellte, eingebildete Wesen an das Wesen der Religion. Wie das göttliche Wesen, seinem theoretischen Ursprung nach, nichts anderes ist, als die von der Phantasie vergötterte unbekannte Ursache einer natürlichen Erscheinung, so ist das Jenseits nichts anderes, als die von der Phantasie vergötterte unbekannte Ferne.
Diese Bedeutung und Entstehung des Jenseits zeigt sich selbst noch in der philosophischen Vorstellung der Griechen oder Römer, welche die Toten nicht mehr in ein irdisches oder unterirdisches Schattenreich, sondern in den Himmel, in die Sterne versetzte. Die Sterne sind für den Menschen, ehe er sich auf den Standpunkt der empirischen, wissenschaftlichen Anschauung der Natur erhebt als unantastbare, unfühlbare, nur optische, nur als Licht dem Auge sich offenbarende Wesen rein geistige, übermenschliche, göttliche Wesen, d. h. Wesen der Phantasie. Wie die Gegenstände dem Menschen erscheinen, so sind sie für ihn; wie sie für ihn, so sind sie an sich; das Subjektive gilt ihm unbedenklich für das Objektive. Die Sterne sind aber für ihn unkörperliche Wesen; sie sind den groben, materiellen Sinnen entrückt; sie schweben über der Erde, über dem Gebiete der Handgreiflichkeit; sie entziehen sich also den Experimenten der profanen Kritik des Tastsinns; sie sind darum für ihn an sich selbst unkörperliche, höhere, überirdische, himmlische, göttliche Wesen, d. h. eben Wesen der Illusion, Wesen der Phantasie.[Anmerkung 10] Als solche sinnlich geistige oder geistig sinnliche Wesen sind sie aber die entsprechendsten Orte, Ausdrücke, Bilder für die Toten, welche ja von gleicher Natur und Beschaffenheit mit den Sternen sind. Sie sind ja, wie die Sterne, entrückt den materiellen Sinnen, entledigt aller groben Bestandteile, entkörpert; sie schweben nur noch im Äther der Phantasie, sind nur noch dem geistigen Auge sichtbar.
Es liegt übrigens dieser Versetzung der Toten in den Himmel zugleich der Trieb zugrunde, sie zu verherrlichen, daher sie zuerst auch nur besonders ausgezeichneten Menschen zuteil wird.[Anmerkung 11] Die Bewunderung, die Verehrung, die Dankbarkeit, die Liebe und welchen Wesen gelten diese Empfindungen mehr, als ausgezeichneten, um das Wohl der Menschheit verdienten Menschen? sind poetische Affekte, sind die Homere und Hesiode im Menschen, die seine Götter, wenigstens die Götter, die nicht bloß Furcht und Schrecken ausdrücken, geschaffen haben; denn sie halten nicht Maß und Ziel in ihren Lobpreisungen; sie sind unerschöpflich an Superlativen, sind nur befriedigt, wenn sie die Eigenschaften ihres Gegenstandes auf den höchsten, denkbaren, das Maß der menschlichen Natur übersteigenden Grad steigern. Und sie sind um so überschwenglicher und unmäßiger, je weniger sie noch imstande sind, dem verherrlichten Wesen wirkliche Dienste zu leisten also dann, wenn der Mensch gestorben ist. So lange überhaupt der Mensch am Leben ist, so ist er ja, sei er auch noch so ausgezeichnet, ein gemeines, empirisches Wesen; jeder dünkt sich ihm gleich; er hat ja alles mit uns gemein; er ist ja unser Landsmann; der ist so gut wie ich Mensch, Jude, Grieche; was soll ich mich ihm unterordnen? Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande, d. h. der Lebende nichts unter den Lebenden. Aber der Tod entrückt ihn der Gemeinschaft mit uns und folglich der Gemeinheit. Jetzt erst gehen mir daher die Augen auf; jetzt erst kann ich ungehindert von meiner Eitelkeit und Selbstsucht ihn fassen und würdigen; mit seiner Individualität, d. h. seiner Wirklichkeit, ist die Scheidewand zwischen mir und ihm, seinem Wesen, seinen Werken, seinen Worten gefallen. Was ich dem Lebenden versagte, das räume ich im Übermaße dem Toten ein. Lebendige sind immer aufeinander pikiert; sie stoßen sich gegenseitig an den Ecken und Kanten ihrer scharf ausgeprägten Individualität; der Tod aber schleift diese Ecken ab; der Tod stiftet Frieden und Versöhnung. Der Tote hat keine Leidenschaften, keine persönlichen Interessen, keinen Egoismus mehr; er regt daher auch unsere Galle nicht mehr auf; er ist für uns nicht mehr Anlaß und Gegenstand egoistischer Leidenschaften; er ist nur noch Objekt der reinsten menschlichen Gefühle, d. h. eben nur noch Gegenstand der Religion Religion im besten, im menschlichen, allein wahren Sinn. Der Tod läßt uns nur das reine Wesen, das Gute übrig; die Schattenseiten, die Mängel, die Schranken des Individuums vergessen wir. Kurz, im Tode stirbt der Mensch als Mensch, als ein Wesen der gemeinen, sinnlichen, ungläubigen Anschauung, um im Geiste, im Gemüt und Andenken der Menschen als Gott, Genius, Schutzgeist er umschwebt uns ja wirklich noch schützend durch Lehre und Beispiel wieder aufzustehen.
Wo wir einem Wesen nichts mehr tun können, da wollen wir ihm gerade alles tun. Das Unvermögen, dem Toten wirkliche Wohltaten erweisen zu können, entschädigt sich nur in seiner Apotheose. Je drückender für uns das Gefühl des Mangels ist, daß wir dem Toten nichts mehr sein und tun können, desto höher schwingen wir uns mit der Phantasie, um die Last von unserem Herzen hinwegzuwälzen. Und je mehr wir den Tod als eine Verneinung empfinden, je tiefer wir den Toten beklagen, daß er sich nicht mehr des Lebenslichtes erfreuen kann, desto heller sehen wir gerade seine Verdienste und Eigenschaften strahlen. Je weniger der Tote selbst empfindet, desto mehr empfinden wir für ihn. Wie natürlich ist es nun, daß das Licht, in dem der Tote in der Phantasie strahlt, in dem Sternenlichte seinen sinnlichen, gegenständlichen Ausdruck findet; wie natürlich, daß im Verherrlichungsdrang seiner Empfindung der Mensch zu dem höchsten und herrlichsten, was er außer sich kennt, seine Zuflucht nimmt, um darin seiner vergötternden Liebe und Verehrung den entsprechenden genugtuenden Ausdruck zu geben!
Diese himmlische, religiöse Bedeutung kommt aber nur den Sternen zu, solange sie Gegenstände der Phantasie sind. Es erhellt daher hieraus, wie oberflächlich, sich selbst widersprechend und töricht das moderne rationalistische Christentum ist, wenn es jetzt noch die Sterne, nachdem sie aus nur optischen und phantastischen Wesen zu mittelbar tastbaren, d. i. wägbaren, körperlichen, irdischen, empirischen Wesen degradiert sind, zur Basis, zum Stütz- und Anhaltspunkt seines phantastischen Jenseits macht. Auf die Sterne, wie sie Gegenstände der Empirie sind, das Jenseits gründen, das heißt den Unglauben zum Fundament des Glaubens, den Zweifel zum Anker der Hoffnung, die sinnliche Wahrheit des Todes, folglich Unwahrheit der Unsterblichkeit, zum Beweisgrund ihrer Wahrheit machen; denn derselbe Standpunkt, der mir die Wahrheit der modernen Astronomie verbürgt, der Standpunkt der Empirie, verbürgt mir auch die Wahrheit des Todes; derselbe Standpunkt, der den Sternen ihre jenseitige, himmlische Natur abspricht, spricht auch den Menschen ihr jenseitiges, unsterbliches Wesen und Leben ab.
Die Vorstellung des Jenseits in der bisher entwickelten Bedeutung, die allein seine wahre, ist nur da am Platze, notwendig, gerechtfertigt, wo der Mensch noch lediglich auf einen bestimmten Ort, eine bestimmte Zeit beschränkt ist und beschränkt sich fühlt. So wie sich der Gesichtskreis des Menschen erweitert, so tritt an die Stelle des Seins im Jenseits das Sein mit der Erinnerung in der Vergangenheit oder mit der Hoffnung in der geschichtlichen Zukunft, an die Stelle der anderen Welt die übrige bisher unbekannte Welt. Das Jenseits findet daher seine wahre Realisation in der Kultur. Die Kultur hebt die Schranken der Zeit und des Raumes auf, sie erhebt mich über die Gegenwart, versetzt mich in die Zeiten der fernsten Vergangenheit, befähigt mich, die Jahrtausende, die ich mit Nichtstun, Nichtswissen und Nichtssein verdämmerte, nachträglich kursorisch durchzuleben, und die kommenden Jahrtausende, wo ich gleichfalls nichts mehr bin, auf Grund der Analogie kompendiarisch zu antizipieren. Ebenso versetzt sie die Genüsse der fernsten Länder in meine Heimat, klärt mir nicht nur den Kopf, sondern auch den Himmel über meinem Kopfe auf, indem sie durch Ausrottung von Wäldern und Morästen die Wolken und Regenbildung vermindert, tilgt so die Schranken meines Aufenthaltsortes, die in mir eben das Verlangen nach einem Jenseits hervorrufen; kurz die Kultur realisiert die Wünsche und Phantasien eines anderen, besseren Seins. Aber freilich kann der Mensch immer noch mehr sich wünschen, als er hat, und alles noch tausendmal schöner und herrlicher sich einbilden, als es wirklich ist. Er träumt sich daher auch jetzt noch ein Jenseits. Aber wenn der Mensch ursprünglich aus Not, Armut, Beschränktheit an ein Jenseits glaubte, so glaubt er jetzt daran ohne Not und Grund, nur aus Luxus; denn er hat ja das Jenseits schon auf Erden, materiell in den Genüssen des Lebens, geistig in den Schätzen der Künste und Wissenschaften. Der Mensch bewahrt überhaupt auch im Fortgang der Kultur die Reste seiner Unkultur, er macht sich ein Gewissen daraus, sie aufzugeben. Dieser heilige Rest, dieses von Geschlecht zu Geschlecht sich forterbende Fideikommis der ursprünglichen Roheit, Barbarei und Abergläubischkeit des Menschengeschlechts ist die Religion, welche, wie die Geschichte augenfällig zeigt, bei allen Völkern in den Zeiten der Kultur nichts anderes ist, als der Götzendienst der Vergangenheit, die Pietät gegen die Vorstellungen und Gebräuche des Altertums, ein deutlicher Beweis, daß die Religion nur in der Gefühls- und Vorstellungsweise der unkultivierten Menschheit ihren Ursprung und ihr Wesen hat. Der Fortschritt der Kultur in betreff der Religion, freilich auch anderer Dinge, bestand, wenigstens bis jetzt, immer nur darin, daß man die religiösen Vorstellungen und Gebräuche der Bildung akkommodierte, sie polierte, das augenfällig Rohe, den gebildeten Menschen Beleidigende abzog; aber den Grund, die Sache, das Wesen läßt man unangefochten bestehen. So hat das Christentum das blutige Menschenopfer abgeschafft, aber es hat an dessen Stelle das psychologische Menschenopfer gesetzt. Der Christ opfert seinem Gotte nicht den menschlichen Leib wenigstens direkt, gewaltsam aber er opfert ihm dafür die Seele, d. h. die menschlichen Triebe und Neigungen, das menschliche Gefühl, den menschlichen Verstand. So haben die modernen Christen längst ihrem Gotte alle sogenannten unmittelbaren Wirkungen, alle Wunder, d. h. alle augenfällig die Vernunft beleidigenden Zeichen und Beweise seiner Existenz abgesprochen; aber sie haben ihm dessenungeachtet nicht die Existenz selbst abgesprochen; sie haben sie nur in die Ferne hinausgeschoben, an den Anfang der Welt, d. h. an den Anfang der menschlichen Kultur, in das Gebiet der menschlichen Unkultur, Unwissenheit und Gedankenlosigkeit. So haben sie denn auch längst die Beschaffenheiten des alten religiösen Jenseits aufgegeben, die augenfällig der Astronomie und überhaupt fortgeschrittenen Kultur widersprechen Beschaffenheiten, die übrigens gerade die richtigen sind, wie denn überhaupt immer nur die alten religiösen Vorstellungen die wahren ( scilicet!) religiösen Vorstellungen sind, eben weil die Religion nur in der Denk- und Gefühlsweise des Altertums, d. h. des Menschen in seiner Kindheit oder Roheit wurzelt; aber gleichwohl haben sie nicht das Jenseits aufgegeben. Es ist zwar nur noch eine bodenlose Vorstellung; die Kultur hat ja den Grund desselben hinweggeräumt; es existiert nur noch, wie einst das Jenseits der Griechen, nachdem es infolge der Erweiterung ihrer geographischen Kenntnisse seine irdische, d. h. wirkliche Existenz verloren, im blauen Dunst des Himmels der Phantasie; aber gleichwohl ist es noch heilig als eine Reliquie aus der guten alten Zeit. Manche Menschen heben bis in ihr spätes Alter die Kleider und Spielzeuge ihrer Kindheit auf; sie können nicht von dem sich trennen, was einst für sie Wert und Bedeutung hatte, wenn es gleich längst für sie unbrauchbar geworden. So macht es die Menschheit mit ihren religiösen Vorstellungen und Gebräuchen. Die Kultur dringt überhaupt bei den meisten sogenannten Gebildeten nur bis auf die Oberfläche; sie räumen ihr nur soviel Platz ein, daß immer noch die gemütliche Roheit und Unwissenheit neben ihr hinlänglich Raum hat; sie lassen sie nur soweit gelten, als sie nicht ihrem Egoismus, ihren persönlichen Interessen widerspricht; sie halten sie daher fern von ihren religiösen Vorstellungen, denn diese hängen aufs tiefste mit ihrem Egoismus zusammen, der aber natürlich nur unter dem heiligen Schutze der Religion das Privilegium hat, nicht für Egoismus zu gelten, indem er seine Furcht vor dem Verlust seines lieben Ichs und Lebens als Gottesfurcht vergegenständlicht und vergöttert. Ja! gerade je weniger Grund und Notwendigkeit zu einem Glauben noch vorhanden ist, je mehr er nur noch Sache der Einbildung, nur Gespenst, nur Ausdruck luxuriöser Rokokoliebhaberei ist, desto mehr flüchtet er sich hinter den Nimbus der Heiligkeit, desto mehr gilt er in der Meinung für das Palladium der Menschheit, desto empfindlicher werden seine Vertreter, wenn man ihre Luftgebilde angreift. So sind auch die Menschen oft weit empfindlicher, wenn man ihnen eingebildete Verdienste und Talente, als wenn man ihnen ihre wirklichen Verdienste und Talente abspricht oder herabsetzt.
Der kritische Unsterblichkeitsglaube
Die Christen lächeln über die Einfalt der »wilden« oder rohen Völker, wenn diese ihren geliebten Toten Speise und Trank bringen, weil sie sich nach dem Tode keine Existenz ohne Nahrung denken können. Die Christen sehen nicht, daß dieser rohe, d. h. unkritische Glaube, nach welchem der Mensch noch ganz derselbe nach dem Tode ist, nach welchem also gar kein Tod existiert, gar kein Unterschied zwischen dem Lebenden und Toten stattfindet, daß dieser Glaube der einzig wahre und natürliche Unsterblichkeitsglaube ist. So wie man einmal dem Tode einräumt, daß er eine Verneinung ist, daß in ihm freien, essen, trinken aufhört, so ist jede Grenze der Verneinung, die ihm gesetzt wird, eine willkürliche, und folglich notwendig, daß der konsequente Denker endlich zu dem Schluß kommt, daß der Tod nicht ein teilweises, sondern ein ganzes Ende ist. Entweder oder heißt es auch hier. Entweder mußt du nichts oder alles dem Tode einräumen. Wenn du einmal so gefällig, so liberal gegen den Tod bist, daß du dir von ihm deine Gurgel, deinen Gaumen, deinen Magen, deine Leber und Nieren, deine Geschlechtsorgane, folglich auch Lunge und Herz nehmen lässest, warum willst du dir von ihm nicht auch das übrige, nicht deine Existenz überhaupt nehmen lassen? Kannst du ohne die Verrichtungen der genannten Organe existieren? »Leiblich freilich nicht, aber geistig.« So, geistig. Aber was ist denn eine geistige Existenz? Eine abstrakte, nur gedachte, vorgestellte Existenz, eine Existenz, aus der der Tod alles genommen hat, was zur wirklichen Existenz gehört. Wie kannst du also diese negative, abstrakte Existenz noch für Existenz halten? Eine geistige Existenz, die zugleich eine wirkliche ist, ist eine Existenz mit Kopf. Geist haben, heißt Kopf haben. Aber kannst du dir einen Kopf allein für sich denken? Gehört zum Kopf nicht notwendig der Leib? Hängt nicht der Magen durch das Band der Nerven aufs innigste mit dem Kopf zusammen? Beweisen dir nicht ad oculos die Geschmacks- und Geruchsnerven, die doch in engster Beziehung zur Funktion des Essens stehen, durch ihre Abstammung aus dem Hirn ihre hohe, geistige Bedeutung? Bist du nicht, wo du, wie z. B. im Schnupfen, geschmack- und geruchlos bist, auch geistig stumpf? Entnimmt die Sprache ohne Grund diesen Sinnen Bezeichnungen für geistige Fähigkeiten? Setzt ästhetischer Geschmack nicht physischen Geschmack voraus? Liebt der feine Geist nicht auch feine Speisen? Kannst du den Kopf eines Denkers oder Dichters auf einen Bauernmagen setzen? Kannst du von einem Eskimo, der nichts besseres kennt, als seinen Seehundstran, ästhetisches Gefühl erwarten? Ist das, was der Mensch ist, unabhängig von dem, was er ißt? Ändert sich mit unserm Wesen nicht auch unser Geschmack und umgekehrt? Ist die Lieblingsspeise des Knaben die des Mannes? Nein! andere Speisen, andere Weisen, andere Sapores,[Anmerkung 12] andere Mores und umgekehrt. Schon die alten Indier behaupteten, daß der Charakter des Menschen aus den Speisen, die er besonders liebe, erkannt werde, die Qualität seiner Speisen die Qualität des Menschen bezeichne. Wie töricht ist es darum, dem Menschen noch eine Existenz nach dem Tode einräumen zu wollen, und doch die so wichtige, ja notwendige, wesentliche, mit dem Zentralpunkt des menschlichen Wesens, dem Hirn so innig zusammenhängende Funktion des Essens aufzugeben eine Funktion, welche bei unzähligen Menschen sogar ihr höchster Lebensgenuß ist, trotz ihrer Geistlichkeit und Gottesgläubigkeit; welche bei allen Völkern, so lange sie der menschlichen Natur getreu bleiben, noch nicht der Phantastik, Heuchelei und Verstellung des Supranaturalismus verfallen sind, ein wesentlicher Akt selbst ihrer Religion ist, welche sie ohne Anstand selbst ihren Göttern beilegen! Statt daß daher die christlichen Unsterblichkeitsgläubigen den Ungläubigen oder Todesgläubigen den allgemeinen Unsterblichkeitsglauben als einen Beweis von der Unmenschlichkeit und Unwahrheit ihres Unglaubens entgegenhalten, mögen sie vielmehr daraus die Unwahrheit ihres Glaubens folgern, und erkennen, daß der wahre, unschuldige, unverstellte Glaube an eine Existenz des Menschen nach dem Tode der Glaube ist, daß der Mensch auch nach dem Tode ißt und trinkt. Eine Existenz des Menschen ohne die wesentlichen Bedingungen und Verrichtungen der menschlichen Existenz ist eine eingebildete, eine erlogene, eine erheuchelte Existenz. Glauben, daß der Mensch noch existiere nach dem Tode, und doch nicht glauben, daß er so existiere, wie er jetzt existiert, glauben, daß er mit Verneinungen existiere, heißt in die Bejahung des Menschen nach dem Tode die Verneinung desselben durch den Tod hineintragen, heißt zweifeln, daß er existiere. Denn eine Existenz ohne Magen, ohne Blut, ohne Herz, folglich zuletzt auch ohne Kopf ist eine höchst zweifelhafte Existenz, eine Existenz, die mir nicht die Gewißheit meiner Existenz gibt, in der ich nicht mich erkenne und finde, eine Existenz, die nichts anderes ist, als meine als Existenz gedachte Nicht-Existenz, eine Existenz, die, bei Lichte besehen, sich in nichts auflöst. Der Zweifel, daß ich so existiere, wie hier, endet daher notwendig in dem Zweifel, daß ich überhaupt existiere; denn meine Existenz ist eine bestimmte, diese menschliche Existenz; mit der Bestimmtheit meiner Existenz nimmst du mir daher die Existenz selbst.
Wo der Unsterblichkeitsglaube aus seiner kindlichen Unschuld und Einfalt heraustritt worin er, streng genommen, weder ein positiver, noch negativer Glaube, weder der Glaube an Unsterblichkeit, noch der Glaube an den Tod ist, weil er nicht weiß, was Tod ist wo er ein Glaube der Abstraktion und Reflektion, also ein kritischer Glaube wird, da wird er notwendig ein an sich selbst zweifelhafter, zwischen sich und seinem Gegenteil, dem Unglauben oder dem Glauben, daß der Mensch nicht unsterblich ist, hin- und herschwankender Glaube. Wenn das Christentum den Unsterblichkeitsglauben zu unbedingter Alleinherrschaft gebracht hat, so liegt der Grund hiervon nur in der Pöbelhaftigkeit, mit welcher das Christentum überhaupt seine Meinungen dem Gewissen der Menschen als heilige Glaubensartikel aufgedrungen und das Gegenteil derselben gewaltsam unterdrückt hat. So wurde die Behauptung von der Sterblichkeit der menschlichen Seele ausdrücklich von der katholischen Kirche verflucht. Der protestantischen Kirche stehen zwar keine päpstlichen Bannstrahlen und Scheiterhaufen mehr zu Gebote; aber sie hat dafür andere ebenso wirksame Mittel zur ausschließlichen Geltendmachung ihrer Meinungen angewandt. So hat sie die Lehre von der Sterblichkeit des Menschen so angeschwärzt, so in Verruf gebracht, daß man fast noch jetzt seinem Namen einen Schandfleck anhängt, wenn man ihrem Glauben an die Unsterblichkeit widerspricht.
Wo nämlich der Unsterblichkeitsglaube ein Glaube der Abstraktion und Reflexion oder Spekulation wird, da unterscheidet der Mensch einen sterblichen und unsterblichen Teil von sich, einen Teil, der dem Tod unterliegt, einen anderen, der ihm entgeht und widersteht; er anerkennt also einesteils den Tod, andererseits verleugnet, verneint er ihn. Aber eben diese Trennung in zwei wesentlich verschiedene Teile widerspricht dem unmittelbaren Einheitsgefühl; der Mensch ist Mensch, ist er selbst nur in der Vereinigung des sterblichen und unsterblichen Teils, hat nur in dieser Einheit sein Selbstgefühl. Wasser ist nur Wasser, so lange Sauer- und Wasserstoff verbunden sind; nach der Trennung existieren noch beide Stoffe; aber es existiert nicht mehr Wasser. So können auch die Teile, die Elemente des Menschen unsterblich sein, wenigstens das eine Element: die »Seele«; aber diese Fortdauer der Seele schließt noch lange nicht meine Fortdauer ein. Im Schlafe ist auch die »Seele« tätig und wirksam, selbst innerhalb der Sphäre meiner bewußten Vorstellungen und Tätigkeiten; aber gleichwohl »zeichnen wir die Stunden, die wir verschlafen oder verträumt haben, nicht in dem Tagebuch unsers Lebens auf, rechnen sie nicht zu den Stunden, die wir erlebt haben.« Ich habe mein Selbstbewußtsein, das Bewußtsein, wonach ich allein den Wert und die Dauer meiner Existenz schätze und berechne, nur mit offenen, wachen Sinnen, nur da, wo ich auf meinen eigenen Beinen stehe, wo ich in aufrechter Stellung die Würde des menschlichen Wesens darstelle und behaupte. Im Schlafe trennen sich die im Wachen verbundenen Elemente der »Seele« und des Bewußtseins, aber eben deswegen verliere ich im Schlaf die Existenz, um die es mir allein zu tun ist, die ich allein als meine, wenigstens meine wahre Existenz anerkenne. Die Elemente meiner geistigen, sozialen, geschichtlichen Existenz sind meine wesentlichen Gedanken, denn was bin ich in dieser Beziehung, wenn ich von diesen meinen verruchten Gedanken mich absondere? sie sind meine Seele, mein Geist; aber dieser Geist existiert auch noch nach meinem Tode fort, wenn gleich ich nicht mehr existiere; ich existiere nur, so lange ich diese meine Elemente in diesem meinem Kopf zusammenfasse. Die Speisen sind nur so lange Gegenstand meines Bewußtseins und Selbstgefühls, so lange sie Gegenstand des Genusses sind; aber dieses sind sie nur, so lange sie noch nicht in ihre Elemente zerlegt werden; diese Zerlegung geht in einer Welt vor, die jenseits meines Bewußtseins und Selbstgefühls liegt; wo aber mein Selbstgefühl, mein Bewußtsein ausgeht, da schließt sich auch mein Sein. So wenig daher einem Menschen, der sich über die Kürze des Genusses des Essens beklagte und nach einer Fortdauer desselben sich sehnte, damit gedient wäre, wenn ich ihm aus der Physiologie nachwiese, daß die Tätigkeit der Assimilation nicht mit dem Genuß der Speisen geschlossen ist, daß in dem Bauche die Fortsetzung von ihr folgt und diese noch stundenlang, also im Vergleich zu der Flüchtigkeit des Genusses der Speisen auf der Zunge, eine Ewigkeit dauert; so wenig ist mir damit gedient, wenn man mir aus der Psychologie, etwa gar aus allerlei obskuren und zweifelhaften oder krankhaften, abnormen, noch nicht erklärten Erscheinungen beweist oder beweisen will, daß meine »Seele« nach meinem Tode noch fortexistiert, dieses von meinem Leibe unterschiedene und abgesonderte Wesen oder vielmehr Unwesen, welches gänzlich jenseits meines Selbst- und Lebensgefühls liegt, welches aller der Bestimmungen und Eigenschaften beraubt ist, in denen ich allein die Gewißheit meines Daseins habe.
Überdem beweisen alle aus der Natur der »Seele« oder des »Geistes« geschöpften Beweise der Unsterblichkeit und eben auf dem Standpunkt, wo die Unsterblichkeit ein Gegenstand der Reflexion und Abstraktion ist, tritt zum Beweise ihrer Ungewißheit das Bedürfnis eines Beweises ein zu viel, aber gerade eben deswegen beweisen sie das nicht, was sie beweisen sollen und wollen. Denn aus denselben Gründen, aus welchen sich die Endlosigkeit der Seele ergibt, ergibt sich ihre Anfanglosigkeit eine Konsequenz, welche selbst geschichtlich verbürgt ist. Merkwürdiger und verhängnisvollerweise ist gleich der erste splendide spekulative Beweis von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, der platonische, welcher im wesentlichen das Fundament aller nachfolgenden Beweise geblieben ist, sogar mit Bewußtsein mit dem Beweis von ihrer Anfanglosigkeit, ihrer Existenz vor diesem Leben aufgetreten. Nun hat aber der Mensch offenbar angefangen zu existieren, oder, wenn er auch schon vor diesem Leben existierte, so ist doch diese Existenz so gleichgültig für ihn, als wenn er nicht existiert hätte, denn sie liegt jenseits seiner Erfahrung, seines Bewußtseins, und wenn er daher in demselben Sinne nicht endet, in welchem er nicht angefangen hat, in demselben Sinne nach dem Tode existiert, in welchem er vor diesem Leben existierte, so ist diese Existenz nach dem Tode für ihn eine absolut gleichgültige Existenz, die sich nicht vom Nichtsein unterscheidet. Die christlichen Klügler haben, einzelne ausgenommen, aus ihren Beweisen von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele den Beweis ihrer Präexistenz gestrichen, weil diese ein offenbares Phantasma sei. Warum ist ihnen denn aber die Existenz der Seele, des Menschen vor diesem Leben eine Phantasie, die Existenz desselben nach diesem Leben keine Phantasie, sondern Wahrheit? Darum, weil die Vergangenheit überhaupt uns gleichgültig ist, die Zukunft aber mit unserem Interesse, unserem Egoismus zusammenhängt. Der Beweis unserer zukünftigen Existenz ist daher ein wahrer, unumstößlicher, weil er sich auf unseren Egoismus stützt, aber der Beweis unserer vergangenen Existenz, ob er gleich dieselbe theoretische Gültigkeit hat, ist ein durchaus haltloser, phantastischer, weil er in unserem Egoismus keine Unterstützung findet. Die christlichen Theologen und Philosophen haben die Unsterblichkeit, die bei den heidnischen Philosophen eine theoretische, darum freie, dem Zweifel preisgegebene Sache war, dem Wesen des Christentums gemäß zu einer Sache der Religion, d. h. der menschlichen Selbstliebe, zu einer Heilsangelegenheit gemacht; deswegen haben sie den Unsterblichkeitsbeweis halbiert, alle ihre Vernunft, Zeit und Kraft nur auf den Teil konzentriert, welcher den menschlichen Egoismus interessiert. Aber es gereicht dem Plato nur zur Ehre, daß er mit jener edlen Freisinnigkeit, mit welcher das noch nicht durch das Gift des Supranaturalismus verdorbene Heidentum, namentlich Griechentum überhaupt, seine Schwächen und Fehler den Augen der Welt darlegte,[Anmerkung 13] auch die Blößen des Unsterblichkeitsbeweises uns offen zeigte, nicht mit den Ausnahmen und Ausreden der christlichen, übrigens sehr praktischen Klugheit bedeckte.
Die Unsterblichkeitsfrage wird daher aus einem ganz verkehrten, zu nichts führenden Gesichtspunkt gefaßt, wenn sie als eine psychologische oder metaphysische Frage aufgefaßt wird; denn auch die Seele, der Geist der empirischen Psychologen ist nur ein metaphysisches Ding, ein Ens rationis, ein pures Abstraktum oder auch Phantasma; sie wird, wie freilich jede Frage, die uns Menschen interessiert, nur dann in das rechte und entscheidende Licht gesetzt, wenn man sie vom Standpunkt der Anthropologie auffaßt. Das Wahre in dem christlichen Unsterblichkeitsglauben, wodurch es mit Recht den Sieg über den heidnischen Zweifel oder Unglauben an die Unsterblichkeit davontrug, besteht eben nur darin, daß es dieselbe aus einer Sache der Psychologie oder Spekulation denn die Seele ist, wie gesagt, nur ein Produkt der Spekulation zu einer Sache der Anthropologie, aus einer Sache der Abstraktion zu einer Sache der Sinnlichkeit machte, an die Stelle der teilweisen Unsterblichkeit ungeteilte Unsterblichkeit, die Unsterblichkeit des Leibes und der Seele, an die Stelle der Unsterblichkeit des Geistes oder der Seele die Unsterblichkeit des Menschen die Auferstehung setzte. Nur die Auferstehung ist die Bürgschaft der Unsterblichkeit: Derselbe Mensch derselbe Leib. Das Christentum ging insofern zum natürlichen, volkstümlichen Glauben zurück, in welchem die unsterbliche Seele nichts anderes ist, als das in der Phantasie, in die Erinnerung aus dem Tode wieder auferstandene und als selbstständiges, existierendes Wesen vorgestellte Bild des einst lebendigen Menschen. Aber das Christentum ist nicht mehr der ursprüngliche, unschuldige, einfältige, kindliche Glaube der Menschheit; es ist ein Glaube der Reflexion und Abstraktion. Der Gottesglaube, der an der Spitze des Christentums steht, ist nämlich nichts weniger als ein dem Menschen eingeborener, originaler, primitiver Glaube, wie die Christen behaupten, welche ihre theistischen Vorstellungen dem Glauben der Völker unterschrieben, in der Zeit des guten alten Christentums sogar den Kindern im Mutterleibe schon ihren Glauben aufbürdeten. Die Kinder wissen noch heute solange nichts von Gott, bis er ihnen von ihren Eltern oder Schulmeistern eingetrichtert wird. Der ursprüngliche Glaube des Menschen ist der Glaube an die Wahrheit der Sinne, der Glaube an die sichtbare, hörbare, fühlbare Natur, die er aber unwillkürlich sich verähnlicht, vermenschlicht, personifiziert. In der Folge trennt jedoch der Mensch diese unwillkürlichen Personifikationen der Naturgegenstände von diesen ab, macht sie zu selbständigen Personen und faßt sie endlich, wenn er sich zur Anschauung der Einheit der Wett erhebt, in eine von der Natur unterschiedene Persönlichkeit oder Wesenheit zusammen. So wird ihm denn ein Wesen zur Wahrheit, welches im direktesten Widerspruch mit seinem ursprünglichen Glauben steht, dessen Glaube nur auf den Unglauben an die Wahrheit der Sinne gebaut ist, ein Wesen, das existiert und dessen Existenz doch aller der untrüglichen Zeichen und Beweise beraubt ist, worauf er den Glauben, d. h. die Gewißheit der Existenz der Natur und seiner eigenen Existenz gründet, ein Wesen, das als ein durchaus abstraktes und negatives, nicht sinnliches, nicht körperliches, nicht sichtbares, auch nur Gegenstand eines abstrakten und negativen, abgefeimten, und eben deswegen nur erkünstelten und erzwungenen, aber endlich durch tausendjährige Überlieferung den Menschen zur Gewohnheit, zur anderen Natur gewordenen Glaubens ist. So wie aber der Gottesglaube des Christentums, so ist auch sein Unsterblichkeitsglaube nicht der ursprüngliche Glaube der Menschheit, sondern ein spekulativer oder abstrakter und negativer Glaube. Es hat in diesem Glauben allerdings wieder den Menschen, die Sinnlichkeit geltend gemacht, aber nur halb, nur scheinbar, nur mit Abstraktion und Negation. Im Himmel freien sie nicht. Fleisch und Blut erbt nicht das Himmelreich. Es affektiert eine supranaturalistische Engelhaftigkeit und Schamhaftigkeit; es macht den Menschen zu einem Kastraten; ja trotz seiner körperlichen Auferstehung zu einem gespenster- oder geisterhaften Wesen, indem es alle leiblichen Bedürfnisse und Verrichtungen, namentlich die der Geschlechts- und Geschmackssinne als tierische Funktionen von ihm abstreift, gleich als hätte der Mensch nicht ebensogut als die Geschlechts- und Assimilationsorgane auch die Sinne, auch den Kopf, auch die Existenz überhaupt mit dem Tiere gemein, und als müßte sich folglich nicht der christliche Supranaturalist, wenn er ehrlich und konsequent sein wollte, zugleich mit dem Zeugungsglied auch den Kopf abschneiden; denn nur wo der Mensch gar nichts mehr ist, hat er auch mit den Tieren nichts mehr gemein. Aber eben weil daß Christentum selbst schon ein negativer und kritischer Glaube ist, so ist es eine notwendige, selbstverschuldete Konsequenz von ihm, wenn wir seine Halbheit zur Ganzheit machen, seine Negation und Kritik weiter treiben, wenn wir zu dem: im Himmel, d. h. im Tode, werden sie nicht freien, nicht schlafen, nicht essen und trinken, hinzusetzen: sie werden nicht existieren. Gerade aber diese Verneinung der christlichen Halbheit und Zwiespältigkeit führt uns zurück zur widerspruchslosen, wahren, vollständigen Bejahung des Menschen, und eben damit zum ursprünglichen Glauben der Menschheit. Für den ursprünglichen Glauben gibt es keinen Tod und keine Unsterblichkeit, aber aus kindlicher Unwissenheit, aus Mangel an Bildung; er glaubt nur an die Wahrheit dieses Lebens; er denkt sich den Menschen nach dem Tode wie vor dem Tode. So existiert auch für den wahren, ungeteilten Menschen, aber aus Bildung, aus Wissenschaft, aus Erkenntnis ihrer Nichtigkeit, keine Unsterblichkeit, aber auch kein Tod, am allerwenigsten in bezug auf seine eigene Person; aber auch nicht in Beziehung auf geliebte Tote, wenigstens insofern nicht, als sie in seinem Herzen noch ebenso lebendig und heilig ihm sind, als einst in Wirklichkeit.
Der Unsterblichkeitsglaube, wenigstens der eigentliche, der bewußte, der absichtliche tritt erst da in dem Menschen auf, wo er Urteil ausdrückt, wo die Unsterblichkeit nichts anderes ist, als eine Eloge, die der Mensch dem von ihm aufs höchste geschätzten Gegenstand sagt, der Tod nichts anderes, als ein Ausdruck der Verachtung. Die körperlichen Verrichtungen, d. h. die Verrichtungen des Bauches sind ekelhafte, niedrige, gemeine, tierische also vergängliche, sterbliche; die Verrichtungen des Geistes, d. h. des Kopfes, erhabene, edle, den Menschen auszeichnende, also unsterbliche. Die Unsterblichkeit ist eine Wertsdeklaration; sie wird nur dem zuerkannt, was der Unsterblichkeit würdig erachtet wird. Der Unsterblichkeitsglaube tritt erst da ins Dasein, wo er sich mit dem Gottesglauben identifiziert, wo er ein religiöses Urteil ausdrückt, wo die Unsterblichkeit also nur ein Ausdruck, der Gottheit oder Göttlichkeit ist. Beweisen, daß der Mensch oder die Seele unsterblich sei, heißt beweisen, daß sie oder er Gott sei. Oder vielmehr der Beweis ihrer Unsterblichkeit stützt sich nur auf den Beweis ihrer Gottheit, gleichgültig, ob sie ihr direkt oder indirekt zugesprochen wird, so nämlich, daß man eine von der Seele unterschiedene Gottheit sich vorstellt, aber nun die wesentliche Einheit der Seele mit der Gottheit nachweist. Die Alten sind auch in dieser Beziehung so lehrreich, weil sie die Gottheit der menschlichen Seele oder des Geistes, welche die christliche Klugheit und Heuchelei mit dem Munde leugnet, ob sie gleich sie im Wesen aufs bestimmteste, ja bestimmter noch, als die Alten, bekennt, unumwunden aussprechen, den Beweis der Unsterblichkeit der Seele ausdrücklich auf ihre Gottheit gründeten.[Anmerkung 14]
Da die Unsterblichkeit nur ein pathetischer, affektvoller Ausdruck des Lobes, der Auszeichnung ist, so erklärt sich auch, warum die Alten sie nur als Privilegium der Aristokratie ansahen, sie nur großen, ausgezeichneten Menschen zuerkannten, oder vielmehr, richtiger ausgedrückt, die Unsterblichkeitsfrage nicht vom allgemeinen menschlichen Gesichtspunkt aus faßten, sondern sich nur für die Unsterblichkeit großer Menschen interessierten. »Wenn, sagt z. B. Tacitus, wie die Weisen dafür halten, mit dem Körper nicht große Menschen (magnae animae) erlöschen«. Das Christentum verwandelte diese aristokratische Unsterblichkeit der Alten in ein plebejisches Gemeingut, an der jeder Mensch, ohne durch besondere Vorzüge oder gar politische Tugenden und Verdienste ausgezeichnet zu sein, teilnehmen konnte, wenn er nur christgläubig war. Aber es machte doch wieder die Unsterblichkeit zu einem Privilegium der gläubigen Aristokratie; denn sie bestimmte nur diese dem Himmel, die Ungläubigen, die Gottlosen der Hölle. Aber nur der Himmel verdient den Ehrennamen der Unsterblichkeit; nur freudiges, glückliches Sein ist Sein; die Hölle dagegen ist nur ein boshafter Ausdruck für Nichtsein, eine perennierende Todesangst, in die der Gläubige aus christlicher Liebe den Ungläubigen versetzt, eine Existenz, die jener diesem nur deswegen vergönnt, weil keine Marter, keine Qual, kein Gefühl der Nichtseins ohne Existenz gebracht werden kann.
Der eigentliche Unsterblichkeitsglaube entsteht nur da, wo der Mensch bereits zum Bewußtsein gekommen ist, daß der Tod eine Negation und Abstraktion, Verneinung und Absonderung ist, die aber der Mensch, weil er selbst denkend eine Tätigkeit der Verneinung und Absonderung ausübt, nicht auf das dieser Tätigkeit als Subjekt untergelegte Wesen, den Geist, sondern nur auf sein augen-, überhaupt sinnfälliges Wesen sich erstrecken läßt. Er erblickt vielmehr in dem Tode nur den Ausdruck der Verneinung und Absonderung, die er selbst im Denken ausübt, wenn er von einem sinnlichen Gegenstand sich einen allgemeinen Begriff bildet. Wie sollte also der Tod das aufheben, wovon er selbst nur eine Erscheinung ist? Philosophieren heißt sterben also sterben philosophieren, also promoviert der Tod nur den Menschen zum Doktor der Philosophie. Daß heißt: der Mensch stirbt; aber der Philosoph ist unsterblich. Der Tod nimmt dem gemeinen Menschen unfreiwillig, was der Philosoph freiwillig sich nimmt. Der Philosoph, wenigstens der wahre, spekulative, platonische, christliche ist schon im Leben geschmacklos, geruchlos, taub, blind und gefühllos; er ißt und trinkt zwar, er übt überhaupt alle tierischen Funktionen aus, wie Sehen, Hören, Fühlen, Lieben, Gehen, Laufen, Atmen, aber im Zustande der Geistesabwesenheit, folglich geist- und sinnlos, nicht mit Lust und Liebe, wie ein gemeiner Mensch, nein! nur aus trister Notwendigkeit, weil für ihn der Genuß des Denkens an diese profanen Lebensverrichtungen weil er nicht denken, nicht philosophieren kann, wenn er nicht lebt gebunden ist; nur mit Ärger und Widerwillen; nur im Widerspruch mit sich. Wie sollte also der Tod gegen ihn sein? Der Tod verneint ja nur, was er selbst verneinte, ist ja das Ende aller Lebensgenüsse und Lebensverrichtungen. Er setzt daher nach dem Tode seine Existenz fort aber nicht als Mensch, sondern als Philosoph, d. h. er denkt den Tod, den Akt der Beweinung und Absonderung, weil er ihn identifiziert mit dem Denkakt, dem höchsten Lebensakt, als Existenz; er personifiziert die Verneinung des Wesens als Wesen, das Nichtsein als Sein.
Selbst der christliche Himmel ist seiner wahren religiösen Bedeutung nach nichts anderes, als das Nichtsein des Menschen, gedacht als Sein des Christen. Der Tod ist die Beweinung, das Ende aller Torheiten, Eitelkeiten und Schlechtigkeit des menschlichen, insbesondere des politischen, bürgerlichen Lebens, das Ende aller irdischen Mühseligkeiten und Wechselfälle, das Ende aller Sünden und Fehler, aller Leidenschaften und Begierden, aller Bedürfnisse und Kämpfe, aller Leiden und Schmerzen. Schon die Alten nannten deswegen den Tod einen Arzt. Wenn ich mir daher als Lebender den Tod, als Seiender mein Nichtsein, und dieses Nichtsein als die Beweinung aller Übel, Leiden und Widerwärtigkeiten des menschlichen Lebens und Selbstbewußtseins vorstelle,[Anmerkung 15] so trage ich unwillkürlich die Empfindung des Seins in mein Nichtsein über; ich denke und empfinde daher mein Nichtsein als einen seligen Zustand. Und der Mensch, der, wie die meisten Menschen, in der Identität von Denken und Sein aufwächst und lebt, der nicht unterscheidet zwischen Gedanke oder Vorstellung und Gegenstand, hält daher dieses im Gegensatz gegen die Leiden des wirklichen Seins als Seligkeit vorgestellte und empfundene Nichtsein für ein wirkliches Sein nach dem Tode. So ist denn auch der christliche Himmel in seiner reinen, von allen anthropopathischen Zusätzen und sinnlichen Ausschmückungen entkleideten Bedeutung nichts anderes, als der Tod, die Verneinung aller Müh- und Trübsale, Leidenschaften, Bedürfnisse, Kämpfe, gedacht als Gegenstand der Empfindung, des Genusses, des Bewußtseins, folglich als ein seliger Zustand. Der Tod ist daher eins mit Gott, Gott nur das personifizierte Wesen des Todes; denn wie in Gott alle Leiblichkeit, Zeitlichkeit, Bedürftigkeit, Begierlichkeit, Leidenschaftlichkeit, Unstätigkeit, Mangelhaftigkeit, kurz alle Eigenschaften des wirklichen Lebens und Daseins aufgehoben sind, so auch im Tode. Sterben heißt daher zu Gott kommen, Gott werden, so schon bei den Alten der Tote der Selige, der Verewigte der Vollendete.
Spezieller gefaßt, ist der Himmel für den Christen die Verneinung, der Tod alles Unchristlichen, alles Fleischlichen, Sinnlichen, Menschlichen; denn im Himmel hört der Christ auf, Mensch zu sein, da wird er Engel. Der Engel ist ja nichts anderes, als die Personifikation des abstrakten, vom Menschen abgesonderten und eben deswegen wahren, vollendeten Christen, nichts anderes als der Christ ohne Fleisch und Blut, der Christ vorgestellt als selbständiges Wesen. Wie, streng genommen, vom platonischen Menschen nach dem Tode nichts übrig bleibt, als der Philosoph in abstracto, wie die unsterbliche Seele nichts anderes ist, als der vergegenständlichte und personifizierte Begriff der Philosophie, so bleibt, streng genommen, von dem christlichen Menschen nach dem Tode nichts übrig, als der Christ in abstracto, ist der christliche Himmel nichts anderes als das verwirklichte, vergegenständlichte, personifizierte Christentum. Da aber der Philosoph ebensowenig als der Christ ohne den Menschen existieren kann, der Philosoph in Wahrheit nichts ist, als der philosophierende, der Christ nichts, als der christgläubige, gottselige Mensch; so versteht es sich von selbst, daß das als rein philosophisches oder rein christliches Sein vorgestellte Nichtsein des Menschen wieder zu einer Bejahung des Menschen wird. Auf den Schultern des Menschen ja nur kann sich der Philosoph zur Unsterblichkeit, der Christ zur himmlischen Seligkeit emporschwingen; nur wenn der Mensch unsterblich ist, kann es ja auch der Philosoph, der Christ sein. Wie wir auch dem abstraktesten, allgemeinsten Begriffe stets ein sinnliches Bild unterlegen müssen, wenn er nicht eine sinnlose Floskel sein soll; so muß der Philosoph nolens volens seiner unsterblichen Seele, der Christ seinem himmlischen, von Fleisch und Blut gesonderten Wesen das Bild des sinnlichen Menschen unterschieben. Aber gleichwohl ist diese Vermenschlichung, diese Versinnlichung nur eine unwillkürliche, nicht sein sollende; denn es soll nach dem Tode nur der Philosoph, nur der Christ, nicht mehr der Mensch existieren; es soll die Existenz nach dem Tode eine abstrakte und negative sein, eine Existenz, welche die Abwesenheit aller Widersprüche und Gegensätze gegen die Philosophie, gegen das Christentum sind, nur daß, wie gesagt, diese Abwesenheit aller Übel als seliges Sein vorgestellt wird. Aber eben nur als eine abstrakte und negative Existenz ist sie eine höchst zweifelhafte, so unglaubliche, augenfällig den Bedingungen einer wirklichen Existenz und dem Wesen der menschlichen Natur widersprechende; denn der Mensch kann sich keine Seligkeit ohne Arbeit, keine Ewigkeit ohne Wechsel, keinen Genuß ohne Not, Mangel, Bedürfnis denken, er kann sich überhaupt, wenn er nur einigermaßen die Augen öffnet und seine Blicke aus dem Reich der himmlischen Träume in die Wirklichkeit wirft, kein abgezogenes Wesen als ein wirkliches denken. Er gibt daher die religiöse und philosophische Unsterblichkeit auf; er setzt an die Stelle des abstrakten Philosophen und des himmlischen Christen den Menschen. Die Unsterblichkeit auf diesem Standpunkt, ihrem letzten, ist die Unsterblichkeit des modernen rationalistischen Christentums, des gläubigen Unglaubens, welcher in der Bejahung der religiösen Wahrheiten, d. i. Vorstellungen, immer zugleich ihre Verneinung hineinlegt.
Der rationalistische oder ungläubige Unsterblichkeitsglaube
Der Rationalismus hat mit dem Christentum das Prinzip gemein; aber nur in der Theorie, nicht in der Praxis, d. h. nur im allgemeinen, aber nicht im besonderen, nur in der Vorstellung, aber nicht in der Tat und Wahrheit. Der Rationalist ist so gut Gottesgläubiger, als der Christ oder Altgläubige; Atheismus ist ihm ein greuelvoller Unsinn und Irrtum; aber in der Praxis, im besonderen ist er Atheist; da erklärt er sich alles ohne Gott. Sein Gott ist nur der Ausdruck seiner theoretischen Beschränktheit; wo er sich etwas nicht erklären kann, wo ihm der Verstand ausgeht, wie am Anfang der Welt oder des organischen oder bewußten Lebens, da nur setzt er Gott hin, d. h. da erklärt er sich das Unerklärliche durch ein unerklärliches Wesen, ergänzt oder personifiziert er den Mangel aller bestimmten positiven Gründe in einem unbestimmten, grundlosen, aber eben deswegen unendlichen, alles vermögenden Wesen. Aber dieses Wesen steht nur an der äußersten Endspitze der Welt; im Verlaufe geht alles hübsch natürlich und weltlich zu. Gott ist König der Welt, aber nur nomine, nicht re, nur dem Namen, aber nicht der Sache nach. Er leugnet zwar nicht denn er geht nirgends auf den letzten Grund ein, er fragt sich nicht, was denn eigentlich das Wunder ist die Möglichkeit des Wunders, d. h. des Unmöglichen, aber die Konsequenz dieser Vorstellung, die Notwendigkeit und Wirklichkeit, leugnet er. Er bestimmt und verehrt Gott als Geist, als ein Wesen ohne alle Sinnlichkeit, Leidenschaftlichkeit, Fleischlichkeit; aber er läßt sich durch diesen Geist nicht im geringsten im Genüsse des Fleisches stören, wie die alten Christen; er leitet aus diesem Geiste nicht die Notwendigkeit der Mortifikation und Asketik ab; er erblickt in ihm nicht den Baumeister der Klöster und Kirchen, den Autor der heiligen Schrift, der Civitas Dei des Thomas a Kempis, den Schöpfer der Klerisei, der Mönche und Nonnen, nein! er erblickt in diesem Geiste nur den Autor der Ars amandi, den Lucrez de rerum natura, den Apicius de opsoniis et condimentis, nur den Schöpfer von Natur, Fleisch, Sinnlichkeit. Der reine Geist hat uns sinnlich erschaffen; er hat uns Geschmack gegeben; wer sollte sich also die Leckerbissen seiner Schöpfung nicht herzlich schmecken lassen? Wer wider die Triebe des Fleisches handelt, handelt wider den Willen des Schöpfers. Gott ist ein Geist, aber seine Werke, sein Wille ist Fleisch. So schiebt der Rationalismus, worunter hier übrigens nicht nur der Rationalismus im engeren Sinne, sondern auch der moderne unchristliche Christianismus, der moderne atheistische Theismus überhaupt verstanden wird der Theologie die Physik, dem Supranaturalismus den Naturalismus, dem heiligen Geiste der Asketik den Epikuräismus unter. Er bejaht das Prinzip, verneint aber die Bestimmungen, welche das Prinzip erst zur Wahrheit machen, die Konsequenzen natürlich die lästigen, unangenehmen, den Menschen verneinenden Konsequenzen, denn die gemütlichen, angenehmen Seiten und Konsequenzen eines Prinzips, eines Glaubens läßt er sich herzlich gern gefallen.
Wie mit seinem Gotte, ist es mit seinem Jenseits, das ja nichts anderes ist als der verwirklichte, praktische Gott. Der Rationalist glaubt steif und fest, wie der Christ, an das Jenseits, an die Unsterblichkeit; sie zu leugnen, d. h. zu leugnen im Prinzip, offen, entschieden, wahrhaft, männlich, das ist ihm eine greuelvolle Verirrung. Aber er glaubt nicht, daß im Himmel »ewige Kirchweih« ist, daß dort alle irdischen Plackereien und Kämpfe ein Ende nehmen, daß dort die Ebbe und Flut, wie der bewegte Wechsel dieses Lebens aufhört. Nein! der Unglaube hat ja den Himmel und mit ihm die Unsterblichkeit verworfen, weil ihn der ewige Stillstand, das ewige Einerlei des Himmels anwiderte, weil ihm die Absonderung der Ruhe vom Kampfe, des Genusses vom Bedürfnis als ein bloßes Phantasma erschien. Aber der Rationalist nimmt ebensoviel Anteil an den Verdiensten des Unglaubens, als des Glaubens; eine Naturforscherversammlung hat für ihn ebensoviel, ja weit mehr Autorität, als eine Kirchenversammlung im Namen der heiligen Dreifaltigkeit; er richtet die religiösen Glaubensvorstellungen, diese Offenbarungen der menschlichen Phantasie, Beschränktheit und Unwissenheit, nach dem Objektivglas der Naturwissenschaft; er legt daher in den Glauben an das Jenseits den Unglauben an dasselbe hinein; er verwandelt den religiösen, d. h. imaginären Himmel des Christentums in den profanen, sinnlichen Himmel der modernen Astronomie, den heiligen Sabbat des Jenseits in einen gemeinen Werktag. Dort wird nicht gefeiert, Gott bewahre! dort kommen wir in eine neue Lebensschule; dort fangen wir wieder, nur auf einer höheren Stufe, von vorne an; dort werden wir wieder Abcschützen, Gymnasiasten, Studenten, bis wir die höchste Würde daselbst erlangt haben, um dann abermals auf einer noch höheren Stufe unser Curriculum vitae fortzusetzen. Fortschritte, Fortschritte ohne Ziel und Ende stehen uns bevor. Freut euch des Lebens! Nicht der Friedensfürst der Marschall Vorwärts ist unser Vorbild, der Bürge unserer himmlischen Zukunft. So verfällt der Rationalist, um dem Phantasma des Himmels auszuweichen in ein anderes ebenso bodenloses Phantasma ein Phantasma, welches zugleich die wahre, religiöse Bedeutung des Jenseits vernichtet, die nur in der Vorstellung liegt, daß der Mensch dort an sein Ziel kommt, dort im Frieden ist, frei von dem rastlosen Streben des irdischen Lebens das Phantasma eines ewigen Fortschritts; an die Stelle des ewigen Stillstandseinerlei setzt er ein ewiges Fortschrittseinerlei. Er macht das Diesseits zum Maßstab des Jenseits, akkomodiert dieses jenem; der Mensch ist ein tätiges, mit der Zeit fortschreitendes Wesen; also dort, wie hier, aber dort ohne Grenzen. Er macht sich so das Jenseits glaublich, indem er es nach dem Diesseits modelt; denn wer kann an dem Diesseits zweifeln? Er schiebt also das Diesseits, die Negation des Jenseits, dem Jenseits unter; er gründet seinen Glauben nur auf einen, freilich unbewußten, Selbstbetrug. Weil er drüben, wie hier, wieder in der Schule sitzt und schwitzt, weil er unter dem Jenseits sich nichts vorstellt als das Diesseits, also das Jenseits leugnet, so glaubt er daran.
Der religiöse Gläubige glaubt an das Jenseits, weil es, seiner Vorstellung nach, ein anderes Leben ist, als dieses; der Rationalist, der Vernunft gläubige, der ungläubig Gläubige aber glaubt daran, weil es kein anderes Leben ist, d. h. er glaubt nur an die Wahrheit dieses Lebens, freilich nur de facto, nicht de jure. Dem Christen oder religiös Gläubigen ist das andere Leben der Superlativ des Lebens, das höchste, das göttliche, das vollendete Leben; dem Rationalist aber ist das künftige Leben nur ein Komparativ; er ist dort vollkommen, wie hier, aber nur ein bischen. Der Rationalist kann mit der Vorstellung der Seligkeit, Vollkommenheit, Göttlichkeit nicht die Existenz des Menschen verknüpfen, so wenig als die Gottheit und Menschheit in dem Gottmenschen; er opfert daher, um zu existieren, die himmlische Seligkeit auf; er will à tout prix existieren, lieber unselig sein, als gar nicht sein denn die Vorstellung des Garnichtseins ist eine unchristliche, gottlose, atheistische Vorstellung er denkt sich daher ein arbeitsames, tätiges, strebendes, fortschreitendes Leben; aber eben ein fortschreitendes Leben ist ein unseliges Leben, ein Leben wenigstens, wo Lust, Freude, Gewinn mit Verlust, Arger, Reue, Schmerz abwechselt denn mit jedem Fortschritt freue ich mich zwar über meinen neuen Gewinn, aber ärgere mich auch zugleich über meine frühere Dummheit und Beschränktheit ein Leben also, wie dieses. Um sein Verlangen ewiger Existenz zu beschönigen, schützt der Rationalist die religiöse Idee der Annäherung an Gott, des Gott ähnlicher Werdens, also das Ziel der Vereinigung mit Gott vor. Er glaubt nicht aus Selbstliebe an seine Unsterblichkeit, nein! er glaubt nur Gott, d. h. dem Geiste oder der Tugend zu Gefallen und Ehren an seine Fortdauer nach dem Tode; er glaubt nur deswegen an sie, weil er ja, ohne zu existieren, nicht immer vollkommener, Gott ähnlicher werden kann. Aber dieses Ziel der Vollkommenheit schiebt er bis ins Unendliche hinaus; er bleibt immer unvollkommenes Wesen, wie hier; immer weiter weg von seinem Ziel, denn nur diese Entfernung verbürgt ihm seine Fortdauer im Jenseits. Die Vervollkommnung ist ja nichts weiter als eine fortwährende Verfeinerung und Vergeistigung, eine fortwährende, immer höher steigende Abstraktion und Negation; er streift im Jenseits die Lüste und Triebe des Fleisches ab er ist ja, wie wir wissen, theoretischer Asket und Fleischesfeind im Jenseits ißt, trinkt und freit der Rationalist nicht mehr; er gibt seinen irdischen Leib auf, bekommt aber dafür wahrscheinlich gewiß weiß er nichts einen feineren Leib, aber noch nicht den allerfeinsten. Kurz die Vervollkommnung ist eine fortgehende Sublimation, Verflüchtigung, Vergeistigung sein Urbild ist ja ein Wesen ohne Fleisch und Blut, ohne Sinnlichkeit, purer Geist, d. h. pures Abstraktum, pures ens rationis sein wahres Ziel also das Nichts, denn das Nichts ist das Allerimmateriellste; wer nichts ist, hat keine Lüste, Triebe Leidenschaften, Mängel und Fehler mehr. Aber dieses Ziel schiebt er in das Unerreichbare hinaus. Er will zwar immer nichts werden das gebietet ihm sein phantastischer Vervollkommnungs- und Selbstvergötterungstrieb aber er kann es nicht werden, denn sein realistischer Lebenstrieb gebietet ihm, um zu existieren, immer etwas, immer unvollkommen zu bleiben.
Das Jenseits des Rationalismus ist daher nichts anderes, als eine aufgeschobene, in täuschende Ferne verlegte Auflösung in nichts. Der orientalische Phantast setzt direkt in die Auflösung in Gott oder das Nichts das Ziel seines Lebens; der okzidentalische Phantast hat das nämliche Ziel, steht auf dem nämlichen phantastischen Fundament die Religion ist ihrem Ursprung und Wesen nach Orientalismus aber er hat nicht die feurige Glut und Phantasie des Orientalen; er ist vielmehr egoistisch, phlegmatisch, prosaisch, diplomatisch, klug, kurz Rationalist; er verwirklicht daher nie diese Auflösung in das geistige Nichts; er macht sie zu keiner praktischen Wahrheit. Aber eben deswegen ist der Zweck der Vervollkommnung, welchen der Rationalist als Grund der Notwendigkeit eines Jenseits angibt, nur ein Vorwand seiner Selbstliebe; denn was in alle Ewigkeit hin nicht erreicht wird, ist nur ein vorgespiegeltes Ziel. Im Begriffe des Zwecks, des Ziels liegt, daß es endlich einmal erreicht wird. Und wenn ich im Jenseits selbst wieder unvollkommen bin, wozu ist es denn? Die Bedeutung des Jenseits ist gerade nur die, daß es die Verneinung, das Gegenteil dieses »unvollkommenen« Lebens ist. Des Todes Preis ist notwendig die Vollkommenheit, Seligkeit, Gottheit. Eine solche hatte, schmerzliche Verneinung, als der Tod oder vielmehr das Sterben ist, verdient den allerhöchsten und letzten Lohn. Der Tod ist ja schon an und für sich die Abstreifung alles Irdischen, Unvollkommenen, Sinnlichen; auf dem Sterbebette legt der Mensch alle Eitelkeiten, Lüste, Sünden und Begierden ab. Der Tod ist daher die Bedingung der absoluten Vollkommenheit, das Ende aller Fortschrittsbedingungen. Auf diese absolute Verneinung paßt nur die absolute Bejahung. Wer einmal durch den Tod zum Magister der »destruktiven und subversiven« Philosophie promoviert worden ist, der hat alle Lust verloren, das Abc eines neuen Lebenslaufes wieder einzustudieren. Auf die Tragödie des Sterbeaktes reimt sich nur ewige Wonne oder ewiges Ende, reimt sich nur Gottsein oder Nichtsein, aber nicht die Komödie des rationalistischen Jenseits, dieses klägliche Mittelding zwischen Etwas und Nichts, Selig und Unselig, Vollkommen und Unvollkommensein. Ich danke dir daher, lieber Rationalist! von Herzen für das Präsent deiner eitlen Unsterblichkeit. Ich will entweder mit dem alten Glauben bei Gott sein, dem als Wesen vorgestellten Tod oder Nichts, dem Schluß aller Fortschritte, oder ich will gar nicht mehr sein. Wo man noch Schritte macht, da macht man auch noch genug Rückschritte und Faux-pas; ich habe aber im Lebens- und nun vollends im Todeskampf die Faux-pas herzlich satt bekommen. Laß mich in Frieden ruhn! Wie weise waren doch die »blinden« Heiden, welche ihren Toten ein Molliter ossa cubent Sanft ruhen deine Gebeine! oder Placide quiescas Ruhe in Frieden! in das Grab nachriefen, während die Christen als Rationalisten den Sterbenden ein lustiges Vivas et Crescas in infinitum in die Ohren schreien, oder als pietistische Seelenärzte à la Doktor Eisenbart auf Rechnung der Todesfurcht die Gottesfurcht, als Unterpfand ihrer himmlischen Seligkeit, einblöken! O Christentum! Du bist der Wahnsinn in der Form der Vernunft, der schrecklichste Hohn auf das Menschengeschlecht in der Form der süßesten Schmeichelei!
Der Rationalismus gründet seinen Hauptbeweis für die Notwendigkeit des Jenseits auf die Voraussetzung, daß der Mensch auf der Erde nicht seine Bestimmung erreicht. »Unwidersprechlich ist,« sagt z. B. einer der angesehensten modernen Rationalisten, »daß die Bestimmung eines jeden Geschöpfs ausgesprochen ist in seinen Kräften und Anlagen. Was jedes Geschöpf werden kann, das soll es auch werden und das wird es auch. Pflanzen und Tiere, und ebenso der menschliche Körper, der ihnen gleich stehet, haben nur solche Anlagen, welche in diesem Leben auf der Erde zur Entfaltung kommen können und wirklich entfaltet werden …. Anders aber ist es mit den Kräften und Anlagen des Geistes, diese sind einer so großen Entfaltung fähig, daß kein Menschenleben lang genug ist, um sie zu vollenden, daß jeder, auch der ausgebildetste Mensch, wenn er als Greis stirbt, bekennen muß, er stehe noch am Anfang seiner Bildung und er könne unendliche Fortschritte machen, wenn sein Geist ein längeres Dasein hätte und in vollkommenere Verhältnisse eintreten könnte … Die Erkenntniskraft scheint ebenso unbegrenzt zu sein als der Stoff des Erkennens. Das Leben ist aber viel zu kurz, der Leib eine viel zu hemmende Fessel … als daß die Erkenntniskraft völlig entfaltet werden könnte … Wohl hätten wir die Kraft nicht, nur einer Wissenschaft, sondern uns aller zu bemächtigen, wenn nur nicht das Leben zu kurz wäre, wenn wir nur nicht ein Vierteil desselben dem Schlafe und zwei andere Vierteile dem Erwerbe der Lebensbedürfnisse und den Arbeiten für die irdischen Verhältnisse zum Opfer bringen müßten. Auch die Wirkungskraft des Menschen wird vom irdischen Leben nur mangelhaft entfaltet und auf keine Weise ausgebraucht. Insbesondere bleibt die moralische Bildung, welche das Gesetz der Vollkommenheit zum herrschenden Lebensgesetz erheben soll, noch mangelhaft. Die hemmenden Verhältnisse der sittlichen Bildung Bedürfnisse, Gewohnheiten, sinnliche Triebe, lucta carnis cum spiritu verschwinden nur erst mit dem Tode, so daß keiner so vollkommen wird, als er werden sollte, und unter günstigeren Verhältnissen werden könnte. Und dasselbe müssen wir endlich auch von unserer Anlage für das Schöne sagen. Auch sie wird vom Leben nur mangelhaft ausgebildet. Eine Kunst ist es gewöhnlich nur, der man huldigen kann, und nur wenige vermögen es, mehreren Künsten, keiner vermag allen genug zu sein. So ist denn der Mensch das einzige irdische Wesen, das Kräfte und Anlagen erhalten hat, welche das Leben nicht entfaltet, welche offenbar für eine Fortsetzung des Daseins berechnet sind und einer zweiten Welt bedürfen. Die Tiere und Pflanzen, welche auf der Bahn ihrer Entfaltung durch einen frühzeitigen Tod ihre Ausbildung unterbrochen sehen, konnten doch, wenn nicht Gewalt sie gehindert hätte, sich völlig entfalten; dagegen von den menschlichen Individuen und dieses ist ja eben die Hauptsache! auch nicht eines seine Kräfte und Anlagen ganz entfalten kann, mag es auch das höchste Lebensalter erreichen.« Allein diese Voraussetzung, daß der Mensch und zwar in den glücklichsten irdischen Verhältnissen, selbst wenn er das höchste Lebensalter erreicht, nicht seine Bestimmung auf Erden erreicht, hat nur darin ihren Grund, daß man, wie sich sogleich zeigen wird, von vornherein dem Menschen eine supranaturalistische, phantastische Bestimmung anweist.
Der Mensch ist aber so gut, als die Pflanze, als das Tier, ein Naturwesen. Wer, außer der christliche Phantast, der seine höchste Ehre darein setzt, die augenfälligsten Wahrheiten zu ignorieren oder dem besten seines Glaubens aufzuopfern, kann dies leugnen, wer den Menschen aus seinem Zusammenhang mit der Pflanzen- und Tierwelt Herausreißen? Wer die Kulturgeschichte der Menschheit von der Kulturgeschichte der Pflanzen und Tiere absondern? Wer verkennen, daß die Pflanzen und Tiere sich mit dem Menschen verändern und perfektionieren, wie umgekehrt der Mensch mit ihnen? Wer kann auch nur einen flüchtigen Blick in die Mythologien und Religionen der Völker werfen, ohne stets in der Gesellschaft der Götter und Menschen Tiere und Pflanzen zu erblicken? Wer kann sich einen Ägypter ohne den Apis denken, einen Beduinen ohne das Kamel oder Pferd, dessen Genealogie ihn mehr interessiert, als seine eigene, einen Lappen ohne das Renntier, einen Kamtschadalen ohne den Hund, einen Peruaner ohne das Lama? Wer kann dem Indier, der selbst nichts ist als ein eingefleischter, geborner Blumist, eine Blume gleichsam in Menschengestalt, seine Lotosblume, vor deren Schönheit er anbetend niedersinkt, wer überhaupt dem Botaniker, dem Blumisten, dem Pflanzen liebenden Menschen die Blumen und Pflanzen nehmen, ohne ihm mit ihnen die Augen aus dem Kopfe und die Seele aus dem Leibe zu reißen? Was erklärt aber der Mensch tatsächlich und nur die tatsächlichen, nicht die mündlichen Erklärungen entscheiden durch diese, bei den alten und ungebildeten Völkern in Gemäßheit ihrer Denk-, Gefühls- und Ausdrucksweise selbst religiöse Liebe und Verehrung der Tiere und Pflanzen? Er erklärt dadurch, daß er nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit dem Geiste, der Seele, dem Herzen mit der Natur zusammenhängt, daß folglich die Losreißung des Menschen von der Erde, die Versetzung desselben in den Himmel oder überhaupt eine andere unbekannte, d. i. phantastische Welt nur ein Mirakel, ein Wunderwerk des allmächtigen Gottes, d. h. des allmächtigen, unbegreiflichen, übernatürlichen, christlichen Egoismus ist.
Der Mensch hat daher als Naturwesen so wenig eine besondere, d. i. überirdische, übermenschliche Bestimmung, als das Tier eine übertierische, die Pflanze eine überpflanzliche hat. Jedes Wesen ist nur zu dem bestimmt, was es ist: das Tier ist bestimmt, Tier, die Pflanze, Pflanze, der Mensch, Mensch zu sein. Jedes Wesen hat den Zweck seiner Existenz unmittelbar in seiner Existenz; jedes Wesen hat seine Bestimmung dadurch erreicht, daß es die Existenz erreicht hat. Existenz, Sein ist Vollkommenheit, ist erfüllte Bestimmung. Leben ist sich selbst betätigendes Sein. Das pflanzliche Wesen hat daher seine Bestimmung erreicht, indem es sich als das, was es ist, als pflanzliches, das empfindende, indem es sich als empfindendes, das bewußte, indem es sich als bewußtes betätigt. Was strahlt dir aus den Augen des Wiegenkindleins entgegen? Die Freude darüber, daß es das Pensum, das der Mensch, wenigstens auf diesem Standpunkt lösen kann und folglich soll denn das Sollen richtet sich nach dem Können gelöst hat, die Freude über seine Vollkommenheit, die Freude darüber, daß es da ist und zwar da ist als ein zullendes, schmeckendes, sehendes, sich selbst und anderes fühlendes Wesen. Wozu ist denn das Kind? Liegt seine Bestimmung jenseits seiner Kindheit? Nein! denn wozu wäre es dann Kind? Die Natur ist bei jedem Schritte, den sie tut, fertig, am Ziel, vollendet, denn sie ist in jedem Augenblick so viel, als sie sein kann und folglich sein soll und will. Das Kind ist nicht des Mannes wegen da wie viele Kinder sterben als Kinder! es ist seinetwegen da; es ist darum befriedigt und selig in sich. Was ist des Jünglings Bestimmung? daß er Jüngling ist, daß er sich seiner Jugend freut, nicht ins Jenseits der Jugend ausschweift[Anmerkung 16] Was ist des Mannes Bestimmung? daß er Mann ist, als Mann sich betätigt, seine Manneskraft ausübt. Was lebt, soll leben, soll sich seines Lebens freuen. Lebensfreude ist ungehinderte Lebenskraftäußerung. Der Mensch ist Mensch, nicht Pflanze, nicht Tier, d. h. kein Kamel, kein Esel, kein Tiger usw.; er hat also keine andere Bestimmung, als sich als das Wesen, das er ist, geltend zu machen. Er ist, er lebt, lebt als Mensch, voilà tout. Leben, sonst nichts liegt der Natur, menschlich gesprochen, im Sinne.
Der Mensch ist nicht der Zweck der Natur das ist er nur in seinem, im menschlichen Sinn er ist ihre höchste Lebenskraftäußerung, gleichwie die Frucht nicht der Zweck, sondern der höchste Glanzpunkt, der höchste ' Lebenstrieb der Pflanze ist. Nicht teleologische Weisheit, nicht ökonomische Absichtlichkeit Trieb, Überfülle, Säfteüberfluß, Lebenskraftäußerungsdrang ist der Grund der Zeugung, der Fortpflanzung. Darum ist die Natur so schrankenlos in ihren Produktionen. Wozu diese Wolken von Staubregen, die die Wälder zur Befruchtungszeit ausströmen? wozu diese zahllosen Eier der Pflanzen und Tiere, wovon doch die wenigsten Pflanzen und Tiere werden? Wozu? Törichte Frage! Du siehst ja hier vor deinen Augen den üppigen, zwecklosen, schrankenlosen Lebenstrieb der Natur. Wozu ist denn die Honigmotte? wozu die Blattlaus, wozu der Floh? Damit das Eine oder Andere nicht zu sehr überhand nehme, wie die Teleologen sagen? Nein! das heißt die Folge zum Grund machen; nur die Lebenslust hat die Blattlaus, hat den Floh in die Welt gesetzt. Was Dir zum Schaden, gereicht dem Floh zum Genuß; überall, wo Stoff zum Genuß, ist auch Reiz, Trieb zum Genuß; überall, wo Genießbarkeit, auch notwendig ein Genießendes. Eines ist darum Bedingung des Andern; Eines ruft das Andere ins Leben; Eines setzt den Andern, um sich Geltung und Platz zu machen, Schranken dies der Grund von der Harmonie der Natur. Der Ursprung des Lebens, d. h. des empfindenden, individuellen Lebens ist daher auch nur dann unbegreiflich, wenn man das Leben von der das Leben bedingenden Natur losreißt, isoliert, und die Lebensbedingungen schon fertig daseiend sich denkt, ehe das Leben entstand. Denkt man aber beides zusammen, so ist die Bildung der Erde, des Wassers, der Luft, der Temperatur und die Bildung der Tiere und Pflanzen ein Akt, folglich die Entstehung, z. B. des Wassers ebenso unbegreiflich, als die Entstehung des Wassertieres, oder umgekehrt die Entstehung des Lebens ebenso wenig wunderbar, als die Entstehung der Lebensbedingung, zu deren Erklärung doch selbst schon denkende Theisten des vorigen Jahrhunderts die Hypothese eines Deus ex machina nicht nötig fanden. Das Leben ist allerdings nicht Produkt eines chemischen Prozesses, nicht Produkt überhaupt einer vereinzelten Naturkraft oder Erscheinung, worauf der metaphysische Materialist das Leben reduziert; es ist ein Resultat der ganzen Natur.
Fragst du also, wozu ist der Mensch? so frage ich dich zuerst: warum oder wozu ist denn der Neger, der Ostiake, der Eskimo, der Kamtschadale, der Pescheräh, der Indianer? Hat der Indianer nicht seine Bestimmung erreicht, wenn er eben ein Indianer ist? Wenn er sie nicht als Indianer erreicht, wozu ist er denn dann Indianer? Eben so, wenn, wie der phantastische Christ behauptet, der Mensch durch seine Kindheit, folglich Jugend überhaupt denn in der Jugend arbeiten wir am allerwenigsten im Weinberge des Herrn durch Schlafen, Essen, Trinken von der Erreichung seiner Bestimmung abgehalten wird, wozu und warum ist er denn ein kindliches, jugendliches, schlafendes, essendes, trinkendes Wesen? Warum wird er nicht als gemachter Christ, Rationalist oder lieber gleich als Engel geboren? Warum bleibt er denn nicht im Jenseits, d. h. beim eigentlichen Text? wozu diese irdische Abschweifung? warum verirrt er sich in den Menschen? Verliert nicht das Leben gerade durch das Jenseits, in dem es erst seinen Sinn finden soll, allen Sinn, allen Zweck? Ihr könnt Euch das Leben nicht ohne das Jenseits erklären? Wie töricht! Gerade durch die Annahme eines Jenseits wird es unerklärlich. Und sind nicht gerade die Lebensverrichtungen, welche der Christ als Beweise für ein Jenseits anführt, die schlagendsten Beweise gegen dasselbe? nicht der augenfällige Beweis, daß die Bestimmung, welcher sie widersprechen, eben deswegen, weil sie ihr widersprechen, nicht die Bestimmung des Menschen ist? Wie thöricht, daraus, daß der Mensch schläft, die Notwendigkeit zu folgern, daß er einst ein Wesen werde, welches nicht mehr schläft, immer die Augen aufgesperrt hat, immer wacht! Die Tatsache, daß der Mensch schläft, ist ja gerade ein sinnfälliger Beweis, daß der Schlaf zum Wesen des Menschen gehört, daß folglich nur die Bestimmung, die der Mensch hier freilich nicht im Schlaf, aber doch in Verbindung mit dem Schlaf erreicht, seine wirkliche, wahre Bestimmung ist. Und sind denn Schlafen, Essen, Trinken von dem göttlichen olympischen Liebesbedürfnis will ich aus Schonung vor christlichen Theologen, deren Ideal der geschlechtslose Engel ist, schweigen sind diese Lebensverrichtungen, welche uns die noch heute vom Geiste des Mönchtums, theoretisch wenigstens, beseelten Christen, so herabsetzen, nicht ebensogut, wie die Stufen der Kindheit, der Jugend, wie alles in der Natur zur gehörigen Zeit Selbstzwecke, wirkliche Genüsse und Wohltaten? Bekommen wir nicht selbst auch die höchsten geistigen Genüsse und Tätigkeiten satt? Kann der Christ ohne Unterlaß beten? Würde ein Beten ohne Unterlaß nicht dem Nichtbeten, ein Denken ohne Unterlaß nicht dem Nichtdenken gleich kommen? Ist nicht auch hier die Kürze die Würze? Müssen wir uns nicht von allem trennen, um ihm wieder den Reiz der Neuheit zu verschaffen und es wieder lieb zu gewinnen? Und was verlieren wir denn durch den Schlaf, durch Essen und Trinken? Zeit; aber was wir an Zeit verlieren, gewinnen wir an Kraft. Neugestärkt kehren wir zu unserer Tätigkeit wieder zurück. Die Augen, die während der Nacht geruht, sehen um so klarer am Morgen. Jeder Tag ist so ein Wiedergeburts- und Auferstehungsfest des Menschen. Soll also der Mensch mit supranaturalistischem, erheucheltem Abscheu und Widerwillen eine notwendige Folge des wahren Christentums schlafen, essen, trinken? Nein! er soll gern schlafen, gern essen, gern trinken; aber er soll auch gern wachen, gern denken, gern arbeiten; er soll im Genuß nicht durch den Gedanken an die Arbeit den ohnehin vergänglichen Genuß sich verbittern, aber auch in der Arbeit nicht an den Genuß denken, sondern in der Arbeit, in der Tätigkeit Genuß finden; er soll überhaupt alles, was zum Menschen gehört, der Natur gemäß zur gehörigen Zeit um sein selbst willen, alles also mit Freude und Lust, alles mit dem Bewußtsein, daß er in ihm seine Bestimmung erfüllt, treiben. Er soll statt an die Allgegenwart Gottes, an die Allgegenwart des Menschen glauben, an das Dasein des Menschen nicht bloß in der Kirche wo er ja so nicht zu Hause ist, wo ja noch heute dem Gott der Mensch, dem Luxus des religiösen Bedürfnisses die wirklichen Bedürfnisse des Menschen geopfert werden[Anmerkung 17] oder in der Studierstube oder in der Staatsstube, sondern auch an die Gegenwart des Menschen in der Schlafkammer, im Speise- und Kinderzimmer, kurz an allen Orten und Ecken, wo er steht und geht; er soll statt die Einheit Gottes, die Einheit des Menschen beweisen und bekräftigen, verwerfen den grundverderblichen, grundirrtümlichen, grundphantastischen Dualismus des Christentums von Geist und Fleisch, die Zerspaltung des Menschen in zwei wesentlich verschiedene Teile, wovon der eine dem Himmel, der andere der Erde, der eine ihm selbst, der andere man weiß nicht wem angehört, der eine Gott zum Urheber hat, der andere aber ein apokryhisches Buch ist, dessen Verfasser man nicht weiß oder wenigstens nicht aus christlicher Klugheit beim rechten Namen nennt, der aber auf deutsch der Teufel heißt; denn das Christentum ist nichts anderes, als ein diplomatischer Manichäismus, ein nur durch den Geist des Abendlands gemäßigter, modifizierter, verklauselter Manichäismus oder Parsismus.
Der Mensch soll also das Christentum aufgeben, dann erst erfüllt und erreicht er seine Bestimmung, dann erst wird er Mensch, denn der Christ ist nicht Mensch, sondern » halb Tier, halb Engel«. Dann erst, wenn der Mensch allüberall Mensch ist und als Mensch sich weiß, wenn er nicht mehr sein will, als er ist, sein kann und soll, wenn er sich nicht mehr ein seiner Natur, seiner Bestimmung widersprechendes, folglich per se unerreichbares, phantastisches Ziel setzt, das Ziel, ein Gott, d. h. ein abstraktes, phantastisches Wesen, ein Wesen ohne Körper, ohne Fleisch und Blut, ohne sinnliche Triebe und Bedürfnisse zu werden, dann erst ist er vollendet, dann erst vollkommener Mensch, dann erst ist keine Lücke mehr in ihm, worin das Jenseits sich einnisten könnte. Und zu dieser Vollendung des Menschen gehört selbst auch der Tod; denn auch er gehört zur Bestimmung, d. h. zur Natur des Menschen. Darum heißt der Tote mit Recht der Vollendete. Menschlich zu sterben, zu sterben mit dem Bewußtsein, daß du im Tode deine letzte menschliche Bestimmung erfüllst, zu sterben also im Frieden mit dem Tode das sei dein letzter Wunsch, dein letztes Ziel. Dann triumphierst du auch noch im Tode über den üppigen Traum der christlichen Unsterblichkeit; dann hast du unendlich mehr erreicht, als du im Jenseits erreichen willst und doch nimmermehr erreichst.
Eine besondere Bestimmung, eine solche, welche erst den Menschen in Zwiespalt mit sich und in den Zweifel, ob er sie erreicht oder nicht erreicht, versetzt, hat der Mensch nur als moralisches, d. h. soziales, bürgerliches, politisches Wesen. Diese Bestimmung ist aber keine andere als die, welche sich der Mensch, im normalen und glücklichen Fall, auf Grund seiner Natur, seiner Anlagen und Triebe selbst gesetzt hat. Wer sich selbst nicht zu etwas bestimmt, ist auch zu nichts bestimmt. Man hört oft: wir wissen nicht, wozu der Mensch bestimmt ist. Wer so spricht, der trägt seine eigene Unbestimmtheit nur auf andere Menschen über. Wer nicht weiß, wozu er bestimmt ist, hat auch keine besondere Bestimmung.
Aber auch auf diesem Felde der verfehlbaren Bestimmung des Menschen zeigt sich die dualistische Phantastik in der rationalistisch christlichen Vorstellung vom Menschen sogleich wieder hierin, daß sie nur den Wissenstrieb, den ästhetischen und moralischen Trieb allein für sich in der Unsterblichkeitsfrage hervorhebt, gleich als hätten nur die gelehrten Herren, die Moralisten und Schöngeister oder Künstler Anspruch auf ein himmlisches Jenseits, nicht auch die Bauern, die Handwerker, die Fabrikanten, gleich als wenn nicht auch der Trieb des Menschen, das Handwerk zu vervollkommnen, den Ackerbau immer zweckmäßiger einzurichten, die Fabriken in immer höheren Flor zu bringen, ein wesenhafter und ehrbarer Trieb wäre. Wie viele Handwerker mögen über die Verbesserung ihres Handwerkes den Kopf sich zerbrochen, ja darüber sich zu Tode gegrämt haben, daß sie ihren Vervollkommnungstrieb nicht befriedigen konnten! Wie viele junge Menschen, welche Lust zu einem Handwerk, aber gleichwohl, wie sich leider erst später zeigte, kein technisches Geschick dazu hatten, mögen über diesen Zwiespalt moralisch und physisch zugrunde gegangen sein! Diese armen Menschen hatten nie das geringste Verlangen in sich verspürt, Gelehrte, Künstler oder Prediger des Sittengesetzes zu werden; ihr höchstes Ideal, ihr höchster Wunsch war der Handwerker. Gleichwohl wurde dieser Wunsch zu ihrem Verderben nicht erfüllt. Soll dieser Wunsch im Jenseits nicht erfüllt werden? Wie viele andere, die sich in ihrer Wahl nicht geirrt haben, bleiben hier zeitlebens z. B. Schneidergesellen; und doch ist ihr einziges Sinnen und Trachten auf den Schneidermeister gerichtet! Ist dieser Wunsch ein unsittlicher, ungeistiger, unmenschlicher? Warum sollen sie also nicht jenseits werden, was sie hier werden wollten, aber nicht wurden? Oder gründet sich das Schneiderhandwerk nur auf die Not des irdischen Lebens? wird es nur des Brotes wegen getrieben? Gewiß nicht. Wie viele treiben es aus Lust, wie viele betrachten ihr Handwerk als Kunst! Und gehört nicht auch wirklich zum Schneider ästhetischer Sinn, Geschmack? Gehören die Kleider nicht auch vor das Forum der Kunst! Kann nicht eine abgeschmackte Tracht den Effekt eines Kunstwerkes gänzlich aufheben? Wo ist überhaupt die Grenze zwischen Kunst und Handwerk? Ist nicht da die wahre Kunst zu Hause, wo der Handwerker, der Töpfer, der Glaser, der Maurer Künstler ist? Und knüpft sich die Kunst nicht an die gemeinsten Lebensbedürfnisse an? Was tut sie denn anderes, als daß sie das Gemeine, Notwendige veredelt? Wo man keine Häuser braucht, da baut man auch keine schönen Häuser; wo man keinen Wein mehr trinkt und schätzt, da ehrt man ihn auch nicht durch schöne Pokale; wo man keine Toten mehr beweint, da setzt man auch zu ihrer Verherrlichung keine Denkmale, keine Mausoleen; wo kein Blut mehr fließt, da wird auch keine Ilias mehr gesungen, und wo deine verwöhnten, von den Hallelujas des christlichen Himmels betäubten Ohren nicht mehr die Axt des Holzhauers und die Säge des Schreinermeisters beleidigt, da entzückt sie auch nicht mehr der Ton der Leier und Flöte. Was bleibt dir also übrig von der Kunst, wenn du ihr den goldenen Boden des Handwerks nimmst? Woran hat überhaupt der Schönheitssinn Stoff, Anhalt, woran soll er sich äußern, betätigen, wenn die Gegenstände der Kunst verschwunden sind? Wenn also der Künstler Ansprüche auf ein himmlisches Jenseits hat, so hat sie auch der Handwerker, so hat sie überhaupt der Mensch von Kopf bis zu Fuß; denn der höchste Gegenstand der Kunst ist der Mensch, und zwar der ganze Mensch, der Mensch vom Scheitel bis zur Ferse. Die Griechen hatten und verehrten eine Venus Kallipygos eine notwendige Folge des ausgebildeten, vollendeten Schönheitssinnes. Hat also nicht auch diese Venus Ansprüche auf den Himmel? Wie sonderbar! Die alten Christen zertrümmerten mit ihrem religiösen Eifer die herrlichsten Kunstwerke des Altertums, verwarfen überhaupt die Kunst, wenigstens die selbständige, nicht zum Mittel der Religion degradierte; denn sie hatten die Erfahrung vor Augen, daß die Kunst weltlustig, sinnlich, gottlos ist; sie wußten, daß der, welcher schöne Frauen im Bilde gerne sieht, auch schöne Frauen in natura gern sieht; und die modernen rationalistischen Christen gründen sogar auf den fleischlichen Kunstsinn, auf die Venus Kallipygos, die geistliche Hoffnung eines himmlischen Jenseits!
Und welche Eitelkeit, welche Torheit, den Kunstsinn, den Umstand, das unzählige Menschen hier nicht zur Entwickelung und Befriedigung dieses Sinnes kommen, zum Grund der Notwendigkeit eines Jenseits zu machen, da Unzählige hier nicht einmal ihren Hunger, wenigstens auf eine des Menschen würdige Weise stillen können? Ist es aber nicht notwendiger, eher seinen Hunger, als seinen Kunstsinn zu befriedigen? Kann man ästhetische und moralische Gefühle im Sinne haben, wenn man Hunger oder Nahrungsstoffe, die in keinen menschlichen Magen gehören, im Leibe hat? Ist menschliche Kost nicht die erste Bedingung menschlicher Gesinnung und Bildung? Müssen wir also nicht ein Jenseits fordern, wo die Hungrigen sich satt essen, die, die hier nur vom Spülicht der ästhetischen und physischen Gourmands leben, endlich auch einmal zu einem höheren Genuß, zum Genuß eines Braten kommen? Der Rationalist ist auch im Jenseits ein Freund des gemäßigten und besonnenen Fortschritts, d. h. des Fortschritts, der nie an sein Ziel kommt; er verwirft jede gewaltsame Unterbrechung, die mit dem Menschen nach dem Tode vor sich gehen soll; er hebt nur ganz sachte und allmählig den Menschen von Stufe zu Stufe empor; was ist also natürlicher, billiger, notwendiger, als daß die zahllosen Armen und Hungerleider der Erde jenseits erst zum Genusse menschlicher Kost kommen, während die anderen, welche bereits über den Tafelfreuden der Erde allen Appetit zu himmlischen Speisen verloren haben, in den Konzerten, Opern, Balletten und Pinakotheken des Jenseits ihren Kunstsinn befriedigen! Doch noch ein anderes Beispiel des menschlichen Elends: Wie unzählig viele Frauenzimmer verfehlen hier ohne ihre Schuld ihre Bestimmung! Die Bestimmung des Weibes ist offenbar, Gattin und Mutter zu werden. In dieser Sphäre nur entfaltet das Weib seine Anlagen. Nicht nur physisch, auch moralisch und geistig verkrüppelt die ewige Jungfernschaft. Nur besonders glückliche Anlagen oder Verhältnisse Ausnahmen von der Regel bewahren das Weib vor den verderblichen Folgen des widernatürlichen Standes ewiger Jungferschaft. Warum fordert ihr also kein Jenseits, wo der tiefste Trieb des Weibes, den gleichwohl unzählige Weiber, wenigstens nicht auf die dem Wesen des Weibes entsprechende Weise befriedigen können, sein Recht findet? Wie lächerlich ist es, an die Ausfüllung eingebildeter Lücken des Menschen zu denken, aber die wirklichen Lücken des menschlichen Lebens unbeachtet zu lassen! Wie lächerlich, dem Menschen eine jenseitige Existenz zu verschaffen, ehe man daran denkt, hier den Menschen zur Existenz zu verhelfen; denn der Mensch existiert nur, wenn er eine menschliche Existenz hat, seine menschliche Bestimmung erfüllt. So beweisen uns selbst noch die modernen, so weltlichen Christen in ihren Beweisen vom Jenseits den Grund von dem Elend der christlichen Welt. Statt zu denken an die irdische Bestimmung, an die Bestimmung, die der Mensch hier erreichen sott und kann, aber nicht erreicht, denken sie nur an die Bestimmung, die er nicht erreicht, weil er sie nicht erreichen kann und sott, um sich die Notwendigkeit einer jenseitigen Existenz zu sichern. So opfern sie die wirkliche Bestimmung einer eingebildeten, die wirklichen Bedürfnisse des Menschen phantastischen sogenannten religiösen Bedürfnissen auf.
Der rationalistische Christ stößt sich nämlich nicht hieran, wie wir gesehen, daß unzählige Menschen hier nicht zu menschlicher Existenz gelangen, denn dieser Anstoß würde ihm bloß die Forderung eines irdischen Jenseits abnötigen, die Forderung, daß der Staat, die Menschen dafür sorgen, daß jedem Menschen werde, was des Menschen ist. Nein! er schweift mit seinem Supranaturalisten-Gelüste über die Erde, über das Leben überhaupt hinaus; er behauptet, daß selbst die Bevorzugten, die Glücklichen, die, welche schon hier in den Schätzen der Kunst und Wissenschaft schwelgen, hier keine volle Befriedigung finden. Welcher Künstler, ruft er aus, kann alle Künste, welcher Gelehrte alle Wissenschaften umfassen, und wenn auch einer alle umfaßte, wie vieles weiß der Mensch nicht, was er wissen möchte! Der Rationalist dichtet hier dem Menschen eine Unbeschränktheit und Universalität des Triebes an, die wenigstens eine höchst seltene Ausnahme von der Regel ist, gleichwohl, wo sie stattfindet, hier ihre Befriedigung findet, denn der universelle Trieb interessiert sich nicht für das Einzelne und Spezielle, er befriedigt sich daher auf die ihm entsprechende, auf universelle Weise. Der Mensch hat, in der Regel wenigstens, produktiven, aktiven Sinn nur für die eine Kunst und höchstens die damit verwandten Künste. Wenn auch einer mehrere oder gar alle Künste umfaßt, wenn er auch, wie Michel Angelo, Dichter, Maler, Bildhauer, Baumeister ist, so wird er doch nur eine Kunstart oder doch Kunstgattung zur Hauptsache machen. Der Mensch ist vollkommen glücklich und zufrieden, wenn er nur in einer Art Vollkommenes leistet, nur einem Kunstsinn Genüge leistet. Kann er seine übrigen Kunstsinne nicht durch eigene, so kann er sie dann ja durch die Produktionen anderer befriedigen. Wozu ist es nötig, daß ich selbst musiziere, wenn mir andere den Genuß der Musik verschaffen? Deswegen leben ja eben die Menschen ein gemeinschaftliches Leben, daß sie sich auch in dieser geistigen Beziehung ergänzen, was der eine selbst nicht tun kann, der andere für ihn tut. Vieles verlangen wir sogar deswegen allein nicht zu wissen, weil wir es von anderen gewußt wissen. Es ist aber nicht einmal wahr, daß über der Befriedigung eines Triebes, über der Ausbildung einer Anlage eine andere in dieser traurigen Welt zurückgedrängt wird und daher einer künftigen, besseren Welt bedarf, um zur Freiheit und Entfaltung zu gelangen. Ein Maler, der poetischen Sinn hat, wird diesen auch innerhalb der Malerei befriedigen und betätigen, ein Handwerker, der Kunstsinn hat, diesen auch innerhalb des Handwerks äußern. Alle Tätigkeit, die nicht eine ganz vereinzelte, mechanische ist, erfordert den ganzen Menschen, erfordert alle Kräfte und gewährt eben deswegen allseitige Befriedigung. Alle Kunst ist Poesie, aber ebenso könnte man auch in gewissem Sinne sagen, alle Kunst ist Musik, Plastik, Malerei. Auch der Poet ist Maler, wenn auch nicht mit der Hand, doch mit dem Kopf; auch der Tonkünstler ist Plastiker, nur daß er seine Gestalten in das flüssige Element der! Luft versenkt, deren Eindrücke daher im Zuhörer nur in entsprechenden Bewegungen ihre körperliche Darstellung finden; auch der Maler ist Musiker, denn er stellt nicht nur die Eindrücke dar, die die sichtbaren Gegenstände auf sein Auge allein, sondern auch auf das Ohr machen; wir sehen nicht nur in seinen Landschaften, wir hören auch den Hirten blasen, die Quelle fließen, die Blätter zittern. Der Mensch büßt über der Ausbildung seines Talentes zu dieser oder jener Kunst wohl die technische Fertigkeit zu einer anderen ein, die mechanische Seite, die nur Sache der Übung ist, aber nicht die Anlage; nur das äußerliche Organ, aber nicht den Nerven, oder nur die peripherischen, aber nicht die Zentralnervenenden eines Talents. Es ist hier, wie mit den Sinnen, aus deren teilweisem Mangel der psychologische Aberglaube auf ein reines Nichtsein derselben, folglich auf die Unabhängigkeit des Menschen von den Sinnen, auf das Dasein einer sinnlosen Seele geschlossen hat, ohne zu bedenken, daß der Mensch den Mangel des fehlenden oder der fehlenden Sinne durch die anderen Sinne soviel als möglich zu ersetzen sucht, also gerade dadurch die Unentbehrlichkeit oder Notwendigkeit des mangelnden Sinns beweist, daß er, wenn ihm auch das Organ, die technische Fertigkeit z. B. des Sehens abgeht, doch wenigstens die Anlage, das Talent gleichsam zum Sehen hat, daß, wenn auch die äußerliche Bedingung des Sehens nicht vorhanden ist, doch die Sehnervenursprünge da sind, also der Sinn, wenn auch, sozusagen, kein sichtbares, peripherisches, populäres, doch ein zentrales, esoterisches, eingewickeltes Dasein im Hirn hat, und eben deswegen der Mensch den Trieb zum Sehen hat, und daher diesen Trieb durch die übrigen Sinne so viel als möglich zu befriedigen sucht.[Anmerkung 18] So ist es also auch auf dem Gebiete der Kunst, nur mit diesem großen Unterschied, daß der Mangel eines Sinnes immer ein wirklicher, beklagenswerter Mangel, ein Unglück ist, während der Mensch in der Ausbildung und Befriedigung eines Kunstsinns volle Befriedigung findet, also nicht die Befriedigung der anderen Kunstsinne vermißt, weil er in dem Maße, in welchem er sie hat und ihre Befriedigung wünscht, sie auch schon innerhalb oder neben dieser einen Kunst findet, der er die übrigen subordiniert. Es ist nämlich immer, wenigstens in solchen Menschen, die sich irgend worin ausgezeichnet haben, eine Neigung, ein Trieb vorherrschend, die übrigen unterwerfen oder akkomodieren sich als untergeordnete Talente dem Genie dieses einen Triebes. So findet jeder Trieb, natürlich nur in normalen Lebensverhältnissen, denn nur diese kommen ja hier in Betracht, seine Befriedigung, aber nur in dem Maße, als er sie verdient und begehrt. Michel Angelo dichtete; er befriedigte also neben seinen anderen Kunstsinnen auch seinen poetischen Sinn, aber betrachtete und betrieb seine Dichtkunst nur als Nebensache, eben weil der Trieb zur eigentlichen Poesie nur Neben- nicht Haupttrieb war. Wie er, nach seinen eigenen Worten, seine Frau in seiner Malerei, seine Kinder in seinen Werken, so hatte er auch seine Poesie nicht in der Schreibfeder, sondern im Griffel und Meißel. Jeder Trieb, der ein wirklicher, nicht nur eingebildeter ist wie vieles bilden sich auch die Menschen in dieser Beziehung ein! macht sich schon in diesem Leben Platz, aber der eine Trieb ist nur der Trieb zu einem Grashalm, der andere der Trieb zu einer Palme; jener findet daher Platz und zwar Platz in Überfluß in dem engen Raum einer müßigen Nebenstunde, dieser aber nur in dem geräumigen Atelier der Arbeitszeit. Jeder Trieb befriedigt sich, aber das Maß seiner Stärke und Tiefe ist auch das Maß seiner Befriedigung. Wenn daher ein christlicher Rationalist einem Michel Angelo auf Grund seiner hier nicht zur vollständigen Entfaltung gekommenen dichterischen Anlagen die Hoffnung auf ein poetisches Jenseits machte, so würde ihm dieser gewiß seine Gedichte als Bagatelle an den Kopf werfen und zu verstehen geben, daß er ihn mit der Unsterblichkeit verschonen möge, wenn er ihm auf Grund seiner Kunstwerke keine Unsterblichkeit verheißen könne. Ich verlange, würde er ihm sagen, die Unsterblichkeit auf Grund dessen, was ich im Schweiß meines Angesichts meinen Neidern und Feinden zum Trotz geleistet habe, nicht auf Grund dessen, was ich vielleicht hätte leisten können. In der Poesie hat schon Dante das Höchste geleistet; er hat mir die poetische Unsterblichkeit weggenommen; aber in der Malerei war noch kein Dante; dieser bin Ich. Was ich aber bin, das will ich auch bleiben, das erschöpft mein Wesen, das ist allein die Bürgschaft meiner Unsterblichkeit. Ne sutor ultra crepidam. Merk dir diesen Spruch, phantastischer Christ! auch in Beziehung auf dein Jenseits. Der Mensch ist der Schuster, und die Erde sein Leisten.
Wie mit dem Kunstsinn ist es mit dem Wissenstrieb. Abgesehen davon, daß es unzählige Menschen gibt, welche keinen Wissenstrieb haben, ob es gleich ihnen nicht an Gelegenheit und Mitteln zu dessen Erweckung gefehlt hat, welche die Befriedigung dieses Triebes sogar für eine blose Eitelkeit ansehen, es für Torheit halten, sich um dem Menschen so ferneliegende Gegenstände, als z.B. Sterne, Moose, Infusorien sind, zu bekümmern, so findet auch dieser Trieb seine volle Entwickelung, wo keine Unglücksfälle dazwischen kommen, die aber hier nicht in Betracht kommen, denn die Notwendigkeit des Jenseits soll ja auch das normalste, glücklichste Menschenleben nicht aufheben. Und gerade je reeller und universeller dieser Trieb ist, desto mehr findet er hier Nahrung und Befriedigung. Insgemein hat jedoch der Mensch nur eine vorherrschende Neigung für ein bestimmtes Gebiet des Wissens. Und dieser bestimmte Wissenstrieb saugt gewöhnlich den ganzen Wissenstrieb des Menschen in sich auf, so daß der Mensch nur die Gegenstände seines Wissens für das einzige Wissenswürdige hält daher die lächerliche Eitelkeit, Dünkelhaftigkeit und Borniertheit der gewöhnlichen Fachgelehrten. So hat der Philolog in seinem Glossarium, der Historiker in seiner Chronik, der Theolog in seiner heiligen Schrift, der Jurist, wenigstens der Romanist, in seinem Corpus Juris den Inbegriff aller Wissenswürdigkeiten. Der Theolog, wenigstens der echte, unverdorbene, begreift nicht, wie man, statt in der Bibel, den Aristoteles oder sonst einen Profanskribenten studieren, der Jurist nicht, wie man statt den Grillen des Rechts den Grillen der Natur Gehör schenken, der Literaturhistoriker nicht, wie man an einem Dichter oder Denker, der noch nicht aus einem lebensfrischen sinnlichen Wesen ein Objekt der toten historischen Gelehrsamkeit geworden, auch nur den geringsten Geschmack finden kann. Der letzte Punkt in seinem Buch ist das Punctum satis des menschlichen Geistes. So erstreckt sich der Wissens- und Wahrheitstrieb des Menschen nicht weiter, als sein Egoismus. Jeder interessiert sich nur für das, was seinesgleichen ist. Jeder verlangt nicht mehr zu wissen, als er überhaupt ist und verlangt zu sein; er verlangt nur das Wissen, das ihm entspricht, ihn bejaht, ihm wohltut. Die Grenze seines Wesens ist die Grenze seines Wissenstriebes. Plato liebt die Wahrheit, liebt die Philosophie; aber er liebt nur platonische Wahrheit, platonische Philosophie. Sein ist mehr als Wissen, Sein ist der Grund des Wissens; aber jeder ist sich unbewußt so wie er einmal ist, die Wahrheit. Jeder will und liebt im Gegenstand, im anderen sich selbst, denn er liebt das andere nur, wie es Ausdruck seines Wesens ist. Der Christ liebt die Tugend, aber er liebt nicht die heidnische, die sinnliche, manneskräftige Tugend; er liebt nur die christliche, die supranaturalistische, die phantastische, kurz die Tugend, die sein liebes, wohlgetroffenes Ebenbild ist. Jeder verwirft als der Vernunft, der Wahrheit widersprechend, was seinem Wesen, seiner Individualität, seiner Selbstliebe widerspricht; der allerdings große Unterschied ist nur, daß die Individualität des einen eine universelle, die des andern eine beschränkte ist. Jeder läßt nur soviel Licht in seinen Kopf hinein, als mit seinem Selbstgefühl und dem Frieden seines Herzens verträglich ist. Die Vernunft ist immer beim Menschen die gehorsamste Dienerin des Herzens; was er wünscht, das stellt er sich als seiend vor und demonstriert er, wenn er einmal zu räsonnieren anfängt, a priori aus der Vernunft als notwendig. Die Vernunftwahrheiten ändern sich nur, wenn sich die Wünsche, die Herzen, die Bedürfnisse der Menschen ändern. Das supranaturalistische, phantastische Herz hat supranaturalistische, das sinnliche, reelle Herz sinnliche Wahrheit. Daher anerkennen wir auch mit Freuden und ohne Bedenken die Göttlichkeit und Wahrheit der Sinne, wo sie uns etwas sagen, was uns schmeichelt, wohlgefällt, kurz unserer Selbstliebe entspricht; aber wo sie unseren Wünschen, kurz unserem Egoismus widersprechen, verwerfen wir ebenso unbedenklich ihre Gültigkeit und Autorität. So anerkennen wir mit Freuden das Dasein eines Menschen, wenn er geboren wurde, wir rechnen seine Existenz erst von dem Moment an, wo er Gegenstand der Sinne wurde; es fällt uns nicht im Traume ein wir müßten denn in den Platonismus verfallen, aus dem wir jedoch nun und nimmermehr ein liebes Manns- oder Weibsbild, sondern nur eine unsterbliche Seele herausbringen, die für alle gilt, und doch keinem gehört den zeitlichen, sinnlichen Anfang dieses Menschen nicht als seinen wirklichen, wahren Anfang anzunehmen. Aber das Ende des Menschen mit dem Tode leugnen wir, und doch ist, leider! dieses Ende eine ebenso gemeine, einfältige, sonnenklare, sinnfällige Wahrheit, als die Geburt des Menschen, hat es die nämlichen Beweise, die nämlichen Zeugen für sich, wie der Anfang. Hier entfalten sich vor unsern Sinnen die Wahrzeichen der menschlichen Existenz, dort verschwinden sie wieder vor unsern Sinnen. Aber eben dieselben Sinne, die wir bei der Geburt des Menschen als himmlische Wesen, als Götter, als Wahrsager preisen, verfluchen wir beim Tode als elende, destruktive Kommunisten und Lügner. So sind wir nur liberal, freisinnig, wahrheitliebend, wissensdurstig in indifferenten Dingen, oder in Dingen, die unserm Herzen, unserm Egoismus entsprechen; wo aber unser Interesse mit ins Spiel kommt, da machen wir eine Ausnahme von der Regel, da finden wir in unserer Vernunft eine Menge der schlagendsten Gegengründe, da unterbrechen wir gewaltsam die Kette, mit der eine Wahrheit mit andern unleugbaren Wahrheiten augenfällig zusammenhängt. Die bitterste, die schmerzlichste Wahrheit ist aber der Tod; wie sollten wir ihn also anerkennen?
Doch wieder zurück. Der Wissenstrieb ist immer nur beschränkt auf die Gattung, das Gebiet des Wissens, das eben den Neigungen, Interessen, dem Selbst- und Lebenstrieb, kurz der Individualität des Menschen entspricht. Was jenseits dieses Gebietes liegt, hat gar keine Existenz für ihn, ist also auch für ihn gar kein Gegenstand eines Triebes oder Wunsches. Wie lächerlich wäre es, wenn man einem Naturforscher, weil er über dem Studium der Natur das Studium der heiligen Theologie versäumte, die Notwendigkeit eines Jenseits vordemonstrieren wollte, um dort diese Lücke seines Wissens auszufüllen! Was der Mensch hier nicht treibt und weiß, davon will er auch im Jenseits nichts wissen. Wenn man daher ja auf Grund der Lücken des menschlichen Wissens ein Jenseits aufbauen wollte, so müßte man für jedes Fach des Wissens ein besonderes Jenseits etablieren; denn der Theolog verlangt vom Jenseits nur theologische Aufschlüsse, der Jurist nur juristische, etwa über den Fonkschen Prozeß oder sonst einen wichtigen Rechtsfall, über dem er sich hier vergeblich den Kopf zerbrochen hat, der Astronom nur astronomische, der Chemiker nur chemische. Auch hier, wie freilich überhaupt, bestätigt es sich wieder, daß der Sinn des Jenseits nur in das Diesseits fällt. Was der Mensch im Jenseits zu wissen verlangt, ist nicht etwas, was an sich nicht im Diesseits gewußt werden kann, sondern nur was er jetzt nicht weiß. Er will nur die Grenzen, die Schwierigkeiten, die ihm auf seinem Gebiete aufgestoßen sind, beseitigt wissen. Der Mensch hat nichts weniger, als einen supranaturalistischen Wissenstrieb, wie ihm das Christentum oder der Platonismus andichtet, keinen Trieb, der das Maß der menschlichen Natur, welches freilich kein mit dem Zirkel eines philosophischen Systems ausmeßbares, endliches ist, überschreitet; sein Wissenstrieb erstreckt sich nur auf vom Menschen wißbare, also menschliche Gegenstände, auf Gegenstände, die im Laufe der Geschichte ihre Erledigung finden; er empfindet nur solche Mängel und Lücken seines Wissens und gerade die am schmerzlichsten welche das Dasein und die Notwendigkeit eines irdischen, aber nicht himmlischen Jenseits beweisen; denn er will nur die Schranken seines Wissens beseitigt wissen, welche die kommenden, sein Thema fortsetzenden Geschlechter wirklich beseitigen. So übersieht der törichte Christ über dem Himmel im Jenseits den Himmel auf Erden, den Himmel der geschichtlichen Zukunft, in der alle Zweifel, Dunkelheiten und Schwierigkeiten, die die kurzsichtige Gegenwart und Vergangenheit quälten, sich in Licht auflösen. O hättest du, ruft Galilei dem Copernikus nach, die neuen Ergänzungen und Bewährungen deines Systems erleben können, welche Wonne würdest du aus ihnen geschöpft haben! So spricht der wahre jenseitige Mensch, der Mensch der Zukunft zum Menschen der Vergangenheit. Was die Menschheit in der Jugend der Vergangenheit wünscht, das hat sie in Fülle im Alter der Zukunft. Copernikus soll es noch auf seinem Sterbebette betrauert haben, daß er in seinem ganzen Leben den Merkur auch nicht ein einziges Mal gesehen hatte, so sehr er sich auch darum bemühte. Jetzt sehen ihn die Astronomen mit ihren trefflichen Teleskopen am hellen Mittag. So heilt die Zukunft die Leiden des unbefriedigten Wissenstriebes der Vergangenheit. Alle Fragen, die keine läppischen, törichten sind, dergleichen es freilich unzählige gibt, alle Fragen, deren Lösung Sinn, Wert und Bedeutung für die Menschheit hat, finden im Laufe der Geschichte ihre Lösung; freilich oft in einem ganz anderen Sinne als die Vergangenheit es wünschte und meinte. So sind eine Menge Fragen, die sonst für die höchsten Mysterien der Menschheit galten, deren Lösung unsere Vorfahren nur vom himmlischen Jenseits ermatteten, wie die Fragen von der wunderbaren Vereinigung der Gottheit mit der Menschheit in Christo, des Leibes mit der Seele im Menschen, der göttlichen Prädestination oder Vorsehung mit der menschlichen Freiheit für uns, d. h. für diejenigen, welche nicht jetzt noch mit ihrem Geiste auf dem Standpunkt der Zeiten stehen, wo diese Fragen die höchsten Interessen der Menschheit waren, welche die Fortschritte der Philosophie und Naturwissenschaft sich angeeignet haben, längst gelöst, d. h. verschwunden, weil die Vordersätze oder Gegenstände dieser Fragen sich als willkürliche Abstraktionen oder Phantasmen erwiesen haben. Nur dann daher, wenn die Menschheit nicht sich veränderte und vervollkommnete, wenn sie stets auf demselben Punkte, stets auf den ersten unvollkommnen Anfängen der Künste und Wissenschaften stehen bliebe, nur dann wäre die Forderung eines übermenschlichen, überirdischen Jenseits gerechtfertigt. Freilich genügt dieses Jenseits nicht dem ungenügsamen Christen, der seine überschwänglichen supranaturalistischen Wünsche zu Gesetzen der Wirklichkeit, zu Schöpfern künftiger Welten macht. Der Christ will Gott sein; er erklärt ja ausdrücklich die Gottheit als sein Vor- und Urbild; er will unter anderen Eigenschaften der Gottheit daher auch die der Allwissenheit haben; er selbst will alles wissen; daß andere Menschen wissen, was er nicht weiß, daß die Zukunft immer die unaufgelösten Probleme der Gegenwart löst, das kümmert ihn nicht. Diesem überschwänglichen, ungebührlichen Wunsche des Christen, allwissend, Gott überhaupt zu sein, dieser seiner eingebildeten Gottheit widerspricht nun aber die Wirklichkeit, die Menschheit. Er fordert und glaubt daher ein Jenseits, wo diese seine eingebildete Gottheit zur Wirklichkeit wird.
So beweisen uns selbst noch die modernen Christen, daß die Mysterien des christlichen Glaubens nur in dem unglaublichsten, unbegrenztesten, übernatürlichsten Dünkel und Egoismus des Menschen ( scilicet christlichen Menschen) ihren Grund haben. Sie beweisen uns zugleich, daß die Interessen der Kunst und Wissenschaft, auf die sie die Notwendigkeit eines überirdischen Jenseits gründen, nur ein freilich unbewußter Vorwand ihrer Selbstliebe sind. Denn wer wirklich sich für Kunst und Wissenschaft interessiert, der appelliert mit seinen Wünschen an die Nachwelt, der ist eben im Interesse der Kunst oder Wissenschaft vollkommen zufrieden, wenn nur überhaupt ein für jetzt unauflösliches Problem gelöst wird, sollte ihm auch nicht mehr das Glück zuteil werden, ihre Lösung selbst zu erleben. Wer sich einmal auf den Standpunkt von Kunst und Wissenschaft erhebt, ihre Interessen verficht, der muß auch für seine Person auf Allwissenheit und Allmacht verzichten, ja er hat schon unbewußt im voraus darauf verzichtet; denn Künste und Wissenschaften gedeihen nur in der Zusammenwirkung der Menschen; sie sind nicht ein Privateigentum; sie sind ein Gemeingut der Menschheit; sie sind die Stätten, wo der verschriene Kommunismus bereits eine Wahrheit ist. Auch ist diese Resignation keine unnatürliche und schmerzhafte, denn der Mensch wendet sich ja mit vorherrschender Neigung einem bestimmten Gebiete der Künste oder Wissenschaften zu, und ist daher vollkommen befriedigt, wenn er nur in einer Wissenschaft, einer Kunst etwas Tüchtiges weiß und leistet; er ist es um so mehr, als alle Künste und Wissenschaften mit einander Zusammenhängen, jeder spezielle Teil daher gewissermaßen das Ganze abspiegelt, jedes spezielle Wissen daher, wenn auch nicht der Ausdehnung, doch der Kraft nach universelles Wissen ist.
Der Rationalist verspricht übrigens als ein weltlicher Christ, welcher der Gottheit die Natur, dem Jenseits das Diesseits, dem Supranaturalismus den Naturalismus unterschiebt, dem Menschen nach dem Tode oder im Jenseits nicht, wie wir bereits sahen, eine mit einem Mal fertige, sondern sukzessive, keine ewige, sondern zeitliche, keine seiende, sondern werdende Gottheit. Er nähert sich immer mehr Gott an, d. h. eben er wird immer mehr Gott, aber er kommt nie zum wirklichen Gottsein; es bleibt beim Werden. Der Rationalismus schwebt zwischen Himmel und Erde, zwischen Christentum und Menschentum; er verneint das Christentum, indem er es bekennt, bejaht. Der Mensch ist ihm zugleich ein himmlisches, supranaturalistisches, göttliches, phantastisches Wesen, denn er ist Christ, aber auch zugleich ein irdisches, menschliches, zeitliches Wesen, denn er ist ebensoviel Nichtchrist, als Christ. Der sinnfällige, gegenständliche Ausdruck dieses Widerspruchs ist sein Jenseits, wo er Gott ist, aber auf nicht göttliche, sondern auf menschliche Weise, ewig, aber auf zeitliche, unendlich, aber auf endliche, vollkommen, aber auf unvollkommene Weise. Er dichtet daher dem Menschen eine unendliche, eine unerschöpfliche, eine nie zu befriedigende, nie zu realisierende Vervollkommnungsfähigkeit an-eine Fähigkeit, die daher notwendig auch ein unendliches, ein nie ans Ziel kommendes, ein von Jahrtausenden zu Jahrtausenden, von Ewigkeit zu Ewigkeit fortgehendes Leben erfordert. Aber nirgends zeigt sich die Phantastik des Jenseitsglaubens und seine Unkenntnis der wirklichen Menschennatur mehr, als eben gerade darin, daß er an dieselben alten Individuen die Fortschritte der Zukunft anknüpft. Neue Tugenden, neue Einsichten, neue Geister entstehen nur, weil immer neue Körper, neue Menschen entstehen. Fortschritte macht die Menschheit in dem Diesseits nur deswegen, weil an die Stelle der alten unverbesserlichen Stockgelehrten und Stockphilister überhaupt neue, frische, bessere Wesen treten, denn die Jugend ist immer besser, als das Alter, wie die Kronprinzen immer, solange sie wenigstens Kronprinzen sind, besser als ihre königlichen Väter, weil die Jungen die Fehler der Alten bemerken und daher das Gegenteil von ihnen tun und sind, bis sie selbst wieder in die Fehler des Alters fallen. Die Alten, gleichgültig, ob sie leiblich oder geistig auf dem Standpunkt des Alters stehen, sträuben sich immer aus allen Leibeskräften gegen neue Erkenntnisse, verwerfen sie als unpraktisch, unwahr, nichtig, eitel, und betrachten ihre Verkünder, die Neuerer, wenn sie gleich im Vergleich zu den alten Sündern und Heuchlern wahre Heroen, ja Götter sind, als unsittliche, frivole, verderbliche Menschen. So hat es die Menschheit zu allen Zeiten gemacht, wo Neues, Besseres ans Licht kam, so macht sie es ja in diesem Augenblick wieder. Das Alte ist immer das Gute, das Rechte, das Wahre, das Heilige, das Praktische, das Heilsame; das Neue ist das direkte Gegenteil. Mit denselben Worten sogar, mit welchen heute die alten protestantischen Philister, seien sie nun Alte an Geist oder Leib, alle die, welche jetzt neues, besseres Leben, Wissen und Wollen der Menschheit anstreben, lästern und verdammen, mit denselben Worten lästerten und verdammten einst die Katholiken die Lutheraner und Protestanten überhaupt, einst die Heiden die Christen. Der Mensch hat so wenig einen unbegrenzten Vervollkommnungstrieb, daß ihm vielmehr, wie der Materie überhaupt, ein ganz entgegengesetzter Trieb, der Beharrlichkeitstrieb, die Vis inertiae einwohnt, wie vor allen Dingen die Religion beweist, die nichts anderes ist, als die beharrliche Festhaltung von Meinungen und Vorstellungen, die zur einer bestimmten Zeit das Maß des menschlichen Denkens und Wesens überhaupt erschöpften, das Höchste ausdrückten, was er sich denken und vorstellen konnte, aber als maßgebend, bindend und bestimmend für alle Zeiten von Geschlecht zu Geschlecht »wie eine ewige Krankheit« sich fortgeerbt haben. Er hat so wenig einen unendlichen Wissens- oder Vervollkommnungstrieb überhaupt, daß er vielmehr die Grenzen des Wissens, das er zu einer bestimmten Zeit hat, sei's nun bewußt oder unbewußt, für die Grenzen der menschlichen Natur, also für keine Grenzen, sondern für die einzig möglichen, richtigen, wahren Bestimmungen hält, folglich das, was er jetzt denkt, weiß, glaubt und tut, für das Höchste hält, was der Mensch überhaupt denken, wissen, glauben und tun kann, daß er daher, statt einen Trieb zu fühlen, diese Schranken aufgehoben zu wissen, sie zu Gesetzen macht, sie verewigt und vergöttert. Jede Zeit preist darum ihre Dichter, ihre Künstler, ihre Philosophen, ihre Helden als unsterblich, wenn sie gleich in der nächsten Zeit schon vielleicht nicht mehr auch nur dem Namen nach existieren. Jede Zeit löst die selbst ihr unauflöslichen Probleme auf ihre Weise, auf die Weise, die für sie die wahre ist, denn jede andere Lösung, wenn sie gleich die richtige ist, hätte für sie keinen Sinn, weil sie nicht in den Zusammenhang ihrer übrigen Vorstellungsweise, nicht in ihr System paßte.[Anmerkung 19] Jede Zeit hat so viel Wissenschaft und Wahrheit, als sie deren bedarf und verlangt. Was ihr nicht recht bekannt ist, das macht sie sich auf die ihr gemäße Weise bekannt, und was ihr völlig unbekannt ist, darnach hat sie begreiflicherweise kein Verlangen. Die Grenze des Wissens ist auch die Grenze des Wissenstriebes. Wer nicht weiß, daß der Mond größer ist, als er aussieht, verlangt auch nicht zu wissen, wie groß er ist. Wer nicht weiß, daß außer seinem Lande noch andere Länder sind, hat keinen Trieb zur Länderkunde. Der Trieb überschreitet nicht das Maß des Vermögens zur Befriedigung desselben. Der Trieb ist ja eine Kraftäußerung, folglich nicht stärker, als die Kraft der Befriedigung. Ich bin nicht mehr getrieben zu tun, als ich zu tun im Vermögen habe, wenn anders mein Trieb nicht ein vorgespielter, eingebildeter, sondern ein wirklicher Trieb meiner Natur ist. Als der Grieche mit seinen Händen noch nicht den olympischen Zeus bilden konnte, da hatte er auch noch nicht in seinem Kopfe das Ideal des Phidias, und in seinem Herzen nicht das Bedürfnis eines solchen Kunstwerkes. Jede Zeit, jeder Mensch, der nicht das Unglück hat, durch einen gewaltsamen Tod in seiner Laufbahn unterbrochen zu werden, erreicht daher auch, wenn auch nicht in seiner Einbildung denn zwischen Denken und Sein, Vorstellung und Wirklichkeit ist ein ewiger, untilgbarer Unterschied oder Widerspruch , doch in Wahrheit sein Ideal; denn was ist das Ideal? Es ist mein wesentlicher Naturtrieb, mein wesentliches Vermögen als Gegenstand der Vorstellung, des Bewußtseins, folglich als Zweck meines Lebens, als Ziel meines bewußten Strebens. Wie die Kraft, so das Ideal. Wo die Menschheit keine anderen Gedichte machen kann, als Gottschedsche, da gilt ihr auch Gottsched für das Ideal eines Dichters. Die Theisten erblicken in solchen Erscheinungen, wie diese, daß die Vorstellungen der Menschen nicht ihre Bedürfnisse überschreiten, Beweise einer besonderen göttlichen Weisheit und Vorsehung; aber wie die Erscheinungen in der Natur, welche am meisten die Theisten als Beweise einer unendlichen Weisheit bewundern, wie z. B. die verschiedenen Arten der tierischen Selbsterhaltung und Fortpflanzung nur Beweise von der Unwissenheit, Beschränktheit und Bedingtheit der Natur sind, so ist auch jene geschichtliche Erscheinung nur ein Beweis von dem richtigen Takt der menschlichen Beschränktheit und Selbstliebe.
Woher kommt es denn aber, daß die Menschen auf der Beharrlichkeit und Ewigkeit ihrer wissenschaftlichen und religiösen Systeme, Begriffe, Vorstellungen, Meinungen und Einrichtungen mit solcher Hartnäckigkeit bestehen? Daher, daß wie wir schon oben sahen, mit der, übrigens nur scheinbaren, Ausnahme solcher Menschen, die sich besonders durch ihren Kopf auszeichnen, in denen die Kopftätigkeit die alle anderen Tätigkeiten überwiegende ist, daher der Glückseligkeitstrieb mit dem Wissenstrieb in eins zusammenfällt der Wissenstrieb an dem Glückseligkeits-, Lebens-, Selbstbehauptungstrieb, oder wie man diesen Trieb nennen will, seine Grenze, sein Maß hat; der Wissenstrieb, der Geist, die Vernunft überhaupt nichts Selbständiges, nichts vom Menschen Unterschiedenes ist. Ich, dieser Mensch ist es ja, der denkt, weiß, glaubt. Was ich bin, das denke ich daher unwillkürlich als wahr; und wie ich überhaupt bin, so denke ich. Der Typus meiner Individualität ist auch der Typus meiner Vernunft. Mein Denken, Wissen, Erkennen ist eines mit mir. Wir stimmen in der Vernunft nicht mehr überein, als im Menschen. Wir sind alle Menschen, aber jeder ist ein anderer Mensch. Alle unterschiedslosen Übereinstimmungen der Menschen in Glaubenssachen sind nur gewaltsam erzwungene oder erheuchelte. Wir können uns wohl die Gedanken anderer aneignen, die im besonderen von den unseren abweichen; aber solche, die dem Wesen, der Gattung nach uns widersprechen, sind uns unassimilierbare Gifte. Daher sind wahre Freunde auch nur die, die auch in der Gattung wenigstens des theoretischen Denkens mit einander übereinstimmen; wo, versteht sich nicht in indifferenten oder partikulären Dingen, theoretische Differenzen obwalten, da werden sich bald auch noch ganz andere Differenzen herausstellen; denn die theoretische Differenz ist nur Ausdruck einer Differenz des Seins, des Charakters, der Persönlichkeit. Daher geht auch der Haß gegen das theoretische Wesen eines Menschen in persönlichen Haß über, die Liebe, die Zuneigung zu den Lehren eines Menschen dagegen in persönliche Zuneigung, oder setzt sie schon voraus. Einem Theologen daher zumuten, er sollte seine supranaturalistischen Vorstellungen für Träume erkennen, das heißt in seinem Sinne ihm zumuten, er soll aus einem Engel ein Teufel werden. Einem reinen Büchergelehrten, der nie von seinen Augen einen anderen theoretischen Gebrauch gemacht hat, als daß er mit ihnen Bücher las eine Tätigkeit, wobei das Sehen nur ein untergeordnetes und unwesentliches Mittel ist, denn das geschriebene kann ich ja auch durch das Ohr vernehmen zumuten, er solle die Sinne als Lehrmeister und Urheber der Wissenschaft anerkennen, ist ebensoviel, als wollte man einen Blinden zum Sehen auffordern. Einem Menschen überhaupt zumuten, er solle seine, natürlich wesentlichen, in seiner Denkart begründeten Meinungen, Begriffe und Glaubensvorstellungen aufgeben, das heißt ihm zumuten, er soll sein Wesen, er soll sich selbst aufgeben. Und wer wird das tun? Nirgends zeigt sich daher die Arroganz und Dünkelhaftigkeit der gewöhnlichen Gelehrten mehr, als in ihren Kritiken und Widerlegungen von Werken, die den alten, herkömmlichen, geheiligten Begriffen, Vorstellungen und Meinungen widersprechen. Sie bilden sich ein, sie könnten sich auf einen Augenblick wenigstens in den Standpunkt des Verfassers hineindenken, d. h. sie stehen in dieser, freilich auch noch anderer Beziehung auf dem Standpunkt der Kamtschadalen und anderer rohen Völker, welche glauben, daß die Seele aus dem Leibe herausspazieren und in andere Leiber übergehen könne. Allein so wenig sich die Seele der Gans in den Leib des Adlers, so wenig kann sich eine befangene theologische Seele in das Wesen eines freien Menschen und Denkers hineinversetzen. Der Neuerer, die geistige Jugend versteht wohl das Alter, aber das Alter versteht nicht die Jugend, wie selbst im häuslichen Leben die Eltern tagtäglich zum Verderben ihrer Kinder, im politischen Leben die altklugen Regierungen zum Unheil ihrer jugendlich strebenden Völker beweisen. Die Regierungen unterdrücken mit Gewalt alle in ihrer Meinung den Menschen oder Völkern verderblichen Lehren. Aber es ist nichts törichter und roher, als den Menschen darüber zu bevormunden, was er glauben und denken soll; den Menschen da vertreten zu wollen, wo jeder sich selbst am besten vertritt; da ihn mit afterkluger, scheinbar väterlicher, in Wahrheit despotischer Besorgtheit zu beschützen, wo jeder an dem Instinkt seiner Selbstliebe seinen Schutzgeist hat. Wem der Glaube oder die Lehre, daß die Gottheit, oder, was eins ist, die Unsterblichkeit des Menschen ein Traum ist, wirklich verderblich ist, der verwirft diese Lehre, auch ohne daß ihn die christliche Geistlichkeit oder Polizei unterstützt. Was dem Wohl des Menschen widerspricht, widerspricht seinem Wesen. Was aber meinem Wesen widerspricht, das stoße ich von mir ab. Allmächtig ist der Selbsterhaltungstrieb. Wohl kann eine neue Wahrheit oder Lehre anfänglich störende, verderbliche Wirkungen äußern, weil mit den alten Vorstellungen auch immer dem Menschen alle Grundlagen seiner Existenz zu schwinden scheinen, aber diese Wunden heilen von selbst mit der Zeit. Die erst bittere Wahrheit wird später zur trauten Herzensfreundin. Allerdings kann man auch Individuen und ganzen Völkern ihrem Wesen widersprechende Vorstellungen und Lehren aufdrängen; aber wo das geschieht, da wird ihnen auch fremdes Wesen aufgedrungen, ihr eigenes gewaltsam unterdrückt. Den Völkern, denen man das alle Menschen über einen Leisten schlagende Christentum aufgedrungen, hat man immer zugleich mit dem Joch des christlichen Glaubens auch den christlichen Despotismus oder doch den christlichen Branntwein aufgedrungen.
Es ist daher immer nur die neue Generation, die Jugend, welche eine Besserungs- und Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen beweist, und zwar aus dem einfachen, ganz natürlichen Grunde, weil die Jugend noch offen, unbestimmt, ungebunden ist, also kein persönliches, egoistisches Interesse hat, sich gegen eine neue Wahrheit zu stemmen, wie die Alten, welche aus Selbstsucht, Eitelkeit, Vorurteil, Gewohnheit, Amtspflicht, Altklugheit geschworene Feinde aller gründlichen Neuerungen sind. Wenn wir darum in Gedanken von den wirklichen Menschen den Allgemeinbegriff des Menschen abziehen und die entgegengesetzten Eigenschaften, welche die Menschen in der Wirklichkeit zeigen, in diesen Allgemeinbegriff zusammenfassen, so bekommen wir den Satz: der Mensch ist ebensowohl ein stabiles, allen Fortschritten feindliches, immobiles, als ein progressives, neuerungslustiges, bewegliches Wesen. Allein die Bereinigung solcher sich widersprechender Eigenschaften, wie der Stabilität oder Ewigkeit und Perfektibilität, in einem und demselben Subjekt oder Wesen ist nur in der mirakulösen Dialektik des christlichen Rationalismus möglich und gültig. In der Wirklichkeit und der auf die Anschauung derselben gegründeten Vernunft löst sich dieser Widerspruch dadurch, daß diese entgegengesetzten Eigenschaften auch in entgegengesetzte Wesen fallen die Eigenschaft der Dieselbigkeit, Beharrlichkeit und Beständigkeit sowohl im Diesseits als Jenseits in die alten Menschen, die Unbeständigkeit, Besserungs- und Vervollkommnungstätigkeit aber in die neuen, jungen Menschen. Die Perfektibilität des Menschen spricht daher so wenig für ein Jenseits, d. h. für eine Fortdauer, daß vielmehr nur der Tod, der Untergang der alten verstockten Sünder und Philister die Bedingung des Fortschritts ist, nur auf das Nichtmehrsein der Alten, des Semper Idem, die Hoffnung eines besseren, neueren Seins sich gründet. Glauben, daß man immer dieselbe Person, dasselbe Wesen bleiben und doch unendliche, also wesentliche Fortschritte machen könne, ist purer Mirakelglaube. Der Mensch auf einer höheren, wesentlich vollkommeneren Stufe ist notwendig auch ein wesentlich anderer Mensch, als der auf einer niederen Stufe.
Wie töricht wäre es, wenn man einen Griechen aus dem Zeitalter der ersten rohen Hermen in das Zeitalter eines Phidias und Sophokles versetzte, um ihm aus christlicher Perfektibilitätsliebhaberei den Genuß der Anschauung vollkommener Kunstschönheit zu verschaffen! Der alte Grieche, auf diesen Standpunkt versetzt, würde entweder sich nicht mehr als sich selbst oder die Kunstwerke eines Phidias nicht als das, was sie sind, erkennen; denn er hätte keinen Sinn für sie. Sein Kunstsinn und Kunsttrieb ging nicht weiter, als die Kunstwerke seiner Zeit; ihre Rohheit war der befriedigende Ausdruck seiner eigenen Rohheit. Ich kann ihm nicht seinen unvollkommenen, rohen Kunstsinn nehmen, ohne ihm sein Wesen und Selbstbewußtsein zu nehmen. Der diesseitige, unkultivierte und der jenseitige, verfeinerte, vergeistigte, vervollkommnete Grieche sind, obwohl beide Griechen, doch so total andere Wesen, daß man diesen Widerspruch nur vermittelst verschiedener Zeiten und Generationen erklären, diese Gegensätze also nicht durch die Wundertätigkeit der christlichen Dialektik in einander vermischen oder vereinen kann, ohne daß das Resultat nichts, d. h. ein phantastischer Unsinn ist.
Denken wir uns, um ein anderes uns näher liegendes Beispiel zu geben, einen alten heidnischen Germanen und dagegen einen modernen christlichen Deutschen. Welch ein Abstand! Wer kann sich einbilden, daß derselbe Germane, der nur im Kriegsgeschrei und Waffengeklirre die Stimme der Gottheit vernimmt, sich an den süßen Flöten- oder »Glockentönen« eines königlich preußischen Dompfaffen delektieren könne, ohne mit dieser Geschmacksverfeinerung sein ganzes, selbst leibliches Wesen einzubüßen? Ich sage selbst leibliches Wesen. Denn kann dieselbe Hand, die ein altdeutsches Schwert führte, ein musikalisches oder chirurgisches oder physikalisches Instrument oder gar die diplomatische, intrigante Feder eines christlich-germanischen Heuchlers und Denunzianten führen? Kann derselbe Magen den biederen altdeutschen Gerstensaft und den chinesischen Tee eines »gebildeten« christlich-germanischen Abendzirkels vertragen? Unmöglich; so wenig du aus Gerstensaft Tee machen kannst, so wenig kannst du einen alten Deutschen zu einem Neudeutschen promovieren, ohne daß du zu verschiedenen Zeiten und Personen deine Zuflucht nimmst. Wenn daher im Jenseits sich der Mensch vervollkommnet, so ist diese Vervollkommnung entweder eine wesentliche, radikale, oder eine unwesentliche, oberflächliche. Ist sie jenes, so hebt sie die Einheit meines Wesens und Selbstbewußtseins auf; ich werde ein ganz anderes, von mir unterschiedenes Wesen so unterschieden, als es der künftige Mensch ist, der nach meinem Tode mein Thema fortsetzt und vollendet; ist sie aber das letztere, bleibe ich derselbe, so bleibt auch der wesentliche charakteristische Grad meiner Stufe und Vollkommenheit derselbe, so erhalte ich höchstens nur quantitativen Zuwachs und Zusatz, aber dann ist eben auch das Jenseits selbst nur ein müßiger, überflüssiger, nichtsnutziger Zustand.
Allerdings hat der Mensch, selbst der stabile, unter dem Vorwand ewiger Fortschritte auf seiner Ewigkeit und Beharrlichkeit bestehende Mensch einen Vervollkommnungstrieb; aber dieser Trieb darf nicht vom Menschen abgezogen, verselbständigt und nun bis in die Unendlichkeit der theologischen Phantastik hinein gesteigert werden. Der Vervollkommnungstrieb des Menschen ist ein untergeordneter, ein sit venia verbo! akzidenzieller, nicht substanzieller Trieb. Der Grundtrieb des Menschen ist der Selbsterhaltungs-, Selbstbehauptungstrieb, also der Trieb der Beharrlichkeit. Die Wünsche des Menschen, wenigstens die gegründeten, die nicht aus der Luft gegriffenen, erstrecken sich nicht über die Grenze dessen, was er seiner wesentlichen, charakteristischen Bestimmtheit nach ist. Die Wünsche des Bauern gehen nicht über den Bauernstand, die des Gelehrten als solchen nicht über den Gelehrtenstand, die des Philosophen als solchen nicht über die Philosophie hinaus. Diogenes will kein Alexander, Napoleon kein Raphael, Napoleon will nur immer mehr Napoleon, Diogenes immer mehr Diogenes, der Gelehrte immer mehr Gelehrter, der Bauer versteht sich, der gerne, mit Neigung Bauer ist kein großer Gelehrter oder Staatsmann, sondern nur ein großer Bauer werden. Der Eskimo sehnt sich selbst in London nach seinem Seehundfleisch; seine Wünsche übersteigen nicht die Grenzen seines Gebietes; er will nur sein und haben, was der Eskimo überhaupt haben und sein kann. So will der Mensch überhaupt nichts anderes sein und haben, als er bereits ist und hat, aber in einem höheren Grade, vermehrt, gesteigert.[Anmerkung 20] Der Vervollkommnungstrieb ist nur der Beharrlichkeits- und Selbsterhaltungstrieb im Komparativ und Superlativ; er ist ein quantitativer und eben deswegen ein durch die Qualität, die Ortbestimmtheit meines Wesens beschränkter Trieb. Die Bestimmtheit, das Maß meiner Fähigkeiten, Anlagen und Talente ist auch das Maß, die Bestimmtheit und Grenze meiner Vervollkommnungsfähigkeit. Ich bleibe daher meinem wesentlichen Charakter nach immer auf demselben Punkte stehen; denn ich kann mich nur soweit vervollkommnen, als ich mich überhaupt im Laufe der Zeit verändern kann, ohne aufzuhören, derselbe zu sein. In den ersten Anfängen der Kulturgeschichte eines Individuums ist darum schon der Charakter angedeutet, den es auf dem Höhenpunkt seiner Entwickelung darstellt; denn, wie es eine Blütezeit des Leibes, d. h. des Blutlebens, der plastischen, vegetativen Tätigkeit gibt, so gibt es auch eine Blütezeit des Geistes, d. h. des Nerven-, insbesondere Hirnlebens. Und wir sind nur solange in der Vervollkommnung begriffen, solange wir nicht diesen Höhepunkt, diese Blütezeit erreicht, d. h. für unser Talent, unser Wesen noch nicht den klassischen, den entsprechenden Ausdruck gefunden haben. Wir machen zwar immerfort Fortschritte; wir machen sie solange, als sich ein Tag an den anderen reiht; aber es sind nur quantitative. Wir bilden uns zwar ein, so oft wir ein neues Werk schaffen, etwas wesentlich neues zu bringen; aber so wie das Werk nur einige Zeit fertig vor uns dasteht, so erwachen wir aus dieser Täuschung und erkennen die Verwandtschaft, die Wesenseinheit desselben mit den vorangegangenen. Wie die Naturforscher eine Freude daran haben, die geringsten Unterschiede zu neuen Arten und Gattungen zu machen, um mit dem Namen einer neuen Pflanze, eines neuen Tieres oder Steines sich selbst einen Namen zu machen; so lieben wir alle es, die quantitativen Zuschüsse, die wir eigentlich nur der Güte der Zeit verdanken, auf Rechnung unserer Virtuosität zu setzen, und die sich im Laufe des Lebens bildenden Varietäten unseres Wesens als neue Arten und Gattungen aufzustellen. Allein die Art, Gattung, Form, der Typus, der Charakter (oder wie man es sonst nennen will) unseres sowohl moralischen, als intellektuellen Wesens ändert sich nicht. Aus einem schlechten Dichter wird ebensowenig ein guter, vollkommener Dichter, aus einem verschrobenen, abergläubischen Kopf ebensowenig ein richtig und helldenkender Kopf, aus einem tückischen, neidischen, kriechenden Charakter ebensowenig ein nobler Charakter, als aus einem Nachtschatten eine Lilie, aus einem Esel ein Roß wird. Alle Fortschritte, die ich mache, bleiben sich ja der Art, dem Wesen nach immer gleich, denn sie tragen ja immer meine Farbe so gut, als die Fortschritte der Gans, soviel sie auch deren macht, immer Gänseschritte sind und bleiben, die Jahrringe der Eiche, so viele sie auch in ihrem rastlosen Ausdehnungstrieb ansetzt, immer Eichenholz. Die moralischen Wunderkuren des Christentums gehören ebenso, wie seine Totenerweckungen und physischen Wunderkuren, ins Reich der Fabeln, oder wenn ihnen ja hie und da etwas Geschichtliches zugrunde liegt, in das Gebiet der absichtlichen oder unwillkürlichen Entstellungen, Übertreibungen und Renommistereien, die sich jede Religion zur Betörung des gläubigen Pöbels erlaubt. Allerdings wirkt alles Neue anfänglich erschütternd, umwälzend; aber bald stellen sich wieder, höchstens nur in anderer Weise, die alten Eigenschaften, Neigungen und Fehler ein, gleichwie die Heiden, wenn sie zu dem christlichen Gott bekehrt werden, in allen entscheidenden Fällen immer wieder zu den alten Göttern zurückkehren, die Bastarde immer wieder nach einigen Generationen in die Urformen zurückschlagen. So kehrt denn auch der Christ trotz dem Eide der Treue, den er in der Taufe dem neuen Adam schwört, immer wieder zum alten Adam zurück. Alte Liebe rostet nicht, heißt es auch hier.
Allerdings gibt es auch wirklich Revolutionen und Umwandlungen des Menschen; aber sie sind nichts weniger, als Mirakel. Die Umkehrung des Paulus wiederholt sich noch täglich. Ich heirate nie, ich liebe die Freiheit, ich hasse die Weiber oder Männer, sagt die oder der, aber siehe! Monsieur oder Mademoiselle darf nur den rechten Gegenstand finden, und das Gelübde der ewigen Keuschheit und Freiheit ist gebrochen. Ich hasse die Philosophie, die Zerstörerin des Glaubens, sagt dieser; aber siehe! er braucht nur an das rechte Buch oder den rechten Mann zu kommen, und er wird aus einem leidenschaftlichen Feind ein ebenso leidenschaftlicher Freund der Philosophie. So kommt jeder Mensch mehr oder weniger in seinem Leben an den Punkt, wo er den Eid ewiger Treue, den er irgend einem Götzen geschworen, bricht, weil er ihn als einen unbewußten falschen Eid erkennt. Aber mit dieser Umwälzung ist der Mensch nicht ein anderer, ist er vielmehr jetzt erst er selbst geworden, ist er nur aus einem Traum zum Bewußtsein seines Talentes, Berufes und Wesens erwacht. Aber dieser Akt des Selbstbewußtwerdens ist nun auch der wichtigste, der für alle Zukunft entscheidende, der das Leben quantitativ abschließende Akt, so viele mich selbst überraschende Stufen und Phasen ich auch noch innerhalb der Gattung, der Sphäre, die ich als mein Element erkenne, durchmachen mag.
Unsere Vervollkommnung besteht in nichts anderem, als in der Entwickelung, und die Entwickelung in nichts anderem, als in der Verdeutlichung und Verklärung dessen, was wir sind. Der Sinn unseres Wesens bleibt immer derselbe; es ändern sich nur die Worte; wir sagen immer dasselbe, wir sagen es nur immer deutlicher; alle unsere Fortschritte, alle Werke, alle Worte, in denen wir uns aussprechen, sind nur Synonyme. Unser Wesen tritt immer, solange wie wir wenigstens im Wachstum begriffen sind, entschiedener, klarer, bestimmter hervor; wir reinigen es, durch die Erfahrung gewitzigt, von seinen Fehlern und Auswüchsen, wir werden kritisch, verlieren aber, leider! nur zu oft mit den Fehlern auch die Tugenden unserer Jugend. Der Vervollkommnungstrieb ist daher allerdings auch zugleich ein kritischer Trieb, der eben deswegen kein produktiver ist, kein Trieb, mit dem wir das Christkindchen des himmlischen Jenseits zeugen könnten; denn diese Kritik erstreckt sich nur auf unsere plumpen, augenfälligen und eben deswegen störenden Fehler, denn jeder fühlbare Fehler ist eine Inkommodität, eine Beschränkung unseres Selbstgefühls, widerspricht also unserer Selbstliebe, unserem Glückseligkeitstrieb, erstreckt sich also, wenigstens gesetzmäßig, alle supranaturalistischen, phantastischen Gefühle und Vorstellungen beiseite gesetzt, nur auf die Fehler, die wir beseitigen oder doch beschränken können, und auch wirklich schon in diesem Leben beseitigen oder doch beschränken, wenn wir anders genug Willen und Verstand besitzen, um die von der Natur uns zu Gebote stehenden Mittel dagegen anzuwenden; aber nicht auf die Fehler, wenn sie anders Fehler sind, die wir nicht fühlen, die mit unserem Wesen eins sind, und daher nicht von uns abgezogen werden können, ohne daß mit ihnen zugleich unser Wesen aufgehoben wird. Kurz, wie alle Geheimnisse der Theologie, so findet auch der Vervollkommnungstrieb seinen Sinn und seine Auflösung nur in der Anthropologie; wir bringen aus diesem Trieb keinen Gott, kein himmlisches, supranaturalistisches Wesen heraus außer da, wo er selbst zu einem supranaturalistischen, d. h. phantastischen Trieb gemacht wird wir bringen immer und immer wieder nichts weiter als den Menschen heraus, denn er greift, ist er gleich Kritiker, nicht den Fond, das Kapital des Menschen an, dieses bleibt vielmehr unverändert; es soll nur immer mehr Zinsen bringen. Kurz, der Vervollkommnungstrieb ist kein Schöpfer aus nichts, sondern nur ein Baumeister, der die vorhandene Materie nur formt und ausbildet.
Der Mensch hat mit der ersten entscheidenden Schrift, sei sie auch noch so fehlerhaft und unvollkommen, dem Wesen nach alle seine späteren noch so vollkommenen Schriften geschrieben. Ein scharfsichtiger Geist entdeckt in ihr alle die Eigenschaften, die in den späteren nur klarer und herrlicher ins Licht treten und daher hier erst den Augen der Stumpfsinnigen auffallen. Die erste Schrift ist ein kühner Grundsatz, dem alle späteren Schriften nur als Folgesätze und Beweise nachfolgen. Glücklich ist der, dem es vergönnt ist, die Konsequenzen seiner Grundsätze selbst auszuspinnen. Aber es ist nicht notwendig. Nein! die gehalt- und geistreichsten Schriften sind gerade die, welche zwar den Stoff zu unerschöpflichen Konsequenzen enthalten, aber sie nicht selbst aussprechen. Solch ein Buch ist auch das Leben. Es ist nicht notwendig, daß wir alle Konsequenzen unserer Talente entwickeln; es genügt, der Zweck desselben ist erreicht, wenn wir nur die hauptsächlichsten Grund- und Vordersätze ausgesprochen haben.[Anmerkung 21] Welch ein eitles, überflüssiges und nichtswürdiges Ding ist daher das Jenseits, wo der gehaltvolle und in sich vollendete Aphorismus unseres Lebens in dem Brei einer christlichen Predigt oder Demonstration von der Unsterblichkeit der Seele bis in alle Ewigkeit hin in seine doch schon hier zwar kurz und unpopulär, aber eben deswegen geistvoll ausgesprochenen Konsequenzen ausgetreten werden soll!
Über meine: »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit«
Der Hauptvorwurf, den man den »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit gemacht, reduziert sich darauf, daß sie absolut negativ wären, die Persönlichkeit, die Individualität vernichteten. Dieser Vorwurf ist aber nur ein von der Oberfläche abgeschöpfter. Wenn ich einem Menschen beweise, daß er das nicht in Wirklichkeit ist, was er in seiner Einbildung ist, so bin ich allerdings negativ gegen ihn, ich tue ihm wehe, ich enttäusche ihn; aber ich bin nur negativ gegen sein eingebildetes, nicht gegen sein wirkliches Wesen; was er außerdem ist, anerkenne ich mit Freuden, ja ich nehme ihm nur seine Einbildung, damit er sich erkenne und sein Denken und Wollen auf einen seinem wirklichen Wesen entsprechenden, seine Kräfte nicht übersteigenden Gegenstand richte. Ich kenne, erzählt Castiglione in seinem Cortegiano, einen ausgezeichneten Musiker, welcher die Musik aufgegeben und sich gänzlich aufs Versmachen verlegt hat, und sich für den größten Dichter hält, obgleich er bei jedermann sich mit seinen Gedichten nur lächerlich macht. Ein anderer, einer der ersten Maler von der Welt, verachtet diese Kunst, worin er Meister ist, und hat sich dafür auf das Studium der Philosophie gelegt, in welcher er aber nur die tollsten Einfälle und Chimären ausbrütet. Wenn ich nun diesem Maler die Eigenschaft eines Philosophen, jenem Musiker die Eigenschaft eines Dichters abspreche, bin ich negativ, grausam gegen sie? Bin ich nicht vielmehr ihr Wohltäter, ihr Heiland, selbst wenn ich mit den Waffen des bittersten Spottes ihre Narrheit bekämpfe, um sie zur Vernunft und Anwendung ihrer wahren Talente zurückzuführen? Seht! gerade so ist es mit der Unsterblichkeit, nur mit dem Unterschied, daß, was außer der Religion für eine Offenbarung der menschlichen Torheit und Verrücktheit gilt, in der Religion die Unsterblichkeit ist ja aber eine Sache derselben für Offenbarung göttlicher Wahrheit und Weisheit gilt. Der Verfasser spricht dem Individuum nur das eingebildete Talent zum unsterblichen Leben ab, damit es sein wirkliches Talent, das Talent zu diesem Leben geltend mache, nicht einer Einbildung aufopfere; denn überall, wo der Glaube an ein Jenseits Tat und Wahrheit wird, wo die Lebensklugheit sich nicht ins Mittel zwischen den Glauben und seine Konsequenzen schlägt, entzieht er dem Menschen die Fähigkeiten und Mittel zu diesem Leben, wie wir dies auf eine höchst sinnfällige Weise bei den Völkern sehen, welche dem religiösen Wahne einer Existenz nach dem Tode Gut und Blut aufopfern, dem Verstorbenen nicht nur sein Mobiliarvermögen, sondern auch seine Frauen, seine Diener mit ins Jenseits, d. h. ins Grab mitgeben. Bei den Christen ist es ebenso, nur daß diese nicht den Leib, sondern die Seele, die Vernunft, die Tatkraft an das Jenseits verschwenden. Der Verfasser negiert also nur die eingebildete, supranaturalistisch aufgeblasene Persönlichkeit, um die wirkliche, lebendige Persönlichkeit um so energischer bejahen zu können; verwirft die Ansprüche auf den Himmel nur, um die Ansprüche auf die Erde zu steigern, den Wert des irdischen Lebens und Menschen zu erhöhen. Er will, daß die Menschen nicht mehr auf Tauben warten, die ihnen gebraten vom oder im Himmel in den Mund fliegen, sondern selbst sich Tauben fangen und braten, wiewohl er sich deswegen nicht etwa mit der Hoffnung schmeichelt, daß sie den christlichen Himmel je auf der Erde bekommen werden und können, denn dieser bleibt ewig nur im Himmel der Phantasie. Er will nur, daß sie über den himmlischen Tauben nicht die irdischen aus den Augen und Händen verlieren, und eine mäßige, aber wirkliche Glückseligkeit einer maßlosen, aber eingebildeten Seligkeit vorziehen.
Aber beraubt denn nicht der Glaube oder die Lehre, daß es kein anderes Leben als dieses gibt, den Menschen seiner edelsten Kraft, der Kraft, sein Leben aufzuopfern? Wer wird dieses Leben hingeben, wenn es den Wert des einzigen Lebens, folglich den Wert eines unersetzbaren Gutes bekommt? Allerdings werden sich die sterblichen Menschen nicht mehr zu den luxuriösen, phantastischen Opfern der unsterblichen Christen verstehen; sie werden sich nicht mehr zum besten der Kirche von christlichen Tezeln das Geld gutwillig aus der Tasche stehlen lassen; sie werden sich nicht mehr zu willenlosen Werkzeugen des geistlichen oder politischen Despotismus gebrauchen lassen, nicht mehr für religiöse Grillen oder fürstliche Launen ihr kostbares Leben verschwenden. Aber sie werden sich zu den Opfern verstehen, die notwendig sind, und nur diese sind die wahren Opfer, die Opfer, die Sinn und Vernunft haben. Wer ohne Not und Drang ein Opfer bringt, ist ein Narr oder Heuchler. Opfer sind poetische Handlungen, Handlungen der Begeisterung; aber in Begeisterung kann man sich nicht willkürlich versetzen; Opfer ex officio, Opfer auf Kommando, sei es nun eines Herrn oder eines kategorischen Imperativs, sind so schlecht, wie Gedichte auf Kommando. Wahre Gedichte entspringen nur aus innerer, einem äußern Vorfall oder Gegenstand entsprechender Notwendigkeit. Der wahre Dichter kann ebensowenig immer dichten, der wahre geistige Produzent überhaupt ebensowenig immer produzieren, als der Baum immer Blüten und Früchte tragen kann. Die Poesie a priori, die Poesie, die nichts voraussetzt, keinen Eindruck von außen, keine Not, keine Leiden, taugt ebensowenig etwas als die Philosophie a priori. Aber dasselbe gilt von der Moral. Die vom Menschen abgesonderte, für sich selbst gedachte Moral, der nichts voraussetzende Wille, der unabhängige kategorische Imperativ hat ebensoviel und ebensowenig Realität, als die nichts voraussetzende Logik. Wahre Opfer sind, wie gesagt, nur Handlungen der Begeisterung, des Affekts, Handlungen, die du tun mußt, die ein Ausdruck deines ganzen, unwillkürlichen Wesens sind; aber zu solchen Handlungen, die allein auch den Namen von Handlungen verdienen, ist in dem alltäglichen, philiströsen Gewohnheitsschlendrian gar keine Gelegenheit; sie geschehen nur in kritischen Fällen, in außerordentlichen Momenten, in solchen, wo der Mensch alles verliert, wenn er nicht alles wagt, wo das Teuerste, Höchste auf dem Spiele steht, wo also ihre Unterlassung eine moralische Selbstvernichtung ist. Solange es also noch eine Notwendigkeit zu Opfern gibt, solange wird es auch noch, und zwar ganz unabhängig von den christlichen Glaubensartikeln und den Geboten des kategorischen Imperativs, Opfer geben, gleichwie solange Poesie sein wird, als Ursache, Stoff zur Poesie vorhanden ist. Aber freilich, die Opfer der christlichen Galanterie werden zugleich mit dem Verdienstorden der Unsterblichkeit verschwinden.
Ich bemerke, daß ich unter Opfern hier nur die tätigen, heroischen Opfer verstand; denn was die leidenden Opfer betrifft, d. h. die Übel, welche der Mensch um seiner Überzeugung willen erträgt, so haben wir ja schon in unserer Gegenwart die zahlreichsten und schlagendsten Beweise, daß der Unglaube an Gott und Unsterblichkeit oder der Glaube an das Gegenteil die Worte: Religion und Glauben haben so widersprechende Bedeutungen, daß auch die Ungläubigen sich Religion und Glauben vindizieren, so Glauben in der Bedeutung subjektiver Gewißheit, tatkräftiger Überzeugung daß, sage ich, der Glaube an keine Unsterblichkeit dem Menschen nicht die Kraft nimmt, auf die Glücksgüter zu verzichten. Wir sehen ja, wie die Ungläubigen überall Zurücksetzung, Beschimpfung, Verfolgung, Beraubung aller Art um ihres Unglaubens willen erdulden. So hat sich das Blatt gewendet! Während sonst die Menschen des ewigen Lebens wegen an Gott glaubten, so glauben sie jetzt des zeitlichen Lebens wegen an ihn; während sonst mit dem Gottes- und Unsterblichkeitsglauben es ist ja im Grunde ein Glaube der Verlust verbunden ist, ist jetzt der Gewinn und Genuß der Glücksgüter mit ihm verbunden; während sonst der Atheismus nur eine Sache der Höfe, des Luxus und Witzes, der Eitelkeit, Üppigkeit, Oberflächlichkeit und Frivolität war, ist jetzt der Atheismus die Sache der Arbeiter, der geistigen sowohl, als der leiblichen, und eben damit eine Sache des Ernstes, der Gründlichkeit, der Notwendigkeit, der schlichten Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit geworden; kurz: während sonst die Christen die Armen, die Verfolgten, die Leidenden waren, sind es jetzt die Nichtchristen. Welch sonderbarer Wechsel! Die namentlichen oder theoretischen Christen und Gottesgläubigen überhaupt sind die praktischen, faktischen Heiden, und die namentlichen, theoretischen Heiden sind die praktischen, die wirklichen Christen. Doch freut euch, ihr Leidenden! der politische Triumph des Christentums ist sein moralischer Untergang. Die jetzt in ihrer und anderer Meinung die Freunde und Beschützer des Christentums sind, wird man einst als seine wahren Feinde, und die jetzt für die Feinde des Christentums gelten, einst als seine wahren Freunde erkennen.[Anmerkung 22] Falsche Freunde, wißt ihr ja, sind Schmeichler, sie loben selbst die Fehler des Freundes, machen aus ihm einen Gott, während die wahren Freunde den Freund nur als Menschen lieben, seine Tugenden loben, aber seine Fehler verwerfen.
Ich habe behauptet, die wahren Opfer sind nur die, welche aus äußerer und innerer Notwendigkeit entspringen, welche also eigentlich keine Opfer, keine verdienstlichen Handlungen sind. Eine Behauptung, die für christliche Moralisten eine sinnlose ist, denn in ihrem Sinne ist die Tugend und ein christlicher Zivil- oder Militairverdienstorden ein identischer Begriff. Aber ich frage: sind Essen und Trinken, Schlafen und Wachen, Zeugen und Säugen, Waschen und Bügeln, Ackern und Rajolen, Malen und Zeichnen, Schießen und Jagen, Lesen und Schreiben, kurz alle die zahllosen natürlichen und bürgerlichen Verrichtungen und Handlungen der Menschen moralische oder unmoralische? Und jeder vernünftige Mensch wird darauf antworten: sie sind weder das eine, noch das andere. Wann entsteht also erst der Begriff der Moralität oder vielmehr Unmoralität denn jene setzt diese voraus; das Gesetz, die Gesetzlosigkeit oder vielmehr Naturwidrigkeit erst dann, wenn ich über einer an sich nicht unmoralischen Handlung eine andere an sich ebensowenig moralische Verrichtung zurücksetze. Diese Frau liebt Gesellschaft, Unterhaltung; diese Liebe ist nicht unmoralisch; aber sie vernachlässigt über dem Besuch der Gesellschaften die Sorge für ihre Kinder; deswegen nennt sie die moralische, d. h. böse Welt, eine schlechte Mutter, obgleich die Kindersorge und Pflege an sich keine moralische Handlung ist, denn sie ist eine Folge der natürlichen Liebe der Mutter zu ihren Kindern. Was daher für diese Frau ein Opfer, eine Tugend ist, wenn sie ihre Kinder pflegt, weil sie ihre Neigung zu Gesellschaften bekämpft, das ist für eine andere Frau, die nicht diese oder andere, mit ihrer Mutterliebe in Kollision kommende Neigungen hat, die nirgends lieber als zu Hause bei ihren Kindern ist, kein Opfer, keine Tugend. Die Pflicht ist daher nichts weniger als ein Deus ex machina; ein aus dem Himmel, aus einer anderen Welt auf die Erde herabgekommenes Meteor; sie gehört zu keiner anderen Gattung von Wesen, als die menschlichen Triebe und Neigungen; sie ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Gebein; sie ist nichts anderes als ein menschlicher Trieb, der gegen die Herrschsucht eines anderen Triebes sein Recht geltend macht; sie ist als böses Gewissen nur der zürnende Schatten oder Geist eines Triebes, den ein anderer stärkerer Trieb gewaltsam ums Leben gebracht hat oder bringen will. Wozu der Mensch keinen Trieb hat, dazu hat er auch keine Pflicht; oder: es kann dem Menschen nichts zur Pflicht gemacht werden, was nicht wenigstens irgend ein Mensch nicht aus Pflicht, sondern aus reiner Neigung oder Natur tut.
Es ist daher ganz falsch, wenn ich die Pflicht für sich selbst zum Gegenstande mache und als ein eigenes Genus oder Wesen den Trieben entgegensetze. »Wenn die Natur«, sagt Kant, »diesem oder jenem wenig Sympathie ins Herz gelegt hätte, wenn er (übrigens ein ehrlicher Mann) von Temperament kalt und gleichgültig gegen die Leiden anderer wäre, vielleicht, weil er selbst gegen seine eigenen mit der besondern Gabe der Geduld und aushaltender Stärke versehen, dergleichen bei jedem andern auch voraussetzt, oder gar fordert, wenn die Natur einen solchen Mann (welcher wahrlich nicht ihr schlechtestes Produkt sein würde) nicht eigentlich zum Menschenfreund gebildet hätte, würde er denn nicht noch in sich einen Quell finden, sich selbst einen weit höheren Wert zu geben, als der eines gutartigen Temperaments sein mag? Allerdings! gerade da hebt der Wert des Charakters an, der moralisch und ohne alle Vergleichung der höchste ist, nämlich daß er wohltue nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht.« Allerdings soll ich nicht blos aus Neigung, Temperament, Gefühl wohltun, sondern zugleich aus Pflicht, aus Grundsatz; aber was ist denn die pflichtmäßige Wohltätigkeit anders als der zum Gegenstand meines Bewußtseins und Wollens erhobene Wohltätigkeitstrieb?[Anmerkung 23] Die Pflicht ist nicht a priori in mir, sie ist erst vom Triebe, vom Gefühle abstrahiert. Die Pflicht ist eine Erscheinung, eine Folge, eine Wirkung der menschlichen Natur, die erst später im Verlauf der ( scilicet bisherigen) Kultur, wo der Mensch den Ursprung aller Dinge vergißt, zum Grunde, zur Ursache erhoben wird. Wozu sich der Mensch getrieben sah und fühlte, was er als Notwendigkeit seiner Natur erkannte, das hat er zum Gesetz, zur Pflicht auch für andere erhoben. Wenn ich daher ohne alle Neigung, bloß aus Pflicht handle, so handle ich eigentlich als Affe, zwar nicht als unmittelbarer, doch als mittelbarer Affe; denn wozu ich keine Neigung, wovon ich also keine Empfindung aus mir selbst habe, das ist mir auch nur auf dem Wege der Tradition zugekommen wie denn wirklich die Tugenden der meisten Menschen nur traditionelle, nachgemachte Tugenden sind, Tugenden, die nicht aus dem Ursprung, aus dem lauteren Quell der Empfindung, des Triebes, sondern nur aus der Vorstellung von anderen Menschen stammen, eben deswegen nur Scheintugenden sind. Eine Tugend ohne Neigung ist ebensoviel, als ein Wort, das ich einem anderen ohne Sinn nachrede, denn die Pflicht ist nur ein Name, ein Wort, dessen ursprünglicher Sinn die Neigung, der Trieb ist. Was ich ohne Neigung tue, das tue ich ungern, mit Zwang, und rechne mir es eben deswegen als Verdienst an; aber gerade durch diesen Anspruch bekenne ich, daß meine Tugend eine falsche, eine erlogene ist, daß ich mich in meiner Tugend in einer unnatürlichen Spannung mit mir selbst befinde. Denn was ist der Verdienst der Tugend? die Glückseligkeit. Was ist aber die Glückseligkeit? das Leben im Einklang mit meinen Neigungen und Trieben. Die Tugend soll glückselig werden, d. h. also nicht mehr mit meinen Neigungen im Widerspruch stehen, folglich nicht mehr Tugend sein; denn Tugend ist ja nur, was im Widerspruch mit meinen Neigungen steht. Warum gibst du denn nun aber deiner Tugend erst hinterdrein, warum nicht gleich im Anfang den Garaus? Erst machst du deiner Tugend Platz, und im Himmel dann deiner Neigung. Wie verkehrt! Was im Himmel gilt, soll hier schon gelten. Was du von oben erwartest, kannst und sollst du dir selber verschaffen; setze deine Tugend in Einklang mit deiner Neigung, deiner Sinnlichkeit. Nur die dem Menschen nicht widersprechende und eben deswegen glückselige Tugend, nur die Tugend, die keine Tugend ist und sein will, keine Prätensionen macht, die ein natürliches Kind, ein Kind der Liebe ist, ist allein die wahre Tugend. Allerdings ist auch diese Tugend eine verdienstliche, aber in keinem anderen Sinn, als es überhaupt jede Tätigkeit des Menschen ist, wenn sie gleich in Neigung und Anlage ihren Grund hat; denn nirgends, selbst nicht auf dem Gebiete der Kunst, fliegen dem Menschen die Tauben gebraten in den Mund; er muß alles lernen, ausbilden, im Schweiße seines Angesichts auf den Gipfel der Vollendung emporheben; er erreicht nirgends seine Naturbestimmung ohne Selbstbestimmung, ohne Fleiß, Übung, Anstrengung, und eben deswegen ohne Überwindung unzähliger partikulärer Neigungen und Gelüste. Aber diese Selbstverleugnung hat keine andere Bedeutung, als die diätetische Selbstverleugnung, die wir täglich zum Besten unserer Gesundheit, d. h. zur Befriedigung unseres Triebes nach körperlichem Wohlsein anwenden. Wir haben täglich eine Menge vorübergehender Gelüste, augenblicklicher Schauer, Antipathien und weichlicher Gefühle, die, wie die Frau Basen den Mann, der dem rücksichtslosen Trieb seines Talentes folgt, uns warnen und persuadieren wollen, daß wir doch ja nicht unsere empfindliche Haut dem kalten Wasser oder Winde, unsere lieben Arme und Beine keiner anstrengenden Muskelbewegung, unser Leckermaul nicht den Grobheiten schlichter Hausmannskost aussetzen. Aber wir erkennen, durch die Erfahrung belehrt, diese weichlichen, bald abwehrenden, bald anlockenden Gefühle als Schmeichler, als falsche Freunde und geben ihnen daher kein Gehör. So gehört selbst zur Erhaltung der Gesundheit, zur Befriedigung des einfachsten und natürlichsten Triebes, ein gewisser Heroismus. Aber es ist wahrer Unsinn, diese Selbstüberwindungen auf die Grundtriebe und Grundneigungen auszudehnen; Unsinn, die Negation der zahllosen Spielarten und Bastarde unserer Neigungen zur Negation der Gattung selbst zu machen. Der Wille, das Idol des moralischen Supranaturalismus, verhält sich zu den sinnlichen Trieben und Neigungen gerade so, wie die Vernunft, die ja seine Voraussetzung ist, sich zu den Sinnen verhält also wie die Gattung zu den Arten oder den einzelnen Individuen. Ein Beispiel: Wer, wie der Wilde, ohne an die Folgen zu denken, solange fortißt, bis alles rein aufgefressen, ist ein Sklave der Freßbegierde. Wer durch die Vorstellung der Zukunft das Maß des gegenwärtigen Genusses bestimmt, ißt mit Freiheit und Vernunft. Aber so wenig die Zukunft etwas der Gattung nach oder an sich Übersinnliches, obwohl sie über diesem sinnlichen Augenblick schwebt und für mich nur ein Objekt des Denkens ist. so wenig ist es der Wille, durch den ich mich über diese sinnliche Begierde erhebe; ich mache im Willen nur mein sinnliches Wesen überhaupt oder im Ganzen gegen eine bestimmte Art der Sinnlichkeit, die sich zu meinem absoluten Wesen aufwerfen will, geltend. Wenn ich im Trinken mich beschränke, um mich nicht zu betrinken, ist diese Selbstbeschränkung und Selbstbestimmung ein Beweis einer übersinnlichen Kraft? Nein! denn ich beweise nur dadurch, daß ich außer und über der Gurgel auch noch einen Kopf habe, dessen normale, mein Ich selbst begründende Tätigkeit ich nicht durch die Einflüsse meiner Gurgel aufgehoben wissen will.
Es gibt also allerdings auch selbst von der auf Neigung gegründeten Tugend unabsonderliche Opfer, aber diese Opfer machen keine Ansprüche auf ein himmlisches Jenseits, eben weil sie notwendig sind, weil [sie] keinen Sinn, keinen Trieb, keinen Wunsch befriedigen können, ohne, wenn auch oft nur momentan, eine Menge anderer Nebenwünsche aufzuopfern, die heilige Zeremonie der Beschneidung mit uns vornehmen müssen, wenn wir Früchte hervorbringen wollen, an denen sich Leib und Seele labe. Sich über diese Selbstbeschneidung beklagen wollen, das wäre gerade soviel, als wenn ein Botaniker sich darüber beklagen wollte, daß er nicht alle Blumen, die auf der lieben Erde blühen, in sein Herbarium einlegen könne. Allerdings gibt es auch Opfer, die nicht notwendig sind, die nicht sein können und sollen. Dieser Vater opfert seinen Kindern zuliebe, nur um ihren Hunger zu stillen, alle seine Freuden, alle seine geistigen Bedürfnisse auf. Aber ist dieses Opfer notwendig? Was dieser arme Mann nicht hat, das besitzt ein anderer im Überfluß. Aus diesen Opfern der Tugend, wie aus allen anderen moralischen Leiden, ergibt sich daher nichts weniger als die Notwendigkeit eines himmlischen Jenseits, ergibt sich nur die Notwendigkeit der Abänderung der aufhebbaren Übelstände des menschlichen Lebens. Wie töricht, aus dem Mangel der menschlichen Gerechtigkeit, daraus, daß der Unschuldige oft hier leidet, auf die Notwendigkeit einer göttlichen Gerechtigkeit zu schließen! Was hilft es dem Unglücklichen, wenn erst hintendrein, nachdem er zu Tode gemartert wurde, nachdem also bereits sein Leiden vorbei ist, dieses ihm vergolten wird! Macht, daß er nicht leidet; verhindert, beschränkt wenigstens, soviel als ihr könnt und ihr könnt, wenn ihr nur ernstlich wollt! Handlungen der menschlichen Ungerechtigkeit. So hat nur in unserem Mangel an Selbstvertrauen und Selbsttätigkeit das Jenseits seinen Grund. Ist aber wirklich der Schluß von dem menschlichen Elend auf ein übermenschliches Jenseits begründet, sind wirklich die moralischen Leiden und Übel die Bürgen einer besseren Welt, so sind alle Verbesserungsbestrebungen auf dieser Erde sinnlos, denn wir beseitigen ja mit den Übeln der Erde die Bürgen und Stützen des Himmels. Jede Verbesserung der Justiz auf Erden ist eine Beeinträchtigung der himmlischen Justiz, jeder Gewinn für das Diesseits ein Defizit für das Jenseits. Eins steht und fällt nur auf Kosten des anderen.
Doch ich bin unwillkürlich aus meiner Rolle gefallen. Statt Bemerkungen über meine Schriften zu geben, wie ich vorhatte, habe ich mich in selbständige Entwickelungen verloren. Ich kehre daher wieder zu meiner Aufgabe zurück. Meine Gedanken über Tod und Unsterblichkeit sind allerdings negativ, aber aus dem einfachen Grunde, weil es ihr Gegenstand ist der Tod. Mag man auch über den Tod denken, wie man will, den Toten noch als existierend sich vorstellen, so ist doch immer der Tod oder diese Existenz im Tode die Negation, die Verneinung dieses Lebens. Die Religion sagt zu dem Vater, dem sein Kind der Tod entrissen: Tröste dich! Dein Kind ist nicht tot; es lebt! Gut; aber es lebt ein Leben, das schrecklicher als der Tod ist; denn es lebt da, wo nicht seine Eltern, seine Geschwister, seine Puppen sind, lebt in der Beraubung, der Abwesenheit seiner liebsten, teuersten Gegenstände, lebt also in der Höllenpein verzehrender Sehnsucht. Die Sophistik der Theologie kann freilich durch die Allmacht der menschlichen Einbildungskraft den Toten allerlei Gaukeleien und Illusionen vormachen, daß sie den Tod nicht fühlen, die Ihrigen nicht schmerzlich vermissen; aber das unverdorbene, noch nicht für den Unterschied von Schein und Wesen, Wahrheit und Lüge abgestumpfte Menschenherz läßt sich nicht durch die Gaukeleien und Vorspiegelungen der Theologie an der Wahrheit und Heiligkeit seines Schmerzes irre machen. Das wahre Herz verschmäht sogar alle religiösen Scheintrostgründe; es hält es für Sünde gegen den geliebten Toten, sich über seinen Verlust zu trösten, ihn nicht aufs Schmerzlichste zu empfinden; es betrachtet den Schmerz als ein heiliges Opfer, das es dem Toten darbringt. Kurz der Tod ist ein Übel, wofür kein Kraut gewachsen ist am wenigsten auf dem Mist der Theologie; denn es ist nur Selbsttäuschung, wenn die Menschen glauben, es sei die Macht der Religion, des Glaubens, was sie tröste; sie schreiben Gott zu, was nur seinen Grund in natürlichen Ursachen hat, als da sind die Macht der verborgenen Überzeugung von der Natürlichkeit des Todes, die Macht der Vorstellung von seiner Unabänderlichkeit, die Macht der Tränen und Klagen, wodurch wir unserem Schmerz Luft machen, die Macht der Teilnahme anderer, die Macht der Zeit, die Macht der gewohnten Beschäftigungen, die Macht der Lebens- und Selbstliebe, die Macht des Gemüts und Temperaments.[Anmerkung 24]
Wenn man daher den Gedanken über Tod und Unsterblichkeit den Vorwurf der Negativität macht, so macht man der Schrift ihr Thema zum Vorwurf zum Vorwurf, daß sie nicht von dem Leben, sondern von dem Tode des Individuums handelt. Kann man aber einer Grabrede darüber einen Vorwurf machen, daß sie eine Grabrede ist, und folglich nicht von den Freuden eines Geburtstagsfestes handelt? Ist es nicht lächerlich, Forderungen an einen Schriftsteller zu stellen, die jenseits seines Themas liegen? Gewiß ist es sehr lächerlich und doch wie häufig geschieht es! Welche törichten Konsequenzen haben nicht die scharfsinnigen Kritiker aus meinem »Wesen des Christentums« herausgebracht, lediglich weil sie Forderungen an dasselbe stellten, die absolut jenseits seiner Aufgabe lagen! Woher, schrieen sie, ist denn das Bewußtsein, woher der Mensch? Welche törichte Frage! Ist denn der Mensch mit dem Christentum erst entstanden? Sind die Christen die ersten Menschen? Ist also die Frage von der übrigens nur inneren, psychologisch-historischen Entstehung des Christentums eins mit der Frage von der Entstehung des Menschengeschlechts oder gar der Welt? Die Entstehung des Menschen, der Welt überhaupt im Sinne des Christentums ist die Erschaffung die Ableitung desselben aus dem Willen Gottes. Und diese fand ihre Erledigung im »Wesen des Christentums«. Was aber die wirkliche, die natürliche Entstehung des Menschen betrifft, so gehört diese, wenn sie anderes vor das Forum der Religion, nicht vielmehr vor das der Naturwissenschaft gehört, in die vorchristlichen Naturreligionen. Der Ort, die passende Stelle zur Beantwortung der Frage: woher ist der Mensch? war daher erst die »das Wesen der Religion« überhaupt, nicht der christlichen insbesondere überschriebene Reihe von Gedanken. Was war aber auch hier meine Aufgabe? Etwa die, mit theoretischen Mirakeln, mit phantastischen, theosophischen Hypothesen, mit nichtssagenden Erklärungen und spekulativen, nichts, d. h. nichts als die menschliche Willkür und Unwissenheit voraussetzenden Gründen die Mängel unseres gegenwärtigen Wissens zu bemänteln? Gottbewahre! meine Aufgabe war eine empirische, historische, aber nicht extensiv, sondern intensiv historische war nur die, statt mich, die Geschichte der Menschheit reden zu lassen, oder vielmehr das, was die Menschheit in der Religion, insbesondere der Naturreligion längst gedacht und getan hat, zu sagen. Die Gründe, die ich für die Entstehung des Menschen aus der Natur anführe eine Entstehung, die sich übrigens für jeden, der nur einigermaßen Natursinn hat, von selbst versteht, ja eine unmittelbare Gewißheit ist, wenn er gleich nicht eine spezielle Erklärung sich geben kann, weil diese an und für sich unmöglich ist, indem die Entstehung des Menschen und der ihm entsprechenden Tier- und Pflanzenwelt ein universeller Akt war[Anmerkung 25] diese Gründe haben keine selbständige Bedeutung; sie sollen nur erklären und rechtfertigen, was der einfache Natursinn der Völker tatsächlich in der Verehrung der Natur, als der Mutter der Menschheit ausgesprochen hat. Aber woher ist denn die Natur? Sie ist von sich und aus sich, sie hat keinen Anfang und kein Ende; Anfang und Ende der Welt sind menschliche Vorstellungen Vorstellungen, die der Mensch von sich, weil er zu einer bestimmten Zeit anfängt und endet, auf die Natur überträgt. Alle Erklärungen der Natur setzen immer schon die Natur voraus. Der Gott, aus dem man die Natur deduziert, d. h. der Gott, der oder wiefern er keine dem Menschen entnommenen Eigenschaften hat, ist selbst ein aus der Natur entsprungenes, von ihr abgeleitetes, nur Wirkungen, Eigenschaften und Erscheinungen der Natur ausdrückendes Wesen.[Anmerkung 26] Gleichwie ich daher nicht, wie man mir kritikloser Weise aufgebürdet hat, auf meine Rechnung, wo ich freilich die Rechnung ohne den Wirt gemacht hätte, sondern auf Grund der christlichen Religion den Menschen als Gott, so habe ich in jenem kurzen Gedankenexzerpt aus der Religionsgeschichte nur auf Grund der Naturreligion die Natur als den ursprünglichen Gott hingestellt. Ich will nicht mit neuen in meinem Hirn ausgebrüteten Chimären die Unzahl der bereits bestehenden Chimären vermehren; ich denke nur auf Grund der Offenbarung, aber nicht Gottes, der nur ein Erzeugnis des menschlichen Bewußtseins, der menschlichen Phantasie, Reflexion und Unwissenheit ist, sondern auf Grund der Offenbarung der menschlichen Natur. Die Berliner Offenbarungsphilosophie verhält sich zu dieser Offenbarungsphilosophie der menschlichen Natur ungefähr so, wie sich die Syphilis einer Berliner Bordelldirne hinter der Königsmauer (S. die Prostitution in Berlin und ihre Opfer. 1846. S. 54) zur blühenden Gesundheit einer eben dem Quell der Natur entstiegenen Jungfrau, wie sich die mystischen Orgien supranaturalistischer Unzucht zur naturgemäßen Befriedigung der Liebe, wie sich die Pollutionen eines wollüstigen Traums zur Zeugung des Menschen, wie sich die Visionen eines Jongleurs zu den Erscheinungen der Optik verhalten. Und die alte Philosophie überhaupt verhält sich zu dieser auf die Offenbarungen der Sinne gegründeten Philosophie,[Anmerkung 27] wenn anders noch das Wort Philosophie auf sie anwendbar ist, so, wie sich das aus Akten und Referaten geschöpfte Erkenntnis der geheimen Justiz zu dem auf die Öffentlichkeit und Mündlichkeit, d. i. Wahrheit der Sinne gegründeten Erkenntnis verhält. Ein Gleichnis, das nichts weniger als ein bloßes Gleichnis ist. Staat, Philosophie, Religion sind identisch; denn es ist ja der Mensch, ein und dasselbe Subjekt als politisches, religiöses und denkendes Wesen. Wo der Mensch ein nicht menschliches, nicht sinnliches Wesen als sein höchstes Wesen, sein Ideal verehrt, da setzt auch notwendig der Staat und die Philosophie ihre höchste Ehre in die Verneinung des Menschen. Wo der Mensch einem unsichtbaren, abstrakten Wesen die Entscheidung über sich überläßt, da hat er notwendig auch einen unsichtbaren, abstrakten Richter über sich, d. h. ein personifiziertes Ens rationis, ein idealistisches Verstandswesen ohne Fleisch und Blut, ohne Augen und Ohren, ein Wesen, das nur über den Akten brütet[3] und darauf denkt, den Menschen unter einen Paragraphen des Gesetzbuches zu subsummieren. Und wo sich der Mensch in der Philosophie nur auf das Referat seiner abstrakten Vernunft stützt, wo er das schriftliche Wort an die Stelle des Wesens, den traditionellen Begriff an die Stelle der Originalanschauung setzt, wo also die Sinne keine religiöse und philosophische Bedeutung haben, da haben sie auch kein Recht, da werden sie auch von dem Richter als Lumpengesindel mit Füßen getreten. Wie kann ich, wenn ich anders konsequent bin, als Richter anerkennen, was ich als Philosoph verwerfe, d. h. wie mit meiner juristischen Vernunft bejahen, was ich mit meiner Vernunft überhaupt nicht in Einklang bringen kann? Kurz, wo nicht der Mensch, nicht die Natur, nicht das Leben, wo die heilige Schrift die Quelle der Wahrheit in der Religion ist, da ist sie es auch in der Philosophie, da ist sie es auch in der Gerechtigkeitspflege. Seht hieraus, was unsere gewöhnlichen Liberalen für Leute sind! Während sie den Atheismus (der freilich in Wahrheit etwas ganz anderes ist, als im Kopfe dieser Leute, nichts anderes ist als die Wiederherstellung der Urreligion, aber nicht mehr eines Gegenstandes kindlicher Phantasie, sondern des reiferen, männlichen Bewußtseins, nichts anderes, als die Religion der Sinnlichkeit und Menschlichkeit) in der Theorie verdammen, verdammen sie selbst in der Praxis, d. h. da, wo es ihren Egoismus, ihren Geldbeutel, ihr liebes Leben gilt, den Theismus, d. h. den Glauben, daß das geheime, unsichtbare, sinnlose Wesen das wahre Wesen, folglich auch der Justiz ist; denn wie es im Himmel ist, so muß es auch auf Erden sein; der Himmel ist ja nichts, als das Urbild der Erde, wenigstens für die späteren Zeiten, denn zuerst war die Erde das Urbild des Himmels. Wenn ihr daher zu den deutschen Rechtsinstituten wieder zurückkehren, wenn ihr sie in einer unseren jetzigen Bedürfnissen und Verhältnissen entsprechenden Weise wieder herstellen wollt; nun so gebt auch das welsche Christentum auf, kehrt zur urdeutschen Religion zurück, stellt sie in einer unserer jetzigen Bildung entsprechenden Gestalt wieder her. Nach Cäsar aber verehrten die Germanen nur die Wesen als Götter, die sie sahen: Sonne, Vulkan und Mond. Ihre Religion war also eine Naturreligion, sinnliche Religion, im Sinne des Gottesglaubens, des Christentums keine Religion, war das, was jetzt praemissis praemittendis der »Atheismus« ist und will.
Doch zurück! Der Vorwurf der Negativität trifft allerdings insofern meine »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, als sie im Geiste der Philosophie geschrieben sind. Die spekulative Philosophie ist aber nichts anderes als die Philosophie der Misanthropie, die Asketik, das Mönchswesen auf dem Gebiete der Theorie. Ihr Wesen ist der Dualismus von Geist und Fleisch, Übersinnlich und Sinnlich, Ewig und Zeitlich, nur daß dieser Gegensatz hier als der theoretische Gegensatz des Spekulativen und Empirischen sich ausspricht. Der spekulative Philosoph kommt, weil ihm stets der Begriff als das Erste vorschwebt, nie zur Anschauung der Dinge; selbst wenn er seine Augen öffnet, so sieht er doch nur realisierte Begriffe; ja die ganze Welt ist für ihn eigentlich nur eine Allegorie seiner Logik, Dogmatik oder Mystik. Er kommt eben deswegen auch nie zur wahren Genesis, denn der Begriff ist für ihn eine Aseität, ein durch sich selbst Seiendes; er leitet daher überall das, wovon der Begriff erst abgeleitet ist, das Empirische, d. i. Wirkliche, Sinnliche aus dem Begriff ab. Eine im Geiste der spekulativen Philosophie gegen die Unsterblichkeit geschriebene Schrift ist daher notwendig eine negative, ungenügende, dem Menschen widersprechende Schrift; denn sie betrachtet die Unsterblichkeitsfrage als eine Frage an sich, d. h. in abstracto, ohne Beziehung auf den Menschen; sie bejaht oder verneint sie aus allgemeinen spekulativen Gründen, und gibt eben deswegen den Menschen keine vollständige Erklärung und Befriedigung. Es bleibt immer etwas im Menschen übrig, was wider die Unsterblichkeit spricht, wenn sie von der spekulativen Philosophie bejaht wird, und ebenso für die Unsterblichkeit spricht, wenn sie von ihr verneint wird. Die wahre und eben deswegen versöhnende Verneinung ist nur die, welche in der genetischen Erklärung des Gegenstandes seine Auflösung gibt, welche ihn nur indirekt verneint, so, daß die Verneinung nur eine unwillkürliche, sich von selbst ergebende Folge ist, so, daß der verneinende Schlußsatz: es ist keine Unsterblichkeit, nur der negative, plumpe Ausdruck von dem, was die Unsterblichkeit ist, die Nichtigkeit der Unsterblichkeit nur die Enthüllung ihres Wesens, ihre Wahrheit, die Verneinung nur die sinnvolle Auflösung eines Rätsels ist. Der Sinn aber aller, wenigstens »intelligiblen Wesen« ist der Mensch. Die erschöpfende und den Menschen mit ihrem Resultat versöhnende Auflösung des Rätsels der Unsterblichkeit ist daher nur die vom Standpunkt der Anthropologie. Die Anthropologie geht aus von dem Dasein des Unsterblichkeitsglaubens. Sein ist ihr überhaupt das erste, aber nicht das Sein im Sinne der Hegelschen Logik, welches vermittelst der Kategorie der Unmittelbarkeit sich als identisch mit dem Denken erweist, sondern das Sein im Sinne des Menschen, das Sein, das nur der Sinn verbürgt, das Sein, das, wie ich mich anderwärts ausdrückte, Gegenstand des Seins ist, d. h. das man nur weiß, wenn man ist. Die Anthropologie ist so bescheiden, zu bekennen, daß sie vom Menschen nichts wüßte, wenn er nicht wäre, daß alle ihre Begriffe und Erkenntnisse vom Menschen, von den Dingen und Wesen überhaupt nur von ihrem wirklichen Dasein abstrahiert sind; was die ursprüngliche Entstehung des Menschen betrifft, so weiß sie nur so viel, daß der Mensch viel älter ist als der Christ und Philosoph, also unmöglich der christlichen Kreationstheorie oder einer philosophischen Konstruktion a priori seine Entstehung verdankt. So bekennt denn auch die Anthropologie aufrichtig, daß ihr selbst nie die Unsterblichkeit in den Kopf gekommen wäre, wenn sie den Glauben daran nicht als einen vorhandenen vorgefunden hätte. Sie geht also vom Dasein dieses Glaubens aus; aber vom Dasein geht sie zum Wesen desselben über; sie fragt sich, nachdem sie in Erfahrung gebracht, daß die Menschen glauben, was sie glauben? Indem sie aber so vom Dasein, jedoch immer nur auf Grund des Daseins, des Tatsächlichen, zum Wesen übergeht, gibt sie zugleich unwillkürlich oder notwendig die Erklärung von dem Dasein dieses Glaubens, seine innere, anthropologische Entstehungsgeschichte. Aber indem sie nun so die Bedeutung und mit dieser den Grund des Glaubens enthüllt, hebt sie gerade den Glauben auf; denn Gegenstand des Glaubens ist nur das unaufgelöste, aber nicht gelöste Rätsel, Gegenstand des Glaubens nur die Sonne unter dem Horizont oder hinter den Wolken, aber nicht die Sonne, die unverschleiert vor meinen Augen dasteht. Es ist daher nichts oberflächlicher, als wenn man dem deutschen Unglauben den Vorwurf der Negativität macht und deswegen das Schicksal des französischen und englischen Unglaubens prophezeit. Der deutsche Unglaube ist im Besitz der Geheimnisse des Glaubens; er hat den Glauben und seine Kompagnie, die Spekulation und Mystik, bis auf den letzten Grund durchschaut; er ist nichts anderes, als der seiner selbst bewußte Glaube; er ist positives Wissen und Wollen; er weiß, was er will, und will, was er weiß; er ist nicht mehr oder in keinem anderen Sinn negativ, als die Auflösung des Rätsels gegen das Rätsel, das Licht gegen die Finsternis negativ ist.
Ich habe jedoch in der »Unsterblichkeitsfrage vom Standpunkt der Anthropologie«, eine Arbeit, die in sehr kurzer Zeit niedergeschrieben wurde, obgleich die Grundgedanken derselben ein Resultat meines ganzen Lebens sind nur auf die wesentlichsten Punkte mich beschränkt. So habe ich gleich in dem ersten Abschnitt davon nichts erwähnt, daß die Menschen ihre Trauer über den Toten in den Toten hineinlegen, das, was für sie ein Übel, zu einem Übel des Gegenstandes machen, den Tod darum als einen traurigen, unglücklichen Zustand sich vorstellen, weswegen das Hauptbestreben der griechischen und römischen Philosophen nur darauf gerichtet war, zu beweisen, daß im Tode alle, folglich auch die Empfindung des Übels aufgehoben, nicht also der Tote, sondern nur der den Toten Überlebende zu beklagen sei. Aber der Tod ist der entschiedenste Kommunist; er macht den Millionär dem Bettler und den Kaiser dem Proletarier gleich. »Nun hat der Tod überwunden mich«, sagt der Kaiser im Baseler Totentanz, »daß ich bin keinem Kaiser gleich.« Der Tod hat aber schon bei Lebzeiten mir allen aristokratischen Dünkel ausgetrieben und die Gesinnung des Kommunismus eingeflößt. Ich betrachte mich nicht als den Inhaber sämtlicher Gedanken über und wider Tod und Unsterblichkeit; was ich daher ausgelassen, mögen andere ergänzen, und was ich schlecht gesagt habe, besser sagen.
Nachträgliche Bemerkungen
»Die Wogulen auf dem Ural, auch viele Buräten und Tungusen halten den Tod für eine göttliche Strafe, und fürchten nach dem Tode ebensowenig, als sie etwas erwarten, weil sie sich einbilden, daß die Götter durch den Tod vollkommen versöhnt worden.«[Anmerkung 28] Ebenso glauben auch die Christen, daß der Tod nicht eine Folge natürlicher Notwendigkeit ( non lege naturae, wie Augustin in seiner Schrift vom Staate Gottes sagt), sondern durch den Zorn Gottes als Strafe dem Menschen auferlegt sei; aber unterscheiden sich dadurch, übrigens nicht zu ihrer Ehre, von diesen Wogulen, Buräten und Tungusen, daß sie ihren Gott sich nicht durch den Tod des Menschen versöhnen, sondern auch noch nach dem Tode, also nach erlittener Strafe, den Menschen, wenigstens den Sünder, den Ungläubigen, bis in alle Ewigkeit foltern und martern lassen.
Die Vorstellung des Christentums, daß, wie Luther in der schon in meinen Gedanken »über Tod und Unsterblichkeit« angeführten Stelle sagt, »alle Tiere dahinsterben, nicht aus Gottes Zorn und Ungnade, sondern nach der Natur und göttlichen Ordnung dem Menschen zugute, aber der Menschen Tod aus Gottes Zorn und Ungnade kommt«, ist ein augenfälliger Beweis, daß das Wesen des Christentums nichts anderes ist, als ein un- und übernatürlicher, supranaturalistischer Egoismus. Der Tod der Tiere hat nichts auf sich, ist ganz in der Ordnung; aber der Tod des Menschen ist eine Ausnahme von der Regel, der widerspricht der natürlichen Ordnung, weil er dem Egoismus des Menschen widerspricht; wenigstens des Menschen, der sich in seiner Einbildung für ein übernatürliches, außerweltliches Wesen hält, folglich für ein Wesen, das nicht sterben soll, mit dem der Tod sich nicht zusammen vereinen läßt. Die Rohheit, mit welcher die Christen die Tiere behandeln, hat daher seinen letzten Grund im Wesen des Christentums selbst. Es steht zwar in der Bibel: »Der Gerechte erbarmt sich auch seines Viehes«; es steht aber auch in derselben Bibel: die Sonne steht um des Menschen willen stille. Wenn aber alles nur des Menschen wegen, wenn der menschliche Egoismus der letzte Grund aller Dinge und Wesen ist, warum soll ich ein Tier nicht schinden und plagen, solange ich noch dadurch einen Nutzen für mich aus ihm ziehen kann? Wenn daher sich der Christ der Tiere erbarmt, so folgt er nur seinem natürlichen Gefühl, aber nicht den Inspirationen seines supranaturalistischen Dünkels und Egoismus.
»Darum will's daran gelegen sein, ob du auch glaubest, daß nach diesem Leben ein ander Leben sei … Wo du in dem Glauben bist, … daß nach diesem Leben kein ander Leben sei, so wollte ich auch um deinen Gott nicht einen Pfifferling geben. Alsdann tue, was dich gelüstet. Denn so kein Gott ist, ist auch kein Teufel, noch Hölle und ist gleich eins, wenn ein Mensch dahin stirbt, als wenn ein Baum umfället, oder als eine Kuh, wenn sie stirbet, so ists alles aus. So laßt uns guter Dinge sein, fressen und saufen, denn morgen sind wir tot, wie St. Paulus sagt 1. Kor. 15.« Wir haben in diesem Ausspruch Luthers einen eklatanten Beweis von der Rohheit des Christentums, welches nur im Jenseits den Unterschied zwischen dem Menschen und der Kuh, zwischen Essen und Fressen, Trinken und Saufen findet. Aber nicht nur roh, auch töricht ist der Schluß, den das Christentum aus der Sterblichkeit des Menschen zieht. Eben deswegen weil wir morgen tot sind, wollen wir uns nicht schon heute zu tot saufen und fressen; eben deswegen, weil wir nicht immer leben, wollen wir uns nicht durch »Huren und Buben, Rauben und Morden«, wie eben Luther sagt, gegenseitig das Leben nehmen, nicht durch Torheit und Bosheit uns das Leben verbittern. Und eben weil der Mensch seinen Tod voraussieht und voraus weiß, so unterscheidet sich der Mensch, ob er gleich ebensogut stirbt, wie das Tier, dadurch von dem Tiere, daß er den Tod zu einem Gegenstande selbst seines Willens erheben kann. Ich muß sterben, aber ich muß nicht nur, ich will auch sterben. Was in meiner Natur, in meinem Wesen begründet ist, das steht ja nicht im Widerspruch und Gegensatz mit mir, das ist mir kein feindliches Wesen; wie sollte sich also mein Wille dagegen sträuben? Nein! mein Wille sei einig mit meinem Wesen, der Tod also als Folge meines Wesens eine Sache meines Willens, so gut wie jede andere Naturnotwendigkeit. Schämt sich der Christ des Todes als eines tierischen Aktes, so schäme er sich auch des Zeugungsaktes und begebe sich statt in das Ehebett in ein Karthäuserkloster. Ist der Tod unter der Würde des Christen, so ist auch der Zeugungsakt, so ist überhaupt der Mensch unter der Würde des Christen. Ein himmlisches, göttliches Wesen stirbt nicht, aber es zeugt auch keine Kinder. Also füge sich der Christ entweder in die Notwendigkeit des Todes, verzichte auf die Unsterblichkeit, oder bekenne, daß er nur im Widerspruch mit seinem christlichen unsterblichen Wesen dem Kloster des Katholizismus entsprungen ist. Daß aber der Tod nicht im Widerspruch mit dem Wesen des Menschen steht, daß folglich die christliche Unsterblichkeit, also das Wesen des Christentums überhaupt nur auf den Zwiespalt und Widerspruch des menschlichen Bewußtseins und Willens mit dem menschlichen Wesen, wie ich eben mich ausdrückte, gegründet ist, davon haben wir einen Beweis an den Greisen, bei welchen man »meist keine Furcht vor dem Tode,[Anmerkung 29] oft ein aufrichtiges Verlangen nach demselben findet, das durch Marasmus wie bei Kant selbst zu einem ungeduldigen Sehnen gesteigert werden kann.«[4] Diesem ungeduldigen Sehnen Kants lag aber nicht etwa das Verlangen nach dem Jenseits zugrunde, denn kurz vor seinem Tode antwortete er auf die Frage: was er sich von der Zukunft verspreche? » nichts Bestimmtes« und ein andermal: »von dem Zustand weiß ich nichts.« Sehr wahr und schön ist daher, was Cicero am Schlusse seiner Schrift de Senectute sagt: Quodsi non sumus immortales futuri, tamen exstingui homini suo tempore optabile est. Nam habet natura, ut aliarum omnium rerum, sic vivendi modum, senectus autem peractio aetatis est tanquam fabulae, cujus defatigationem fugere debemus, praesertim adjuncta satietate.
»Die Tscheremissen … bekannten, daß sie nicht würdig seien, zu einem anderen Leben erhoben zu werden.« Sollten wir aber nicht samt und sonders so ehrlich sein, zu bekennen, daß wir eines anderen Lebens unwürdig sind? Wie bringen wir denn dieses Leben zu? in langweiligen Gesellschaften, in kleinlichen Stadtklatschereien, in politischen Ränken, in religiösen Zänken, in gelehrten Torheiten, in häuslichen Zwistigkeiten, kurz in Erbärmlichkeiten, Nichtswürdigkeiten und Absurditäten aller Art! Warum bringen wir aber so unser Leben zu? Weil wir zu wenig? nein! weil wir zu viel Leben, zu viel Zeit haben. Wie glücklich brächten viele Menschen ihre Tage hin, wenn der Tag um die Hälfte kürzer wäre! Wie viele werden im Alter förmlich kindisch! wie viele überleben sich schon in jüngeren Jahren, sowohl in geistiger, als moralischer Beziehung! Wozu sollten sie also diesen Überschuß verwenden, als dazu, das Leben zu vertändeln oder sich und anderen zu verbittern? Ehe wir uns daher fragen, ob wir eines anderen Lebens würdig seien, wollen wir uns erst fragen, ob wir dieses Lebens würdig sind.
»Die Kamtschadalen glauben, daß diejenigen, welche hier arm waren, in der anderen Welt reich, die Reichen hingegen arm sein werden, damit zwischen den beiden Zuständen in dieser und jener Welt eine gewisse Gleichheit entstehe. Eine jede andere Vergeltung des Guten und Bösen halten sie für unnötig. Wer auf dieser Erde gestohlen, Ehebruch getrieben habe usw., der sei dafür schon hinlänglich gestraft, entweder geprügelt oder erschlagen worden, habe wenigstens keine Freunde gefunden, und sei daher hilflos und ohne Vermögen geblieben.« Beschämen diese Kamtschadalen nicht die Christen, welche außer den Strafen, die der Mensch und die Natur auf das Laster gesetzt haben, noch obendrein einen göttlichen Kriminalrichter bedürfen, und offen bekennen, daß sie »huren und buben, rauben und morden« würden, wenn ihnen nicht die Pfennige, die sie, aber nicht aus Liebe, sondern mit Widerstreben, nur auf Kommando des Herrn oder der Pflicht, ihren Mitmenschen aufopfern, im Himmel hundertfältig ersetzt würden? O Christentum, Christentum! muß ich abermals ausrufen, du bist der roheste, gemeinste Egoismus unter dem Scheine der aufopferndsten Liebe. An den Anfang der Welt setzest du den Egoismus unter dem Namen Gottes, welcher die Natur nur dazu ins Dasein rief, daß sie der Mensch verzehrt und genießt, und an das Ende der Welt setzest du den Egoismus unter dem Namen des Himmels, um ihn für die Beschwerlichkeiten zu entschädigen, die mit dem Genusse der Natur verbunden sind!
Plutarch in seiner Schrift von der Unmöglichkeit eines angenehmen Lebens nach epikuräischen Grundsätzen sagt, daß die Epikuräer den Menschen, folglich sich selbst der süßesten Hoffnungen berauben, indem sie nicht, wie die, welche wie Pythagoras, Plato und Homer von der Seele denken, ein Wiedersehen geliebter Toten erwarten können. In der Tat ist der einzige honorige und respektable Grund für die Unsterblichkeit die Liebe, denn er ist der rein menschliche. Zwar stützt sich auch dieser Grund auf die menschliche Selbstliebe, denn das Verlangen des Wiedersehens erstreckt sich ja nicht auf andere, mir gleichgültige Menschen, ich will ja nur die Meinigen, meine Kinder, meine Gattin, meine Eltern und Freunde wiedersehen! aber die wahre, im Wesen des Menschen begründete, die nicht zu verleugnende Selbstliebe ist die in der Menschenliebe sich befriedigende Selbstliebe; ist die notwendige, unwillkürliche, indirekte Selbstliebe; denn ich kann ja keinen Gegenstand lieben, ohne Lust und Freude an ihm zu empfinden. Liebe zum Gegenstand ohne Egoismus, ohne Selbstliebe ist eine supranaturalistische Chimäre ist eine Liebe ohne Liebe. Das Gefühl der Liebe nun sträubt sich dagegen, den Tod des Geliebten anzuerkennen, empört sich gegen die Notwendigkeit des Todes, denn es kennt kein Gesetz als sich selbst; ja es hält es für eine Barberei, eine Grausamkeit, dem Toten das Leben abzusprechen. Die Liebe will ja alles beseitigen, was dem Geliebten wehe tut, was wider ihn ist, sein Selbst- und Wohlgefühl beeinträchtigt: wie sollte sie sich also von dem Tode das Leben des Geliebten nehmen lassen? wie den Tod, die schrecklichste Verneinung sich gefallen lassen, anerkennen? Aber es ist nur Selbsttäuschung, wenn wir glauben, in diesem Kampfe unseres Herzens mit dem Tode für den Toten zu streiten wir kämpfen nur für uns selbst; wir denken, was uns drückt, drücke auch den Toten, wir befreien ihn daher von den Banden des Todes nur, um uns selbst von den Banden des Schmerzes zu befreien. Wir bedenken nicht, daß wir mit unseren Unsterblichkeitsbeweisen viel zu spät kommen, daß wir den Toten ja vor unseren Augen haben tat- und machtlos sterben, also den schwersten, sauersten Akt, den Sterbeakt haben bestehen lassen, der Tote jetzt aber keine Bedürfnisse, folglich auch nicht das Bedürfnis des Lebens mehr hat; wir bedenken nicht, daß es nur einen einzigen Beweis der Unsterblichkeit gibt und dieser heißt und ist: nicht sterben. Wir sind daher in unseren Unsterblichkeitsbeweisen, unseren Kämpfen für das Leben geliebter Tote wahre Don Quijote; wir kämpfen gegen einen bloßen Schatten, kämpfen gegen den Tod und lassen doch unsere Geliebten sterben; wir kämpfen also nicht gegen das wahre Übel, sondern ein Scheinübel, ein Uebel nur in unserer Einbildung, in unserem Sinne, aber nicht im Sinne der Toten. Wenn daher eine allmächtige Liebe existierte, so wäre der Beweis ihrer Existenz nur dieser, daß sie den Menschen nicht sterben ließe. Die Allmacht, die erst nach dem Tode wieder den Menschen ins Leben ruft, ist nur die Allmacht der menschlichen Einbildungskraft.
Endlich ist auch noch zu bemerken, daß der auf das Bedürfnis des Wiedersehens gestützte Unsterblichkeitsgrund nur auf eine partikuläre Unsterblichkeit führt; denn es gibt unzählige Menschen, die dieses Bedürfnis nicht fühlen, vielmehr statt des Wunsches des Wiedersehens der lieben Freund-, Vetter- und Gevatterschaft, den Wunsch des Nichtmehrsehens haben. Es sind nur die innig sich Liebenden, die den Tod schmerzlich empfinden, und selbst diese würden doch auch in der Unsterblichkeit nicht ihre Wünsche befriedigt finden; denn die Liebe will den ganzen, unverstümmelten Menschen, den Menschen, wie er mit allen seinen von der phantastischen christlichen Vervollkommnungstheorie beanstandeten Mängeln, Schlacken und Fehlern hier im Diesseits existiert.
»Die Welt«, sagte ein oberflächlicher Rezensent meiner Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, »ist kein tauber Baum, der bloß Blätter trägt, sondern blütenreich, und in jeder Blüte wird das Ganze neu geboren«. In jeder Blüte, setzen wir in der Sprache der Leibnizschen Philosophie hinzu, spiegelt sich das Universum, das Unendliche ab; jede Blüte ist daher so beständig, so ewig als der Baum selbst. Sehr schön gedacht und gesagt! Aber trotz dieser schönen Worte und Gedanken sehen wir die Blüten welken, sehen wir die Menschen sterben. Was vermögen alle Unsterblichkeitsbeweise gegen das sinnliche Faktum der Sterblichkeit?
Denique saepe hominem paullatim cernimus ire,
Et membratim vitalem deperdere sensum:
In pedibus primum digitos livescere et unguis,
Inde pedes et crura mori, post inde per artus
Ire alios tractim gelidi vestigia lethi.
Lucretius.
»Ja! der sichtbare Tod erstreckt sich auch nur auf das Sichtbare, Sinnliche, folglich Vergängliche des Menschen.«[Anmerkung 30] Ist denn aber die Vergänglichkeit nur ein Prädikat der Sinnlichkeit? Gibt es denn nicht auch eine geistige Vergänglichkeit? Gehen nicht auch die Staaten, die Systeme, die Religionen, die Götter der Menschen zugrunde? Ist der Geist des achtzehnten Jahrhunderts der des neunzehnten? der Geist des Jünglings der Geist des Mannes?
Jede Schrift, die ich schreibe, ist ein Spiegel meines Wesens, ein Abdruck aller meiner Fähigkeiten, in dem Augenblick, wo ich sie schreibe, das Höchste, was ich weiß und denken kann; aber gleichwohl verschwindet mir die Schrift, welche a priori für mich von unvergänglicher Bedeutung war, mit der Zeit in nichts. So ist es auch mit dem Menschen. Jeder ist ein Spiegel des Universums, jeder eine Schrift, in der die Natur gibt, was sie nur immer unter dieser und diesen Bedingungen und Umständen geben konnte; und jeder ist, indem er seine eigene Schrift liest, so entzückt von ihr, daß er a priori ihre Unsterblichkeit demonstriert, daß er sich unmöglich denken kann, daß sie je zu Makulatur gemacht werden könne. Aber gleichwohl zeigt sich, aber erst a posteriori, daß diese Schrift nicht das opus postumum der Natur war, daß die Natur, unaufhörlich schaffend, an die Stelle der alten Schriften neue setzt, weil sie sich selbst verändert und daher in den alten Spiegeln nicht mehr sich erkennt. Bliebe das Universum immer dasselbe, so blieben auch immer dieselben Individuen; sie würden nicht sterben; aber es verändert sich, also kommen notwendig auch andere Individuen, in denen sich dieses sein verändertes Wesen konzentriert und abspiegelt. Und so vergänglich der Mensch, so vergänglich ist auch sein Geist. »Der Geist? der Geist, für den es keinen Raum und keine Zeit gibt, der die Sterne mißt, der das Unendliche, das All umfaßt?« Aber siehst du nicht auch auf dem Auge das Unendliche, das All sich abspiegeln? wäre die Sternenwelt Gegenstand deines Geistes, wenn sie nicht Gegenstand deines Auges wäre? Und doch siehst du dieses Auge, das dir allein die »Wunder des Himmels« aufschließt, erlöschen. Wie reimt sich diese Erscheinung mit der himmlischen, universellen Natur des Auges? Warum vergissest du also über der Herrlichkeit des Geistes die Herrlichkeit des Auges, der Sinne, des Körpers überhaupt? Oder ist etwa, wie der Platonismus und Christianismus behauptet, der Körper eine »lästige Fessel des Geistes?« Wie abgeschmackt! Der Körper ist das Fundament der Vernunft, das Band der logischen Notwendigkeit, welches allein den Menschen zur Raison bringt und verhindert, daß seine Gedanken sich nicht ins Gebiet phantastischen Unsinns verlieren; er ist insofern allerdings eine Fessel, aber eine Fessel, welche die Sanitätspolizei der Natur dem Wahnsinn des Menschen angelegt hat.
»Wohl könnten wir, sagt noch im neunzehnten Jahrhundert der christliche Manichäismus,[Anmerkung 31] Amerika, Afrika und alle uns verborgene Länder der Erde erkennen, wenn uns nicht der schwere Leib an die Erdscholle unserer Geburt fesselte.« Wie lächerlich! Hast du denn keine Beine, die dich nach Afrika und Amerika tragen? Aber freilich, der Gang auf den Beinen ist dir zu langweilig und mühselig. Du willst als christlicher Engel in einem Nu über die Berge von Schwierigkeiten hinüberfliegen, die sich der irdischen Erkenntnis entgegenstellen. Aber siehst du denn nicht, daß diese im Fluge erworbene Kenntnis eine flüchtige, oberflächliche sein würde? siehst du nicht, daß die Schwere des Körpers das Fundament gründlicher, solider Erkenntnis ist? Seit wann haben denn die Christen eine Erkenntnis der Erde, der Natur überhaupt? Seitdem sie nicht mehr den Leib als »eine hemmende Fessel des Geistes« betrachteten, nicht mehr im Fluge des Gedankens oder der Phantasie als himmlische Geister über die Natur hinweg sich setzten, sondern den Körper zum Fundament und Mittel der Wissenschaft machten. »Wohl hätten wir«, fährt der rationalistische Manichäismus fort, »das Vermögen zu erkennen und zu begreifen, was auch in dem Monde, dem Merkur, der Venus, den anderen Planeten, den Kometen, der Sonne ist, aber der Körper fesselt uns an diese Erde.« Wie lächerlich! Ist es nicht der Körper, das Auge, das uns zu Sonne, Mond und Sternen erhebt? Stammt der Reichtum der modernen Astronomie nicht allein daher, daß sie sieht, was die alte Astronomie nicht sehen konnte? Allerdings läßt uns der Körper nicht von der Erde weg, aber diese Schranke ist eine sehr vernünftige Schranke, die nur das sokratische: Erkenne dich selbst uns zuruft; nur daran uns erinnert, daß wir nicht, wie die Christen, über dem Himmel die Erde, über dem Fernen das Nächste vergessen, nicht um Allotria uns bekümmern und mit dem Wissen begnügen, das der Mensch auf der Erde von den Sternen hat, haben kann und im Verlauf der Geschichte noch bekommen wird; denn wir wissen das Notwendige und Wesentliche von ihnen, was freilich nicht die Neugierde befriedigt; aber wer kann diese befriedigen? sie ist unerschöpflich in Fragen. Es ist daher nichts verkehrter, als wenn man bei der Frage von der Unsterblichkeit des Menschen nur die Partei des Geistes ergreift und von seinem sichtbaren, überhaupt sinnlichen Wesen abstrahiert, gleich als hätten die Sinne nicht auch ein gewichtiges Wörtchen mitzusprechen. Und doch ist diese Verkehrtheit eine Notwendigkeit; denn um einen unsterblichen Geist aus dem Menschen herauszubringen und in den Himmel zu expedieren, muß man die Sinne verschließen und nur seiner Einbildung Gehör geben. Der Geist, das Wesen ohne Körper, ohne Sinne, ohne örtliche und zeitliche Schranken ist freilich per se unsterblich; aber dieser Geist, dieses Wesen ist kein wirkliches, sondern eingebildetes Wesen, ist nichts anderes als das Wesen der menschlichen Einbildungskraft. In der Einbildung durchfliegst du wohl in einem Nu alle Zeiten und Räume; aber merke dir wohl: es sind nur eingebildete Zeiten und Räume. Wie willst du daher aus dieser eingebildeten Raum- und Zeitlosigkeit eine wirkliche zeit- und raumlose Existenz folgern? Ich setze oder denke, sagt der Spiritualist, wo er die ersten Gründe seiner Theologie und Unsterblichkeit entwickelt, es sei kein Mensch, kein Körper, keine Welt; aber glaubst du, daß deswegen wirklich kein Körper, kein Mensch ist? daß du unabhängig vom Körper bist und denkst? Wie willst du also diesem vom Körper unterschiedenen Wesen eine unsterbliche Existenz anweisen? Beweise erst, daß es kein Gedanke, keine Einbildung ist, daß es Existenz hat. Kannst du aber das? Unmöglich. Sein heißt sinnlich« sein.
Du denkst dich mit Wissen und Willen unterschieden vom Leibe, während du ohne Wissen und Willen mit ihm verbunden bist und nur in dieser Verbindung denkst. Dein vom Leibe unterschiedenes Wesen, welches du eben aus diesem deinem Dich vom Leibe unterscheiden folgerst und dir als ein besonderes, selbständiges unsterbliches Wesen vorstellst, ist daher nichts weniger als dein wahres Wesen; es ist nur ein Spiegelbild, ein Schatten, ein Produkt der Abstraktion, ein Exzerpt, das dich aber um so mehr frappiert, als du es aus seinem naturgemäßen Zusammenhang herausgerissen hast, ein Schlußsatz, der dir aber für ein Axiom gilt, weil die ihn vermittelnden und begründenden Vordersätze deinen Augen nicht gegenwärtig sind. Du denkst, ohne daß dir während des Denkens die Grundlagen und Bedingungen, die sinnlichen Voraussetzungen des Denkens Gegenstand sind; so verselbständigst du das Denken in einem schlechthin unbedingten Wesen, welches daher auch nie seine Existenz verliert, aber nur aus dem einfachen Grunde, weil es keine Existenz hat, außer im Kopfe des Denkers. Die spekulative Philosophie hat es daher gerade so gemacht, wie das Christentum: das Bewußtsein, den Schein an die Stelle des Wesens gesetzt, und in ihrer theologischen Verkehrtheit aus dem Schein das Wesen, aus dem reinen spekulativen, d. h. dem abstrakten, abgeleiteten Ich das empirische, d. h.wirkliche, ursprüngliche Ich deduziert.
»Die Russen glaubten noch zur Zeit Peters des Großen, daß nur die Zaren und Bojaren in den Himmel kommen würden.« Die Leute welche den Leib sterben, den Geist aber unsterblich sein lassen, stehen auf dem Standpunkt der Russen. Der Bojar oder Zar vielmehr ist der Geiste der Untertan oder gemeine Russe der Leib. Aber wie die Majestät des Zaren nur in der Einbildung des Russen, so existiert auch die Majestät des Geistes nur in der Einbildung der Menschen und ihrer Unwissenheit von seinem wahren Wesen. Der gemeine Russe weiß nichts von der Geschichte seines Zaren, weiß nicht, daß sich die Majestät zuletzt auf einen Schweinehirten oder sonst ein anderes Wesen seinesgleichen reduziert; er macht daher in dieser seiner Unwissenheit von den geschichtlichen Bedingungen der Majestät den Zaren zu einem Geschöpf seiner Einbildung, zu einem Wesen von Gottes Gnaden; und der Spiritualist weiß nichts von der Chronique scandaleuse des Geistes,[Anmerkung 32] nichts von der natürlichen Entstehungsgeschichte aller seiner supranaturalistischen Phantasmen und Abstraktionen, nichts von seiner Identität mit dem gemeinen, sinnlichen Wesen des Menschen; er macht ihn daher zu einem Wesen von Gottes Wesen, d. h. zu einem Wesen, das nur der menschlichen Abstraktion, Einbildung und Unwissenheit sein Dasein verdankt. Der Russe weiß nichts davon, daß der Zar nicht des Zaren, sondern des Russen wegen, der Mensch nicht des Staates, sondern der Staat des Menschen wegen da ist; daß die Majestät nur deswegen heilig gesprochen wird, damit Leben, Person und Eigentum des gemeinen Russen heilig sei; daß der Glanz der Majestät also kein eigenes, sondern erborgtes, abgeleitetes Licht ist; und der Spiritualist weiß nichts davon, daß der Mensch nicht des Geistes, sondern der Geist des Menschen wegen da ist; daß das sinnliche Wesen nicht ein Attribut oder gar Anhängsel des Geistes, sondern der Geist ein Attribut des sinnlichen Wesens ist; daß nur ein sinnliches Wesen das Bedürfnis des Denkens empfindet, die Sinnlichkeit also der Grund, die Voraussetzung der Vernunft, des Geistes ist aber eine Voraussetzung, die sich nicht, wie in der Hegelschen Dialektik, als eine richtige, scheinbare, transitorische erweist, sondern eine bleibende Wahrheit ist.
Als einst ein Erzbischof von Köln fernen großen Pomp und Prunk vor einem armen Tagelöhner, welcher ihn deshalb auslachte, mit der Distinktion rechtfertigte, daß er »nicht schlecht ein geistliche Person, sondern zugleich ein weltlicher Fürst und fürnehmes Glied des h. römischen Reichs sei, wandte ihm der Tagelöhner ein: Wann dann nun der Teufel den Fürsten zur Höllen führet, wo würde alsdann der Erzbischof bleiben?«[Anmerkung 33] Ich frage desgleichen die sämtlichen Glieder des heilig christlich germanischen Geisterreichs: wo denn der geistliche Herr bleibt, wenn der weltliche, leibliche Herr zum Teufel fährt?
»Was vermögen alle Gründe gegen die Unsterblichkeit wider das Gefühl? Ich habe aber eine Ahnung meiner zukünftigen Existenz, ich fühle es, daß ich unsterblich bin, also bin ich es, denn das Gefühl ist untrüglich.« Das heißt: ich bilde mir ein, ich glaube, unsterblich zu sein, darum fühle ich mich unsterblich, gleichwie der Mensch fühlt, daß er von Butter ist, wenn er es sich einbildet; fühlt, daß seine Nase fortwährend wächst, wenn er, sei es nun aus freien Stücken oder auf Einreden anderer, glaubt, daß sie immer größer wird. Allerdings ist das Gefühl untrüglich, aber nur das ursprüngliche, unmittelbare Gefühl, das Gefühl, welches das offenbare Dasein, die sonnenklare Gegenwart seines Gegenstandes voraussetzt und beurkundet. Ein solches Gefühl ist das Gefühl des Seins, das Gefühl, daß du bist. Aber wie kannst du fühlen, daß du sein wirst? Die Zukunft ist ja nicht; sie ist nur ein Gegenstand der Einbildung. Und wie nun gar fühlen, daß du nach dem Tode sein wirst? Zwischen deiner gegenwärtigen und zukünftigen Existenz steht ja eben der Tod in der Mitte. Wie willst du durch diese Scheidewand hindurch fühlen? Es ist daher nur die Vorstellung, die Einbildung und Reflexion, die dir auch nach und trotz dem Tode eine Existenz vormalt, die nun freilich, als ein Gegenstand der Einbildung, auch ein Gegenstand deines Gefühls ist. Aber eben weil dieses Gefühl nur ein Erzeugnis deiner Einbildung und Reflexion ist, hat es keine Gültigkeit und Autorität. Das Gefühl als solches sagt dir weder, daß du nicht sein wirst, noch, daß du sein wirst; es sagt dir nichts weiter, als daß du bist; es weiß nichts vom Tode, aber auch nichts von der Unsterblichkeit, so wie es nichts vom Atheismus, aber auch nichts vom Theismus weiß. Das Gefühl ist ein ewiges Kind, aber das Kind weiß weder, daß ein Gott, noch, das keiner ist. »Wahrlich, ich sage euch, es sei denn, daß ihr euch umkehrt, und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich (d. h. Menschenreich) kommen.«
»Die Lehrer werden leuchten, wie des Himmels Glanz.« Man siehet aus diesen Worten Daniels, bemerkt hierzu ein christlicher Theolog des vorigen Jahrhunderts, nicht nur, daß es Stufen in der Seligkeit der Auserwählten gebe, sondern auch besonders, daß die Gelehrten einer größeren Herrlichkeit teilhaftig sein werden, als die Ungelehrten. Die Worte des heiligen Hieronymus von dieser Sache sind viel zu schön, als daß wir sie weglassen sollten: »Man pflegt zu fragen, ob ein gelehrter Heiliger und ein ungelehrter einfältiger Heiliger einerlei Belohnung und einerlei Wohnung im Himmel erhalten werden? Nach der Meinung des Theodotans hält man dafür, daß die Gelehrten eine Gleichheit mit dem Glanz des Himmels haben, die anderen aber, die ohne Gelehrsamkeit gerecht und auserwählt sind, nur mit dem Glanz der Sterne verglichen werden.« Seht! so nimmt im Christentum nicht einmal mit dem Tode die menschliche Eitelkeit ein Ende. Selbst im Himmel will einer vor dem anderen glänzen der Eine mit der »Klarheit der Sterne, der Andere mit der Klarheit des Mondes, der Dritte mit der Klarheit der Sonne«; selbst im Himmel haben wir wieder dieselben Unterschiede und Stufen wie hier; Niedrigselige, Hochselige und Allerhöchstselige. Wie recht hatte doch jener Neger, welcher das Anerbieten der christlichen Unsterblichkeit mit den Worten ausschlug: »nach dem Tode ist alles aus, wenigstens für uns Neger; ich will kein anderes Leben, denn vielleicht wäre ich dort wieder euer Sklave.«
»Die Gelegenheit, das ewige Leben zu erwerben, sagen die Christen, wenigstens die alten Christen, hat Gott dem Menschen nur in diesem Leben gegeben.« Höchst flüchtig ist dieses Leben, und doch wird in ihm das ewige Leben erworben oder verloren. Höchst erbärmlich ist dieses Leben, und doch wird in ihm die ewige Seligkeit erworben oder verloren.« Dieses Leben bestimmt also bis in alle Ewigkeit hin die Beschaffenheit des anderen Lebens; war dieses Leben ein schlechtes, so ist es auch das künftige, war dieses Leben ein gutes, so ist es auch jenes. Dieses Leben hat daher in Wahrheit keine vorübergehende, sondern ewige Bedeutung; ich habe hier ein für allemal gelebt, denn meine wesentliche Qualität ändert sich nicht. Das Jenseits ist nur das Echo des Diesseits. So haben wir auch im alten Christentum die Bestätigung davon, daß das andere Leben zuletzt nur dieses Leben ist, aber vorgestellt ohne Ende.
Schließlich muß ich zu dem Abschnitt über den »allgemeinen Unsterblichkeitsglauben« die Bemerkung noch nachtragen, daß einige Völker ausdrücklich zwei Seelen annehmen, in Beziehung auf den Toten eine, die bei dem Leichnam bleibt, eine andere, die ins Land der Seelen geht; in Beziehung auf den Lebenden eine, die die Erscheinung des Atmens, eine andere, die die Erscheinung des Vorstellens, insbesondere des Träumens ausdrückt. Ich muß aber auch zugleich bei dem Worte Seele die Bemerkung wiederholen, daß die Christen wie ihre theistischen, so auch ihre psychologischen Vorstellungen den heidnischen Völkern unterschieben, obgleich diese ebensowenig etwas von einem Gott in unserem Sinne, d. h. einem abstrakten Wesen außer dem Menschen, als etwas von einer Seele in unserem Sinne, d. h. einem abstrakten Wesen im Menschen wissen. So heißt es z. B. in Cooks dritter und letzter Reise von den Bewohnern der Freundschaftsinseln: »über die Immaterialität und Unsterblichkeit der Seele haben sie ziemlich richtige Begriffe.« Gleichwohl heißt es darauf, daß »die Seelen, des gemeinen Mannes wenigstens, von einem Vogel namens Loata gefressen werden.« Übrigens haben die Christen allerdings auch Recht, wenn sie in den Seelen selbst der wildesten und rohesten Völker ihre eigene Seele erkennen, denn alle unsere religiösen und psychologischen Elementarvorstellungen unterscheiden sich nur dadurch von den Vorstellungen der rohen Völker, daß sie subtiler, abstrakter sind; im letzten Grunde aber sind sie dieselben.
Fußnoten
- ↑ Das Werk erscheint neu in Kröners Taschenausgabe.
- ↑ »Das Wesen des Christentums« von Ludwig Feuerbach erscheint gleichfalls neu im Verlag Alfred Kröner. Eine kurze Darstellung des Inhalts seiner sämtlichen Schriften gibt Feuerbach in den ersten »Vorlesungen über das Wesen der Religion« (Kröners Taschenausgabe).
- ↑ In der Tat ist der Unsterblichkeitsglaube ursprünglich nichts anderes als Gespensterglaube, nur muß man das Wort Gespenst nicht in einem zu engen Sinn nehmen. Wenn daher der Gottesglaube ein integrierender Bestandteil des menschlichen Bewußtseins ist, so ist es auch, ja noch mehr, der Gespensterglaube. Aus demselben Grund, aus welchem wir an einen Gott, müssen wir auch an das Gespenst glauben.
- ↑ Es versteht sich von selbst, daß zur Erklärung dieses Gebrauchs auch die Motive der Furcht und Liebe gehören, aber diese Affekte gehören ja an und für sich zur Vorstellung des Toten. Der Tote ist ebensowohl nach dem Eindrucke seiner einstigen Persönlichkeit ein Gegenstand der Liebe, als er nach seinem letzten Eindruck, nach dem Eindruck der Leiche ein Gegenstand der Furcht, des Schreckens, des Abscheus ist. Daher die widersprechenden Gebräuche und Vorstellungen der namentlich wilden Völker.
- ↑ Wirklich glauben auch die meisten Völker, wenigstens in demselben Sinne, in welchem sie an die Unsterblichkeit des Menschen glauben, an die Unsterblichkeit der Tiere. Die Lappen bezweifelten sogar ihre eigene Wiederauferstehung, während sie an die des Bären glaubten. Haben doch selbst viele räsonnierende Sachwalter der unsterblichen Seele die Unzertrennlichkeit der tierischen und menschlichen Unsterblichkeit anerkannt. In der Tat sprechen auch die nämlichen physiologischen und psychologischen Beweise, welche für die Unsterblichkeit des Menschen sprechen, für die der Tiere. Was aber die Unsterblichkeit der Kinder betrifft, so erinnere ich insbesondere nur an die alten Deutschen, welche glaubten, daß ein unbekleideter Toter auch in Walhall ewiger Nacktheit und allgemeinem Gelächter ausgesetzt wäre. So gilt also auch noch im Jenseits der profane Spruch: Kleider machen Leute.
- ↑ Der Mensch erklärt sich nämlich alles Unbegreifliche aus sich, sei es nun aus rein logischen oder persönlichen Gründen. So legt er denn auch dem Tode, solange er ihn noch nicht als eine Naturnotwendigkeit erkannt, solange er ihm folglich unbegreiflich ist, einen menschlichen Grund unter. Warum hast du uns denn verlassen? Was hat dir denn gefehlt? So fragt der Mensch auf diesem Standpunkt den Toten, setzt also voraus, daß er nicht gestorben wäre, wenn er nicht aus irgend einem besonderen Grund hätte sterben wollen. So denkt er alles
sub specie libertatis, unter der Form der menschlichen Willkür und Vernunft. Der Unterschied zwischen dem Standpunkte der Kultur, auf dem gegenwärtig die Menschheit noch in Religion und Philosophie steht, und dem Standpunkt der Unkultur besteht nur darin, daß diese das menschliche Blut, Herz, Fleisch, jene das menschliche Hirn zum Grundstoff aller Dinge macht. - ↑ Allerdings liegt den verschiedenen Göttern und Religionen so auch den verschiedenen Vorstellungen des Jenseits ein gemeinschaftliches Wesen zugrunde, aber dieses Grundwesen, das als der Urgott hinter allen Göttern steckt, ist einerseits (subjektiv) die menschliche, andererseits (objektiv) die un- oder nichtmenschliche Natur, denn der allen Menschen gemeinschaftliche Gegenstand ist ja die Natur. Die Dieselbigkeit der Natur ist jedoch ein Gedankending, in der Wirklichkeit ist sie unendlich verschieden. Das Eins der Religionen ist daher nicht weniger, aber auch nicht mehr Eins, als das Eins der menschlichen und äußeren Natur.
- ↑ Höchst merkwürdig sind auch in dieser Beziehung die Selbstbekenntnisse Luthers, dieses christlich germanischen Glaubenshelden. Er bekennt an unzähligen Stellen, daß eigentlich kein Mensch die Verheißungen des Christentums glaubt und glauben kann, weil sie für ihn zu hoch, zu überschwänglich, d. h. mit anderen Worten, weil sie nicht wahr, weil sie übertriebene Schmeicheleien sind. So sich selbst widersprechend ist das Christentum! Während es einerseits, d. h. in der Wirklichkeit, dem Menschen alles nimmt und abspricht, den Menschen aufs Tiefste erniedrigt und entwürdigt, verspricht es ihm andererseits, d. h. im Himmel der Einbildung, Seligkeit, Unsterblichkeit, Gottheit.
- ↑ Übrigens gibt es bekanntlich auch Krankheiten, wo gerade die Vorstellung und Hoffnung einer besseren Zukunft, d. h. hier der Genesung, ein Symptom des nahen Todes ist eine Erscheinung, die, wie andere verwandte, die superstitiösen Psychologen zu ihrem Besten ausgebeutet haben, die Physiologie aber ganz einfach erklärt. Mit dem Gesagten widerspricht auch nicht eine andere psychologische Erscheinung, die ich wenigstens an mir erfahren und in folgendem ungedruckten Aphorismus niedergelegt habe: »Je mehr sich der Mensch der Zeit nach dem Tode nähert, desto ferner stellt er ihn vor, desto mehr schiebt er ihn hinaus; je ferner er dagegen wirklich dem Tode steht, wie in der Jugend, desto näher denkt er sich ihn.« Denn diese Erscheinung hat nur darin ihren Grund, daß die Jugend sich gern mit bloßen Möglichkeiten, Vorstellungen, Träumen beschäftigt, während das reife Alter nur der Gegenwart lebt.
- ↑ Sonne, Mond und Sterne sich als höhere, überirdische, übermenschliche, himmlische, geistige Wesen zu denken, das ist der Menschheit auf dem Standpunkt der kindlich ästhetischen Anschauung so notwendig, als es ihr auf dem Standpunkt des christlichen Egoismus, welcher die Welt samt Sonne, Mond und Sterne zu einem Wohnhaus des Menschen erniedrigt hat, notwendig ist, sich einen persönlichen, absichtlichen Schöpfer der Natur zu denken, als es ihr aus dem Standpunkt des abstrakten, spekulativen, der Natur entfremdeten, sich selbst überlassnen Denkens notwendig ist, die Logik oder sonst ein spekulatives Gedankending der Natur als Grund vorauszusetzen. Nichts ist daher törichter, als aus der Denknotwendigkeit auf die Seinsnotwendigkeit zu schließen. Wenn deswegen ein Gott ist, weil der Mensch auf einem gewissen Standpunkt ihn als notwendig denkt, so ist auch die Bewegung der Planeten die kreisförmige, nicht die elliptische, denn die menschliche Vernunft denkt notwendig, ehe sie sich durch die Anschauung von dem Gegenteil überzeugt, die Kreisbewegung als die vollkommenste, naturgemäßeste. Man vergleiche hierzu, was Lichtenberg in seinem Nicolaus Copernicus sagt.
- ↑ So bei den Griechen den Heroen, den Helden. Vom Herakles heißt es bekanntlich bei Homer, daß sein Schatten in der Unterwelt, er selbst aber im Kreis der unsterblichen Götter weile. Was ist dieser Selbst? »Sein Geist.« Was ist aber Geist? Der durch seine Taten berühmte, geschichtliche oder mystische, im Himmel der Phantasie noch lebende Herakles; der andere aber ist ein Schatten, d. i. tot.
- ↑ Sapor bedeutet nicht den Geschmack in mir, den Sinn, aber wenn sich der Gustus, der Geschmack in mir verändert, so verändert sich ja eben auch der Geschmack des Dinges.
- ↑ Dies gilt selbst noch von der verruchtesten Zeit des Altertums, von der Zeit des römischen Despotismus, welcher sich nur dadurch von dem christlichen Despotismus unterscheidet, daß er ein physiologischer, muskulöser, gladiatorischer, akuter, sanguinischer, poetischer, sinnlicher, aufrichtiger, genialer Despotismus war, während der christliche Despotismus mehr ein psychologischer, nervöser, toxikologischer, chronischer, affektloser, prosaischer, verblümter, heuchlerischer, systematischer Despotismus ist.
- ↑ Ebenso lehrreich sind sie auch in betreff des Gottesglaubens, weil das, was den gemütsbefangenen, interessierten Christen zu unmittelbarer Gewißheit wurde, bei den freisinnigen Alten noch ein Gegenstand des Zweifels war. Was den Christen ein fertiges, ausgemachtes Wesen war, das sehen wir daher bei ihnen vor unseren Augen werden, entstehen. Das Christentum ist und kennt nur die Mutter Gottes; aber der Vater Gottes ist das Heidentum.
- ↑ Von diesem Gesichtspunkte aus muß man auch als Pädagog und Seelenarzt den Tod darstellen. Das menschliche Herz versöhnt sich mit dem Tode, wenn der Kopf den Tod ihm darstellt als die Verneinung aller der Übel und Leiden, die mit dem Leben verbunden sind, und zwar notwendig; denn wo Empfindung ist, da ist notwendig auch Schmerzempfindung, wo Bewußtsein, notwendig auch Unfriede und Zwiespalt mit sich selbst. Kurz das Übel ist so notwendig mit dem Leben verbunden, als der Stickstoff, in dem das Licht des Feuers und Lebens erlischt, mit dem Sauerstoff der Luft. Ununterbrochene Seligkeit ist ein Traum.
- ↑ Wie das Christentum überhaupt durch die Verheißung eines künftigen Lebens den Menschen um sein gegenwärtiges Leben gebracht hat, so bringt auch noch heute unsere christliche Pädagogik aus zärtlicher Sorgfalt für ihre Zukunft die armen Kinder um das Glück der Kindheit, die Jünglinge um das Glück der Jugend.
- ↑ Übrigens liegt auch dem religiösen Bedürfnis ein sehr reelles menschliches Bedürfnis zugrunde, wenigstens auf Seite der Theologen, nämlich das Bedürfnis, sich wichtig und unentbehrlich zu machen; denn solange die Menschheit im Unterschied von den Bedürfnissen menschlicher Bildung, menschlicher Kunst und Wissenschaft, menschlicher Tugend und Liebe ein besonderes religiöses Bedürfnis bat, so lange muß es auch eine besondere Kaste von Menschen geben, welche keine andere Aufgabe hat, als eben dieses erkünstelte, luxuriöse Bedürfnis zu pflegen.
- ↑ Geborenen Blinden und Tauben fehlt es gewöhnlich nicht an den äußeren Gesichts- und Gehörwerkzeugen, und wenn auch an den Nerven, so erstreckt sich doch der Fehler nicht auf die Nervenanfänge.
- ↑ Dies gilt auch von dem oben angeführten Beispiele. Die Vereinigung der Seele und des Leibes, der Gottheit und Menschheit erklärte man sich auf wunderbare Weise, d. h. eben auf die Weise, die auf diesem Standpunkt die einzig mögliche und richtige war.
- ↑ Wie stimmt aber dieser Satz mit den Wünschen unserer Proletarier, die nichts sind und haben? Ei! die Proletarier haben bereits sehr viel, denn sie haben menschliches Selbstgefühl, menschlichen Bildungstrieb, menschliche Arbeitslust. Sie wollen nicht, wie man ihnen böswilligerweise aufbürdet, vornehme Tagediebe, Müßiggänger und Schlemmer werden; sie wollen sich nicht im Burgunder und Champagner besaufen und an Austern und Gänseleberpasteten krank essen; sie wollen nur den Spottpreis der Arbeit steigern, den wahren Wert der Arbeit, folglich den Arbeiter als das, als was er sich bereits fühlt und weiß, nicht als Mittel, sondern als Selbstzweck, als selbstberechtigtes Wesen anerkannt wissen und geltend machen.
- ↑ Allerdings sterben die wenigsten Menschen auf dem Punkt, wo sich keine Fortsetzung mehr denken läßt, wo ihr Wesen sozusagen bis auf den letzten Tropfen erschöpft ist. Die meisten hätten immer noch etwas tun können, wenn sie länger gelebt hätten. Aber in diesem Sinne erschöpfen sich auch die wenigsten Tiere, die wenigsten Pflanzen. Die meisten hätten ihr Wesen noch länger forttreiben können, wenn nicht irgend eine besondere Ursache des Todes die Fortsetzung verhindert hätte. Merkwürdig, obwohl sehr begreiflich ist es, daß die Tiere unter dem Schutze der menschlichen Vorsehung ein weit höheres Alter erreichen, als im Freien unter dem Schutze der göttlichen Vorsehung, d. h. der Natur ein höchst populärer Beweis, daß in der Natur nichts anderes waltet als die Natur, da, wo die menschliche Vorsehung, die menschliche Vernunft aufhört, überhaupt die Vernunft und Vorsehung wenigstens in unserer Natur, d. h. auf der Erde aufhört.
- ↑ Wer das primitive Christentum wieder herstellt, stellt mit ihm auch die Prinzipien von allen den Konsequenzen wieder her, die er gerade durch diese Wiederherstellung beseitigen will. Das, was einst das Christentum war und wollte, will und ist jetzt das Menschentum. Nur die Wiederherstellung, die zugleich ein neues Prinzip aufstellt, ist die wahre; jede andere ist eine geistlose Repetition.
- ↑ Omnibus enim natura fundamenta dedit, semenque virtutum: omnes ad omnia ista nati sumus. Seneca. Ep. 108. Auch Kant in seiner Anweisung zur Menschen- und Weltkenntnis sagt: »Es gibt aber auch Menschen, welche von Natur einen Charakter haben, und welche zur Großmut, zur Ehrliebe usw. geboren zu sein scheinen.«
- ↑ Wir haben hieran ein sehr deutliches Beispiel, wie die Menschen auf Rechnung der Religion oder der Gottheit setzen, was in unendlich vielen, teils bemerkbaren, teils unmerklichen Ursachen seinen Grund hat, wie das Wort Gott nur ein kurzes und bequemes Wort ist, wodurch die Menschen das unendliche Viele der Wirklichkeit in ein Eins kompendiarisch zusammenfassen, um sich der Mühe zu überheben, die Gründe im Detail kennen zu lernen und anzugeben.
- ↑ Wenn die Menschen ihren Ursprung aus der Natur unbegreiflich finden, so kommt das nur daher, daß sie die unendliche Reihe von Veränderungen und Vermittlungen, die zwischen dem Menschen als Produkt der Bildung und dem Menschen als Produkt der Natur liegen, übersetzen, ihr jetziges Wesen mit dem ursprünglichen Wesen des Menschen identifizieren. Allerdings ist der Ursprung des Leutnants, Pastors, Regierungsrates, Professors aus der Natur unerklärlich, aber den Inhalt meines gegenwärtigen Kopfes kann ich auch nicht unmittelbar aus dem Mutterleib oder dem Zuller, den ich einst als Kind im Munde führte, ableiten. Wüßten wir nicht aus dem Munde anderer und bis zu einer gewissen Grenze aus der eigenen Erinnerung, daß wir einst Kinder waren, so würden wir das Dasein des erwachsenen Menschen ebenso unbegreiflich finden, zur Erklärung seines Ursprunges ebenso zu den Wundern der Theologie unsere Zuflucht nehmen, als jetzt zur Erklärung des ursprünglichen Menschen.
- ↑ Einen sehr augenfälligen Beweis, daß der vom Menschen, als bewußtem, wollenden, persönlichem Wesen, unterschiedene Gott nichts anderes bedeutet und ausdrückt, als die Natur, habe ich selbst auf Grund der spekulativen Philosophie in dem Abschnitt meiner Gedanken über T. u. U. gegeben, der ursprünglich die Überschrift »Gott« hatte, hier als der »metaphysische Grund des Todes« bezeichnet ist, denn der Begriff des Wesens oder der Substanz, der hier die Hauptrolle spielt, ist nichts anderes, als der abstrakte, metaphysische Begriff oder Ausdruck der Natur. Und der langen Rede kurzer Sinn ist nur der: das Bewußtsein setzt die Natur voraus. Was ich später mit klaren Worten aussprach, das habe ich hier nur auf spekulative, d. h. nebelige Weise ausgesprochen.
- ↑ Die daher auch nicht, wie die spekulative Philosophie, in dem mystischen Dunkel einer christlich germanischen Schusterstube, sondern in dem lichtvollen » kritischen Wäldchen« Herders ihre » Aurora« erblickt. Siehe Philosophus Teutonicus! Herders » Lebensbild« und empfange von diesem Priester und Propheten des Menschentums die Taufe der sinnlichen, menschlichen Philosophie.
- ↑ Meiners Allgemeine kritische Geschichte der Religionen II. B., welcher Schrift auch die folgenden, von den Vorstellungen roher Völker handelnden Stellen entnommen sind.
- ↑ Übrigens ist die Furcht vor dem Tode gar kein Beweis von dem Widerspruch des Todes mit dem Wesen des Menschen, denn diese Furcht beruht bei den Menschen oft auf den allertörichsten Vorstellungen.
- ↑ Die Gründe des Lucretius gegen die Unsterblichkeit sind, mit Ausnahme der letzten physiologischen Gründe, noch heute gültig. Was kann man z. B. gegen die unsinnige Kopulation eines sterblichen und unsterblichen Wesens besseres sagen, als er bereits gesagt hat: Quippe enim mortale aeterno jungere et una Consentire putare et fungi mutua posse, Desipere est, quid enim diversius esse putandum'st?
- ↑ Oder: »Die religiöse Glaubenslehre nach der Vernunft (?) und der Offenbarung für denkende (?) Leser.«
- ↑ Als einst ein Anatom die Lage der Gebärmutter zeigte, sagte er: »Hier lasset uns bespiegeln, wir Menschen, die wir mit unserer adeligen Ankunft prangen und meinen, wir seien bester als andere, hier ist unsere erste Wohnung zwischen Harn und Kot.« Ja, hier lasset euch bespiegeln, ihr vornehmen, zimperlichen Spiritualisten, die ihr den natürlichen Ursprung des Menschen, die materielle, sinnliche Genesis des Geistes zu despektierlich findet und euch daher für uranfängliche Herren von Gott oder Geist haltet!
- ↑ Zinkgref Teutsche Apophthegmata.
- ↑ Bastholm: Historische Nachrichten zur Kenntnis des Menschen in seinem wilden und rohen Zustande. VI. T.
- ↑ S. Baumgarten Allg. Geschichte der Länder und Völker von Amerika, I. T. S. 484 u. Meiners Allg. kritische Geschichte der Religion, II. Bd. S. 731.
- ↑ S. Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege von A. v. Feuerbach, besonders S. 241 bis 245.
- ↑ Burbach: Physiologie III. B.