Menü aufrufen
Persönliches Menü aufrufen
Nicht angemeldet
Ihre IP-Adresse wird öffentlich sichtbar sein, wenn Sie Änderungen vornehmen.

Fragen und Antworten  (Josef Stalin)

Aus ProleWiki


Fragen und Antworten
Autor*inJosef Stalin
Verfasst in1925
VerlagVerlag für Literatur und Politik (Dr. I. Wertheim) Wien
Quellehttps://www.projekt-gutenberg.org/stalin/fragantw/titlepage.html


Ich werde auf die mir schriftlich gestellten Anfragen in der Reihenfolge antworten, wie die zehn Anfragen auf den Zetteln vermerkt worden sind. Ich beginne mit der ersten.

I.

Durch welche Maßnahmen und unter welchen Bedingungen kann während der Diktatur des Proletariats das Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft befestigt werden, wenn die Sowjet-Union nicht von der sozialen Revolution des westeuropäischen Proletariats innerhalb der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre unterstützt wird?


Ich glaube, diese Frage schließt in sich alle übrigen schriftlich gestellten Fragen ein. Daher wird meine Antwort einen allgemeinen und insofern bei weitem nicht erschöpfenden Charakter haben. Denn sonst würde sich ja die Beantwortung der anderen Fragen erübrigen.

Meiner Ansicht nach geben die Beschlüsse der XIV. Parteikonferenz eine erschöpfende Antwort auf diese Frage. In diesen Beschlüssen heißt es, die beste Garantie für die Festigung des Bündnisses zwischen Stadt und Land bilde eine richtige Politik gegenüber der Bauernschaft. Aber was bedeutet das? Eine solche Politik kann nur in einer Reihe von Maßnahmen auf wirtschaftlichem, administrativ-politischem und kulturellem Gebiet bestehen.

Beginnen wir mit dem wirtschaftlichen Gebiet. Hier ist es vor allen Dingen notwendig, die Überbleibsel des Kriegskommunismus auf dem Lande zu liquidieren. Notwendig ist ferner eine richtige Preispolitik für industrielle Erzeugnisse und landwirtschaftliche Produkte, eine Politik, die das rasche Wachstum der Industrie und der Landwirtschaft und damit die Liquidierung der Schere gewährleistet. Ferner ist notwendig, daß die Gesamtsumme der landwirtschaftlichen Steuer herabgesetzt wird und daß diese Steuer allmählich aus dem allgemein staatlichen in das lokale Budget übergeht. Notwendig ist weiter, die Millionenmassen der Bauernschaft in den Genossenschaften zu vereinigen, vor allen Dingen in den landwirtschaftlichen und Kreditgenossenschaften, um auf diesem Wege die Bauernwirtschaft in das allgemeine System des sozialistischen Aufbaus einzureihen. Ferner müssen Traktoren aufs Land gebracht werden, um die Landwirtschaft auch technisch zu revolutionieren und Kulturzentren auf dem Lande zu schaffen. Schließlich muß der Elektrifizierungsplan realisiert werden, um auf diesem Wege eine weitere Annäherung zwischen Stadt und Land zu ermöglichen und die Gegensätze zwischen ihnen zu beseitigen.

Das ist der Weg, den die Partei zur Sicherung des Bündnisses zwischen Stadt und Land auf wirtschaftlichem Gebiet beschreiten muß.

Ich möchte ferner Ihre Aufmerksamkeit auf das Problem lenken, die landwirtschaftliche Steuer aus dem staatlichen in die lokalen Budgets zu überführen. Das erscheint vielleicht auf den ersten Blick hin merkwürdig. Trotzdem ist es Tatsache, daß die landwirtschaftliche Steuer den Charakter der lokalen Steuer angenommen hat und immer mehr annehmen wird. Es ist z. B. bekannt, daß früher, vor zwei Jahren, die landwirtschaftliche Steuer den wichtigsten oder fast wichtigsten Teil unseres staatlichen Budgets ausmachte. Und jetzt? Jetzt bildet sie nur einen unbedeutenden Teil des Staatsbudgets. Das Staatsbudget beläuft sich jetzt auf 2½ Milliarden Rubel, die Beträge aus der landwirtschaftlichen Steuer ergeben in diesem Jahre höchstens 250 bis 260 Millionen Rubel, also 100 Millionen weniger als im vorigen Jahre. Wie Sie sehen, ist das nicht gar so viel. Und je mehr das Staatsbudget anwachsen wird, um so geringer wird der Anteil dieser Steuer sein. Außerdem gehen von den 260 Millionen des Ertrages der landwirtschaftlichen Steuer 100 Millionen in das lokale Budget über. Das ist mehr als ein Drittel der ganzen Steuer. Wie ist das zu erklären? Dadurch, daß von allen bestehenden Steuern die landwirtschaftliche Steuer den lokalen Bedingungen am nächsten steht und am besten für lokale Bedürfnisse ausgenutzt werden kann. Das lokale Budget wird zweifellos im allgemeinen anwachsen, aber ebenso zweifellos ist es, daß es vor allem auf Kosten der landwirtschaftlichen Steuer anwachsen wird. Das ist um so wahrscheinlicher, als sich der Schwerpunkt der staatlichen Einnahmen verschoben hat und sich noch weiter verschieben wird, und zwar in dem Sinne, daß die Haupteinnahmen aus den staatlichen Unternehmungen, aus den indirekten Steuern usw. sich ergeben.

Aus diesem Grunde ist die Überführung der landwirtschaftlichen Steuer aus dem allgemeinen Staatsbudget in die lokalen Budgets absolut möglich und ist auch für die Festigung des Bündnisses zwischen Stadt und Land vollkommen zweckmäßig.

Gehen wir nun zu den Maßnahmen über, die das Bündnis zwischen Stadt und Land auf verwaltungspolitischem Gebiet sichern soll.

Die Errichtung einer Sowjet-Demokratie in Stadt und Land und die Belebung der Sowjets zum Zwecke der Vereinfachung, der Verbilligung und der moralischen Gesundung des Staatsapparates, zum Zwecke der Beseitigung aller Elemente des Bürokratismus und der bürgerlichen Zersetzung aus diesem Apparat, zum Zwecke der vollkommenen Verschmelzung des Staatsapparates mit den Millionenmassen, das ist der Weg, den die Partei beschreiten muß, wenn sie auf dem Gebiete des verwaltungspolitischen Aufbaues das Bündnis zwischen Stadt und Land festigen will. Die Diktatur des Proletariats ist nicht Selbstzweck. Die Diktatur ist das Mittel, der Weg zum Sozialismus. Und was ist Sozialismus? Der Sozialismus ist der Übergang von einer Gesellschaft, in der die Diktatur des Proletariats besteht, zur staatenlosen Gesellschaft. Um diesen Übergang zu verwirklichen, muß der Staatsapparat so aufgebaut sein, daß mit seiner Hilfe die Umwandlung der Gesellschaft, in der Diktatur herrscht, in eine staatenlose, kommunistische Gesellschaft ermöglicht wird. Diesem Ziele dient die Losung der Belebung der Sowjets, die Losung der sowjetistischen Demokratie in Stadt und Land, die Losung der Teilnahme der besten Elemente der Arbeiterklasse und des Bauerntums an der unmittelbaren Verwaltung des Landes. Den Staatsapparat zu verbessern, ihn wirklich zu reorganisieren, alle Elemente des Bürokratismus und der Zersetzung aus ihm zu entfernen, ihn den breiten Massen vertraut zu machen, all das ist ohne die dauernde und aktive Unterstützung des Staatsapparates durch die Massen selbst unmöglich. Aber die aktive und anhaltende Unterstützung durch die Massen ist ohne die Hinzuziehung der besten Arbeiter- und Bauernelemente zu den Verwaltungsorganen, ohne die Herstellung einer direkten und unmittelbaren Verbindung zwischen dem Staatsapparat und den breiten Massen der werktätigen Bevölkerung unmöglich.

Wodurch unterscheidet sich der Sowjet-Staatsapparat vom Apparat eines bürgerlichen Staates?

Vor allem dadurch, daß der bürgerliche Staatsapparat über den Massen steht, von der Bevölkerung durch eine undurchdringliche Wand getrennt und schon seinem Geiste nach den Volksmassen fremd ist, während der Sowjet-Staatsapparat mit den Massen verschmolzen ist; er kann und darf nicht über den Massen stehen, wenn er als Sowjet-Staatsapparat bestehen will, er kann den Massen nicht fremd sein, wenn er tatsächlich die Millionen-Massen der Werktätigen umfassen soll. Darin besteht einer der prinzipiellsten Unterschiede zwischen dem Sowjet-Staatsapparat und dem Apparat des bürgerlichen Staates.

Lenin sagte in seiner Broschüre »Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?«, daß 240 000 Mitglieder der bolschewistischen Partei zweifellos das Land im Interesse der Armen gegen die Reichen regieren könnten, da sie absolut nicht schlechter seien als die 130 000 Grundbesitzer, die das Land im Interesse der Reichen gegen die Armen regiert haben. Einige Kommunisten glauben deshalb, daß es genügen würde, den Staatsapparat mit einigen Hunderttausenden von Parteimitgliedern zu besetzen, um das mächtige Land verwalten zu können. In dieser Beziehung neigen sie oft dazu, die Partei mit dem Staat zu identifizieren. Das, Genossen, ist nicht richtig. Das ist eine Entstellung des Leninschen Gedankens. Als Lenin von den 240 000 Parteimitgliedern sprach, wollte er absolut nicht sagen, daß damit die zahlenmäßige Zusammensetzung und der allgemeine Umfang des Sowjet-Staatsapparates erschöpft sei oder erschöpft werden könne. Im Gegenteil, in den Staatsapparat schloß er neben den Parteimitgliedern noch eine Million Stimmen ein, die damals, vor dem Oktober, für die Bolschewiki abgegeben worden waren, und er erklärte, daß wir ein Mittel hätten, unseren Staatsapparat mit einem Schlage zu verzehnfachen, d. h. ihn auf 10 Millionen zu bringen und zwar, wenn wir die großen Massen der Werktätigen zur täglichen Arbeit der Verwaltung des Staates heranziehen.

»Diese 240 000 Menschen – sagt Lenin – haben schon jetzt nicht weniger als eine Million Stimmen der erwachsenen Bevölkerung hinter sich, denn ein solches Verhältnis zwischen der Zahl der Parteimitglieder und der Zahl der für die Partei abgegebenen Stimmen ist durch die Erfahrung Europas und die Erfahrung Rußlands, z. B. durch die August-Wahlen zur Petersburger Stadt-Duma, festgestellt worden. Da haben wir also bereits einen »Staatsapparat«, der aus einer Million Menschen besteht, die der Idee des sozialistischen Staates ergeben sind und nicht nur deswegen, um am 20. jeden Monats ihr Gehalt zu bekommen. Mehr als das, wir besitzen ein »Wundermittel«, um auf einmal, mit einem Schlage unseren Staatsapparat zu verzehnfachen, ein Mittel, über das kein kapitalistischer Staat je verfügte oder verfügen kann. Dieses Wundermittel ist die Hinzuziehung der Werktätigen, die Hinzuziehung der armen Bevölkerung zur Alltagsarbeit in der Verwaltung des Staates.« (Siehe Lenins Werke, Band XIV, 2. Teil.)

Wie geht diese »Hinzuziehung der Werktätigen, die Hinzuziehung der armen Bevölkerung zur täglichen Arbeit der Staatsverwaltung vor sich?

Sie geht vor sich in den Massenorganisationen, die eine eigene Initiative bekunden, durch alle möglichen Kommissionen und Komitees, Konferenzen und Delegierten-Versammlungen, die sich um die Sowjets, die wirtschaftlichen Organe, die Betriebsräte, die kulturellen Institutionen, die Partei-Organisationen, Jugendorganisationen, um allerhand genossenschaftliche Vereinigungen usw. usw. gruppieren. Oft sehen unsere Genossen nicht, daß rings um unsere Massenorganisationen, um die Partei, die Sowjets, die Gewerkschaften, den Jugendverband, die Armee-, Frauen-, kulturellen und anderen Organisationen ein ganzer Schwärm selbsttätiger Organisationen, Kommissionen und Komitees wimmelt, die Millionenmassen parteiloser Arbeiter und Bauern erfassen, ein Schwärm von Menschen, die in ihrer täglichen, mühsamen, geräuschlosen Kleinarbeit die Grundlage und das Leben der Sowjets, die Quelle der Kraft des Sowjetstaates schaffen. Ohne diese Millionen-Organisationen, die unsere Sowjet- und Parteiorgane umgeben, wäre das Bestehen und die Entwicklung der Sowjetmacht, die Leitung und Verwaltung des mächtigen Landes absolut undenkbar. Der Sowjet-Staatsapparat besteht nicht nur aus den Sowjets, denn neben den Sowjets bestehen Millionen-Organisationen, Partei- und parteilose Vereinigungen, die die Sowjets mit den breiten Massen verbinden, die den Staatsapparat mit der ganzen Bevölkerung verschmelzen und Schritt um Schritt alles vernichten, was eine Wand zwischen dem Staatsapparat und der Bevölkerung aufrichten könnte.

In dieser Weise müssen wir bemüht sein, unseren Staatsapparat zu »verzehnfachen«, ihn den Millionenmassen der Werktätigen nah und vertraut zu machen; wir müssen alle Überbleibsel des Bürokratismus aus ihm entfernen, ihn mit den Massen verschmelzen und so den Übergang von der Gesellschaft, in der die Diktatur des Proletariats herrscht, zur staatenlosen, zur kommunistischen Gesellschaft vorbereiten.

Das ist der Sinn und die Bedeutung der Losung von der Belebung der Sowjets und der Errichtung der Sowjet-Demokratie. Das sind die wichtigsten Maßnahmen zur Festigung des Bündnisses zwischen Stadt und Land, die auf dem Gebiet der verwaltungspolitischen Parteiarbeit notwendig sind.

Was die Maßnahmen zur Sicherung des Bündnisses zwischen Stadt und Land auf dem Gebiet der kulturellen Arbeit anbetrifft, so braucht darüber nur wenig gesagt zu werden, da diese Maßnahmen klar und allgemein bekannt sind und keiner Erläuterung bedürfen. Ich möchte nur die Grundlinien der Arbeit auf diesem Gebiet für die nächste Periode andeuten. Diese Grundlinien bestehen darin, daß man die Bedingungen schafft, die notwendig sind für die Einführung des obligatorischen Schulunterrichts im ganzen Lande, in der ganzen Union. Das, Genossen, ist eine Reform von ungeheuer großer Wichtigkeit. Ihre Durchführung wird ein großer Sieg sein, nicht nur an der kulturellen, sondern auch an der politischen und wirtschaftlichen Front. Diese Reform muß als Grundlage für einen mächtigen Aufschwung des Landes dienen. Aber sie wird Hunderte Millionen von Rubeln kosten. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß für ihre Durchführung eine ganze Armee, wohl etwa eine halbe Million Lehrer und Lehrerinnen notwendig sein werden. Aber wir müssen trotz allem die Durchführung dieser Reform in der allernächsten Zeit sicherstellen, wenn wir tatsächlich das Land auf eine höhere Kulturstufe bringen wollen. Und wir werden es tun, Genossen, daran kann kein Zweifel bestehen.

Das ist die Antwort auf unsere erste Frage.

Gehen wir jetzt zur zweiten Frage über.

II.

Welche Gefahren drohen unserer Partei im Zusammenhang mit der Stabilisierung des Kapitalismus, wenn diese Stabilisierung lange andauert?


Besteht überhaupt eine solche Gefahr?

Eine solche mögliche und sogar reale Gefahr ist zweifellos vorhanden. Doch bestehen bei uns Gefahren auch unabhängig von der Stabilisierung, nur macht die Stabilisierung sie noch fühlbarer. Dieser Gefahren, wenn man die hauptsächlichen nimmt, gibt es, wie mir scheint, drei:

a) die Gefahr, die sozialistische Perspektive beim Aufbau unseres Landes zu verlieren, und die damit zusammenhängende Gefahr des Liquidatorentums,

b) die Gefahr, die internationale, revolutionäre Perspektive zu verlieren, und der damit verbundene Nationalismus,

c) die Gefahr, daß die Partei ihre führende Stellung verliert und zu einem Anhängsel des Staatsapparates wird.

Analysieren wir die erste Gefahr.

Das charakteristische Merkmal dieser Gefahr ist der Mangel an Glauben an die inneren Kräfte unserer Revolution; der Mangel an Glauben an die Sache des Arbeiter- und Bauernbündnisses; der Mangel an Glauben an die führende Rolle der Arbeiterklasse innerhalb dieses Bündnisses, der Mangel an Glauben an die Umwandlung von »NEP-Rußland« in ein »sozialistisches Rußland«, der Mangel an Glauben an den Sieg des sozialistischen Aufbaues in unserem Lande.

Das ist der Weg des Liquidatorentums und der Entartung, denn er führt zur Liquidierung der Grundlagen und der Ziele der Oktoberrevolution, zur Entartung des proletarischen Staates zu einem bürgerlich-demokratischen Staat.

Die Quelle einer solchen Stimmung, der Boden ihres Entstehens in der Partei ist zu suchen in der Stärkung des bürgerlichen Einflusses auf die Partei unter den Verhältnissen der neuen ökonomischen Politik, unter den Verhältnissen des verzweifelten Kampfes der kapitalistischen und sozialistischen Elemente innerhalb unserer Volkswirtschaft. Die kapitalistischen Elemente führen einen Kampf nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet. Sie sind bemüht, den Kampf auf das Gebiet der Ideologie des Proletariats zu tragen, wobei sie den Versuch machen, die am wenigsten widerstandsfähigen Elemente der Partei anzustecken mit ihrem Unglauben an die Sache des sozialistischen Aufbaus, mit ihrem skeptischen Verhalten zu den sozialistischen Perspektiven unserer Aufbauarbeit, und diese Bemühungen sind nicht absolut fruchtlos geblieben.

Wie können wir, ein rückständiges Land, eine vollkommen sozialistische Gesellschaft aufbauen?, fragen manche von diesen angesteckten »Kommunisten«, der Zustand der Produktivkräfte unseres Landes gibt uns nicht die Möglichkeit, so utopische Ziele zu stellen; gebe Gott, daß wir uns irgendwie halten; können wir denn jetzt an Sozialismus denken? Arbeiten wir nur irgendwie, und dann werden wir weitersehen ...«

Wir haben unsere revolutionäre Mission bereits erfüllt, als wir die Oktoberrevolution machten – sagen andere – jetzt hängt alles von der Weltrevolution ab, denn ohne den vorherigen Sieg des westeuropäischen Proletariats können wir den Sozialismus nicht aufbauen; ein Revolutionär hat jetzt in Rußland eigentlich nichts mehr zu tun ... Bekanntlich war im Jahre 1923, am Vorabend der deutschen Revolution, ein Teil unserer Jugend bereit, die Bücher liegen zu lassen und nach Deutschland zu fahren; man behauptete, ein Revolutionär habe in Rußland nichts zu tun, man müsse die Bücher liegen lassen, um nach Deutschland zu fahren und dort Revolution zu machen.

Wie Sie sehen, stehen diese beiden Gruppen von »Kommunisten«, sowohl die erste als auch die zweite, auf dem Boden der Verneinung der sozialistischen Möglichkeiten unseres Aufbaues, auf dem Boden des Liquidatorentums. Der Unterschied zwischen ihnen besteht darin, daß die ersteren ihr Liquidatorentum unter einer »wissenschaftlichen« »Theorie der Produktionskräfte« zu verbergen suchen (nicht umsonst hat sie dieser Tage Miljukow in der Zeitung »Poslednije Nowosti« als »ernste Marxisten« bezeichnet); die zweiten suchen es zu verdecken mit radikalen und »schrecklich revolutionären« Phrasen über die Weltrevolution.

In der Tat, nehmen wir an, ein Revolutionär hätte in Rußland nichts mehr zu tun; nehmen wir an, daß es undenkbar, unmöglich sei, in unserem Lande den Sozialismus aufzubauen vor dem Siege des Sozialismus in anderen Ländern; nehmen wir an, daß der Sieg des Sozialismus sich in den fortgeschrittenen Ländern noch um 10 bis 20 Jahre verzögern wird, kann man unter solchen Umständen hoffen, daß die kapitalistischen Elemente unserer Wirtschaft, die in den Verhältnissen der kapitalistischen Einkreisung unseres Landes wirken, darauf eingehen werden, den Kampf auf Tod und Leben gegen die sozialistischen Elemente unserer Wirtschaft einzustellen und mit gefalteten Händen den Sieg der Weltrevolution abzuwarten? Es genügt, diese Frage zu stellen, um das Unsinnige einer solchen Annahme zu verstehen. Aber wenn diese Annahme ausgeschlossen ist, was bleibt dann unseren »ernsten Marxisten« und »schrecklichen Revolutionären« zu tun übrig? Es ist klar, daß ihnen nur eins übrig bleibt: der Gewalt der elementaren Mächte zu vertrauen und allmählich zu einfachen bürgerlichen Demokraten zu entarten.

Eins von beiden: entweder wir betrachten unser Land als die Basis der Weltrevolution, entweder wir besitzen, wie Lenin sagt, die Grundlage für den Aufbau einer vollkommenen sozialistischen Gesellschaft, und dann können und müssen wir diese Gesellschaft aufbauen und auf den vollen Sieg über die kapitalistischen Elemente unserer Volkswirtschaft rechnen; oder wir betrachten unser Land nicht als die Basis der Weltrevolution, wir haben keine Möglichkeit, den Sozialismus, die sozialistische Gesellschaft aufzubauen, und dann müssen wir, wenn der Sieg des Sozialismus in anderen Ländern lange auf sich warten läßt, uns damit abfinden, daß die kapitalistischen Elemente unserer Volkswirtschaft Oberhand gewinnen, daß die Sowjetmacht sich zersetzt, die Partei entartet.

Entweder das eine oder das andere.

Darum führt der Mangel an Glauben an die sozialistischen Möglichkeiten unseres Aufbaues zum Liquidatorentum und zur Entartung.

Darum ist der Kampf gegen die Gefahr des Liquidatorentums die nächste Aufgabe unserer Partei, besonders jetzt, besonders in den Verhältnissen der zeitweiligen Stabilisierung des Kapitalismus.

Gehen wir jetzt zur zweiten Gefahr über.

Das charakteristische Merkmal dieser Gefahr ist der mangelnde Glauben an die proletarische Weltrevolution und an ihren Sieg; das skeptische Verhalten gegenüber der national-freiheitlichen Bewegung in den Kolonien und abhängigen Ländern; das Unverständnis für die Tatsache, daß ohne Unterstützung durch revolutionäre Bewegung der übrigen Länder unser Land dem Weltimperialismus keinen Widerstand bieten kann; das Unverständnis für die Tatsache, daß der Sieg des Sozialismus in einem Lande nicht endgültig sein kann, weil dieses Land nicht gesichert ist vor Interventionen, solange die Revolution nicht wenigstens in einer Reihe von Ländern gesiegt hat; das Unverständnis für die elementare Forderung des Internationalismus, kraft deren der Sieg des Sozialismus in einem Lande nicht Selbstzweck sein kann, sondern Mittel zur Entwicklung und Unterstützung der Revolution in allen Ländern.

Das ist der Weg des Nationalismus und der Entartung, der Weg der absoluten Liquidierung der internationalen Politik des Proletariats, denn die von dieser Krankheit betroffenen Leute betrachten unser Land nicht als Teil eines Ganzen, das sich internationale revolutionäre Bewegung nennt, sondern als Beginn und Ende dieser Bewegung; sie sind der Meinung, daß den Interessen unseres Landes die Interessen aller übrigen Länder zum Opfer gebracht werden müßten.

Die freiheitliche Bewegung in China unterstützen? Wozu? Wird es nicht gefährlich sein? Wird uns das nicht in einen Gegensatz zu anderen Ländern bringen? Wird es nicht besser sein, in China zusammen mit anderen »fortgeschrittenen« Mächten »Einflußsphären« zu gewinnen und irgendeinen Teil von China für uns zu erpressen? Das wäre nützlich und auch ungefährlich ... Die freiheitliche Bewegung in Deutschland unterstützen? Lohnt es, das zu riskieren? Ist es nicht besser, sich mit der Entente über den Versailler Vertrag zu einigen und irgendetwas als Kompensation zu erhandeln? ... Freundschaft mit Persien, mit der Türkei, mit Afghanistan halten?, lohnt das Spiel den Einsatz? Wäre es nicht besser, zusammen mit irgendeiner der Großmächte die alten »Einflußsphären« wieder zu teilen? usw. usw.

Das sind die nationalistischen Stimmungen neuerer Art, die den Versuch machen, die Außenpolitik der Oktoberrevolution aufzugeben und die Elemente der Entartung zu kultivieren.

Wenn die Stärkung des bürgerlichen Einflusses auf die Partei in der Linie ihrer Innenpolitik, in der Linie des Kampfes der kapitalistischen und sozialistischen Elemente unserer Volkswirtschaft die Quelle der ersten Gefahr, der Gefahr des Liquidatorentums darstellt, so muß die Quelle der zweiten Gefahr, der Gefahr des Nationalismus, in der Stärkung des bürgerlichen Einflusses auf die Partei in der Linie ihrer Außenpolitik, in der Linie des Kampfes der kapitalistischen Staaten gegen den Staat der proletarischen Diktatur gesucht werden. Zweifellos ist der Druck der kapitalistischen Staaten auf unseren Staat ungeheuer groß, und es gelingt den Genossen, die auf dem Gebiete unserer Außenpolitik arbeiten, nicht immer, diesem Druck standzuhalten, so daß sie sich oft dazu verleiten lassen, den Weg des geringsten Widerstandes, den Weg des Nationalismus zu beschreiten.

Andererseits ist es klar, daß das erste siegreiche Land nur auf der Grundlage des konsequenten Internationalismus, nur auf der Grundlage der Außenpolitik der Oktoberrevolution die Rolle des Bannerträgers der Weltrevolution weiter spielen kann, daß der Weg des geringsten Widerstandes und des Nationalismus in der Außenpolitik den Weg der Isolierung und der Zersetzung des ersten siegreichen Landes bedeutet.

Darum führt der Verlust der internationalen revolutionären Perspektive zur Gefahr des Nationalismus und der Entartung.

Darum ist der Kampf gegen die Gefahr des Nationalismus in der Außenpolitik die nächste Aufgabe der Partei.

Gehen wir schließlich zur dritten Gefahr über. Das charakteristische Merkmal dieser Gefahr ist der Unglaube an die inneren Kräfte der Partei, das Mißtrauen gegen die Führung der Partei; das Bestreben des Staatsapparates, die führende Rolle der Partei zu schwächen, sich von ihr zu befreien; das mangelnde Verständnis für die Tatsache, daß es ohne die Führung durch die Partei keine Diktatur des Proletariats geben kann.

Diese Gefahr kommt von drei Seiten:

1. Die Klassen, die geführt werden müssen, haben sich geändert. Die Arbeiter und Bauern sind nicht mehr dieselben, die sie in der Periode des Kriegskommunismus waren. Früher war die Arbeiterklasse deklassiert und zersplittert, das Bauerntum aber war erfüllt von Angst vor der Rückkehr der Grundbesitzer im Falle einer Niederlage im Bürgerkrieg; in dieser Periode war die Partei die einzige konzentrierte Kraft, die eine Führung nach militärischer Art übernehmen konnte. Jetzt ist die Lage eine andere. Es gibt keinen Krieg mehr, folglich besteht auch keine Gefahr, die die werktätigen Massen um die Partei sammelte. Das Proletariat ist wiederhergestellt und hat sowohl in kultureller als in materieller Beziehung ein höheres Niveau erreicht. Auch das Bauerntum hat sich entwickelt und steht jetzt auf einem höheren Niveau. Die politische Aktivität der beiden Klassen wächst und wird immer mehr wachsen. Eine Führung nach militärischer Art ist nicht mehr möglich. Zunächst ist eine maximale Elastizität in der Führung notwendig. Notwendig ist, zweitens, eine außerordentliche Sensibilität gegenüber den Nöten und Bedürfnissen der Arbeiter und Bauern. Notwendig ist, drittens, das Verständnis für die Auslese der besten Arbeiter und Bauern, die im Verlaufe der Entwicklung der politischen Tätigkeit dieser Klassen besonders hervorgetreten sind, und ihr Einreihen in die Partei. Aber diese Bedingungen und Eigenschaften kommen bekanntlich nicht auf einmal. Daher das Mißverhältnis zwischen den Bedürfnissen der Partei und den Möglichkeiten, die ihr in diesem Moment zur Verfügung stehen. Daher die Gefahr der Schwächung und des Verlustes der führenden Stellung der Partei.

2. In der letzten Periode, in der Periode der wirtschaftlichen Entwicklung, ist der Apparat des Staates und der öffentlichen Organisationen bedeutend gewachsen und erstarkt. Die Trusts und Syndikate, die Handels- und Kredit-Institutionen, die administrativpolitischen und kulturellen Organisationen, schließlich die Genossenschaften aller Art sind sehr gewachsen und erweitert worden, sie haben Hunderttausende neuer, hauptsächlich parteiloser, Mitglieder in sich aufgenommen. Aber die Apparate wachsen nicht nur zahlenmäßig. Sie wachsen auch an Kraft und spezifischem Gewicht. Und je mehr ihre Bedeutung steigt, um so fühlbarer macht sich ihr Druck auf die Partei, um so mehr gelingt es ihnen, die Parteiführung zu schwächen, um so stärker ist ihr Widerstand gegen die Partei. Es ist eine solche Umgruppierung der Kräfte und eine solche Verteilung der Leitung innerhalb dieser Apparate notwendig, daß auch in der neuen Lage die Führung durch die Partei gesichert wird. Aber das alles kann nicht mit einem Schlage erreicht werden. Daher die Gefahr der Losreißung des Staatsapparates von der Partei.

3. Die Arbeit selber ist kompliziert und differenziert worden. Ich spreche von der jetzigen Aufbauarbeit. Ganze Zweige und Unterzweige der Arbeit, sowohl auf dem Lande als auch in der Stadt, sind entstanden und entwickeln sich. Dementsprechend ist auch die Führung eine konkretere geworden. Früher war es üblich, von der Führung »im allgemeinen« zu sprechen. Jetzt ist die Führung »im allgemeinen« ein leeres Geschwätz. Jetzt ist eine konkrete, gegenständliche Führung notwendig. Die verflossene Periode hat den Typus eines allwissenden Parteiarbeiters geschaffen, der bereit war, alle Fragen der Theorie und Praxis zu beantworten. Jetzt muß dieser alte Typus des allwissenden Parteiarbeiters einem neuen Typus Platz machen, der bemüht ist, auf einem bestimmten Gebiete der Arbeit sein Feld zu behaupten. Um wirklich führen zu können, muß man den Gegenstand kennen, muß man ihn gewissenhaft, geduldig, mit viel Ausdauer, studieren. Man kann nicht auf dem Lande eine führende Rolle spielen, wenn man die Landwirtschaft, das Genossenschaftswesen nicht kennt, wenn man die Preispolitik, die Gesetze nicht studiert hat, die sich direkt auf das Land beziehen. Man kann in der Stadt nicht führend sein, wenn man die Industrie und das Leben der Arbeiter nicht kennt, wenn man auf die Nöte der Arbeiter nicht zu reagieren versteht, wenn man das Genossenschaftswesen, die Gewerkschaftsfrage, das Klubwesen, nicht studiert hat. Aber kann man das alles mit einem Schlage erreichen? Leider geht das nicht. Um die Parteiführung auf die notwendige Höhe zu heben, muß vor allem die Qualifikation der Parteiarbeiter gehoben werden. Die Qualifikation des aktiven Parteiarbeiters muß jetzt an erster Stelle stehen. Aber sie kann nicht mit einem Schlage gehoben und verbessert werden. Die alten Gewohnheiten der eiligen Arbeit, die leider die Sachkenntnis ersetzen, sind in den Parteiorganisationen immer noch lebendig. Daraus erklärt sich eigentlich auch der Umstand, daß die sogenannte Führung durch die Partei oft ausartet in eine lächerliche Anhäufung von Verordnungen, die niemanden nutzen, in eine leere »Führung«, die nichts führt. Das ist eine der ernstesten Gefahren für die Schwächung und den Zerfall der Parteiführung.

Das sind im allgemeinen die Gründe, aus denen die Gefahr, die der führenden Stellung der Partei droht, zur Zersetzung und Entartung der Partei führt: Darum ist der entschlossene Kampf gegen diese Gefahr die nächste Aufgabe unserer Partei.

Das ist die Antwort auf die zweite Frage. Gehen wir jetzt zur dritten über.

III.

Wie muß der Kampf gegen das Kulakentum geführt werden, ohne dadurch den Klassenkampf zu schüren?


Ich denke, daß diese Frage nicht ausführlich genug und darum falsch gestellt ist. Von welchem Klassenkampf ist hier die Rede? Wenn vom Klassenkampf auf dem Lande im allgemeinen die Rede ist, so führt ihn das Proletariat nicht nur gegen das Kulakentum. Die Gegensätze zwischen dem Proletariat und dem Bauerntum als Ganzem – ist das nicht auch ein Klassenkampf, wenn dieser auch eine ziemlich ungewöhnliche Form annimmt? Ist es denn nicht richtig, daß das Proletariat und das Bauerntum heute die beiden grundlegenden Klassen unserer Gesellschaft bilden, daß es zwischen diesen beiden Klassen Gegensätze gibt, die allerdings zu überbrücken und schließlich zu überwinden sind, daß es aber trotzdem Gegensätze sind, die den Kampf zwischen diesen beiden Klassen hervorrufen?

Ich denke, daß der Klassenkampf in unserem Lande, wenn man die Beziehungen zwischen Stadt und Land, zwischen Proletariat und Bauerntum im Auge hat, an drei Hauptfronten vor sich geht:

a) die Front des Kampfes zwischen Proletariat als Ganzem (in der Person des Staates) und dem Bauerntum auf dem Gebiete der Festlegung der Preisgrenzen für Fabrikerzeugnisse und landwirtschaftliche Produkte, auf dem Gebiete der Normalisierung des Steuerwesens usw.;

b) die Front des Kampfes zwischen Proletariat als Ganzem (in der Person des Staates) und dem Kulakentum auf dem Gebiete der Liquidierung der Spekulationspreise für landwirtschaftliche Produkte, auf dem Gebiete der Abwälzung der Hauptlast der Steuern auf das Kulakentum usw.;

c) die Front des Kampfes zwischen der Dorfarmut, vor allem den Tagelöhnern, und dem Kulakentum.

Sie sehen, daß diese Fronten weder ihrem spezifischen Gewichte noch dem Charakter des vor sich gehenden Kampfes nach gleich sein können. Darum muß auch unser Verhältnis zu den Formen des Klassenkampfes an diesen Fronten verschieden, ungleich sein.

Sehen wir uns die Sache näher an.

Die erste Front. Das Proletariat (in der Person des Staates), das mit der Schwäche unserer Industrie und der Unmöglichkeit, Anleihen für sie zu bekommen, rechnet, hat eine Reihe wichtiger Maßnahmen getroffen, die die Industrie vor der Konkurrenz der ausländischen Industrie schützen und die imstande sind, ihre Entwicklung zum Nutzen unserer ganzen Volkswirtschaft, darunter auch der Landwirtschaft, zu beschleunigen. Diese Maßnahmen sind: das Außenhandelsmonopol, landwirtschaftliche Steuern, die staatlichen Formen der Beschaffung landwirtschaftlicher Produkte, die Planmäßigkeit in der Entwicklung der Volkswirtschaft, und zwar all das – auf der Grundlage der Nationalisierung der wichtigsten Industriezweige, des Transportes und des Kredites. Sie wissen, daß diese Maßnahmen dazu geführt haben, wozu sie führen mußten, sie haben dem unaufhaltsamen Sturz der Preise für Industrieprodukte, wie auch dem unaufhaltsamen Steigen der Preise für landwirtschaftliche Produkte eine Grenze gesetzt. Andererseits ist es klar, daß das Bauerntum, das Industrieerzeugnisse kauft und die Produkte seiner Wirtschaft auf den Markt bringt, vorzieht, diese Erzeugnisse zu möglichst niedrigen Preisen zu erhalten und die eigenen Produkte zu möglichst hohen Preisen zu veräußern. Außerdem ist das Bauerntum sehr dafür, daß die landwirtschaftliche Steuer abgeschafft oder wenigstens auf ein Minimum herabgesetzt wird.

Das ist der Boden für den Kampf zwischen Proletariat und Bauerntum.

Kann der Staat auf die oben angeführten Maßnahmen verzichten? Nein, das kann er nicht, denn der Verzicht auf diese Maßnahmen würde in diesem Augenblick zur Zerstörung unserer Industrie führen, zum Zerfall des Proletariats als Klasse, zur Umwandlung unseres Landes in eine Agrarkolonie der industriell entwickelten kapitalistischen Länder, zum Zusammenbruch unserer ganzen Revolution.

Ist das Bauerntum als Ganzes an der Beseitigung dieser wichtigen Maßnahmen unseres Staates interessiert? Nein, es ist nicht daran interessiert. Denn die Beseitigung dieser Maßnahmen im jetzigen Moment bedeutet den Triumph des kapitalistischen Entwicklungsweges, der kapitalistische Entwicklungsgang aber ist der Weg der Entwicklung über die Verarmung der Mehrheit des Bauerntums im Namen der Bereicherung eines kleinen Häufleins von Reichen, eines Häufleins von Kapitalisten. Wer wird zu behaupten wagen, daß das Bauerntum an seiner eigenen Verarmung interessiert ist, daß es interessiert ist an der Umwandlung unseres Landes in eine Kolonie, daß es nicht absolut interessiert ist am Triumph der sozialistischen Entwicklung unserer Volkswirtschaft?

Das ist der Boden für das Bündnis zwischen Proletariat und Bauerntum.

Bedeutet das, daß unsere Industrieorgane, die sich auf das Monopol stützen, die Preise für Industrieprodukte heraufschrauben können zum Schaden der Interessen der großen Masse des Bauerntums und zum Schaden der Industrie selber? Nein, das bedeutet es nicht. Eine solche Politik würde vor allem die Industrie selber schädigen, sie würde es uns unmöglich machen, unsere Industrie aus einer schwachen Treibhauspflanze, die sie gestern noch war, umzuwandeln in eine starke und machtvolle Industrie, die sie morgen werden muß. Daher unsere Kampagne zugunsten niedrigerer Preise für Industrieprodukte und zugunsten der Hebung der Produktivität der Arbeit. Sie wissen, daß diese Kampagne einen großen Erfolg zu verzeichnen hat.

Bedeutet das außerdem, daß unsere Versorgungsorgane, die sich auf das Monopol stützen, die Preise für landwirtschaftliche Produkte soweit herabsetzen können, daß dadurch das Bauerntum verarmt, – zum Schaden der Interessen sowohl des Proletariats als auch des Bauerntums und zum Schaden der Interessen unserer gesamten Volkswirtschaft? Nein, das bedeutet es nicht. Eine solche Politik würde vor allem für die Industrie verhängnisvoll werden, denn sie würde erstens die Versorgung der Arbeiter mit landwirtschaftlichen Produkten erschweren, zweitens den inneren Markt unserer Industrie endgültig zersetzen und desorganisieren. Daher unsere Kampagne gegen die sogenannte »Schere«. Sie wissen, daß diese Kampagne bereits günstige Resultate gezeitigt hat.

Bedeutet das schließlich, daß unsere lokalen oder zentralen Organe, die sich auf die landwirtschaftlichen Steuern und auf ihr Recht, diese Steuern einzuziehen, stützen, das Steuergesetz betrachten können als etwas Unumstößliches, das ihnen in der Ausübung ihres Amtes die Möglichkeit gibt, die Kornspeicher auseinanderzunehmen und die Dächer von den Häusern der besitzlosen Steuerzahler abzunehmen, wie dies in einigen Bezirken des Tambower Gouvernements vorgekommen ist? Nein, das bedeutet es nicht. Eine solche Politik würde den Bauern jedes Vertrauen zum Proletariat, zum Staate, nehmen. Daher die letzten Maßnahmen der Partei zur Reduzierung der landwirtschaftlichen Steuern, zu ihrer Umwandlung in lokale Steuern, zur Organisation des Steuerwesens überhaupt, zur Beseitigung aller Widerwärtigkeiten, die bei der Einziehung der Steuern hier und da vorgekommen sind. Sie wissen, daß diese Maßnahmen bereits gute Resultate gezeitigt haben.

Wir haben also erstens eine Interessengemeinschaft des Proletariats und Bauerntums in den wichtigsten Fragen, ihr gemeinsames Interesse für den Triumph des sozialistischen Entwicklungsweges unserer Volkswirtschaft. Daher das Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Bauerntum. Wir haben, zweitens, Interessengegensätze zwischen Arbeiterklasse und Bauerntum in laufenden Fragen, daher der Kampf innerhalb dieses Bündnisses, ein Kampf, der jedoch immer innerhalb des Rahmens der Interessengemeinschaft sich abspielt, und der in Zukunft verschwinden wird, wenn die Arbeiter und Bauern nicht mehr Klassen sein werden, wenn sie gleichberechtigte Mitglieder der klassenlosen Gesellschaft sein werden. Wir haben, drittens, Mittel und Wege zur Überbrückung dieser Widersprüche zwischen Arbeiterklasse und Bauerntum innerhalb des Rahmens des Bündnisses zwischen Arbeitern und Bauern, im Interesse beider Verbündeten, zur Festigung des Bündnisses, und wir haben diese Mittel und Wege nicht nur zu unserer Verfügung, sondern wir wenden sie schon auf die komplizierten Verhältnisse der neuen ökonomischen Politik und der zeitweiligen Stabilisierung des Kapitalismus mit Erfolg an.

Folgt daraus, daß wir den Klassenkampf an dieser Front entfachen müssen? Nein, das folgt nicht daraus. Im Gegenteil! Daraus folgt nur, daß wir mit allen Mitteln danach streben sollen, den Kampf an dieser Front zu mildern, und zwar mit Hilfe einer Reihe von Abkommen und gegenseitiger Zugeständnisse; auf jeden Fall müssen wir verhindern, daß er scharfe Formen, die zu Zusammenstößen führen können, annimmt. Und das tun wir auch. Denn wir haben dazu alle Möglichkeiten. Denn die Interessengemeinschaft ist viel stärker und tiefer als der Interessengegensatz.

Wie Sie sehen, ist die Losung, den Klassenkampf zu entfachen, absolut unbrauchbar für den Kampf an dieser Front.

Die zweite Front. Hier treten das Proletariat (in der Person des Sowjet-Staates) und das Kulakentum aktiv auf die Bühne. Die Formen des Klassenkampfes sind hier ebenso eigenartig wie im Kampfe an der ersten Front.

Im Bestreben, der landwirtschaftlichen Steuer stark ausgeprägt den Charakter einer Einkommensteuer zu geben, wälzt der Staat die Hauptlasten der Steuer auf die Schultern des Kulakentums ab. Die Kulaki beantworten das, indem sie bemüht sind, sich auf jede Art und Weise von den Steuern zu drücken und all ihre Kraft und ihren ganzen Einfluß auf dem Lande auszunutzen, um die Schwere der Steuerlast auf die Schultern der mittleren und armen Bauern abzuwälzen.

Im Kampfe gegen die Teuerung und im Bestreben, die Stabilität des Arbeitslohnes aufrecht zu erhalten, ist der Staat bemüht, Maßnahmen wirtschaftlichen Charakters zu ergreifen, die dazu führen sollen, gerechte Preisgrenzen für landwirtschaftliche Produkte festzulegen, die den Interessen der Bauernwirtschaft vollkommen entsprechen. Das Kulakentum beantwortet diese Maßnahme, indem es die Produkte der armen und mittleren Bauern aufkauft, große Reserven ansammelt, sie in seinen Kornspeichern festhält und nicht auf den Markt kommen läßt, um so die Preise künstlich hochzuschrauben, sie auf die Höhe von Spekulationspreisen zu bringen. Sie wissen wahrscheinlich, daß es den Kulaki in einigen Gouvernements unseres Landes in diesem Jahre gelungen ist, die Brotpreise auf 8 Rubel pro Pud heraufzuschrauben.

Daher der Klassenkampf an dieser Front mit seinen eigenartigen und mehr oder weniger klar hervortretenden Formen.

Es könnte scheinen, als wäre die Losung, den Klassenkampf an dieser Front zu entfachen, hier vollkommen anwendbar. Aber das ist unrichtig, vollkommen unrichtig. Denn auch hier sind wir an der Entfachung des Klassenkampfes nicht interessiert, denn wir können hier ohne diesen Kampf und die mit ihm verknüpften Komplizierungen auskommen.

Wir können und müssen die Sowjets neu beleben, die mittleren Bauern für uns gewinnen und die Dorfarmut innerhalb der Sowjets organisieren, um zu erreichen, daß die Hauptlast der Steuern auf die Schultern des Kulakentums abgewälzt wird und die große Masse der ärmeren Bauern eine geringere Steuerlast trägt. Sie wissen, daß Maßnahmen in dieser Richtung getroffen sind und daß sie bereits günstige Resultate gezeitigt haben.

Wir können und müssen dem Staate genügend große Reserven an Lebensmitteln zur Verfügung stellen, damit er in der Lage ist, auf den Lebensmittelmarkt einen Druck auszuüben, zu intervenieren, wenn dies notwendig ist, die Preise auf einem für die arbeitenden Massen annehmbaren Niveau zu halten und so die Machinationen des spekulierenden Kulakentums zu untergraben. Wir haben dieser Sache in diesem Jahre viele Millionen Pud Getreide geopfert. Wir haben auf diesem Gebiete günstige Resultate erreicht, denn es ist uns gelungen, nicht nur in solchen Bezirken, wie Leningrad, Moskau, das Don-Becken, Iwanowo-Wosnessensk usw. die Brotpreise niedrig zu halten, sondern wir haben auch das Kulakentum gezwungen, in einer Reihe von Bezirken zu kapitulieren und die alten Brotreserven auf den Markt zu werfen.

Natürlich hängt die Sache hier nicht nur von uns ab. Es ist sehr wohl möglich, daß das Kulakentum in einigen Fällen selber anfangen wird, den Klassenkampf zu entfesseln, daß es versucht, ihn auf den Siedepunkt zu treiben und ihm die Form einer Banditen- oder einer Aufstandsbewegung zu geben. Aber dann wird die Losung der Entfachung des Kampfes nicht mehr unsere Losung, sondern die Losung des Kulakentums, folglich eine konterrevolutionäre Losung sein. Außerdem wird dann natürlich das Kulakentum alle Nachteile dieser Losung, die gegen den Sowjetstaat gerichtet ist, am eigenen Leibe zu spüren haben.

Wie Sie sehen, ist die Losung der Entfachung des Klassenkampfes auch für diese zweite Front nicht anwendbar.

Die dritte Front. Hier wirken zwei Kräfte: einerseits die Dorfarmen, vor allem die Tagelöhner, andererseits das Kulakentum. Der Staat steht hier formell abseits. Diese Front ist nicht so breit wie die beiden früher genannten. Außerdem tritt der Klassenkampf an dieser Front klar und offen zutage, während er an den anderen Fronten mehr oder weniger maskiert ist.

Hier handelt es sich um eine direkte Ausbeutung von Arbeitern oder Halbarbeitern durch das Unternehmer-Kulakentum. Darum können wir hier keine Politik der Besänftigung, der Milderung des Kampfes betreiben. Unsere Aufgabe besteht hier darin, daß wir den Kampf der Dorfarmen gegen das Kulakentum organisieren und leiten.

Bedeutet das nicht, daß wir dadurch den Klassenkampf künstlich entfachen? Nein, das bedeutet es nicht. Brauchen wir jetzt, wo wir die Diktatur des Proletariats haben und wo die Partei- und Gewerkschafts-Organisationen vollkommen frei handeln können, solche künstlichen Mittel? Natürlich nicht.

Darum ist die Losung der Entfachung des Klassenkampfes auch für diese dritte Front nicht annehmbar.

So steht es mit der dritten Frage. Wie Sie sehen, ist die Frage des Klassenkampfes auf dem Lande nicht so einfach, wie das auf den ersten Blick scheinen könnte.

Gehen wir jetzt zur vierten Frage über.

IV.

Soll die Arbeiter- und Bauernregierung eine wirkliche Tatsache oder nur eine Losung für die Agitation sein?


Die Formulierung der Frage erscheint mir etwas merkwürdig. Was bedeutet die Formulierung: Soll die Arbeiter- und Bauernregierung eine wirkliche Tatsache oder nur eine Losung für die Agitation sein? Das würde heißen, daß die Partei auch solche Losungen aufstellen kann, die der Wirklichkeit nicht entsprechen und nur den Zielen eines hinterlistigen Manövers dienen, das aus irgendeinem Grunde hier »Agitation« genannt wird. Das würde heißen, daß die Partei Losungen aufstellt, die wissenschaftlich nicht begründet sind und nicht begründet werden können. Kann das stimmen? Nein, das kann es nicht. Eine solche Partei würde verdienen, nach kurzer Zeit wieder wie eine Seifenblase zu verschwinden. Unsere Partei wäre dann nicht die Partei des Proletariats, die eine wissenschaftlich begründete Politik treibt, sondern ein leerer Schaum an der Oberfläche der politischen Ereignisse.

Unsere Regierung ist ihrem Charakter, ihrem Programm und ihrer Taktik nach eine proletarische kommunistische Arbeiterregierung. Hierüber kann es keine Zweifel geben. Unsere Regierung kann nicht gleichzeitig zwei Programme haben, ein proletarisches und noch irgendein anderes. Ihr Programm und ihre praktische Arbeit sind proletarisch, kommunistisch, und in diesem Sinne ist unsere Regierung zweifellos eine proletarische, kommunistische.

Bedeutet das, daß unsere Regierung nicht gleichzeitig auch eine Arbeiter- und Bauernregierung ist? Nein, das bedeutet es nicht. Unsere Regierung, die ihrem Programm und ihrer Arbeit nach eine proletarische ist, ist gleichzeitig eine Arbeiter- und Bauernregierung. Warum? Weil die innersten Interessen der übergroßen Bauernmasse vollkommen übereinstimmen mit den Interessen des Proletariats.

Weil die Interessen des Bauerntums infolgedessen ihren vollkommenen Ausdruck finden im Programm des Proletariats, im Programm der Sowjetregierung.

Weil die Sowjetregierung sich auf das Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern stützt, das begründet ist auf der Interessengemeinschaft dieser Klassen.

Weil schließlich neben den Arbeitern auch die Bauern, die gegen den gemeinsamen Feind kämpfen und zusammen mit den Arbeitern, unter der Leitung der Arbeiter, ein neues Leben aufbauen, Mitglieder der Regierungsorgane sind.

Aus diesen Gründen ist die Losung der »Arbeiter- und Bauernregierung« nicht nur eine Losung für die Agitation, sondern sie ist die revolutionäre Losung des sozialistischen Proletariats, die im Programm des Kommunismus ihre wissenschaftliche Begründung gefunden hat.

So steht es mit der vierten Frage. Gehen wir jetzt zur fünften über.

V.

Unsere Bauernpolitik wird ausgelegt als Erweiterung der Demokratie für das Bauerntum und Änderung des Charakters der Regierung. Ist eine solche Auslegung richtig?


Erweitern wir tatsächlich die Demokratie auf dem Lande? Ja, das tun wir.

Ist das ein Zugeständnis an das Bauerntum? Zweifellos.

Ist dieses Zugeständnis groß und ist es zulässig auf Grund der Verfassung unseres Landes? Das Zugeständnis ist, wie mir scheint, nicht sehr groß und es ändert um kein Jota unsere Verfassung.

Was ändern wir dann und worin besteht das Zugeständnis?

Wir ändern die Praxis der Arbeit auf dem Lande, die unter den neuen Entwicklungsbedingungen vollkommen ungenügend war. Wir ändern die eingebürgerte Ordnung auf dem Lande, die das Bündnis zwischen Stadt und Land hemmte und die Arbeit der Partei für den Zusammenschluß des Bauerntums mit dem Proletariat störte.

Bisher war es so, daß in einer ganzen Reihe von Bezirken eine kleine Gruppe von Leuten, die mehr mit dem Gouvernement und dem Kreis zusammenhingen als mit der Dorfbevölkerung, das Land verwalteten. Dieser Umstand hat dazu geführt, daß diese Dorfverwalter mehr nach oben, auf den Kreis, schauten als nach unten, auf die Dorfbevölkerung; sie fühlten sich nicht dem Dorf, nicht den Wählern gegenüber verantwortlich, sondern dem Kreis und dem Gouvernement, ohne scheinbar zu verstehen, daß »oben« und »unten« nur eine Kette darstellen, und daß diese Kette, wenn sie unten zerrissen wird, ganz zerfallen muß. Hieraus ergaben sich unkontrollierbare Handlungen und Willkür einerseits, Unzufriedenheit und Mißstimmung in den Dörfern andererseits. Eine ganze Reihe von Mitgliedern der Dorf-Bezirks-Komitees und der Zellen sind aus diesem Grunde ins Gefängnis gesteckt worden. Jetzt wird dieser Mißwirtschaft auf dem Lande entschlossen und unwiderruflich ein Ende gemacht.

Bisher war es so, daß in einer ganzen Reihe von Bezirken die Sowjetwahlen auf dem Lande nicht wirkliche Wahlen darstellten, sondern eine leere Kanzleiprozedur, mit deren Hilfe »Delegierte« durchgedrückt wurden, wobei eine kleine Gruppe von Verwaltungsbeamten, die ihre Macht zu verlieren fürchteten, oft Zwangsmittel anwandte. Es ergab sich daraus, daß die Sowjets aus Organen, die den Massen nahestehen sollen, zu Organen werden konnten, mit denen die Massen nichts zu tun hatten. Die Partei war infolgedessen gezwungen, Neuwahlen der Sowjets anzuordnen, wobei diese Neuwahlen gezeigt haben, daß die alte Wahlpraxis in einer ganzen Reihe von Bezirken ein Überbleibsel aus der Zeit des Kriegskommunismus darstellte, daß sie als schädlich und durch und durch faul geworden beseitigt werden mußte. Jetzt wird einer solchen Wahlpraxis auf dem Lande entschlossen und unwiderruflich ein Ende gemacht.

Das ist die Grundlage des Zugeständnisses, die Grundlage der Erweiterung der Demokratie auf dem Lande.

Dieses Zugeständnis braucht nicht nur das Bauerntum; auch das Proletariat braucht es, denn es stärkt das Proletariat, hebt seine Autorität auf dem Lande, festigt das Vertrauen der Bauern zum Proletariat. Der Hauptzweck der Zugeständnisse und Kompromisse überhaupt besteht bekanntlich letzten Endes in der Stärkung und Festigung des Proletariats.

Welches sind die Grenzen dieser Zugeständnisse in diesem Moment?

Die Grenzen dieser Zugeständnisse sind von der 14. Konferenz der KPR und dem 3. Sowjet-Kongreß der USSR festgelegt worden. Sie wissen, daß sie sich auf den Rahmen beschränken, von dem ich eben gesprochen habe. Das bedeutet aber nicht, daß sie bis in alle Ewigkeit unerschütterlich bleiben müssen. Im Gegenteil. Sie werden sicher erweitert werden mit dem Wachstum unserer Volkswirtschaft, mit der Festigung der wirtschaftlichen und politischen Macht des Proletariats, mit der Entwicklung der revolutionären Bewegung im Westen und Osten, mit der Stärkung der internationalen Positionen des Sowjetstaates. Lenin sprach im Jahre 1918 von der Notwendigkeit der »Ausdehnung der Sowjetverfassung auf die ganze Bevölkerung in dem Maße, in dem die Ausbeuter ihren Widerstand aufgeben«. (Siehe Lenin, Werke, Band XV). Wie Sie sehen, ist hier die Rede von der Ausdehnung der Verfassung auf die gesamte Bevölkerung, darunter auch auf die Bourgeoisie. Das ist im März 1918 gesagt worden. Von dieser Zeit bis zum Tode Lenins sind mehr als 5 Jahre vergangen. Trotzdem hat Lenin in diesen Jahren mit keinem Worte von der Notwendigkeit der Durchführung einer solchen Maßnahme gesprochen. Warum? Weil die Zeit hierfür noch nicht gekommen war. Aber daß sie einmal kommen wird, wenn die inneren und internationalen Positionen des Sowjetstaates endgültig gefestigt sein würden, daran konnte kein Zweifel bestehen.

Aus diesem Grunde sind wir, obgleich wir die Notwendigkeit der Erweiterung der Demokratie in der Zukunft voraussehen, doch jetzt der Ansicht, daß in diesem Moment die Zugeständnisse in bezug auf die Demokratie beschränkt werden müssen auf den Rahmen, den die 14. Konferenz der KPR und der 3. Sowjet-Kongreß der USSR festgelegt haben.

Ändern diese Zugeständnisse den Regierungscharakter? Nein, das tun sie nicht.

Tragen sie Änderungen in das System der Diktatur des Proletariats im Sinne einer Schwächung hinein? Nein, in keinem Falle.

Die Diktatur des Proletariats wird nicht schwächer, sondern stärker durch die Belebung der Sowjets und die Hinzuziehung der besten Elemente des Bauerntums zur Verwaltungsarbeit. Die Führung des Bauerntums durch das Proletariat bleibt dank der Erweiterung der Demokratie nicht nur bestehen, sondern schöpft aus ihr noch neue Kräfte, da eine Atmosphäre des Vertrauens zum Proletariat geschaffen wird. Das aber ist das Wichtigste in der Diktatur des Proletariats, wo es sich um die Beziehungen zwischen Proletariat und Bauerntum im System der Diktatur handelt.

Die Genossen haben nicht recht, die behaupten, daß der Begriff der Diktatur des Proletariats erschöpft wird durch den Begriff der Gewalt. Die Diktatur des Proletariats bedeutet nicht nur Gewalt, sondern auch die Führung der werktätigen Massen durch die proletarischen Massen, den Aufbau der sozialistischen Wirtschaft, die einen höheren Typus als die kapitalistische Wirtschaft darstellt und über eine größere Produktivität der Arbeit verfügt. Die Diktatur des Proletariats bedeutet 1. die durch kein Gesetz begrenzte Gewaltanwendung in bezug auf Kapitalisten und Grundbesitzer, 2. die Führung in bezug auf das Bauerntum durch das Proletariat und 3. den Aufbau des Sozialismus in bezug auf die gesamte Gesellschaft. Keine von diesen drei Seiten der Diktatur kann fortfallen, ohne die Gefahr, den Begriff der Diktatur des Proletariats zu entstellen. Nur diese drei Seiten zusammengenommen geben uns einen vollständigen und abgerundeten Begriff von der Diktatur des Proletariats.

Bringt der neue Kurs der Partei in der Richtung der Sowjet-Demokratie irgendwelche Verschlechterungen in das System der Diktatur hinein?

Nein, das tut er nicht. Im Gegenteil! Der neue Kurs verbessert nur die Lage, er festigt das System der Diktatur des Proletariats. Wenn man vom Element der Gewalt im System der Diktatur spricht – der Ausdruck der Gewalt aber ist die Rote Armee – so braucht wohl nicht erst bewiesen zu werden, daß eine Erweiterung der Demokratie auf dem Lande die Lage der Roten Armee nur bessern kann; denn sie gruppiert sie, die ja vorwiegend aus Bauern besteht, noch enger um die Sowjet-Regierung. Wenn man vom Element der Führung im System der Diktatur spricht, so kann wohl kaum bezweifelt werden, daß die Losung der Belebung der Sowjets dem Proletariat die Führung nur erleichtern kann, da sie das Vertrauen der Bauern zur Arbeiterklasse stärkt. Wenn man aber vom Element der Aufbauarbeit im System der Diktatur spricht, so braucht wohl nicht erst bewiesen zu werden, daß der neue Kurs der Partei den Aufbau des Sozialismus nur fördern kann, denn er bezweckt die Festigung des Bündnisses zwischen Stadt und Land, ohne die der Aufbau des Sozialismus nicht möglich ist.

Die Schlußfolgerung ist folgende: Die Zugeständnisse an das Bauerntum stärken in den jetzigen Verhältnissen das Proletariat, festigen seine Diktatur und ändern um kein Jota den Charakter der Regierung.

So steht es mit der fünften Frage. Gehen wir jetzt zur sechsten über.

VI.

Macht unsere Partei im Zusammenhang mit der Stabilisierung des Kapitalismus irgendwelche Konzessionen an rechte Abweichungen innerhalb der Komintern? Wenn ja – ist ein solches taktisches Manöver wirklich notwendig?


Es handelt sich hier scheinbar um die tschechoslowakische Kommunistische Partei und um das Übereinkommen mit der Gruppe der Genossen Smeral und Zapotocky gegen die rechten Elemente in dieser Partei. Ich glaube, daß unsere Partei an die rechten Abweichungen in der Komintern nicht die geringsten Zugeständnisse gemacht hat. Im Gegenteil. Die ganze Tagung der Erweiterten Exekutive der Komintern verlief im Zeichen der Isolierung der rechten Elemente. Man lese z. B. die Resolution der Komintern über die KP der Tschechoslowakei, die Resolution über die Bolschewisierung und man wird ohne weiteres verstehen, daß die rechten Elemente die Hauptzielscheibe aller Pfeile gewesen sind.

Darum kann von irgendwelchen Konzessionen unserer Partei an die rechten Abweichungen in der Komintern keine Rede sein.

Die Genossen Smeral und Zapotocky sind im Grunde genommen keine rechten Elemente. Sie stehen nicht auf der Plattform der Rechten, auf der Plattform der Brünner. Sie schwanken hin und her zwischen den Leninisten und der Rechten und neigen oft mehr der Seite der Rechten zu. In der Erweiterten Exekutive, unter dem Druck unserer Kritik einerseits und andererseits in Anbetracht der Gefahr einer drohenden Spaltung, kehrten sie sich diesmal uns, den Leninisten zu und verpflichteten sich, mit den Leninisten ein gegen die Rechte gerichtetes Bündnis zu schließen. Das macht ihnen zweifellos viel Ehre. Glauben denn die Genossen, daß wir diesen schwankenden Elementen, als sie den Leninisten entgegenkamen und ihnen Zugeständnisse machten, nicht die Hand entgegenstrecken sollten? Es wäre merkwürdig und traurig, wenn es unter uns Leute gäbe, die die Binsenwahrheiten der bolschewistischen Taktik nicht zu begreifen imstande sind. Hat denn die Praxis nicht schon gezeigt, daß die Politik der Komintern in der Frage der KP der Tschechoslowakei die einzig richtige Taktik ist? Kämpfen denn jetzt nicht die Genossen Smeral und Zapotocky in den Reihen der Leninisten gegen die Rechten? Ist denn die Brünner Organisation nicht schon isoliert innerhalb der tschechoslowakischen Partei?

Man kann fragen, für wie lange? Das kann ich natürlich nicht beantworten, ich kann nicht prophezeien. Jedenfalls ist es klar, daß man mit Smeral und seinen Anhängern gehen wird, solange sie einen Kampf gegen die Rechte führen, und daß jedes Abkommen mit ihnen wieder fällt, wenn die Smeralisten ihre jetzige Haltung ändern. Aber jetzt handelt es sich um etwas ganz anderes. Jetzt ist es so, daß das Abkommen gegen die Rechten die Leninisten stärkt, ihnen eine neue Möglichkeit gibt, die schwankenden Elemente mit sich zu reißen. Das ist jetzt von Wichtigkeit und nicht die Frage, welche Schwankungen im Verhalten der Genossen Smeral und Zapotocky noch folgen können.

Es gibt Genossen, welche glauben, die Leninisten seien verpflichtet, jeden linken Schreier und Neurastheniker zu unterstützen, die Leninisten seien überall und in allem die geschworenen Linken unter den Kommunisten. Das, Genossen, ist nicht wahr. Wir stehen links im Verhältnis zu den nichtkommunistischen Parteien der Arbeiterklasse. Wir haben uns aber nie verpflichtet, »weiter links als alle« zu stehen, wie dies einst Parvus verlangte und wofür er damals von Lenin tüchtig den Kopf gewaschen bekam. Unter den Kommunisten sind wir weder linke noch rechte, wir sind einfach Leninisten. Lenin wußte, was er tat, als er nach zwei Fronten hin kämpfte, sowohl gegen die linke Abweichung als auch gegen die rechte. Nicht umsonst hat Lenin eine seiner besten Broschüren geschrieben über das Thema: »Die Kinderkrankheit des Radikalismus im Kommunismus«.

Ich denke, die Genossen hätten mir diese sechste Frage nicht gestellt, wenn sie rechtzeitig ihre Aufmerksamkeit auf diesen Umstand gelenkt hätten.

So steht es mit der sechsten Frage. Gehen wir jetzt zur siebenten über.

VII.

Besteht nicht im Zusammenhang mit dem neuen Kurs und infolge der Schwäche der Parteiorganisationen auf dem Lande die Gefahr einer antisowjetistischen Agitation auf dem Lande?


Ja, eine solche Gefahr ist vorhanden. Es kann kaum daran gezweifelt werden, daß die Durchführung der Wahlen zu den Sowjets unter der Losung der Belebung der Sowjets die Freiheit der Wahlagitation bedeutet. Selbstverständlich werden die antisowjetistischen Elemente eine so günstige Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, um durch das geöffnete Schlupfloch hindurchzuspringen und ein überflüssiges Mal der Sowjetregierung Unannehmlichkeiten zu bereiten. Daraus ergibt sich die Gefahr einer Stärkung der antisowjetistischen Agitation auf dem Lande. Einige Tatsachen aus der Geschichte der Neuwahlen im Kuban-Gebiet, in Sibirien und in der Ukraine legen hierfür ein beredtes Zeugnis ab. Zweifellos wird diese Gefahr noch gefördert durch die Schwäche unserer Dorforganisationen in einer ganzen Reihe von Bezirken, und zweifellos wird diese Gefahr noch erhöht durch die interventionistischen Bestrebungen der imperialistischen Mächte.

Was nährt diese Gefahr? wo sind ihre Quellen?

Solcher Quellen gibt es mindestens zwei.

Erstens fühlen die antisowjetistischen Elemente, daß auf dem Lande in der letzten Zeit eine gewisse Verschiebung zugunsten des Kulakentums vor sich gegangen ist, daß in einer Reihe von Bezirken das mittlere Bauerntum zum Kulakentum hinüberneigt. Das konnte schon vor den Neuwahlen vorausgesehen werden. Nach den Wahlen ist es zu einer unbestreitbaren Tatsache geworden. Hierin liegt der erste und der Hauptgrund der Stärkung der antisowjetistischen Agitation auf dem Lande.

Zweitens sind in einer Reihe von Bezirken unsere Zugeständnisse an das Bauerntum als Anzeichen unserer Schwäche angesehen worden. Daran konnte man vor den Neuwahlen zweifeln, nach den Neuwahlen darf für solche Zweifel kein Platz mehr sein. Daher der Ruf der weißgardistischen Elemente auf dem Lande: »Drück weiter!« Das ist der zweite, wenn auch nicht so wesentliche Grund für die Gefahr der antisowjetistischen Agitation auf dem Lande.

Die Kommunisten müssen vor allem verstehen, daß die jetzige Periode die Periode des Kampfes um den mittleren Bauern ist, daß die Gewinnung des mittleren Bauern für die Sache des Proletariats die wichtigste Aufgabe der Partei auf dem Lande ist, daß ohne die Erfüllung dieser Aufgaben die Gefahr der antisowjetistischen Agitation stets wachsen, daß der neue Kurs der Partei hingegen nur für die Weißgardisten von Nutzen sein wird.

Die Kommunisten müssen zweitens verstehen, daß man den mittleren Bauern jetzt nur gewinnen kann auf Grund der neuen Politik auf dem Gebiete der Sowjets, des Genossenschafts- und Kreditwesens der landwirtschaftlichen Steuer, des lokalen Budgets usw., daß Maßnahmen des administrativen Zwanges die Sache nur verderben können, daß der mittlere Bauer nur durch Maßnahmen wirtschaftlichen und politischen Charakters von der Richtigkeit unserer Politik überzeugt werden kann, daß er nur durch das Beispiel zu »nehmen« ist.

Die Kommunisten müssen außerdem verstehen, daß der neue Kurs nicht den Zweck hat, die antisowjetistischen Elemente zu neuem Leben zu erwecken, sondern die Sowjets und die große Masse des Bauerntums heranzuziehen, daß der neue Kurs den entschlossenen Kampf gegen die antisowjetistischen Elemente nicht ausschließt sondern voraussetzt, daß, wenn die antisowjetistischen Elemente sagen: »drück weiter«, und die Zugeständnisse an das Bauerntum als Zeichen unserer Schwäche ansehen und sie zu konterrevolutionären Zwecken ausnützen, ihnen unbedingt bewiesen werden muß, daß die Sowjetmacht stark ist; man erinnere sie nur an das Gefängnis, das sich seit langem nach ihnen sehnt.

Ich denke, daß die Gefahr eines Anwachsens der antisowjetistischen Agitation auf dem Lande mit der Wurzel beseitigt werden wird, wenn diese Aufgaben verstanden und durchgeführt sein werden.

So steht es mit der siebenten Frage. Gehen wir jetzt zur achten über.

VIII.

Besteht nicht – im Zusammenhang mit der Verstärkung des Einflusses der Parteilosen – die Gefahr der Bildung parteiloser Fraktionen in den Sowjets?


Von einer Gefahr kann in diesem Falle nur bedingt die Rede sein. Es ist absolut nicht gefährlich, wenn der Einfluß der mehr oder weniger organisierten parteilosen Masse dort wächst, wohin der Einfluß der Kommunisten noch nicht eingedrungen ist. So steht es z. B. mit den Gewerkschaften in der Stadt und den parteilosen, mehr oder weniger sowjetistischen Organisationen auf dem Lande. Die Gefahr beginnt in dem Moment, wenn die Organisationen der Parteilosen zu überlegen beginnen, ob sie nicht die Partei ersetzen könnten. Woher kommt diese Gefahr?

Es ist charakteristisch, daß innerhalb der Arbeiterklasse eine solche Gefahr nicht oder fast nicht besteht. Wie erklärt sich das? Das erklärt sich daraus, daß es neben der Partei innerhalb der Arbeiterklasse eine große Zahl aktiver parteiloser Arbeiter gibt, die die Partei mit einer Atmosphäre von Vertrauen umgeben und sie mit den Millionenmassen der Arbeiterklasse verbinden.

Es ist nicht weniger charakteristisch, daß diese Gefahr unter den Bauern besonders groß ist. Warum? Weil die Parteiorganisationen auf dem Lande schwach sind, weil die Partei noch nicht über eine große Zahl aktiver parteiloser Bauern verfügt, die die Verbindung herstellen könnten zwischen ihr und der großen Bauernmasse. Dagegen ist wohl das Bedürfnis nach parteilosen, aktiven Arbeitern nirgends so groß wie im Bauerntum.

Die Schlußfolgerung ist folgende: Um die Gefahr des Losreißens und der Entfremdung der parteilosen Bauernmassen von der Partei zu beseitigen, muß die Partei einen großen Kreis von aktiven parteilosen Bauern um sich schaffen.

Das ist mit einem Schlage oder innerhalb von wenigen Monaten nicht möglich. Nur im Laufe der Zeit, im Prozeß der Arbeit, besonders der genossenschaftlichen, wird es möglich sein, aus der großen Bauernmasse diese aktiven Bauern herauszufinden. Zu diesem Zwecke muß die ganze Art des Herantretens der Kommunisten an die Parteilosen geändert werden. Dazu ist es notwendig, daß der Kommunist sich zum Parteilosen verhält wie ein Gleicher zum Gleichen. Dazu ist es notwendig, daß der Kommunist es lernt, dem Parteilosen mit Vertrauen entgegenzukommen. Man kann vom Parteilosen kein Vertrauen verlangen, wenn er dafür auf Mißtrauen stößt. Lenin hat gesagt, daß das Verhältnis zwischen Parteimitgliedern und Parteilosen das Verhältnis des »gegenseitigen Vertrauens« sein muß. Diese Worte Lenins dürfen nicht vergessen werden. Um die Bedingungen für das Heranziehen zahlreicher Bauern zu aktiver Arbeit zu schaffen, ist es vor allem notwendig, daß ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens zwischen Parteimitgliedern und Parteilosen besteht.

Wie aber kann dieses gegenseitige Vertrauen geschaffen werden? Natürlich nicht auf einmal und nicht auf dem Wege von Verordnungen. Es kann nur geschaffen werden, wie Lenin sagte, auf dem Wege der »gegenseitigen Kontrolle« der Parteimitglieder und Parteilosen, auf dem Wege der gegenseitigen Kontrolle im Verlaufe der täglichen praktischen Arbeit. Während der ersten Säuberung der Partei wurden die Parteimitglieder durch Parteilose kontrolliert, und das hat gute Resultate gezeitigt, denn dadurch wurde eine Atmosphäre absoluten Vertrauens um die Partei geschaffen. Lenin hat damals schon aus diesem Anlaß gesagt, daß die Lehren der ersten Säuberung in bezug auf die gegenseitige Kontrolle der Parteimitglieder und Parteilosen auf allen Arbeitsgebieten ausgenutzt werden müsse. Ich denke, daß es jetzt Zeit ist, an diesen Rat Lenins zu erinnern, um Maßnahmen zu seiner Durchführung zu ergreifen.

Also die gegenseitige Kritik und die gegenseitige Kontrolle der Parteimitglieder und der Parteilosen, die im Verlaufe der täglichen praktischen Arbeit als Mittel zur Schaffung einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens durchgeführt wird, das ist der Weg, den die Partei gehen muß, wenn sie die Gefahr der Entfremdung zwischen den Millionenmassen der Parteilosen und der Partei beseitigen, wenn sie um ihre Organisationen auf dem Lande einen Kreis von parteilosen aktiven Bauern schaffen will. So steht es mit der achten Frage. Gehen wir jetzt zur neunten Frage über.

IX.

Wird es uns gelingen, ohne auswärtige Hilfe unsere Großindustrie wieder aufzubauen und ihr Grundkapital zu erneuern und bedeutend zu erweitern?


Diese Frage kann in zweierlei Weise verstanden werden.

Entweder ist damit die unmittelbare Unterstützung des Sowjetstaates durch Kredite von Seiten der kapitalistischen Staaten gemeint, als notwendige Vorbedingung für die Entwicklung der Sowjetindustrie, und dann könnte eine Antwort gegeben werden, die einer solchen Fragestellung entspricht.

Oder es ist die Unterstützung des Sowjetstaates durch das Proletariat Westeuropas nach seinem Siege gemeint, als notwendige Vorbedingung für den Aufbau der sozialistischen Wirtschaft, dann muß die Antwort anders lauten.

Um niemanden zu benachteiligen, werde ich mich bemühen, auf beide möglichen Auslegungen dieser Frage eine Antwort zu geben.

Beginnen wir mit der ersten Auslegung.

Ist die Entwicklung der Großindustrie unter den Bedingungen der kapitalistischen Einkreisung ohne Außenkredite möglich?

Ja, sie ist möglich. Die Sache wird mit großen Schwierigkeiten verbunden sein, man wird vor schwere Prüfungen gestellt sein, aber die Industrialisierung des Landes kann doch ohne Kredite von außen durchgeführt werden, trotz all dieser Schwierigkeiten.

Die Geschichte kannte bis jetzt drei Wege der Bildung und Entwicklung mächtiger Industriestaaten.

Der erste Weg ist der Weg des Raubes und der Ausplünderung der Kolonien. So z. B. entwickelte sich England, das sich in allen Erdteilen Kolonien aneignete, aus ihnen im Verlaufe von zwei Jahrhunderten das zusätzliche Kapital für die Stärkung seiner Industrie herauspreßte und so schließlich »die Fabrik der Welt« wurde. Sie wissen, daß dieser Entwicklungsweg für uns nicht annehmbar ist, denn Kolonialraub und Plünderung der Kolonien sind unvereinbar mit dem Wesen des Sowjetstaates.

Der zweite Weg ist der Weg von Feldzügen, die ein Land gegen das andere unternimmt. So z. B. hat Deutschland nach dem deutsch-französischen Kriege 5 Milliarden Kontributionen aus Frankreich herausgepreßt, die dann in die Kanäle der deutschen Industrie geleitet wurden. Sie wissen, daß auch dieser Weg unvereinbar ist mit dem Wesen des Sowjetstaates, denn er unterscheidet sich durch nichts vom ersten.

Der dritte Weg ist der Weg von Konzessionen und von Anleihen, zu denen die kapitalistisch schwach entwickelten Länder – unter schweren Bedingungen – von den kapitalistisch hochentwickelten Ländern gezwungen werden. So stand es z. B. mit dem zaristischen Rußland, das an die Westmächte Konzessionen abgab und von ihnen Anleihen erhielt, und zwar zu so schweren Bedingungen, daß es für Rußland das Joch einer halbkolonialen Existenz bedeutete, was allerdings nicht ausschloß, daß es sich schließlich doch befreit und auf den Weg der selbständigen industriellen Entwicklung begeben hätte, natürlich nicht ohne die Hilfe mehr oder weniger »gelungener« Kriege und natürlich nicht ohne die Ausplünderung anderer Länder. Es braucht wohl kaum darauf hingewiesen zu werden, daß auch dieser Weg für das Sowjetland nicht annehmbar ist. Wir haben nicht darum unser Blut in dreijährigem Krieg gegen die Imperialisten aller Länder vergossen, um am Tage nach dem siegreichen Ende des Bürgerkrieges uns freiwillig in die Knechtschaft des Imperialismus zu begeben.

Es wäre falsch, anzunehmen, daß jeder von diesen Entwicklungswegen im Leben unbedingt in reiner Form durchgeführt wird und mit den anderen beiden Wegen nichts zu tun hat. In der Geschichte der einzelnen Staaten kreuzen und ergänzen sich diese Wege oft. Als Beispiel einer solchen Verflechtung der Wege kann z. B. die Geschichte der Vereinigten Staaten Nordamerikas dienen. Dieser Umstand erklärt sich daraus, daß die verschiedenen Entwicklungswege, trotzdem sie sich voneinander unterscheiden, einige gemeinsame Züge aufweisen, die sie einander nahebringen und die ihre Kreuzung möglich machen, 1. führen sie alle zur Bildung von kapitalistischen Industriestaaten; 2. setzen sie einen Zustrom von Kapitalien von außen voraus, als unvermeidliche Vorbedingung für die Bildung solcher Staaten. Aber es wäre noch weniger richtig, wenn man sie aus diesem Grunde durcheinanderbringen und auf einen Haufen werfen wollte, ohne zu verstehen, daß drei Entwicklungswege doch drei verschiedene Methoden zur Bildung von kapitalistischen Industriestaaten bedeuten, daß jeder von diesen Wegen der Physiognomie dieser Staaten einen besonderen Stempel aufdrückt.

Was bleibt dem Sowjetstaat zu tun übrig, wenn die alten Wege der Industrialisierung des Landes für ihn unannehmbar sind und der Zustrom neuer Kapitalien zu günstigeren Bedingungen noch immer ausgeschlossen ist?

Es bleibt der neue Entwicklungsweg, der Weg, den die anderen Länder noch nicht bis zu Ende ausprobiert haben, der Weg der Entwicklung der Großindustrie ohne Außenkredite, der Weg der Industrialisierung des Landes ohne den unbedingten Zustrom von auswärtigem Kapital, der Weg, den Lenin in seinem Artikel »Lieber weniger, aber besser« gewiesen hat.

»Wir müssen uns bemühen – sagt Lenin – den Staat aufzubauen, in dem die Arbeiter ihre Führung über die Bauern behalten, das Vertrauen der Bauern erwerben und mit größter Sparsamkeit aus ihren gesellschaftlichen Beziehungen jede Spur irgendeines Überflusses beseitigen. Wir müssen unseren Staatsapparat so sparsam wie möglich gestalten ...« »Wenn wir der Arbeiterklasse die Führung über das Bauerntum sichern, so ermöglichen wir, daß dank dieser äußersten Sparsamkeit erreicht wird, daß jede noch so kleine Ersparnis aufbewahrt wird für die Entwicklung unserer Maschinen-Großindustrie, für die Entwicklung der Elektrifizierung ...« »Erst dann – sagt Lenin weiter – werden wir imstande sein, um es bildlich auszudrücken, uns von einem Pferd aufs andere zu setzen, und zwar vom armen Bauernpferd, vom Pferd der Sparsamkeit, die ein verarmtes Bauernland erfordert, auf das Pferd, das das Proletariat für sich sucht und suchen muß, auf das Pferd der Maschinen-Großindustrie, der Elektrifizierung, des Wolchowstroj usw.«

Das ist der Weg, auf den unser Land sich bereits gestellt hat und den es zu Ende gehen muß, um seine Großindustrie zu entwickeln und selbst zu einem mächtigen proletarischen Industriestaat zu werden.

Wie ich bereits gesagt habe, kennen die bürgerlichen Staaten diesen Weg noch nicht. Aber das bedeutet nicht, daß er für den proletarischen Staat unmöglich sei. Was in diesem Falle für bürgerliche Staaten unmöglich oder fast unmöglich ist, ist für den proletarischen Staat vollkommen möglich. Denn der proletarische Staat hat in dieser Beziehung Vorteile, die die bürgerlichen Staaten nicht haben und wohl auch nicht haben können. Die nationalisierte Industrie, die nationalisierten Kredite und der nationalisierte Transport, der monopolisierte Außenhandel, der vom Staat kontrollierte Innenhandel, all das sind neue Quellen der »überschüssigen Kapitalien«, die für die Entwicklung der Industrie unseres Landes ausgenutzt werden können und über die ein bürgerlicher Staat noch nicht verfügt hat. Sie wissen, daß diese und ähnliche neue Quellen von der proletarischen Macht für die Entwicklung unserer Industrie bereits ausgenutzt weiden.

Darum ist der Entwicklungsweg, der für bürgerliche Staaten nicht möglich ist, vollkommen möglich für den proletarischen Staat, trotz all seiner Schwierigkeiten.

Außerdem muß bemerkt werden, daß der jetzige Mangel an Kapitalzustrom von außen nicht ewig dauern kann. Ein gewisser Kapitalzustrom in unser Land von außen hat bereits begonnen. Es besteht kein Grund, zu zweifeln, daß mit dem Wachstum und der Erstarkung unserer Volkswirtschaft auch dieser Zustrom wachsen wird.

So steht es mit der ersten Auslegung der Frage. Nun zu ihrer zweiten Auslegung.

Ist der Aufbau der sozialistischen Wirtschaft in unserem Lande möglich ohne den vorherigen Sieg des Sozialismus in den wichtigsten Ländern Europas, ohne direkte Unterstützung mit technischen Hilfsmitteln durch das siegreiche Proletariat Europas? Bevor ich zu dieser Frage übergehe, auf die ich übrigens schon zu Beginn meiner Rede geantwortet habe, möchte ich ein sehr verbreitetes Mißverständnis aus der Welt schaffen, das mit dieser Frage zusammenhängt. Dieses Mißverständnis besteht darin, daß einige Genossen geneigt sind, die Frage der Erneuerung und Erweiterung des Grundkapitals der Großindustrie zu identifizieren mit der Frage des Aufbaues der sozialistischen Wirtschaft in unserem Lande. Kann man mit einer solchen Identifizierung einverstanden sein? Nein, das kann man nicht. Warum? Weil die erste Frage ihrem Umfang nach viel enger ist als die zweite. Weil die Frage der Erweiterung des Grundkapitals der Industrie nur einen Teil der Volkswirtschaft, die Industrie, umfaßt, während die Frage des Aufbaues der sozialistischen Wirtschaft die gesamte Volkswirtschaft betrifft, d. h., sowohl die Industrie als auch die Landwirtschaft. Weil das Problem des sozialistischen Aufbaues das Problem der Organisation der Volkswirtschaft als eines Ganzen, das Problem der richtigen Kombination zwischen Industrie und Landwirtschaft bedeutet, während die Frage der Erweiterung des Grundkapitals der Industrie dieses Problem kaum streift. Man kann sich vorstellen, daß das Grundkapital der Industrie schon erweitert ist, das bedeutet aber noch nicht, daß dadurch das Problem des Aufbaues der sozialistischen Wirtschaft gelöst wird. Die sozialistische Gesellschaft ist eine Produktions- und Konsum-Gemeinschaft von Leuten, die auf dem Gebiete der Industrie und der Landwirtschaft arbeiten; wenn in dieser Gemeinschaft die Industrie nicht in engster Verbindung steht mit der Landwirtschaft, die Rohstoffe und Lebensmittel liefert und die Erzeugnisse der Industrie in sich aufnimmt, wenn die Industrie und die Landwirtschaft auf die Weise nicht ein volkswirtschaftliches Ganzes darstellen, so kann daraus kein Sozialismus entstehen.

Darum ist die Frage der Beziehungen zwischen Industrie und Landwirtschaft, die Frage der Beziehungen zwischen Proletariat und Bauerntum – die wichtigste Frage des Problems des Aufbaues der sozialistischen Wirtschaft.

Ist also der Aufbau der sozialistischen Wirtschaft in unserem Lande ohne den vorherigen Sieg des Sozialismus in anderen Ländern, ohne die direkte Unterstützung durch technische Hilfsmittel von Seiten des siegreichen westeuropäischen Proletariats möglich?

Ja, er ist möglich. Und nicht nur möglich, sondern notwendig und unvermeidlich. Denn wir bauen bereits den Sozialismus auf, wenn wir die nationalisierte Industrie entwickeln und mit der Landwirtschaft in engste Verbindung bringen, wenn wir auf dem Lande Genossenschaften organisieren und die Bauernschaft in das allgemeine System der Sowjet-Entwicklung einschließen, wenn wir die Sowjets mit neuem Leben erfüllen und den Staatsapparat mit den Millionenmassen der Bevölkerung verschmelzen, wenn wir eine neue Kultur aufbauen und ein neues Gemeinwesen schaffen. Es besteht kein Zweifel, daß es auf diesem Wege ungeheure Schwierigkeiten gibt, daß uns noch ernste Prüfungen bevorstehen. Es besteht kein Zweifel, daß unsere Aufgabe wesentlich erleichtert wäre, wenn uns der Sieg des Sozialismus im Westen zu Hilfe käme. Aber erstens wird der Sieg des Sozialismus im Westen nicht so rasch »gemacht«, wie wir das wünschen, zweitens sind diese Schwierigkeiten zu überwinden, und bekanntlich überwinden wir sie bereits.

Von all dem habe ich schon zu Beginn meiner Rede gesprochen. Schon früher, in meinem Bericht an die Moskauer aktiven Parteiarbeiter habe ich darauf hingewiesen. Und noch früher sprach ich davon in meinem »Vorwort« zum Buche: »Auf dem Wege zum Oktober«. Ich sagte, daß die Verneinung der sozialistischen Aufbaumöglichkeiten in unserem Lande Liquidatorentum bedeutet, das zur Entartung der Partei führen muß. Es wäre überflüssig, jetzt noch einmal zu wiederholen, was früher schon mehrfach gesagt worden ist. Darum verweise ich auf die Werke Lenins, in denen genügendes Material über diese Frage zu finden ist.

Ich möchte nur einige Worte über die Geschichte der Frage und ihre Bedeutung für die Partei in diesem Moment sagen.

Wenn man von der Diskussion in den Jahren 1905 bis 1906 absieht, so ist die Frage des sozialistischen Aufbaues in einem Lande zum ersten Male in der Partei gestellt worden während des imperialistischen Krieges im Jahre 1915. Bekanntlich hat Lenin damals zum ersten Male den Satz von der »Möglichkeit des Sieges des Sozialismus« zunächst »in einem einzelnen kapitalistischen Lande« (»Gegen den Strom«) formuliert. Das war die Periode des Übergangs von der bürgerlich-demokratischen Revolution zur sozialistischen. Bekanntlich hat Genosse Trotzki schon damals diesen Satz Lenins bestritten; er erklärte: »Es ist hoffnungslos, zu denken ... daß z. B. ein revolutionäres Rußland dem konservativen Europa Widerstand bieten könnte.« (Siehe Bd. III, Teil I, der Werke Trotzkis.)

Im Jahre 1921, nach der Oktoberrevolution und dem Bürgerkriege, als die Fragen des Aufbaues auf die Tagesordnung gestellt wurden, wird die Frage des sozialistischen Aufbaues in der Partei wieder akut. Das war die Periode, als der Übergang zur »Neuen ökonomischen Politik« von einigen Genossen beurteilt wurde als Verzicht auf die sozialistischen Aufgaben, als Verzicht auf den sozialistischen Aufbau. Bekanntlich hat Lenin in seiner Broschüre »Über die Naturalsteuer« den Übergang zur »neuen ökonomischen Politik« bezeichnet als die notwendige Vorbedingung für den Zusammenschluß von Industrie- und Bauernwirtschaft zu einem Gefüge, als die Vorbedingung zum Bau des Fundaments der sozialistischen Ökonomik, als den Weg zum erfolgreichen Aufbau des Sozialismus. Das war im April 1921. Wie als Antwort hierauf stellt Genosse Trotzki im Januar 1922 im Vorwort zu seinem Buche »Das Jahr 1905« in der Frage des sozialistischen Aufbaues in unserem Lande einen vollkommen entgegengesetzten Satz auf, indem er erklärt, daß »die Widersprüche in der Lage der Arbeiterregierung in einem rückständigen Lande mit starker Bauernbevölkerung nur im internationalen Maßstabe auf der Arena der Weltrevolution des Proletariats ihre Lösung finden können«.

Ein Jahr später wird der Erklärung Lenins in der Plenarsitzung des Moskauer Sowjets, daß »aus Nep-Rußland ein sozialistisches Rußland entstehen wird«, die Erklärung Trotzkis im Nachwort zum »Friedensprogramm« entgegengestellt, die besagt, daß »ein wirklicher Aufschwung in der sozialistischen Wirtschaft Rußlands erst nach dem Siege des Proletariats in den wichtigsten europäischen Ländern möglich sein wird«.

Noch ein Jahr später, kurz vor seinem Tode, kehrte Lenin zu dieser Frage wieder zurück, und zwar in seinem Artikel »Über das Genossenschaftswesen« (Mai 1923), in dem er erklärte, daß unsere Sowjetunion »über alles Notwendige zum vollständigen Aufbau der sozialistischen Gesellschaft verfügt«.

Das ist die kurze Geschichte der Frage. Schon hieraus sieht man, daß das Problem des sozialistischen Aufbaues in unserem Lande eins der wichtigsten Probleme unserer Parteipraxis ist. Es braucht wohl nicht erst bewiesen zu werden, daß Lenin nicht so oft zu ihm zurückgekehrt wäre, wenn er es nicht für die wichtigste Frage unserer Praxis gehalten hätte.

In der weiteren Entwicklung unserer Ökonomik hat die Verschärfung des Kampfes zwischen den Elementen des Sozialismus und des Kapitalismus, besonders die zeitweilige Stabilisierung des Kapitalismus, die Frage nach der Möglichkeit des sozialistischen Aufbaues in unserem Lande noch schärfer gestellt und ihre Bedeutung erhöht.

Worin besteht die Wichtigkeit dieser Frage vom Standpunkte der Parteipraxis?

Darin, daß sie die Frage der Perspektive unseres Aufbaues stellt, die Frage der Aufgaben und Ziele dieses Aufbaues. Man kann nicht wirkliche Aufbauarbeit leisten, wenn man die Ziele dieser Arbeit nicht genau kennt, man kann keinen Schritt vorwärtsgehen, wenn man die Richtung der Bewegung nicht kennt. Die Frage der Perspektive ist die wichtigste Frage unserer Partei, die gewohnt ist, ein klares und bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Bauen wir im Namen des Sozialismus in der Hoffnung auf den Sieg des sozialistischen Aufbaues oder bauen wir aufs Geratewohl, um in Erwartung der sozialistischen Revolution in der ganzen Welt für die bürgerliche Demokratie den Boden zu düngen – das ist jetzt eine der wichtigsten Fragen. Man kann keine wirkliche Aufbauarbeit leisten, ohne auf diese klare Frage eine ebenso klare Antwort zu geben. Hunderte und Tausende von Parteiarbeitern, von Gewerkschaftern und Genossenschaftern, von Genossen, die auf militärischem Gebiete, auf dem Gebiete der Volkswirtschaft, der kulturellen Arbeit und in Jugendorganisationen arbeiten, wenden sich an uns und fragen uns, fragen unsere Partei: im Namen welcher Ziele bauen wir?, wozu führt unsere Arbeit? Wehe den Führern, die auf diese Frage keine klare und bestimmte Antwort geben können oder wollen, die nach Ausflüchten suchen und die Fragesteller von Pontius zu Pilatus schicken, um so die sozialistischen Perspektiven unserer Aufbauarbeit durch ihren Skeptizismus zu verdecken.

Die große Bedeutung des Leninismus besteht übrigens gerade darin, daß er eine Aufbauarbeit aufs Geratewohl nicht anerkennt, daß er sich einen Aufbau ohne Perspektiven nicht denken kann, daß er auf die Frage der Perspektive unserer Arbeit eine klare und bestimmte Antwort gibt, indem er erklärt, daß für den Aufbau der sozialistischen Wirtschaft in unserem Lande die Grundlage vorhanden ist, daß wir die sozialistische Gesellschaft aufbauen können und müssen.

So steht es mit der Frage nach der Möglichkeit des Aufbaues der sozialistischen Wirtschaft.

Eine andere Frage ist die, ob es uns mit Sicherheit gelingen wird, die sozialistische Wirtschaft aufzubauen. Das hängt nicht nur von uns ab. Das hängt auch von der Stärke und Schwäche unserer Gegner und unserer Freunde außerhalb unseres Landes ab. Wir werden sie aufbauen, wenn man uns nicht stören wird, wenn es uns gelingt, die »Atempause« zu verlängern, wenn keine ernste Intervention kommen wird, wenn die Intervention nicht siegreich sein wird, wenn die Macht der internationalen revolutionären Bewegung einerseits und die Macht unseres eigenen Landes genügend groß sein werden, um einen ernsten Versuch der Intervention unmöglich zu machen. Wir werden sie natürlich nicht aufbauen, wenn eine erfolgreiche Intervention uns zu Boden wirft.

So steht es mit der neunten Frage. Gehen wir nun zur letzten über.

X.

Sagen Sie, welches die größten bevorstehenden Schwierigkeiten in unserer Partei- und Sowjetarbeit sind im Zusammenhang mit der Stabilisierung und der Verzögerung der Weltrevolution, besonders auf dem Gebiete der Beziehungen zwischen Partei und Arbeiterklasse, zwischen Arbeiterklasse und Bauerntum!


Dieser Schwierigkeiten gibt es, wenn man die wichtigsten in Betracht zieht, fünf. Die Rolle der Stabilisierung des Kapitalismus besteht darin, daß sie diese Schwierigkeiten noch erhöht.

Die erste Schwierigkeit. Diese ist verknüpft mit der Möglichkeit der Intervention. Das bedeutet nicht, daß wir vor der unmittelbaren Gefahr der Intervention stehen, daß die Imperialisten schon bereit und vollkommen imstande sind, gegen unser Land vorzugehen. Dazu müßte der Imperialismus mindestens ebenso mächtig sein, wie er vor dem Kriege war, was bekanntlich nicht der Fall ist. Der jetzige Krieg in Marokko und die Intervention in China, diese Generalproben zukünftiger Kriege und Interventionen, zeigen anschaulich, daß der Rücken des Imperialismus geschwächt ist. Es handelt sich also nicht um eine unmittelbare Intervention, sondern um die Tatsache, daß die Gefahr der Intervention im allgemeinen besteht, solange es eine kapitalistische Einkreisung gibt. Solange aber die Gefahr der Intervention besteht, sind wir gezwungen, im Interesse unserer Verteidigung eine Armee und eine Flotte zu unterhalten, für die wir jährlich Hunderte Millionen von Rubeln ausgeben müssen. Was aber bedeutet eine jährliche Ausgabe von Hunderten Millionen von Rubeln für die Armee und die Flotte? Das bedeutet eine entsprechende Reduzierung der Ausgaben für wirtschaftliche und kulturelle Zwecke. Es ist überflüssig, darauf hinzuweisen, daß wir, bestände keine Gefahr der Intervention, diese Summen oder wenigstens ihren größten Teil für die Stärkung der Industrie, für Reformen in der Landwirtschaft, für die Einführung z. B. der obligatorischen Schulbildung usw. anwenden könnten. Das sind die Schwierigkeiten auf dem Gebiete der Aufbauarbeit, die mit der Gefahr der Intervention zusammenhängen.

Das charakteristische Merkmal dieser Schwierigkeit, das sie von allen anderen Schwierigkeiten unterscheidet, besteht darin, daß ihre Überwindung nicht von uns allein abhängt, daß sie nur durch die gemeinsamen Anstrengungen unseres Landes und der revolutionären Bewegung in allen anderen Ländern beseitigt werden kann.

Die zweite Schwierigkeit. Diese hängt mit den Gegensätzen zwischen Proletariat und Bauerntum zusammen. Von diesen Gegensätzen sprach ich bereits, als ich die Frage des Klassenkampfes auf dem Lande behandelte. Es ist nicht notwendig, das schon Gesagte noch einmal zu wiederholen. Diese Gegensätze ergeben sich aus der Politik der Preise für landwirtschaftliche Produkte und Industrieerzeugnisse, aus der Steuerpolitik, der Verwaltung auf dem Lande usw. Die Gefahr besteht hier in der Desorganisation des Bündnisses zwischen Stadt und Land und in der Untergrabung der Idee der Führung des Bauerntums durch das Proletariat. Daher die Schwierigkeit, die mit dieser Gefahr zusammenhängt.

Das charakteristische Merkmal dieser Schwierigkeit, das sie von der früher genannten unterscheidet, besteht darin, daß sie durch unsere eigenen Kräfte überwunden werden kann.

Ein neuer Kurs auf dem Lande, das ist der Weg, der für die Überwindung dieser Schwierigkeiten notwendig ist.

Die dritte Schwierigkeit. Diese steht im Zusammenhang mit den nationalen Gegensätzen innerhalb unserer Union, mit den Gegensätzen zwischen dem »Zentrum« und den »Randgebieten«. Diese Gegensätze entwickeln sich auf dem Boden der ungleichen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungsbedingungen des »Zentrums« und der »Randgebiete«, auf dem Boden der Rückständigkeit der letzteren im Verhältnis zum ersteren. Wenn man die politischen Gegensätze auf diesem Gebiete schon als überwunden betrachten kann, so sind die kulturellen und besonders die wirtschaftlichen Gegensätze erst im Entstehen begriffen. Die Gefahr ist hier eine zweifache: Einerseits die Gefahr des selbstherrlichen Hochmuts und der Beamtenwillkür von Seiten der zentralen Institutionen der Union, die die notwendige Sensibilität gegenüber den Erfordernissen der nationalen Republiken nicht haben oder nicht haben wollen, andererseits die Gefahr des nationalen Mißtrauens und der nationalen Abgeschlossenheit der Republiken und Randgebiete gegenüber dem »Zentrum«. Der Kampf gegen diese Gefahren, besonders gegen die erste – das ist der Weg der Überwindung der Schwierigkeiten auf dem Gebiete der nationalen Frage.

Das charakteristische Merkmal dieser Schwierigkeit besteht darin, daß sie ebenso wie die erstere durch die inneren Kräfte der Sowjetunion überwunden werden kann.

Die vierte Schwierigkeit. Diese steht im Zusammenhang mit der Gefahr der Losreißung des Staatsapparates von der Partei, mit der Gefahr der Schwächung der Führung des Staatsapparates durch die Partei. Ich habe von dieser Gefahr bereits gesprochen, als ich die Gefahr der Entartung der Partei behandelte. Es ist kaum notwendig, das schon Gesagte zu wiederholen. Diese Gefahr wird kultiviert durch das Vorhandensein der bürgerlich-bürokratischen Elemente im Staatsapparat. Sie wird gestärkt und verschärft durch das Wachstum des Staatsapparates und die Erhöhung seines spezifischen Gewichtes. Die Aufgabe besteht darin, den Staatsapparat nach Möglichkeit zu reduzieren, die Elemente des Bürokratismus und der bürgerlichen Zersetzung systematisch aus ihm zu entfernen, an die wichtigsten Stellen des Staatsapparates Parteigenossen zu setzen, um so die Führung durch die Partei zu sichern.

Das charakteristische Merkmal dieser Schwierigkeit besteht darin, daß sie ebenso wie die dritte Schwierigkeit aus eigenen Kräften überwunden werden kann.

Die fünfte Schwierigkeit. Sie hängt zusammen mit der Gefahr der teilweisen Losreißung der Parteiorganisation und der Gewerkschaften von den breiten Massen der Arbeiterklasse, von den Nöten und Bedürfnissen dieser Massen. Diese Gefahr entsteht und entwickelt sich dank der Übermacht der bürokratischen Elemente in einer ganzen Reihe von Organen der Partei- und Gewerkschafts-Organisationen, die Zellen und Betriebsräte mit eingeschlossen. Diese Gefahr ist in letzter Zeit noch gestiegen im Zusammenhang mit der Losung »Das Gesicht dem Dorfe zu«, das die Aufmerksamkeit unserer Organisationen von der Stadt aufs Land, vom Proletariat aufs Bauerntum, gelenkt hat, wobei viele Genossen nicht begriffen haben, daß, wenn man das Gesicht dem Dorfe zuwendet, man nicht gleichzeitig dem Proletariat den Rücken kehren darf, daß die Losung »Das Gesicht dem Dorfe zu« nur verwirklicht werden kann durch das Proletariat und mit den Kräften des Proletariats, daß ein unaufmerksames Verhältnis gegenüber den Nöten der Arbeiterklasse die Gefahr der Losreißung der Partei- und Gewerkschafts-Organisationen von den Arbeitermassen nur vergrößern kann.

Welches sind die Merkmale dieser Gefahr?

Erstens der Mangel an Sensibilität und Aufmerksamkeit, den unsere Partei- und Gewerkschafts-Organisationen gegenüber den Nöten und Bedürfnissen der breiten Massen der Arbeiterklasse zeigen; zweitens das mangelnde Verständnis für die Tatsache, daß in der Arbeiterklasse das Gefühl ihrer Würde und das Gefühl der herrschenden Klasse wach geworden ist, daß sie ein kanzleibürokratisches Verhalten von Seiten der Partei- und Gewerkschafts-Organisationen weder verstehen noch ertragen können; drittens das mangelnde Verständnis für die Tatsache, daß man mit einer unüberlegten Verordnung den Arbeitern nicht kommen kann, daß der Schwerpunkt jetzt nicht in diesen »Maßnahmen« liegt, sondern in der Eroberung des Vertrauens der gesamten Arbeiterklasse für die Partei; viertens das mangelnde Verständnis für die Tatsache, daß breitere Maßnahmen, die große Arbeitermassen betreffen, nur durchgeführt werden können, wenn vorher eine Kampagne unter den Arbeitern und Konferenzen mit ihnen organisiert worden sind.

Als Resultat all dessen ergibt sich eine Entfremdung zwischen einer Reihe von Partei- und Gewerkschafts-Organisationen und den breiten Massen der Arbeiterklasse und das Entstehen von Konflikten in den Betrieben. Bekanntlich haben die Konflikte, die vor kurzem im Textilgebiet entstanden sind, in einer ganzen Reihe unserer Partei- und Gewerkschafts-Organisationen das Vorhandensein solcher Geschwüre aufgedeckt.

Das sind die charakteristischen Merkmale der fünften Schwierigkeit auf dem Wege unseres Aufbaues.

Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, ist es vor allem notwendig, unsere Partei- und Gewerkschafts-Organisationen von den offen bürokratischen Elementen zu befreien, an die Erneuerung der Zusammensetzung der Betriebsräte heranzugehen, in die Betriebskonferenzen unbedingt mehr Leben hineinzubringen, den Schwerpunkt der Parteiarbeit in die großen Betriebszellen zu verlegen und sie mit den besten Parteiarbeitern zu versehen.

Mehr Aufmerksamkeit und Überlegung für die Bedürfnisse und Nöte der Arbeiterklasse, weniger bürokratischen Formalismus in der Praxis unserer Partei- und Gewerkschafts-Organisationen, mehr Sensibilität für das Gefühl der Klassenwürde des Proletariats – das ist jetzt die Aufgabe. So steht es mit der zehnten Frage.