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Queere Geschichte (n) - Erinnerungen und Visionen im Anschluss an Leslie Feinbergs "Stone Butch Blues" (Jara Schmidt, Clara Rosa Schwarz (Hg.))

Aus ProleWiki


Queere Geschichte(n) - Erinnerungen und Visionen im Anschluss an Leslie Feinbergs "Stone Butch Blues"
Autor*inJara Schmidt, Clara Rosa Schwarz (Hg.)


Warnung: Explizit sexuelle Inhalte

Jara Schmidt (Dr. phil.), geb. 1984, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg. Dort lehrt und forscht sie zu den Schwerpunkten Postmigration, Gender Studies und Queer Studies.

Clara Rosa Schwarz, geb. 1994, ist Doktorand*in der Soziologie an der Albert Ludwigs-Universität Freiburg. Schwarz erforscht die Rolle und Entwicklung von queeren Freund*innenschaften während der Corona-Pandemie.

Inhaltswarnung

Um den Leser*innen dieses Bandes fürsorglich zu begegnen, beginnt er mit einer Inhaltswarnung. Viele der Themen, die in den Beiträgen behandelt werden, können verschiedene emotionale Reaktionen hervorrufen und dabei auch traumatische Erinnerungen anstoßen. Da sich diese Erfahrungen subjektiv abspielen,ist es unmöglich, alle potenziellen Trigger abzudecken, deshalb sprechen wir von einer Inhaltswarnung beziehungsweise content note, anstatt von Trigger-Warnungen. Unser Ziel ist es, die Vielfalt und Unberechenbarkeit von traumatischen Erlebnissen und posttraumatischen Reaktionen anzuerkennen und den Leser*innen alle Informationen mitzugeben, die sie brauchen könnten, um beim Lesen auf sich zu achten. Auch die Ausgabe von Stone Butch Blues aus dem Jahr 2014 beginnt in der Titelei mit einer Inhaltswarnung von Leslie Feinberg:

Dear Reader: I want to let you know that Stone Butch Blues is an anti-oppression/s novel. As a result, it contains scenes of rape and other violence. None of this violence is gratuitous or salacious.

Leslie

ProleWiki Übersetzung: Liebe*r Lesende: Ich möchte Ihnen mitteilen, dass Stone Butch Blues ein antioppressiver Roman ist. Aus dem Grund behandelt er Themen wie Vergewaltigung und andere Gewalttaten. Diese Gewalt wird in keiner Weise befürwortet oder als anregend dargestellt.

Leslie

Die Themen des Romans werden auch in Beiträgen dieses Bandes behandelt. Sowohl diverse Unterdrückungsformen und Diskriminierungserfahrungen, wie Queer- und Transfeindlichkeit, Rassismen, Ableismen, sexualisierte sowie diskriminierende Gewalt und Selbstverletzung, als auch explizite Besprechungen von Sex und Kink gehören zu den Themen, die wir vorab benennen möchten. Wir hoffen, dass diese Inhaltswarnung den Band allen Leser*innen zugänglicher macht, und ermutigen zur Selbstfürsorge beim Lesen.

Einleitung: Queere Geschichte(n) im Anschluss an Stone Butch Blues

Jara Schmidt & Clara Rosa Schwarz

Zum Hintergrund des Sammelbandes

Anlässlich des 30. Publikationsjubiläums von Leslie Feinbergs Roman Stone Butch Blues (1993) veranstalteten wir gemeinsam mit Michaela Koch, Leitung vom hochschulübergreifenden Zentrum Gender & Diversity in Hamburg, im Mai 2023 eine Online-Tagung. Denn Stone Butch Blues ist ein Klassiker queerer Literatur, der nicht nur die Komplexität lesbischer und queerer Lebensrealitätenaufzeigt, sondern auch zu einer Verschiebung vom Sprechen über trans Menschen zum Sprechen von trans Menschen beitrug sowie zu vermehrter Sichtbarkeit von trans Stimmen in Gesellschaft und Wissenschaft. Die Tagungsbeiträge finden sich nun in diesem Band versammelt wieder, um das Wirken des Romans von Feinberg (1949–2014) fest- und nachzuhalten.

Queere Geschichte(n). Erinnerungen und Visionen im Anschluss an Leslie Feinbergs »Stone Butch Blues« fokussiert mit interdisziplinären Zugriffen und aus internationalen Perspektiven die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von trans, lesbischer und queerer Literatur und Kultur und beinhaltet wissenschaftliche, essayistische, literarische und künstlerische Beiträge auf Deutsch und Englisch. Diese widmen sich unter anderem Femme/Butch-Dynamiken und -Identitäten, queeren Potenzialitäten bei Erst- und Neuübersetzungen des Romans sowie queeren Räumen, die online, offline, im Text und in Utopien Gestalt finden und so Gemeinschaft ermöglichen.

Feinbergs Roman verliert nicht an Aktualität und Anschlussfähigkeit, vielmehr haben wir heute durch aktivistische und akademische Errungenschaften ein größeres Verständnis und Vokabular für die in Stone Butch Blues verhandelten Themen und Figuren.[Anmerkung 1] Zudem könnten die in diesem Band zusammengetragenen persönlichen wie analytischen Aushandlungen angesichts des aktuellen politischen Klimas, in dem rechte Stimmen weltweit erstarken und binäre, biologistische, transfeindliche Denkweisen propagieren, kaum gegenwartsbezogener sein, auch im Rückblick auf queere Geschichte und Kämpfe.

Ein besonderes Highlight der Tagung war die Teilnahme von Minnie Bruce Pratt, Autorin, Aktivistin und Lebenspartnerin von Leslie Feinberg. Pratt, die nur wenig später im Juli 2023 verstarb, gewährte Einblicke in ihr Leben, Schreiben sowie ihre aktivistischen Tätigkeiten und las ein paar Gedichte sowie kürzere Texte vor. Zwei ihrer präsentierten Kurzprosatexte – Husband und Palace (kurzer Auszug) – folgen auf diese Einleitung. Das Gespräch mit ihr wurde aufgezeichnet und ist online verfügbar (vgl. Spinnboden 2023).

Queere Geschichte(n)

Die Frage danach, wie queere Geschichte geschrieben wird, richtet sich häufig an die physischen Räume des Archivs – gefüllt mit Plakaten, Pamphleten, Briefen und Zeitungen, digitalen Daten und Material zur oral history –, denn diese tragen ganz grundlegend zur Erinnerung bei und versuchen, die Fülle queerer Existenz nachvollziehbar zu machen. Doch gerade die Geschichte vor den Stonewall-Protesten von 1969 existiert auf Basis flüchtiger Spuren (vgl. Cvetkovich 2003; Rivers 2012). Auch Fiktion kann solche Spuren legen und so aus und an verschiedensten Orten archivarische Räume generieren. Wir möchten insbesondere den Roman als Teil queerer Geschichtsschreibung hervorheben, denn wir tragen ihn mit uns herum, lesen ihn auf der Parkbank und im Bus, sammeln ihn in unseren Bücherregalen und schlafen neben ihm ein. Der Roman materialisiert queere Geschichte durch queere Geschichten – manchmal lässt sich Geschichte am besten erzählen, wenn sie neu kreiert wird (vgl. Rawson 2012: 244). Geschichten als Archivmaterial zu behandeln, bedeutet auch, dass kreative Freiheiten als valider Teil queerer Wissensproduktion angesehen werden. So behandeln wir auch Stone Butch Blues als ein Objekt des Archivs, jedoch eines, zu dem wir alle ständig Zugang haben können (auch, weil Leslie Feinberg den Roman frei verfügbar auf deren Website veröffentlicht hat). Stone Butch Blues mag fiktional sein, doch Feinberg selbst beschreibt die Geschichten, die den Roman ausmachen, als real (vgl. Feinberg 2014) und der fortwährende Einfluss des Romans auf queere und trans Communitys, Forschung und Geschichten bestätigt seine historische Relevanz immer wieder.

Den Roman als historische Quelle zu handhaben, wirft Fragen an das Konzept des Archivs auf. K. J. Rawson beschäftigt sich unter anderem mit der Frage nach Primärquellen im Archiv: Welches Material gilt als primär, welches als sekundär? Und wie kann auch ›Unarchivierbares‹ archiviert werden?(vgl. Rawson 2012: 239) Rawson nimmt Fiktion als Beispiel queerer Archivierungspraxis und bietet fiktionale Geschichten als Antwort auf folgendes Dilemma an: »Wenn es keine Materialien gibt, die das Leben einer Person dokumentieren […], heißt das dann, dass diese Person nie existiert hat?«[Anmerkung 2] (ebd.: 243, Übersetzung C. R. S.) Fiktion stellt also ein kreatives Werkzeug für queere Geschichtsschreibung dar, das die exklusive Gültigkeit historischer Dokumente infrage stellt. In diesem Zusammenhang stellen sich ebenfalls die Fragen, »wie jeweils historisches Wissen zustande kommt, welche Funktionen es für die Konstitution von Subjekten und Identitäten hat und welche Wirkungen auf die Gestaltung von Gesellschaft« (Fuchs 2020b: 114–115).

Wenn nun also das Archiv »die Grundlage für das kollektive Gedächtnis bereit[stellt]« (ebd.: 115), so ist mit Blick auf Stone Butch Blues nicht nur die fiktive Geschichte, sondern auch der Entstehungskontext des Romans von historischer Relevanz: Wie beeinflusst das kollektive Gedächtnis die Geschichte in Stone Butch Blues und umgekehrt? Mit welcher Perspektive blickt Feinberg auf die eigene Geschichte und die soziopolitische Situation der 1950er- bis frühen 1990er-Jahre in den USA zurück? Wie sehr kann Feinberg diese Position reflektieren, um die Jugend und Unwissenheit der Hauptfigur Jess Goldberg retrospektiv zu inszenieren?

Verwobenheiten trans und lesbischer Geschichte(n)

Der Sammelband fokussiert vor allem trans und lesbische queere Geschichte(n). Wenn wir von queerer Geschichte sprechen, dann meinen wir damit auch queere politische Bewegungen und Freiheitskämpfe, die sich nicht (nur) auf einzelne Identitätszugehörigkeiten berufen, sondern ›queer‹ als Gegen-Hegemonie, als antinormativ und solidarisch begreifen. Zugleich ist es uns ein besonderes Anliegen, auf die Spezifika der Verwobenheit von lesbischer und trans Geschichte einzugehen, die in Stone Butch Blues eingebettet sind. Jess’ Geschichte verbindet diese Erfahrungen: Ein gender non-conforming Kind wird zur Lesbe, zur Butch, zum trans Mann und schließlich zur nicht-binären Butch – wobei Feinberg nicht alle diese Begriffe in dieser Form verwendet. Die Sprache, die Feinberg kennt und gebraucht, bedient sich Beschreibungen dieser Erfahrungen: Jess fühlt sich definitiv als Butch, die Femmes begehrt, und doch in ihrem Gender immer wieder dazwischen und gefangen zugleich. Die Beiträge in diesem Band beschäftigen sich mit der Sprache und Rahmung dieser Erfahrungen, abstrahieren sie und stellen so selbst ein Stück Geschichte (wieder) her.

Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation, den lauten trans- und queerfeindlichen Stimmen, ist es umso wichtiger zu würdigen, dass Lesben und trans Personen schon lange sich überschneidende Erfahrungen und Communitys teilen und gemeinsame politische Interessen vertreten. Gerade für viele Femmes und Butches und (andere) trans Personen hat Stone Butch Blues eine ganz besondere Bedeutung, denn viele von uns erleben durch Feinbergs Erzählung »ein Gefühl der Geborgenheit im Wiedererkennen von Ähnlichem« (Fuchs 2020b:188). Fuchs betont die Wichtigkeit dieses Zugehörigkeitsgefühls insbesondere für diejenigen, die sich in lesbisch-feministischen, queer-feministischen oder nicht-binären/transgender Communitys nicht zugehörig fühlen dürfen (vgl. ebd.). Femme/Butch-Dynamiken, -Begehren und -Identitäten werden oft als rückschrittlich gerahmt, als Nachahmung heterosexueller Ordnung verteufelt – Fuchs deckt diese Kritik gekonnt auf: »Wer Femme- und Butchverkörperungen für heteronormative Kopien hält, ist der heteronormativen Strategie der Naturalisierung, die sich als Ursprüngliches, Eigentliches und Natürliches setzt, schon auf den Leim gegangen« (Fuchs 2020a: 23; vgl. auch Mc Nicholas Smith 2020). Diese Falle findet sich nicht nur in transexkludierenden radikal-feministischen Räumen, sondern auch in queer-feministischen Kontexten wieder. Dabei werden das Begehren und Performen von gegenderten und genderphilen[Anmerkung 3] Subjektivitäten als unfeministisch betrachtet, denn Gender als solches sei unterdrückend (vgl. Fuchs 2020a: 20–21). Für Butches und Femmes selbst sind ihre Gender-Positionen oft durch eine Verbindung von Geschlechtsidentität und -ausdruck sowie geschlechtlichem Begehren charakterisiert, wobei für viele Femmes und Butches ihre Geschlechtsidentitäten transident und/oder nichtbinär sind: F(emale)-zu-M(ale)-zu-Butch, F-zu-M-zu-Femme, M-zu-F-zu-Femme, M-zu-F-zu-Butch, F-zu-Femme, F-zu-Butch sind einige der endlosen Gender-Möglichkeiten. Josephine Wilson spielt beispielweise mit SPTBMTQFF – »stopped-pretending-to-be-male-to-queer-femme-female« (Wilson 2009: 29) – und Leah Lakshmi Piepzna-Samarasinha beschreibt deren Femmeness als näher an Drag-Femininität als an cis Weiblichkeit (vgl. Albrecht-Samarasinha 1997).

Das Spiel mit Gender, mit Gegensätzlichkeit (und auch mit Gleichheit) und queeren Interpretationen von Femininität und Maskulinität, die sich patriarchalen Rollenvorstellungen widersetzen, steht im Zentrum von Butch- und Femme-Subjektivitäten. Auch außerhalb von Butch/Femme-Dynamiken erleben beide in queeren Kreisen oft Ausgrenzung. So werden Femmes immer wieder als nicht queer genug kritisiert (vgl. Brightwell 2018), während Butches als passé dargestellt werden und ihnen wahlweise eine trans Identität aufgezwungen oder ihre Existenz gleich aberkannt wird (vgl. Reed 2009) – nach dem Motto: »Wo sind all die Butches hin?« (vgl. Halberstam 1998) oder in aktuellerer Version: die masc shortage, also ein Mangel an (datebaren) maskulinen Lesben und transmaskulinen Personen. Erstere Frage war deutlich transexkludierend, da transitionierende Butches als Verräter*innen lesbischer Communitys gehandelt wurden (vgl. ebd.). Der in den 2020ern kursierende Mythos der masc shortage hingegen ist zumindest oberflächlich transinklusiv, da ein Begehren transmaskuliner Personen bekundet wird, jedoch zitiert dieses Narrativ ganz klar das der verschwindenden Butches. Häufig sind diese Annahmen durch Schönheits- und Genderideale, Rassismen und Bodyismen geprägt, denn das Begehren nach den verschwundenen Butches und mascs bezieht sich oftmals auf weiße, dünne, androgyne Menschen, die eine bestimmte Ästhetik befolgen und dabei auch nicht zu männlich sein dürfen (vgl. Deva 1994; Rubin 2013).

Femme/Butch-Dynamiken stellen eine zentrale Beziehungsform in Stone Butch Blues dar und Jess’ Transition sowie andere trans Charaktere spiegeln Feinbergs eigenes Transsein und deren Kampf für trans Rechte. Als Dokumentation queerer Geschichte im Staat New York in der Zeit von 1950 bis 1990 und auf persönlichen Erfahrungen beruhend, hat Stone Butch Blues eine Vorreiterrolle der trans Literatur. Sein Stellenwert für die Trans Studies ist nicht zu unterschätzen: Stone Butch Blues ist sowohl einer der ersten trans Texte, der mit Genres spielt und Autobiografie, Fiktion und Geschichte vereint[Anmerkung 4] – gefolgt von Julia Seranos Whipping Girl (2007) und Janet Mocks Redefining Realness (2014) –, als auch einer der Texte, der seit seiner Publikation immer wieder in den Trans Studies aufgegriffen und diskutiert wird, wie beispielweise in Jay Prossers »No Place Like Home« (1995), Jack Halberstams »Lesbian Masculinity or Even Stone Butches Get the Blues« (1996) oder Jordy Rosenbergs Nachwort zum Sammelband Transgender Marxism (2021). Jess’ Leben illustriert die Vielschichtigkeit von trans und lesbischen Erfahrungen. Jess’ Transition wird nicht von allen Femmes und Butches im Roman positiv angenommen; wie viele trans Butches und transmaskuline Menschen verliert sie zeitweise den Zugang zu Femme/ Butch-Gemeinschaft und -Räumen. Dass auch trans Butches und transmaskuline Personen – und auch ihre (Femme-)Partner*innen – sich weiterhin als lesbisch verstehen, wird nicht immer wahrgenommen oder gar konsequent abgelehnt–sowohl im Roman als auch in gegenwärtigen queeren Communitys (vgl. Fuchs 2020a; Aizura 2023). Lesbische Identität und Community bleiben Teil der Vergangenheit und Gegenwart vieler trans Personen, trotz feindseliger Exklusionsversuche einiger radikaler ›Feminist*innen‹.

Queere Bündnisse

Zugleich hat der Roman auch für viele andere Queers eine wichtige politische und emotionale Bedeutung und instruiert zu Kollaboration und Koalition. Feinbergs Figuren sind nicht durch ihr Begehren füreinander oder ihre geschlechtlichen Erfahrungen ausgezeichnet, sondern durch ihre Beziehungen zueinander, ihre Freund*innenschaften, ihre Gemeinschaft. Feinberg setzt sich kritisch mit den Grenzen von und einer queeren Verpflichtung zu Solidarität auseinander und lässt Jess von einem*r unparteiischen Beobachter*in zum*r Anti-Rassist*in und gewerkschaftlichen Vorkämpfer*in wachsen und beleuchtet dadurch auch die tiefen Gräben innerhalb queerer und lesbischer Gemeinschaften. Geteilte Identitäten reichen nicht aus, um für Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Freiheit zu kämpfen, und Feinberg erinnert die Lesenden immer wieder daran, wenn Jess mit anderen Arbeiter*innen gemeinsame Interessen vertritt, unabhängig von ihren subjektiven gesellschaftlichen Positionen. In dieser Hinsicht ist Stone Butch Blues auch ein Arbeiter*innen-Roman, der Klassenkampf großschreibt und Gerechtigkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen fordert.

In und neben gemeinsamen politischen Kämpfen bilden sich im Roman (sowie in der Realität) Freund*innenschaften, die das zarte wie starke Herzstück queerer Gemeinschaft ausmachen. Für Queers kann Freund*innenschaft eine ganz besondere Rolle spielen – vermehrt auftretende familiäre Ausschlüsse und gesellschaftliche Isolation fordern uns dazu auf, gegenseitige Unterstützung zu verwirklichen. Auch in Stone Butch Blues ist Einsamkeit ein zentrales Problem, dem Jess immer wieder zu entkommen versucht. Doch ohne eine Vorstellung davon, was Queer-Sein bedeuten kann, ohne eine gemeinsame Sprache und geteilte Räume, ist es nicht einfach, Freund*innen zu finden. Queere Geschichten tragen maßgeblich dazu bei, dass queere Menschen in Isolation über andere Queers lesen und (von ihnen) lernen und sich schließlich selbst wiedererkennen können (vgl. Mc Nicholas Smith 2020). Es braucht diese (An-)Erkennung, um einen Weg aus der Isolation zu erschließen oder zu entwerfen. Wir hoffen, mit diesem Band einen kleinen Beitrag zu diesen Geschichten zu leisten und dabei die Komplexität innerhalb queerer Geschichte aufzugreifen.

Zu den Beiträgen

Ann Cvetkovichs Konzept des Archivs der Gefühle betont die Wichtigkeit der Dokumentation von Brüchen und Schwierigkeiten queerer Geschichte: Um queere Geschichte zu schreiben, braucht es nicht ein geglättetes Bild von queerer Einheitlichkeit und Harmonie, sondern eine hügelige, rissige Landschaft, in der auch Raum für Schwieriges ist (vgl. Cvetkovich 2003). So setzen sich auch die Beiträge in diesem Sammelband aus unterschiedlichen Perspektiven mit verschiedenen Facetten des Romans sowie queerer und trans Geschichte auseinander und sind dennoch in dem Versuch einer groben Ordnung in drei Abschnitte aufgeteilt: 1) Femme/ Butch-Dynamiken und -Identitäten, 2) Übersetzungen und Übertragungen und 3) (Zukunfts-)Räume (online und offline).Da es sich um eine internationale, bilinguale Konferenz handelte, sind einige der Beiträge auf Deutsch und andere auf Englisch; die Beitragssprache ist jeweils am Titel erkennbar.

Der erste Abschnitt beginnt mit dem Beitrag »Von Papafrauen, Geschlechterrollenspiel, Kessen Vätern und Ladys. Fem(me)/Butch in den Sexualitätsdiskussionen deutschsprachiger Lesbenbewegungender1970er- bis 1990er-Jahre« von Lorenz Weinberg. Darin wird anhand von Quellenauszügen, insbesondere aus Lesbenzeitschriften, aufgezeigt, wie Fem(me)/Butch-Dynamiken diskutiert wurden und welche Rollen Sexualität und Identität dabei spielten. Auch geht Weinberg deutschen Begrifflichkeiten für und Debatten über lesbisch*queere Paarkonstellationen nach, die von Gegensätzlichkeit und von queerer Maskulinität und Femininität geprägt waren – und macht deutlich, wie diese heute in transfeindlichen Debatten zweckentfremdet werden.

Mit »Blaue Hose, rote Lippen« trägt Anngret Schultze einen sehr persönlichen Text bei, der sich sowohl mit Reibungspunkten bei der Lektüre von Stone Butch Blues befasst als auch eigene Identitätsaushandlungen im Kontext von Femme/Butch-Relationen (bzw. weder/noch) reflektiert. Dabei hinterfragt Schultze auch eine verinnerlichte Misogynie und den Fehlschluss, eine heterosexuelle Matrix als (kritikwürdige) Schablone für queere Beziehungen heranzuziehen.

Camellia Choudhuri betrachtet in seinem Aufsatz »A Terrible Beauty is Born. The Affective Politics of the Butch Memoir in Performance« Butch-Memoiren, die eine doppelte Marginalisierung erfahren: durch das Cisheteropatriarchat und lesbischen Mainstream-Feminismus. Vor diesem Hintergrund betrachtet erJoelle Taylor als Vertreterin einer experimentellen Butch-Poetik und analysiert ihre Lyrik-Performance CUNTO(uraufgeführt 2018), die Choudhuri schon durch die formale Assoziation mit einem Canto als heroische Erzählung deutet.

El Reid-Buckley setzt in »Cruising Towards Care. Leslie Feinberg and Lou Sullivan in Conversation« Feinbergs Roman Stone Butch Blues in Beziehung zu Sullivans Tagebüchern, obwohl–oder gerade weil–die beiden Autor*innen sich nie begegnet sind und unterschiedliche Perspektiven vertreten. Reid-Buckley legt dar, wie diese Texte sich ergänzen und wie sie aufzeigen, dass trans Geschichten der Protagonistin Jess bzw. dem Verfasser Sullivan und auch den Lesenden helfen, eigene trans Identitäten und Subjektivitäten zu entwickeln.

Der erste Abschnitt des Sammelbandes erfährt anschließend eine künstlerische Intervention durch drei Gedichte von Anja*Oliver Schneider, die unter dem Titel Memorize the Places You Wanted Me gebündelt sind. In den Gedichten geht es um Femme/ Butch-Begehren einerseits und kreative Inspirationen durch Stone Butch Blues andererseits.

In dem Beitrag »Feinberg’s Femmes: How Femmes Care in Stone Butch Blues« widmet sich Clara Rosa Schwarz einer Re-Lektüre von Feinbergs Roman und nimmt dabei insbesondere die Femme-Figuren und ihre Fürsorgepraxen in den Fokus. Schwarz untersucht, wie femme care im Roman umgesetzt wird, wie Feinbergs Femmes Stärke durch Verletzlichkeit erzeugen und wie sie dadurch die Selbstfürsorge der Hauptfigur Jess Goldberg beeinflussen und ihr helfen, zu sich selbst zu stehen.

Laura Brightwell setzt in ihrem Aufsatz »Femme Life Writing: No Femininities Left Behind« queere Femmes mit marginalisierten heterosexuellen Femininitäten in Verbindung und fragt nach einer politischen Solidarität zwischen verschiedenen Ausdrucksformen von Weiblichkeit, die kulturell als inakzeptabel, abweichend oder ›falsch‹ angesehen werden. Sie widmet sich so einem neuen Modell der Femme-Theorie, das von der Konstruktion einer Femme-Identität als inhärent anti-normativ abweicht, und blickt dafür in literarische Texte von Dorothy Allison, Rachael Anne Jolie und Joan Nestle.

Der zweite Abschnitt zu Übersetzungen und Übertragungen beginnt mit einem Essay von Sabine Fuchs, das den Titel »Sternenklare Reise. Eine Reminiszenz an Leslie Feinberg, in Dankbarkeit« trägt und eine Würdigung von Feinberg ist. Fuchs erinnert darin zwei persönliche Begegnungen mit Feinberg, reflektiert die Bedeutung von Literatur für eine Identitätsausbildung und ein kritisches Selbstverständnis und zeigt auf, wie transfeindliche lesbische ›Feministinnen‹ im deutschsprachigen Raum Feinberg bis heute als ›lesbische Frau‹ für sich vereinnahmen und dabei trans Identität und Widerstand auslöschen.

Marina Allal geht in ihrem Beitrag »›Shake up imaginations and develop alternatives‹. The Reception and Translation of Stone Butch Blues in France« der Frage nach, warum erst wenige Jahre vor seinem 30. Jubiläum eine Übersetzung von Feinbergs Roman ins Französische publiziert wurde. Sie setzt diese neue Rezeption mit einem literarischen Event von 2018 in Verbindung sowie mit den Entwicklungen feministischer Bewegungen in Frankreich von den 1970er-Jahren bis heute. Auch gewährt sie einen Einblick in die 2019 veröffentlichte französische Ausgabe und zeigt anhand einiger Beispiele Übersetzungsschwierigkeiten einer gendersensiblen Herangehensweise auf.

In dem essayistischen Beitrag »Translating Translanguage« von Ylva Emel Karlsson geht es um die erste Übersetzung von Stone Butch Blues ins Schwedische und um die Schwierigkeiten, aber auch Freiheiten, die damit verbunden sind, eine Sprache zu finden, die einerseits historische Kontexte und andererseits sprachliche Entwicklungen und gegenwärtige Bedeutungen von Wörtern berücksichtigt. Diese Überlegungen legt Karlsson in einem über Jahre fortgeführten Brief an Leslie Feinberg dar.

Auch Desz Debreceni widmet sich in dem Aufsatz »Re_Translating as Activist Practice. Queering the German Translation of Stone Butch Blues« einem Übersetzungsprozess, nämlich der Neuübersetzung der deutschen Ausgabe. Letztere wird nicht nur aufgrund sprachlicher Entwicklungen als notwendig betrachtet, sondern auch, weil Übersetzung als aktivistische Praxis verstanden wird, die der Sichtbarkeit und Lesbarkeit queerer und trans Figuren zuarbeiten sollte.

Der Text »Growing Sideways. An Écriture of the Queer Kid« von Hannah/Hann Zipfel ist eine überarbeitete und kommentierte Abschrift des (fast) gleichnamigen Video-Essays, das online verfügbar ist. Darin widmet sich Zipfel (queeren) Kindheitserinnerungen in einem binären System, was es bedeutet, als erwachsene Person auf diese zurückzublicken, und warum ein kindliches Seitwerts-Wachsen notwendig und befreiend sein kann.

Nike Hartmond und Fred Heinemann haben mit Medea: Bubbles oder Weggefährt*innen künstlerisch zum Sammelband beigetragen: In einer Foto-Love-Story führen sie den Medea-Mythos und Stone Butch Blues zusammen und lassen die Figuren einander Weggefährt*innen sein. Auch die Verwandtschaft zwischen Foto-Love-Story und Oper, welche sich im Verhältnis von Text und Bild zeigt, sowie die Assoziation beider Formate mit Drag-Performances führten zu diesem Projekt, das an einer Wiener Tankstelle, die als Schwellenort diente, seine Realisation fand.

Der dritte Abschnitt zu (Zukunfts-)Räumen (online und offline) setzt mit einem künstlerischen Beitrag von Hani Esther Indictor Portner ein: Mit einem Bild reflektiert Portner den bei der Tagung abgehaltenen Workshop »Queer Trans Jewish Futures« und erklärt in einem kurzen Statement die zahlreichen Symbole der Bildsprache sowie die Bedeutung eines solchen Workshops als safer space für Menschen, die sich an der Intersektion einer jüdisch-queeren/trans Marginalisierung befinden.

Jade Da Costa betreut den Instagram-Account @eroticpedagogy, der Geschichten von QTBIPoC aus dem südlichen Zentral-Ontario bereitstellt, in denen sie über vergangene und aktuelle Erfahrungen mit Sexualerziehung, sexueller Gesundheit, Sexualität und Geschlecht sprechen. Im Beitrag »Erotic Pedagogy: Queer of Colour Sex Education« geht es zunächst um das Konzept und die Umsetzung des Projekts, das Lehrkräften (Vorschule bis 12. Klasse) helfen soll, Sexualerziehung zu dekolonisieren. Im Anschluss folgt das Transkript eines Gesprächs von Da Costa und Skylar Sookpaiboon, die das Projekt gemeinsam umgesetzt haben. Sie reflektieren darin, was Erotic Pedagogy für sie ausmacht und was sie selbst durch das Projekt gelernt haben.

In dem Beitrag »Finding Butch Identity and (Visions of) Solidarity on TikTok« untersucht Jonah Reimann, ausgehend von persönlichen Erfahrungen während und nach der Covid-19-Pandemie, welche Rolle die Repräsentation von Butchness auf der Social-Media-Plattform TikTok für eine queere Selbstfindung spielen kann. Dabei werden zwei Accounts und ihre Interaktionen genauer beleuchtet, aber auch die Schattenseiten solcher Plattformen berücksichtigt.

Mit dem Aufsatz »›Who was I now – woman or man? That question could never be answered as long as those were the only choices.‹ Intersections of Lesbian and Trans Experiences in Leslie Feinberg’s Stone Butch Blues« nimmt Anja*Oliver Schneider ein closereading des Romans vor und spürt dabei der Charakterentwicklung von Protagonist*in Jess Goldberg nach, die aus Differenzerfahrungen und Allianzen gleichermaßen lernt, um zu einem eigenen Identitätsentwurf zu gelangen, der sich binären Einschränkungen entzieht.

k kater trägt das intime Hörstück put your hands in my lungs. Fem_me/Butch-Miniaturen bei, das über einen Link online verfügbar ist und in diesem Band durch ein Essay begleitet wird. Darin werden literarische Zitate und Fem_me/Butch-Erotika aufeinander bezogen und mit autofiktionalen Fragmenten verbunden, was eine genderphile Verwandtschaft erfahrbar macht, versponnen in ein kollektives trans*queeres Gedächtnis und Archiv.

Im finalen Beitrag mit dem Titel »Queere Arbeiter*innen und umkämpfte Räume. Eine intersektionale Betrachtung des Raums der schwul-lesbischen Bar in Stone Butch Blues und seiner Ein- und Ausschließungsmechanismen« nimmt Jojo Hofmann mithilfe der Raumtheorien von Lotman, Renner und Foucault die Bars in Feinbergs Roman ins Visier und fasst sie als queere Gegenräume zum ›Normalraum‹ der heterosexuellen Matrix, die jedoch auch bestimmte Regeln und Ausschlüsse mit sich bringen.

Diese Vielzahl unterschiedlichster Auseinandersetzungen mit und Anknüpfungen an Stone Butch Blues–im Erinnern des Damaligen und Aushandeln des Heutigen sowie Zukünftigen – zeigen die andauernde Relevanz der Texte und Taten von Leslie Feinberg und anderen trans und queeren Pionier*innen. Sie ebneten mit ihren Schriften und Kämpfen einen Weg und schufen so auch die Möglichkeit für unsere Visionen einer queer(er)en Zukunft.

Dank

Unser besonderer Dank gilt Michaela Koch vom Zentrum Gender & Diversity für die Idee der Tagung und Lara Ledwa vom Spinnboden Lesbenarchiv für die tatkräftige Unterstützung bei selbiger. Den Beitragenden danken wir für die große Perspektivenvielfalt, ihr Vertrauen und den wertschätzenden Umgang. Bei Anika Luisa Höwer bedanken wir uns für ihre Mitarbeit im Lektorat und bei Desz Debreceni fürs Gegenlesen dieser deutschsprachigen Fassung der Einleitung. Und nicht zuletzt geht ein großes Dankeschön an die Förderinstitutionen, ohne die die Finanzierung von Queere Geschichte(n) nicht möglich gewesen wäre: der Open-Access-Publikationsfonds der Universität Freiburg und der Gleichstellungsfonds der Universität Hamburg.

Jara Schmidt und Clara Rosa Schwarz im September 2024

Literatur

Aizura, A. (2023) »Flailing at Feminized Labor: SOFFAs,1990s Trans Care Networks, Stone Butch Blues, and the Devaluation of Social Reproduction«, South Atlantic Quarterly 122(3), S. 567–589. https://doi.org/10.1215/00382876-10644043.

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Serano, J. (2007) Whipping Girl. A Transsexual Woman on Sexism and the Scapegoating of Femininity. Berkeley: Seal.

Spinnboden (2023) »Reading Minnie Bruce Pratt at Online-Conference 30 Years of Stone Butch Blues – Memories and Visions«, YouTube. https://www.youtube.com /watch?v=N9l4fix5eYw (letzter Zugriff am 09.09.2024).

Wilson, J. (2009) »Not so Much ›MTF‹ as ›SPTBMTQFF‹: The Identification of a Trans Femme-inist«, in: Burke, J. C. (Hg.) Visible. A Femmethology. Volume One. Michigan: Homofactus, S. 26–29.

Teil I: Femme/Butch-Dynamiken und –Identitäten

Von Papafrauen, Geschlechterrollenspiel, Kessen Vätern und Ladys: Fem(me)/Butch in den Sexualitätsdiskussionen deutschsprachiger Lesbenbewegungen der 1970erbis 1990er-Jahre

Lorenz Weinberg

Wir dachten, wir hätten den Befreiungskrieg gewonnen, als wir uns das Wort gay zu eigen gemacht hatten. Doch dann kamen die Studierten aus ihren Löchern hervor und erklärten uns die neuen Spielregeln. […] Sie warfen uns raus, sorgten dafür, daß wir uns für unser Aussehen schämten. Sie sagten wir wären Chauvinistenschweine, der Feind. […] Es war nicht schwer, uns weg zu schicken, wir gingen widerstandlos. (Feinberg 1996: 13)

Historische Spurensuche – ›Fem(me)/Butch‹ in den Quellen der Zeitgeschichte

Als ich diese Zeilen aus Leslie Feinbergs Stone Butch Blues zum ersten Mal las, lösten sie in mir den Wunsch nach Auseinandersetzung mit Butch/Fem(me)[Anmerkung 5] -Geschichte und den Lesbian Sex Wars[Anmerkung 6] aus, der mich bis heute nicht mehr losgelassen hat. So habe ich zu Diskussionen über lesbisch*queere Sexualität innerhalb feministischer Kontexte der 1970er- bis 1990er-Jahre im deutschsprachigen Raum geforscht. Einen Schwerpunkt legte ich dabei auf (Darstellungen von und Diskussionen über) Fem(me)/Butch-Kultur, die ich als paradigmatisch für die Verknüpfung von lesbischer und trans*queerer Geschichte begreife. In diesem Beitrag werde ich Teile meiner Arbeit mit und an Quellen der Lesbenbewegungen präsentieren. Entlang der Quellenauszüge werde ich zeigen, ob und inwiefern Fem(me)/Butch Teil deutschsprachiger Diskussionen seit den 1970er-Jahren war und wie Sexualität und Identität hier verhandelt wurden. Dabei mache ich mich auch auf eine Spurensuche deutscher Begrifflichkeiten für und Debatten überlesbisch*queere Paarkonstellationen, die von Gegensätzlichkeit und von queerer Maskulinität und Femininität geprägt waren.

Ein Diskurs über ›Fem(me)/Butch‹ lässt sich in den Quellen der 1970er- bis 1990er-Jahre – in unterschiedlicher Ausprägung, mit sich veränderndem Wording und entlang wechselnder Themenkomplexe – erkennen. Da die Beschäftigung mit ›Fem(me)/Butch‹ sowohl Auseinandersetzungen mit sexuellen Praktiken, Erotik und Begehren als auch mit geschlechtlicher Identität, Geschlechtsausdruck und Konzeptionen von Geschlecht beinhaltet, veranschaulicht diese Thematik das Ineinandergreifen von Sexualitätsdiskussionen und Aushandlungen von lesbisch*queeren Identitätskonzeptionen.[Anmerkung 7] Der Fokus dieses Beitrags liegt auf der Feindseligkeit gegenüber Fem(me)/Butch-Kultur und auf Kritiken aus radikalfeministischer Richtung, die auch im Eingangszitat von Feinberg prominent auftauchen. Dafür werde ich chronologisch vorgehen und zunächst Spuren von Fem(me)/Butch-Kultur in einer Lesbenzeitschrift der 1970er-Jahre nachzeichnen. Im Anschluss stehen Auszüge aus den 1980er-Jahren im Fokus, bevor ich mich mit der Frage nach einem ›Fem(me)/Butch-Revival‹ in den 1990er-Jahren beschäftige.

Annoncen, Ablehnung, Abgrenzung – Fem(me)/Butch in der UKZ[Anmerkung 8] der 1970er

Fem(me)/Butch-Kultur wurde in den deutschsprachigen lesbisch-feministischen Publikationen der 1970er-Jahre überwiegend pejorativ und ablehnend verhandelt. Sich selbst abgrenzend, wurde diese Form lesbisch*queerer Paarfiguration an vielen Stellen kritisiert bzw. bestenfalls als zu entschuldigendes antiquiertes Phänomen aus der Vergangenheit besprochen. Eine neutrale oder vorsichtig affirmative Perspektive lässt sich in den Annoncen oder in Berichten älterer Lesben erkennen. Eine besonders prägnante Kontaktanzeige ist in der Augustausgabe von Unsere kleine Zeitung (UKZ) des Jahres 1975 zu finden. Hier sucht eine 60-Jährige, die sich selbst als »sehr feminin, gut aussehend« beschreibt, eine »stark maskuline freundin für dauerfreundschaft« [sic!] (UKZ August/1975: 35). Im Laufe der 1970er-Jahre wurde die Nutzung der Begrifflichkeiten ›KV‹ oder ›Kesser Vater‹ für maskulin auftretende Lesben immer häufiger verwendet – teilweise als direkte Übersetzung von ›Butch‹. Für den femininen Part etablierte sich in den Zeitschriften der 1970er-Jahre noch kein eigenständiger konsistenter Begriff.

Im Folgenden möchte ich einen konkreten Auszug aus der UKZ vorstellen. Es handelt sich um einen Artikel aus der radikalfeministische Publikation Rufe alle Lesben – bitte kommen, die 1977 im feministischen Westberliner Selbstverlag Tomyris veröffentlicht wurde (vgl. CLIT 1977). Das kleinformatige Büchlein versammelt ins Deutsche übersetzte Texte des New Yorker Kollektivs CLIT (Collective Lesbians International Terrors), die in den 1970er-Jahren als CLIT-Papers in den USA zirkulierten und in der Zeitschrift Off Our Backs erschienen (vgl. Weinberg 2020: 289). Einer der Texte aus dem Büchlein erschien 1978 in der UKZ (vgl. UKZ 3/1978) und soll im Folgenden in Auszügen vorgestellt werden.

Auf mehreren Seiten kommt in dem Beitrag die schonungslose Ablehnung von und radikale Kritik an Fem(me)/Butch-Kultur zur Geltung. Zu Beginn des Artikels geht es um die Verärgerung der Verfasserinnen darüber, dass sich von lesbischen Beziehungen enttäuschte Frauen im Nachgang ihrer ernüchternden Erfahrungen von anderen Frauen insgesamt abwenden würden. In der Beschreibung dieses vermeintlich häufig auftretenden Phänomens wird erstmals von »butch-femme« gesprochen:

Nur weil eine Frau dich tief verletzt hat oder weil du an eine Reihe von butchfemme-Männern geraten bist, die sich als Frauen verkleidet haben (und ein heterosexuelles Bewußtsein hatten), oder weil du es mit einer heterosexuell identifizierten Lesbierin zu tun hattest, d.h. einer Lesbierin, die Rollenspiele spielt, männlich identifiziert ist und sich dir gegenüber wie ein Mann verhalten hat – ist es engstirnig, deine Wut und den Schmerz […] zu verallgemeinern und zu glauben, daß dich alle Frauen fertig machen. (ebd.: 15)

Auffällig ist zunächst, dass hier von »butch-femme-Männern« gesprochen wird. Fem(me)/Butch-Kultur wird also als inhärent männlich konstruiert. Auch der zweite bemerkenswerte Terminus »heterosexuell identifizierte Lesbierin« wird genutzt, um Fem(me)/Butch-orientierte Lesben aus der radikalfeministischen Konzeption einer Lesbe auszuschließen bzw. sie als lesbisch-feministisch unerwünscht zu markieren. Dem zugrunde liegt ein strikt dichotomes und biologistisches Ge­schlechterverständnis und daraus resultierend die Ablehnung all dessen, das mit Formen von Maskulinität verbunden wird oder sich auf Männlichkeit bezieht. Ebenso geht die Abgrenzung von Heteras und bisexuellen Frauen mit der Verurteilung von Fem(me)/Butch-Kultur Hand in Hand. In Rufe alle Lesben wird dazu geraten, sich von Heteras und bisexuellen Frauen sowie von »heterosexuell identifizierten Lesbierinnen fernzuhalten« (ebd.). Denn, so heißt es weiter im Text, »[a]lle diese Frauen spielen immer noch die alten Rollenspiele, und das ist tödlich. Radikale Lesbierinnen spielen keine Rollen miteinander, und wenn du es tust, dann bist du k e i n e radikale Lesbierin, wie du’s auch drehst und wendest« (ebd.: 16). Ständiger Referenzpunkt ist ein ›richtiges‹ lesbisch-feministisches Bewusstsein. Dies wird Fem(me)/Butch-orientierten Lesben und Queers hier abgesprochen und Fem(me)/ Butch konsequent mit Heterosexualität verglichen oder sogar gleichgesetzt: Im Wording des Textes ist von ›Mann/Frau-Rollen‹ die Rede, wenn über ›femme/butch‹ gesprochen wird. ›Butch/Femme‹ wird im Text aber auch zu ›KV/Weibchen‹. ›KV‹ (Kesser Vater) als deutsches Äquivalent zu ›Butch‹ ist später, bis in die 1990er-Jahre hinein, an vielen Stellen in den deutschsprachigen Publikationen zu finden.[Anmerkung 9]

Fem(me)/Butch-Kultur ist für die Autorinnen des CLIT-Kollektivs Ausdruck für eine allgemeine »Verwirrung bei Lesbierinnen, männlich-heterosexuelle Verhaltensweisen und Haltungen mit Lesbianismus durcheinanderzubringen« (UKZ 3/1978: 16). Die bekannte Erzählung, Fem(me)/Butch-Kultur sei Heterosexismus in Reinform, spielt hier eine zentrale Rolle und wird an verschiedenen Stellen repetitiv bemüht. Als allgemeingültige Wahrheit gilt hier einzig die Aussage, Fem(me)/Butch sei ein »krankhaftes, kaputtes, pubertäres, ungesundes Rollenspiel […], das in der heterosexuellen Welt beispielhaft zu finden ist« (ebd.: 18).

Kesse Väter und Femmes – Die Paarkonstellation maskulin/feminin in den 1980ern

In den westdeutschen Lesbenzeitschriften UKZ und Lesbenstich war in den 1980erJahren einerseits der Begriff ›KV/Kesser Vater‹ etabliert, andererseits tauchte auch das Begriffspaar ›Butch/Femme‹ immer häufiger auf. Das Wording in Bezug auf deutsche Kontexte ist in den 1980ern allerdings größtenteils ›KV/Femme‹. Wie in den 1970er-Jahren war auch in den 1980ern die lesbische Subkultur (der ›Sub‹) ein wichtiger Referenzpunkt bzw. ein Raum, entlang dessen Fem(me)/Butch-Kultur verhandelt wurde. Zusätzlich entwickelten sich nun Diskussionen zwischen bzw. über sogenannte ›Sub- und Bewegungslesben‹. Damit einhergehend lassen sich klassistische Abwertungsmechanismen von Seiten der (akademisch geprägten) feministischen Lesbenbewegungen erkennen. Fem(me)/Butch-Kultur wurde dabei im Bereich des Subs verortet, der wiederum mit offen zur Schau gestelltem Flirten und Sexualität in Verbindung gebracht wurde. Nicht selten wurden diese Elemente von feministischen Bewegungslesben herangezogen, um sich vom Sub abzugrenzen.

Fem(me)/Butch-Kulturtauchte in den Zeitschriften der1980er-Jahre außerdem entlang von Verhandlung von Vergangenheit auf: So wurde 1983 sowohl in der UKZ als auch im Lesbenstich die Lesbenzeitschrift Wir Freundinnen aus den 1950er-Jahren vorgestellt und in diesem Kontext auf die damalige ›Bubi/Dame‹-Kultur verwiesen (vgl. Lesbenstich 2/1983: 29–33). Ebenfalls wurde ›Fem(me)/Butch‹ in UKZ und Lesbenstich im Zusammenhang mit Reiseberichten und anderen Darstellungen ›ferner Länder‹ (insbesondere asiatischer Länder) verhandelt. Die Paarfiguration ›Butch/ Fem(me)‹ wird in diesem Kontext als ein Phänomen entworfen, welches mit den eigenen Konzeptionen von Lesbischsein nicht übereinstimmt, und ins Außen verlagert. Elemente von rassistischem Othering sind hier enthalten. Allerdings stießen solche Berichte und Ausführungen in der UKZ auch auf scharfe Kritik (vgl. UKZ 11/1983: 40).

Eine bemerkenswerte Diskussion um Fem(me)/Butch fand in den späten 1980er-Jahren ebenfalls in der UKZ statt: Im Dezember 1988 wurde hier eine erotische Kurzgeschichte von Joan Nestle in deutscher Übersetzung veröffentlicht. In Für meine Papafrau beschreibt Nestles Erzählfigur, eine Fem, auf drei Seiten die sexuelle Beziehung zu ihrer Butch-Geliebten, ihrer »Papafrau« (vgl. UKZ 6/1988: 43–45). Auf der Suche nach einem schriftlichen Ausdruck für lesbische Sexualität, greift Nestle auf das Motiv der Butch/Fem(me)-Dynamik zurück. Es geht um female masculinity, penetrative Sexualität und Dildos als lesbisch*queere Körperteile, den lesbischen ›Schwanz‹. Die Ich-Erzählerin schreibt dezidiert und konkret lustvoll über das rezeptive Erleben von penetrativem Sex und Femme/Butch-Dynamiken. Die Reaktionen auf diese literarische Bearbeitung von lesbisch*queerer (Butch/ Femme-)Sexualität löste eine Debatte innerhalb der UKZ aus, die sich über die Ausgaben der nächsten eineinhalb Jahre erstreckte, aufgebrachte Leserinnen-Briefe und Sonderteile sowie eine komplette Ausgabe zum Thema ›lesbische Sexualität‹ hervorbrachte.

Kritik an Nestles Geschichte lässt sich besonders anschaulich in einem radikalfeministischen Sonderteil zur Diskussion über lesbische Sexualität erkennen, der in der UKZ 1/1990 veröffentlicht wurde. Die Ablehnung von Fem(me)/Butch-Kultur stellt hier eine tragende Säule der Kritik an sexpositivem Aktivismus generell dar (vgl. UKZ 1/1990: 12–32). Formuliert wird hier Kritik am sogenannten ›Geschlechterrollenspiel‹ (vgl. ebd.: 22–28) sowie an der lustbetonten Darstellung von penetrativer Sexualität. So verweist etwa eine der Verfasserinnen des Sonderteils auf Für meine Papafrau und schlussfolgert:

Sie schwärmt davon, daß ihre Papafrau sie zu ›nehmen‹ und ›hinzulegen‹ weiß. […] Daraufhin dildo-penetriert die Papafrau unter ›Oh Baby, du bist so gut zu ficken‹- Rufen ihre Femme. Hier spielen also zwei Frauen auf ganz eindeutige Weise die Mann/Frau-Rollen nach. (ebd.: 22)

Ihre Argumentationslogik: Hier handele es sich ausschließlich um heterosexistische, patriarchale sexuelle Rollenaufteilungen. Dass im Sonderteil ›Butch/Fem(me)‹ respektive ›KV/Femme‹ gemeint war, wenn ›Geschlechtsrollenspiel‹ gesagt wurde, wird durch die Überleitung zum nächsten Abschnitt eines Textes deutlich; hier heißt es: »Während das KV- und Femme-Spielin seiner Struktur ein patriarchales Heteromodell ist, ist das lesbische Sado-Maso-Spiel das Konzentrat desselben« (ebd.: 25). Ähnlich wie BDSM, der Gebrauch von Dildos und weiteren Sextoys sowie andere sexpositive feministische Kontexte wurde auch Fem(me)/Butch-Kultur als patriarchales Modell gewertet.

Butch/Fem(me)-Renaissance? Die 1990er-Jahre

Die Begrifflichkeiten ›Butch‹ und ›Femme‹ tauchen in diesem Jahrzehnt immer häufiger auf und werden zunehmend normalisiert. Aber spiegelt sich die in der Sekundärliteratur postulierte »Wiederauferstehung von Butch/Femme« (Funk 1997: 23-34), die sich vor allem in der Queer Theory zeigt, auch in den Lesbenzeitschriften der 1990er-Jahre wider? Ja, zum Teil: Es sind verstärkt eine wertschätzende und affirmative Auseinandersetzung mit und positive Aneignungen von Fem(me)/Butch-Kultur zu erkennen. Die sexpositive Stimmung, die in den US-amerikanischen lesbisch*queeren Kontexten dieser Zeit vorherrschend war, lässt sich in Ansätzen auch in den deutschsprachigen Dokumenten finden. Die sexpositiven Kontexte erzeugten einen Raum, in dem von einer Art ›Fem(me)/Butch-Revival‹ gesprochen werden kann. Mindestens ebenso stark vertreten wie eine positive Beschäftigung war in den 1990er-Jahren die vehemente und scharfe Kritik an sowie die abwertende Darstellung von Fem(me)/Butch.

Im Folgenden geht es um wertschätzende und lustvolle Thematisierungen von Butch/Fem(me), die in den 1990ern häufiger wurden. So wurde etwa in der UKZ das Zusammenspiel von ›Fem(me)‹ und ›Butch‹ als Fem(me)/Butch-Paarkonstellation Ende der 1990er, insbesondere im Jahr 1997, intensiv verhandelt. Besonders ausführlich wird der Thematik in den UKZ-Ausgaben 6&7/1997 Raum gegeben. In dem Artikel »Butch und Femme: Von der neuen Lust aufs Lesbischsein« (UKZ 6&7/1997: 32–33) bemerkt die Autorin:

Seit einiger Zeit ist Bewegung in die deutsche Lesbenszene geraten: butch und femme sind wieder da, erst zaghaft noch und vereinzelt, aber es werden mehr. Der kesse Vater und die Lady, annäherungsweise deutsche Entsprechungen, geben sich die Ehre, nachdem sie sich lange rar gemacht haben (ebd.: 32).

Sie zeichnet hier das Bild eines Butch/Fem(me)-Revivals in den 1990er-Jahren. ›Kesser Vater‹ bleibt, wie in den Jahren zuvor, als deutschsprachiges Butch-Äquivalent bestehen. Die ›Lady‹ als deutsche Entsprechung für ›Fem(me)‹ lässt sich allerdings sonst kaum wiederfinden. Im Artikel geht die Verfasserin darauf ein, dass Fem(me)/Butch in lesbisch-feministischen Kontexten der 1970er-Jahre nicht gern gesehen war, stellt Fem(me)/Butch-Geschichte der 1920er- und 1950er-Jahre vor und thematisiert den hohen Stellenwert von Sex und Erotik für Fem(me)/Butch-Kultur. Diese sei »ungeniert ausgelebte Körpersprache« (ebd.).

Durchweg positiv und affirmativ wird im Berliner Frauen-Erotikmagazin Austern aus dem Jahr1993 über Fem(me)/Butch gesprochen. Fem(me)/Butch-Kultur war innerhalb der Austern ein selbstverständlicher Teil lesbischer (Sub-)Kultur und anerkannter Möglichkeitsraum lesbischer Selbstentwürfe. In Austern wurde nicht die Frage verhandelt, ob Fem(me)/Butch-Paarkonstellationen als Teil lesbischer Kulturen denk- und lebbar seien – dies ist hier ein unhinterfragter Fakt –, sondern vielmehr darüber gesprochen, wie Fem(me)/Butch-Kultur sich, z.B. in Bezug auf sexuelle Rollen, ausdrückte (vgl. Austern 1/1993: 40–41).

In den Lesbenbewegungspublikationen der 1990er-Jahre lassen sich ebenso vermehrt Kritik, Ablehnung und Verurteilungen an bzw. von sexpositiver und Fem(me)/Butch-Kultur erkennen, die nun wieder (wie in den 1970ern) konkret ausformuliert und ausführlich argumentiert werden. Um dieses ›Revival‹ der ausformulierten Butch/Fem(me)-Ablehnung soll es nun gehen: Die Kritik artikulierte sich in anschaulicher Weise in der radikalfeministischen Lesbenzeitschrift Ihrsinn und in Sheila Jeffreys Buch Ketzerinnen (1994). In Jeffreys Ketzerinnen lässt sich eine heftige Kritik an Fem(me)/Butch-Kultur erkennen. Kritik übt Jeffreys an Fem(me)/ Butch u.a. deshalb, weil sie hier Elemente eines vermeintlich »neuen Essentialismus« (ebd.: 14), den sie in Lesbenkontexten beobachtet habe, erkennt. Dieser ›neue Essentialismus‹, so Jeffreys, diene dazu, »das in der lesbischen Kultur wiederbelebte erotisierte Ungleichgewicht der Macht in Form des Butch-Femme-Rollenspiels zu rechtfertigen« (ebd.). Darüber hinaus lässt sich Jeffreys Kritik an Fem(me)/Butch immer wieder in ihrer Verhandlung von Sexualität ablesen. So steckt in ihrer Kritik an BDSM-Praktiken häufig ebenso die Kritik an Fem(me)/Butch-Kultur.

Auch Joan Nestle steht in Jeffreys’ Schussfeuer gegen Fem(me)/Butch-Kultur und -Sexualität. Nestle nimmt bei Jeffreys die Rolle der »führende[n] Propagandistin des neuen lesbischen Rollenspiels« (ebd.: 88–89) ein. Mit der Bezeichnung ›Propagandistin des Rollenspiels‹ zeigt Jeffreys das Frontendenken auf. Dementsprechend wird in Ketzerinnen nicht von Butch/Fem(me)-Kultur, sondern von »Butch/Femme-Ideologie« (ebd.: 93) gesprochen. Auch im Zusammenhang mit Kritik an Penetration/Dildos wird aus Nestles Fem(me)/Butch-Sammelband The Persistent Desire(1992) zitiert. Jeffreys konstatiert:

Rollenspielende Sexualität, wie sie in Anthologien wie The Persistent Desire vorgeführt wird, imitiert klassische heterosexuelle Fellatio und Geschlechtsverkehr geradezu andächtig mit dem Ziel, diese Praktiken für sadomasochistische Befriedigung heranzuziehen. Eine Butch erklärt freundlicherweise die Freuden der Penetration: […]Nestle beschreibt das Gevögelt werden mit einem Dildo […]. Pat Califia wünscht sich in einem Gedicht einen Schwanz. (Jeffreys 1994: 99–100)

Im Zusammenhang mit Nestles The Persistent Desire stehen auch unterschiedliche Vorstellungen von und Theorien über Geschlecht im Mittelpunkt der in Ketzerinnen ausbuchstabierten Ablehnung von Fem(me)/Butch-Kultur. Jeffreys wirft den Autor*innen der Texte in The Persistent Desire vor, sie würden »versuchen […] den Genderbegriff zu vernebeln« (ebd.: 96), da in den meisten der Beiträge ›Butch‹ und ›Fem(me)‹ als lesbische Gender begriffen wurden. In diesen Beiträgen über ›Fem(me)‹ und ›Butch‹ als eigenständige Geschlechtsidentitäten wird das binäre Geschlechtssystem ›Mann/Frau‹ aufgebrochen und Geschlecht jenseits von biologistischer Körperlichkeit gedacht (vgl. Nestle 1992: 13–22, 466–482). Jeffreys und andere Radikalfeministinnen hingegen vertraten (und vertreten) eine biologistische Vorstellung von Geschlecht, die Geschlecht nicht losgelöst von körperlichen Merkmalen wie Genitalien betrachten kann. So heißt es in Ketzerinnen:

Eine feministische Analyse betrachtet Gender als politische Kategorie, sogar als politische Klasse, in die Menschen eingeordnet werden, je nachdem, ob sie einen Penis besitzen oder nicht. Dieser Besitz macht das männliche Gender aus, nicht bloß eine interessante erotische Kategorie, sondern die herrschende Klasse in einem System, das männliche Herrschaft genannt wird und in dem Frauen leiden und sterben. (Jeffreys 1994: 96)

Fazit: Angekommen in der Gegenwart

An dieser Stelle möchte ich einen Punkt setzen, denn hier sind wir bei ganz aktuellen Debatten um Transidentität, TERF[Anmerkung 10] und geschlechtliche Selbstbestimmung angekommen. Diese innerfeministischen oder innerlesbischen Auseinandersetzungen können als ›logische‹ Fortführungen von Fem(me)/Butch-Ablehnung und -Feindlichkeit der Vergangenheit (und damit verbunden der Diskussionen der Sex Wars) verstanden werden. Auch in Ketzerinnen wurde sich bereits an dem »Phänomen Transsexualität« (Jeffreys 1994: 106) abgearbeitet.

Vor diesem Hintergrund erscheint es als umso bemerkenswerter, dass sich transfeindliche radikalfeministische Lesben seit einigen Jahren nun ›Butch‹ verstärkt als positive Selbstbezeichnung aneignen. In ähnlicher Art und Weise wie damals gegen Butches (und Femmes) argumentiert wurde, wird der Term nun gegen trans Männer und andere queere trans Personen verteidigt und als Abgrenzung genutzt (vgl. Roedig 2015). In ihren transexkludierenden Argumentationen nutzen sie ›Butch‹ als originale, lesbisch-feministische ausschließlich weibliche Position und übersehen dabei die Diskurse und Debatten, die in der Vergangenheit dazu geführt wurden. Ihr Versuch, durch die Betonung von Geschichtlichkeit ihrem binären und biologistischen Denksystem Kontinuität und Absicherung zu verleihen, kann nur scheitern, wenn sie sich nicht bewusst machen, auf welche Konzepte und Lebensweisen sie sich eigentlich beziehen und wessen Kämpfe sie hier zweckentfremden.

Ein erheblicher Teil der feministischen Kritik an Butch/Fem(me) seit den 1970erund dann erneut in den 1990er-Jahren betraf die sexuelle Ebene in Butch/Fem(me)- Konstellationen. So wurden etwa die lustvolle Einbeziehung von Penetration und Dildo-Sexualität sowie sexuelle Rollenaufteilungen abgelehnt und als vor-feministisch verurteilt. Darüber hinaus kommt in den Diskussionen über Fem(me)/Butch-Kultur und -Sexualität zum Vorschein, dass in Lesbenbewegungskontexten eine Wechselwirkung zwischen der Ablehnung der Subkultur und Fem(me)/Butch-Kultur bestand, in der wiederum Paternalismus und Klassismus mitschwangen. Außerdem wird ein rassistisches Othering in Bezug auf Fem(me)/Butch-Kultur in anderen Ländern deutlich.

Zentral standen Geschlechtlichkeit und Geschlechtsidentität im Fokus: Unterschiedlichkeiten in Bezug auf die geschlechtliche Positionierung, Geschlechtsinszenierung und Geschlechtsausdruck wurden in lesbisch-feministischen Kontexten kontrovers verhandelt. In den Auseinandersetzungen um Fem(me)/Butch-Kultur, lassen sich 1) Konflikte über die Konzeption der Identitätsposition ›Lesbe‹ und daran anschließend 2) Debatten über unterschiedliche Geschlechtsverständnisse erkennen. Dabei wurden von radikalfeministischer Seite Ausschlüsse vorgenommen, um eine Gegenwelt zu heterosexistischen und patriarchalen Strukturen zu schaffen. So lässt sich die rigorose und rücksichtslose Abgrenzung von allem, das als ›männlich‹ oder ›heterosexistisch‹ gelesen wurde, erklären. Es wurde somit eine beharrliche und scharfe Trennung zwischen Heterosexualität und Homosexualität sowie Männern und Frauen vorgenommen. Zwischentöne und queere Positionen und Überschneidungen lassen sich in sexpositiven und queeren Fem(me)/Butch-Dokumenten, -Texten und -Diskussionen erkennen. Sie wurden von radikalfeministischer Seite allerdings nicht anerkannt, sondern abgelehnt und verurteilt. Sexualität und geschlechtliche Identität von Butches und Fem(mes) und (anderen) trans*queeren und/oder nicht-binären Personen wurden damit entnannt, unsichtbar gemacht und verunmöglicht, sie wurden angegriffen, ausgeschlossen und bekämpft. Diese epistemische Gewalt in den vergangenen Diskursen gilt es aufzuarbeiten, in gegenwärtigen lesbisch-radikalfeministischen transfeindlichen Strukturen und Rhetoriken zu problematisieren und zu bekämpfen und queer*lesbische Gegengewichte zu bilden.

Literatur

CLIT (1977)[NewYork 1974]Rufe alle Lesben–bitte kommen!Diskussionsergebnisse einer lesbischen Gruppe. Berlin: Tomyris.

Duggan, L. und Hunter, N. D.(2006) Sex Wars. Sexual Dissent and Political Culture. New York: Taylor & Francis.

Feinberg, L. (1996) Träume in den erwachenden Morgen. Berlin: Krug & Schadenberg.

Fuchs, S. (2009) »Femme ist eine Femme ist eine Femme… Einführung in den Femme-inismus«, in: Fuchs, S. (Hg.) Femme! radikal – queer – feminin. Berlin: Querverlag, S. 11–46.

Funk, J. (1997) »Lesbe im Plural. Zur Wiederauferstehung von Butch/Femme in der QueerTheory«,in: Kuhnen, S. (Hg.)Butch/Femme. Eine erotische Kultur. Berlin: Querverlag, S. 23–34.

Jeffreys, S.(1994) Ketzerinnen. Lesbischer Feminismus und die lesbisch-sexuelle Revolution. München: Frauenoffensive.

Nestle, J. (1992) (Hg.) The Persistent Desire. A Femme-Butch Reader. Boston: Alyson.

Roedig, A. (2015) »Transsexualität. Der Trend zu Trans«, Zeit Online. www.zeit.de/kultur/2015-12/transsexualitaet-homosexualitaet-diversity-geschlecht-butche s-10nach8 (letzter Zugriff am 17.02.2024).

Weinberg, L. (2020) »›Pleasure and Danger‹. Butch/Femme und die Sex Wars«, in: Fuchs, S. (Hg.) Femme/Butch Dynamiken von Gender und Begehren. Berlin: Querverlag, S. 273–304.

–––(2023,noch unveröffentlicht) Feministische SexWars und Butch/Fem(me)-Kultur. Sexualitätsdiskussionen als Aushandlungsorte lesbisch-queerer Identitätskonzeptionen in deutschsprachigen Lesbenbewegungen der1970er–1990erJahre. Dissertation, Freie Universität Berlin.

Quellen

Austern: 1/93 (1993)

Lesbenstich: 2/83 (1983)

Unsere kleine Zeitung (UKZ): August/75 (1975), 3/78 (1978), 11/83 (1983), 6/88 (1988), 1/90 (1990), 6+7/97 (1997)

Blaue Hose, rote Lippen

Anngret Schultze

Ich will über eine blaue Hose und roten Lippenstift schreiben. Über die Schwierigkeit, Identität zu artikulieren. Darüber, Stone Butch Blues zu lesen und in den vielen Fäden und Konfliktlinien dieses Romans die Relation Butch/Femme in den Fokus zu nehmen. Nicht, weil ich mich darin wiederfinde, sondern gerade, weil ich mich nicht in ihr wiederfinde und den Anlass nutzen möchte, um diese Nicht-Repräsentation genauer abzutasten. Es beginnt mit einer Aufzählung.

//Kleidung, die ich nicht mehr trage. Oder: Körperpolitiken Teil 1

  • einen innig geliebten schwarzen Faltenrock
  • Schalen-BHs
  • Oberteile mit tiefem Dekolleté
  • Mascara

Es gab dafür keine bewusste Entscheidung. Aber bis heute kann ich Röcke und Kleider nicht mehr tragen. Sie machen, dass ich mich im Spiegel nicht anschauen mag und ein zusammengezogenes Gefühl in der Brust. Ich schließe nicht aus, dass ich irgendwann in meinem Leben wieder Röcke tragen werde. Oberteile mit tiefem Dekolleté hingegen nicht. Das war wohl ein Abschied für immer. Ciao compulsory femininity.

//Stone Butch Blues

»Kennst du diese Butches mit Armen, die so dick sind wie dein Oberschenkel? Solche Arme möchte ich um mich haben.« Ich strich mit den Fingern über das dunkle Holz neben meinem Oberschenkel. »Ich liebe sie auch sehr. Aber worauf ich total abfahre, das ist die hohe Schule der Femmes. Es ist seltsam – egal ob es Frauen oder Männer sind –, es sind immer die Femmes Fatales, die mich unwiderstehlich anziehen.« (Feinberg 1993: 420)

Stone Butch Blues zu lesen war intensiv. Ich war erschüttert, dass ich so wenig von lesbischer Geschichte wusste, der Begriff ›KV‹ (Kesser Vater) war mir vorher noch nie begegnet. Auch nicht die Schilderungen von Polizeigewalt gegen Lesben, insbesondere Butches und trans Femmes. Oder der Klassismus des Second-Wave-Feminismus (hier war ich eher vertraut mit dem Rassismus und der Transfeindlichkeit der Bewegung). Die Schilderungen von Community, queeren Räumen, Widerstand und Wahlfamilie bewegten mich sehr.Und: Ich rieb mich an den Schilderungen der Butch/Femme-Relation. Diese Reibung ist der Ausgangspunkt für den vorliegenden Beitrag. Ich möchte mich mit ihr genauer auseinandersetzen. Dabei ist es wichtig zu sagen, dass ich mich weder als Femme noch als Butch identifiziere. Meine Partnerin und ich definieren uns nicht über eine Butch/Femme-Beziehung. Aber: »The butch-femme tradition is one of the oldest« (Nestle 1992: 145). Trotz vieler weiterer Label, die in den 30 Jahren seit der Publikation von Stone Butch Blues dazugekommen sind, halten sich Butch und Femme als Marker lesbischer Identitäten. Sie sind einerseits sehr spezifische Ausdrücke von queerer Identität, Ästhetik und sexuellem Begehren. Andererseits lassen sie sich verallgemeinert als queere Maskulinität und queere Femininität betrachten. Und diese zwei Pole interessieren mich: Mal bin ich von ihnen angezogen, mal gelangweilt, mal herausgefordert oder verunsichert. Sie haben einen Effekt auf mich und meine eigene Genderidentität und Genderexpression – und affektieren mich dabei sehr unterschiedlich. Im Gegensatz zu queerer Maskulinität (verkörpert in der Butch), stellt mich eine Femme vor mehr Ambivalenzen und letztendlich auch vor meine eigene verinnerlichte Misogynie. Ich will es provokativ mit Andrea Long Chus Worten sagen: »Everyone is female – and everyone hates it« (2019: 13). Ich will es bewundernd sagen mit Connie Carter und Jean Noble: »nominally similar – feminine – butradically discontinuous – femme« (1996: 29).

Der folgende Beitrag ist eine sehr persönliche Resonanz auf Leslie Feinbergs Stone Butch Blues. Ich habe mit Freund*innen und meiner Partnerin zu den Labeln ›Butch‹ und ›Femme‹ gesprochen. Diese Gespräche und Situationen, auf die sie sich beziehen, fließen als Fragmente mit ein in den vorliegenden Text.

//Wie siehst du mich?

Was ich noch erinnere, ist, dass du mich gefragt hast, wie ich dich sehe oder was ich an dir femme finde. Und dann habe ich losgelegt. Und in dem Moment habe ich dich mit dem Gefühl beschrieben, dir Komplimente zu geben.[Anmerkung 11]

Wir sitzen zu zweit in einer kleinen Sauna. Es ist die erste oder zweite Woche des neuen Jahrs, ein Freund von dir hat uns in ein Ferienhaus an der Ostsee eingeladen. Wir daten seit einem dreiviertel Jahr. Ich bin verliebt in dich, du bist verliebt in mich. Schweißperlen auf meiner Haut und der Geruch nach trockenem Holz und Hitze. Ich frage dich: »Was findest du femme an mir?«

Ein paar Augenblicke vorher: Ich zeige dir und deinem Freund Bilder verschiedener Frisuren, ich möchte mir die Haare schneiden und bin noch nicht entschieden, wie. Du sagst: »Das passt, das ist eher femme.« Ein ähnliches Ziehen, wie wenn ich mein Spiegelbild sehe, das einen Rock trägt. Ich höre das erste Mal von dir, dass du mich als Femme siehst.

»Was findest du femme an mir?« »Deine Haare. Dein Gesicht, deine Lippen. Deine Figur vielleicht auch. Stimme. Dass du gerne Lippenstift trägst.«

Ich verlasse die Sauna, du verstehst nicht, was gerade passiert ist. In mir ist es laut und durcheinander, weil du mich in Gänze auf das Label ›Femme‹ zusammengeschnürt hast, mit dem ich mich nicht identifiziere.

Wir klären: Was ist los? Nichts. Was ist los? Weinen. Was ist los? Ich bin nicht Femme. Was ist los? Die Dinge, die du nennst, all die Unsicherheiten, nicht queer genug zu sein. Nicht als queer erkannt zu werden. Die Angst, von dir nicht gesehen zu werden.

Der Sand am Strand ist nass und kalt, wir fahren schweigend zurück.

//Bildbeschreibungen. Oder: Körperpolitiken Teil 2

Ein Bild von mir als Dragking: Ich trage ein weißes Feinripp-Unterhemd, einen angeklebten Bart, die Augenbrauen kräftig nachgezogen, die Haare zurück gegelt, die Brüste getapet. Ich mag mich auf diesem Bild. Es ist androgyn. Ein schwuler Freund, der es auf Instagram gesehen hat, gesteht mir lachend, dass er sich kurz fragte, wer dieser attraktive Mann sei. Ich bin geschmeichelt.

Ein weiteres Bild: Bei einer Performance spiele ich eine*n Cheerleader*in. Bauchfreies Top mit dünnen Trägern, Rouge, rosa Lippenstift, tiefer Ausschnitt und die kinnlangen Haare in zwei kleinen Zöpfen eng an den Kopf geflochten. Ich mag mich nicht leiden auf diesem Bild, aber es hat Spaß gemacht, diese überdrehte, sexy Weiblichkeit zu performen und dem Publikum Kusshände zuzuwerfen.

//Label

Mich in lesbischer Repräsentation wiederzufinden, fällt mir schwer. Weder masc[Anmerkung 12] noch femme resoniert mit mir.

Ich hatte mein äußeres Coming-out Anfang 20. Ich bin vorher immer als heterosexuelle Frau durchgegangen und tue es immer noch. Das hat sich lange wie ein Makel angefühlt. Ich suchte Zugang zu queerer Community, googelte nach Bildern von queeren Frisuren, rasierte meine Beinhaare nicht mehr, hatte das Gefühl androgyner sein zu müssen und androgyner beinhaltete mehr männlich konnotierte Marker. Ich wollte Frauen daten und war mir unsicher, wie ich auf Frauen zugehen sollte. Vorher hatte ich cis Männer gedatet, das heteronormative Spiel war mir vertraut. Jetzt hatte ich das Gefühl, mir und anderen meine Queerness beweisen zu müssen. Wir unterhalten uns darüber.

Du sagst: »Über mich wurde gesagt: Die ist wie ein Junge. Es hat dann niemanden überrascht, dass ich auf Frauen stehe.«

Ich sage: »Ich höre da eine Sicherheit mit deiner Queerness raus. Und das hätte ich mir so gewünscht, dass ich sagen kann: Ich habe ein intuitives Wissen über mich, dass ich nicht weiter erklären muss. Zum Beispiel über meine Kleidung, meinen Haarschnitt, meine Beziehung usw. Als ich angefangen habe, queer zu daten, habe ich gedacht: Ich beweise mir jetzt, dass ich queer bin. Und ich beweise auch den anderen, dass ich queer bin. Wenn mir der Sex gefällt, dann bin ich queer.«

Du sagst: »Für mich war es eine Befreiung endlich in eine Großstadt zu ziehen und das zu leben. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich irgendwem durch irgendwas etwas deutlich machen müsste. Ich habe nie darüber nachgedacht, ob ich jetzt nicht mehr lesbisch bin, wenn ich Single war oder mit einer cis-männlichen Person Sex hatte. Bei mir war es eher das Gegenteil, dass ich nicht direkt als queer oderlesbisch gelesen werden will. Weil das einfach nicht immer das Thema ist. Es verletzt mich, wenn ich gefragt werde: Bist du der Mann in der Beziehung?«

Ich lese: »Fems didn’t look like homos.« (Lapovsky Kennedy und Davis 1992: 65) Ich lese: »The obviousness of the butch role.« (ebd.) Und: »Butches were known by their appearance, femmes by their choices« (Nestle 1992: 139). Ich spüre eine eigene Gereiztheit, wenn die Femmes in Stone Butch Blues als passiver, häuslicher, fürsorglicher als die Butches charakterisiert werden. Ich frage mich: wie viel eigene, verinnerlichte Frauenfeindlichkeit schwingt in dieser Gereiztheit mit? Kann Weiblichkeit außerhalb von patriarchaler, heteronormativer Dominanz existieren? Wie viel Misogynie findet sich in queerer Szene, sowohl in schwuler (man denke nur an die diskriminierenden »no fats, no femmes«-Kommentare in Dating-Profilen und an Clubtür-Policen cis-schwuler Szenen; vgl. Anderson 2016) als auch in lesbischer?

»Was müssen Femmes denn lernen?« Theresa dachte einen Moment nach. »Wie wir zusammenhalten können. Und uns einander gegenüber loyal verhalten.« »Hm.« Ich erwog, was ich gerade gehört hatte. »Gut, und was müssen Butches lernen?« Theresa trat zu mir. »Beim nächsten Mal, wenn ihr Butches in der Bar hockt und quatscht, achte mal drauf, wie oft du die Worte ›Bienen‹, ›Tussen‹, ›Vorbau‹ oder ›Möpse‹ hörst.« (Feinberg 1993: 211)

Joan Nestle beginnt ihren Artikel »The Femme Question« (1992) wie folgt:

For many years now, I have been trying to figure out how to explain the special nature of butch-femme relationships to feminists and lesbian-feminists who consider butch-femme a reproduction of heterosexual models, and therefore dismiss lesbian communities both of the past and of the present that assert this style (Nestle 1992: 138). ProleWiki Übersetzung: Seit einigen Jahren habe ich versucht, herauszufinden, wie ich Feminist*innen und lesbischen Feminist*innen, die Butch-Fem(me)-Beziehungen als Reproduktion der Heteronormativität sehen, sie besondere Natur der Butch-Fem(me)-Beziehungen zu erklären, da sie durch deren Anschauungen die lesbische Community der Vergangenheit als auch der Gegenwart zurückweisen.

Nestle fasst mit diesen Worten zusammen, was mich an der Butch/Femme-Kultur, aus Jess’ Perspektive beschrieben, stört: Sie erscheint mir zu hetero. Insbesondere, wenn beispielsweise Theresa wieder und wieder als der zärtliche, fürsorgliche und emotionale Part beschrieben wird. Nestle, selbst eine Femme, die in der lesbischen Szene der 1950er in den USA ihr Coming-out hatte, hält dem entgegen:

But I wasn’t a piece of fluff and neither were the other femmes I knew. We knew what we wanted, and that was no mean feat for young women of the 1950s, a time when the need forconformity, marriage, and babies was being trumpeted at us by the government’s policymakers (ebd.: 139).

Und weiter:

Thus femmes became the victims of a double dismissal: in the past they did not appearculturally different enough from heterosexual women to be seen as breaking gender taboos, and today they do not appear feminist enough, even in their historical context, to merit attention orrespect for being ground-breaking women. […] Being a femme was never a simple experience, not in the old lesbian bars of the 1950s and not now [in the 1990s]. Femmes were deeply cherished and yet devalued aswell. There were always femme put-down jokes going around the bar, while at the same time tremendous energy and caring was spent courting the femme women. We were not always trusted and often seen as the more flighty members of the lesbian world, a contradiction to our actual lives (ebd.: 139–143).

Diese Worte tun gut. Nicht, weil sie mir das Label ›Femme‹ schmackhafter machen würden. Aber weil sie einen Platz einfordern für die Bedeutung von Femmes in lesbischen und feministischenKämpfen.Und sie verweisen zurück auf dieMomente in StoneButchBlues,in denenTheresa und weitere Femmes ganz zentral imWiderstand gegen die regelmäßige Polizeigewaltin und um queere(n) Spaces sind; beispielsweise, wenn Theresa und Georgetta Justine gegen mehrere Polizisten verteidigen (vgl. Feinberg 1993: 193).

//Kleidung, die ich gerne trage. Oder: Körperpolitiken Teil 3

Im Sommer vor zwei Jahren hat mir mein Bruder seine blaue kurze Adidas-Hose geschenkt. Ich glaube, für ihn war das kein großer Moment. Er hat gesehen, dass mir die Hose gefällt und hing nicht weiter an ihr. Ich liebe diese Hose. Sie ist nicht zu kurz und nicht zu lang, gibt mir eine gerade Figur, ohne meine Hüften zu betonen. Ich liebe es, dass ein Teil meiner Tattoos unter ihr sichtbar ist. Ich liebe es auch, dazu roten Lippenstift zu tragen. Und den Wind in meinen Beinhaaren zu spüren. Ich fühle mich ziemlich gay, wenn ich so durch die Gegend radle. Es gibt dieses schöne Zitat von Leslie Feinberg: »Gender is the poetry each of us makes out of the language we are taught« (Feinberg 1998:10). Und vielleicht ist meine eigene gender poetry genau das: knallrote Lippen und eine blaue Hose. Es hat gedauert, an diesem Punkt anzukommen. Ich habe aufgehört, nach möglichst queeren Haarschnitten zu googeln. Ich spüre mich in meiner Queerness am deutlichsten in Beziehung zu anderen Queers: zu meiner Partnerin, in queeren Spaces und in trauter Runde queerer Freund*innen. Manchmal sind es diese Beziehungen, die wir brauchen, weil wir durch sie sichtbar werden und sie uns in die Welt bringen, unsere Identität und unser Begehren kommunizieren. Wir intelligibel werden. Ich korrigiere diesen Satz: Manchmal sind es diese Beziehungen, die ich brauche, weil ich durch sie sichtbar werde, weil ich durch sie meine Identität und mein Begehren kommuniziere. Und dadurch verstehe und schätze ich Butch/Femme-Beziehungen. Sie lassen sich nicht reduzieren auf eine heteronormative Nachahmung. Es lässt sich nicht leugnen, dass wir alle in einer heteronormativen und heterosexistischen Welt sozialisiert werden. Aber queere Identitätsartikulationen stets als rückgekoppelt an diese heterosexuelle Matrix zu begreifen, ist eine Sackgasse, die nirgendwo hinführt.

Literatur

Anderson, T. (2016) »This Documentarian Is Fighting Back Against Gay Culture’s ›No Fats, No Femmes‹ Mantra«, Los Angeles Times. https://www.latimes.com/en tertainment/movies/moviesnow/la-et-mn-0430-no-fats-no-femmes-feature-s tory.html (letzter Zugriff am 02.09.2024).

Carter, C. und Noble, J. (1996) »Butch, Femme, and the Woman-Identified Woman. Ménage-à-trois of the ›90s«, Canadian Woman Studies 16(2), S. 24–29. Chu, A. L. (2019) Females. London: Verso.

Feinberg, L. (1993) Stone Butch Blues. Träume in den erwachenden Morgen. Berlin: Krug & Schadenberg.

––– (1998) Trans Liberation. Beyond Pink or Blue. Boston: Beacon.

Lapovsky Kennedy, E. und Davis, M. (1992) »They Was No One to Mess With. The Construction of the Butch Role in the Lesbian Community of the 1940s and 1950s«, in: Nestle, J. (Hg.) The Persistent Desire. A Femme-Butch Reader. Boston: Alyson, S. 62–80.

Lopéz, Q. (2024) »The Queer History of Butches«, them. https://www.them.us/story /what-does-butch-mean#history (letzter Zugriff am 02.09.2024).

Nestle, J. (1992) »The Femme Question«, in: Nestle, J. (Hg.) The Persistent Desire. A Femme-Butch Reader. Boston: Alyson, S. 138–146.

Teil II: Übersetzungen und Übertragungen

Sternenklare Reise: Eine Reminiszenz an Leslie Feinberg, in Dankbarkeit[Anmerkung 13]

Sabine Fuchs

Erfahrungen mit Literatur, das Lesen der Geschichten von Anderen, können uns dazu bewegen, auch unser eigenes Leben als eine Geschichte und als Teil von Geschichte zu betrachten. Wessen Geschichten sind es wert, erzählt zu werden, wessen Geschichte zählt? Diese Fragen verweisen auf die enge Beziehung zwischen Literatur und sozialer Anerkennung. Die geringe Bedeutung, die Literatur im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Relevanz allzu oft beigemessen wird, täuscht jedoch darüber hinweg, dass Schreiben und Lesen wichtige politische Akte sein können.

Lesen schärft unseren Sinn für Kritik, es kann Zeichen von politischem Widerstand sein, Literatur kann ihren Leser*innen dabei helfen, ein kritisches Selbstverständnis auszubilden und dieses offen und mutig in die Welt hinauszutragen. Sie kann unser Selbstwertgefühl stärken und nicht weniger als zum Überleben beitragen. Demnach lässt sich ohne Zweifel sagen, dass der oft unterbewertete kulturelle Bereich der Literatur wichtige Grundlagen schafft zum Hinwirken auf gesellschaftliche Veränderungen und die Anerkennung von Lebensweisen, die verschwiegen, an den Rand gedrängt und dadurch unlebbar gemacht werden (vgl. Sönser Breen 2010).[Anmerkung 14]

Die Literatur und das Leben von Leslie Feinberg haben eine besondere Bedeutung für Lesben, Queers und trans Leute, vor allem für Butches und Femmes. Leslie Feinbergs Tod am 15.November 2014 führte zu einer ganzen Welle von Nachrufen im Internet, meist kürzere Gedenktexte und Würdigungen, in denen die Verfasser*innen den Einfluss des Lebens und Lebenswerks von Feinberg auf ihre eigene Biografie reflektierten. Auch der hier vorliegende Text versteht sich als eine solche dankbare Würdigung.

Meine erste persönliche Begegnung mit Leslie Feinberg fand 1998 in Bremen statt, einige Jahre nachdem die Lektüre von Leslies erstem Roman Stone Butch Blues mein Leben unumkehrbar verändert und meine Identifikation als queere, butch-liebende und für transgender Anliegen kämpfende Femme maßgeblich beeinflusst hatte. Die genderpolitischen Umstände der Veranstaltung, die Leslie Feinberg in meine damalige Lebensstadt Bremen brachten, empfand ich als beschämend für die Einladenden, sie standen in einem absurd ignoranten Verhältnis zur eigentlichen Bedeutung der Veranstaltung. Denn die ahnungslos unbekümmerten ›lesbisch-feministischen‹ Veranstalterinnen der Lesung reduzierten Stone Butch Blues – Träume in den erwachenden Morgen auf einen lesbischen Bestseller und schrieben die Lesung als »ausschließlich für Frauen« aus.

Leslie Feinberg reiste damals zum zweiten Mal nach Deutschland, unter schwierigen Bedingungen, die sich weiße deutsche cisgender Lesben mit Mittelschichtshintergrund zu diesem Zeitpunkt wohl kaum vorstellen konnten. Denn Leslie besaß keinen Reisepass und keine offiziellen Dokumente, deren Geschlechtseintrag mit ihrem*seinem gegenderten Aussehen übereingestimmt hätten, wie sie*er selbst berichtete. Trotz dieser bedrohlichen Umstände wagte Leslie die Reise nach Europa zusammen mit ihrer*seiner Lebensgefährtin, der lesbisch-feministischen Dichterin, Aktivistin und Femme-Vorkämpferin Minnie Bruce Pratt.

Die Lektüre von Stone Butch Blues hatte eine weitere Ausdifferenzierung meiner Selbstidentifizierung und meines Begehrens begleitet und kämpferischen Mut in mir geweckt. Ich hatte mich von einer bis dahin femininen Lesbe zur butch-begehrenden queeren Femme und Kämpferin für Transgender-Rechte entwickelt. In einer Gruppe von gleichgesinnten feministisch/queer/transgender-aktivistischen Studierenden, die sich in Sabine Harks Seminaren zu Queer-Theorie an der Uni Bremen zusammengefunden hatten, erstellten wir Protest-Flugblätter, die wir auf der Lesung verteilen wollten. Unser Protest richtete sich gegen die transgenderfeindliche Haltung der lesbisch-feministischen Veranstalterinnen des Frauenkulturzentrums belladonna in Bremen, die ankündeten, dass diese Lesung von Träume in den erwachenden Morgen[Anmerkung 15] nur für Frauen geöffnet sein sollte. Was für eine unglaubliche Sinnwidrigkeit! Hatten die Veranstalterinnen das Buch, von dessen Erfolg und Popularität sie gerne profitieren wollten, überhaupt gelesen? Wohl kaum, denn dann müssten sie doch wissen, dass es hier just um das Hinterfragen von vermeintlichen Sicherheiten ging, was denn eigentlich eine ›Frau‹ ausmache, und um eine Kritik an genau jenen Dogmen, die vielen genderqueeren Lesben das Leben in lesbisch-feministischen Zusammenhängen, die das ›befreite Frausein‹ propagierten, oftmals so schwer bis unmöglich machten.

Damals in den Neunzigerjahren war z.B. der Zugang von trans Frauen zu feministischen Lesben/Frauen-Räumen wenn nicht sogar offiziell untersagt, dann doch zumindest heftig umstritten. Butches, die als zu männlich wahrgenommen wurden, mussten sich rechtfertigen oder gar ihr ›Frausein‹ unter Beweis stellen, um Eintritt zu Veranstaltungen zu erlangen. In den allermeisten feministischen Frauenzusammenhängen wurde Transsein noch nicht ansatzweise mitgedacht. Transgender und Genderqueerness als Themen der feministischen Auseinandersetzung tauchten in Deutschland Mitte bis Ende der Neunzigerjahre eigentlich nur in Queer-Theorien im akademischen Kontext auf, diese Diskurse hatten aber in die Politiken feministischer Projekte und lesbisch-schwuler Community-Zentren noch keinen Eingang gefunden.

Am Abend der Veranstaltung selbst, die außerordentlich gut besucht war, kam Minnie Bruce Pratt, die ihre*n Partner*in Leslie Feinberg begleitete, auf mich zu, um sich von mir eines unserer Protest-Flugblätter geben zu lassen. Als junge Femme und Aktivistin für Transgender-Rechte war ich ohnehin sehr schüchtern und in diesem Fall auch noch von einer Sprachbarriere zu behindert, um Minnie Bruce in diesem Moment erklären und versichern zu können, dass unsere Protest-Aktion sich nicht gegen Leslie und die Lesung als solche richtete, sondern ganz im Gegenteil gegen die Haltung der verständnislosen, transphoben Organisatorinnen dieser Veranstaltung. Zu dieser Zeit haben wir unsere Flugblätter nur in deutscher Sprache verfasst, während es heutzutage üblich ist, zumindest eine Übersetzung ins Englische anzubieten. Damals waren wir eben noch nicht so international organisiert, wir befanden uns noch vor dem Web 2.0 und dem damit verbundenen allgegenwärtigen Englisch. Ich konnte in dieser Situation nur hoffen, dass diese Konstellation nicht zu Missverständnissen auf Seiten von Minnie Bruce und Leslie führte. Denn nichts lag mir und meinen Mitstreiter*innen ferner, als einem gegen vielfältige Diskriminierungen kämpfenden transgender Butch/Femme-Paar das Leben noch schwerer zu machen.

Leslie Feinberg begann diese Lesung von Stone Butch Blues mit einer Begrüßung, die mich zutiefst berührte. Eine Ansprache, die mir – körperlich spürbar – durch Mark und Bein ging, ohne dass ich verstandesmäßig tatsächlich jedes einzelne Wort hätte erfassen können. Ich erwartete, Leslie auf Englisch sprechen zu hören, doch Englisch war das nicht. Es schien mir zuerst Deutsch zu sein. Aber auch Deutsch war es nicht. Als deutscher Muttersprachlerin kam es mir vor, als verstünde ich das meiste und gleichzeitig nahm ich eine sonderbare Differenz wahr. Ich hörte und spürte und ließ mich berühren, erst dann begriff ich, Leslie spricht auf Jiddisch zu ihrem*seinem deutschen Publikum! Mir lief ein Schauer über den Rücken. Bewunderung und Dankbarkeit angesichts dieser Geste erfasste mich. Eine nach Deutschland eingeladene jüdische Butch und Schriftsteller*in begrüßt und konfrontiert ihr Publikum mit der jiddischen Sprache. Der – für mich – sehr bewegende Brückenschlag schien erfreulicherweise weniger zu irritieren, als spontan zu funktionieren. Ich hatte das Gefühl, Zeugin eines wirklich außergewöhnlichen Ereignisses zu sein.

Doch ein anderer Versuch eines Brückenschlags misslang an diesem Abend auf erschreckende Weise. Leslie Feinberg erzählte vom Kampf für transgender Rechte in den USA. An das Bremer Publikum richtete sie*er dann die Frage, wer der Anwesenden sich als »Transgender Warrior« verstehe. Eine Welle der Irritation schien durchs Publikum zu laufen. Ein öffentliches Outing? Vielleicht drei Personen erhoben sich von ihren Plätzen und die Blicke der Masse–denn der große Saal war wirklich bis auf den letzten Platz und darüber hinaus gefüllt – richteten sich auf diese drei, die tatsächlich aufgestanden waren. Mir stockte das Herz. Dann folgte Leslies Frage »And who is going to stand up for transgender rights?«, die Dolmetscherin übersetzte ins Deutsche. Vermutlich war die Idee hinter dieser Aktion, dass nun der Rest des Saals sich auch erheben würde und die wenigen »Transgender Warriors« nicht mehr alleine stehen müssten, sondern in den Reihen ihrer Unterstützer*innen von gemeinschaftlicher Solidarität getragen würden.

Ich stand selbstverständlich auf und wartete darauf, dass sich, wenn vielleicht auch nicht alle, so doch ein Großteil der Zuhörer*innen um mich herumanschließen würde. Stattdessen wiederholte sich die Erfahrung des Alleinstehens: Vier, höchstens fünf Personen erhoben sich, ich eine unter ihnen. Und wieder richteten sich die Augen der sitzengebliebenen Masse auf uns wenige Ausgesonderte. Ich konnte nicht fassen, was da gerade geschah.

Es blieb mir nur zu spekulieren, warum diese Aktion auf so bestürzende Weise ins Leere lief. War sie zu überraschend? Wurde sie nicht verstanden in Hinsicht auf die politische Aktionsform, Menschen körperlich und damit zugleich auch symbolisch aufstehen zu lassen, was im deutschen Kulturraum unüblich ist? Dass der Stil dieser Aktion stark nordamerikanisch geprägt war, konnte Leslie wohl kaum wis­sen. Oder wurde sie nicht verstanden in Hinsicht auf die inhaltliche und politische Thematik–hatte das Gros des Publikums ein rein cis-lesbisches Event erwartet und war mit der intersektionalen Herangehensweise oder vielmehr ganz spezifisch mit der transgender Thematik überfordert bzw. stand dieser sogar ablehnend gegenüber? Ich weiß es nicht. Aber so viel kann ich sagen: Es war kein gutes Gefühl, fast allein, als winzige und weithin sichtbare Minderheit dazustehen und begafft zu werden. Und sich fragen zu müssen, was mit der schweigenden bzw. sitzenbleibenden Mehrheit eigentlich los war – war sie ungerührt, ignorant oder sogar feindlich eingestellt?

Vor Kurzem las ich im Blog des Schriftstellers, Spoken-Word-Künstlers und trans Aktivisten Jayrôme C. Robinet, dass eine gemeinsame Bekannte von uns, die trans Aktivistin Lana K., damals auch in diesem übervollen Saal in Bremen war und wie ich eine der ganz wenigen Personen im Publikum war, die aufstanden. »Beunruhigend, verstörend und nicht lustig war es« (Robinet o. D.), sagt sie. Dieser Empfindungsbeschreibung kann ich mich nur anschließen. Damals kannte ich Lana noch nicht. Heute gibt es mir nachträglich Trost, ihre Geschichte zu lesen, aufgezeichnet und geteilt von Jayrôme. Danke an euch beide!

Wieder einmal lerne ich daraus: Auch wenn wir uns allein fühlen, es gibt doch immer andere, denen es ähnlich geht, die für das Gleiche kämpfen und aufstehen. Auch wenn wir manchmal erst zwanzig Jahre später davon erfahren, so haben wir doch ein Stück Geschichte miteinander geteilt.

Bei meiner Recherche für die Aktualisierung dieses Essays für den vorliegenden Sammelband bin ich zufällig auf eine Erwähnung von Leslie Feinberg auf dem Blog von belladonna e. V. gestoßen. Dort ist tatsächlich nachzulesen, dass das Bremer Kultur- und Bildungszentrum für Frauen Leslie Feinberg am 1. April 2019 zur »Frau des Monats April 2019« gekürt hat (belladonna o. D.). Auch wenn das Datum einen (absurd-grausamen) Aprilscherz nahezulegen scheint, handelt es sich um einen völlig ernst gemeinten Eintrag. Dabei allein von der Unbelehrbarkeit der damals wie heute Verantwortlichen zu sprechen, würde einem solchen hemmungslos missbräuchlichen Vorgehen kaum gerecht werden. Leslie Feinbergs Aufrechterhalten ihrer*seiner Solidarität mit dem Begriff ›Lesbe‹ wird von den mit öffentlichen Mitteln geförderten TERFs[Anmerkung 16] zur symbolischen Auslöschung von trans Existenz ausgenutzt, wenn sie unter anderem formulieren, Stone Butch Blues gelte »als eine derwichtigsten Publikationen über lesbische Frauen« (ebd.). Die Hartnäckigkeit der Auslöschung von trans Widerstand durch Entnennung bei gleichzeitiger Aneignung der auf diese Weise für die eigenen Zwecke ›passend gemachten‹ Person mitsamt ihrem Star-Appeal benötigt eine rigidere Analyse und unsere trans-feministische Kritik. Am Beispiel von belladonna –Kultur, Bildung und Wirtschaft für Frauen e.V. zeigt sich, wie die trans-ausschließende, sich ›Feminismus‹ nennende Ideologie von TERFs nicht allein mit dem Ausschluss von trans Personen operiert, sondern auch mit deren Entstellung durch absichtsvolles Misgendern zum Zweck der Vereinnahmung von sorgsam herausgepickten, erwünschten Anteilen hervorragender trans Personen und deren Werken.

Meine zweite Begegnung mit Leslie Feinberg fand nur kurze Zeit später in Hamburg statt. Die Bücherhallen Hamburg hatten die*den Autor*in und Aktivist*in eingeladen, in ihrer Reihe »Lust auf Lesen – Schriftsteller [sic!] öffnen ihren Bücherschrank« zu sprechen und aus dem Roman Stone Butch Blues zu lesen. Diesmal hatte meine kleine Bremer Transgender-Protest-Gruppe sich vorbereitet und eine Dolmetscherin organisiert, die unser zu dieser Zeit revolutionäres Anliegen, die grundlegenden Gemeinsamkeiten zwischen feministischen und transgender Politiken aufzuzeigen, für uns übersetzte und im Vorfeld der Lesung den persönlichen Kontakt zu Leslie Feinberg herstellte. Leslie schüttelte uns allen die Hand und bestärkte uns in unserem Anliegen, für Trans/Gender-Rechte einzutreten – sehr höflich, sehrrespektvoll und gleichzeitig auch sehr unverbindlich, auf Distanz bleibend,möglicheKonfrontationen auf nicht einschätzbarem Terrain scheuend. Leslie beeindruckte durch ihr*sein Auftreten im perfekt sitzenden,metallisch glänzenden Maßanzug, einer äußerlich undurchdringlichen Butch-Rüstung. Vor Beginn der Lesung, schritt sie*er den Raum ab, vorbei am seitlich vom Publikum aufgestellten Büchertisch, wo sie*er sich der Verkaufsperson zunickend persönlich davon überzeugte, dass alles in bester Ordnung war, und sich dabei gleichzeitig indirekt dem überaus gespannten Publikum in ihrer*seiner transgender Butch-Körperlichkeit präsentierte, näher als es danach für die weiter hinten platzierten Zuhörer*innen möglich gewesen wäre. Ich ließ meine Blicke durch das Hamburger Publikum schweifen und als selbst mehr oder weniger frisch erwachte Femme werde ich nie den Anblick der einzigen anderen von mir als Femme lesbaren Person im Publikum vergessen. Sie hatte sich mit einer Perlenkette in Choker-Länge geschmückt und ohne diese Perlenkette wäre sie mit ihrem Kurzhaarschnitt und der Unisex-Kleidung für mich unsichtbar im Meer der androgynen Lesben untergegangen.

Ohne Zweifel, Leslie Feinberg selbst aus ihrem*seinem Roman Stone Butch Blues lesen zu hören, war ein bewegendes Ereignis. Doch was mich noch mehr beeindruckte als die eigentliche Lesung war Leslies Einleitung dazu. Dieser einführende Teil war die Antwort auf die Frage nach Feinbergs biografischem Verhältnis zu öffentlichen Büchereien, denn die Veranstaltungsreihe der Hamburger Bücherhallen fragte eingeladene Autor*innen nach deren persönlicher Beziehung zu Büchern und Bibliotheken.

Leslie Feinberg stammte aus einer US-amerikanischen, jüdischen Arbeiter*innenfamilie. Geboren wurde sie*er1949 in Kansas City im Staat Missouri, aber aufgewachsen ist sie*er in Buffalo, einer Industriestadt im Norden des Staates New York, nahe der kanadischen Grenze. In Hamburg erzählte Leslie ihre*seine persönliche Bildungsgeschichte im Hinblick auf ihren*seinen Zugang zu emanzipatorischem Lesestoff, der für sie*ihn als Teenager*in aus der Arbeiter*innenklasse besonders erschwert war. Dementsprechend war es für Leslie eine späte und deswegen umso höher geschätzte Errungenschaft, sich den Zugang zu einer öffentlichen Bibliothek qua Ausleihausweis in der Stadtbibliothek von Buffalo, N.Y., zu erkämpfen. Ihre*seine Schilderung machte die große–bis hin zu lebensrettende–Bedeutung von emanzipatorischer Literatur für minorisierte junge Menschen anschaulich, insofern Literatur die Möglichkeit zur Selbstfindung, Spiegelung und Politisierung bieten kann.

Ich weiß noch genau, wie berührend ich diesen Teil der Veranstaltung empfand. Selbst als queeres und wissensdurstiges Kind aus einer nicht-akademischen Familie stammend, konnte ich den jugendlichen Kampf um Zugang zu Bildung durch das Erlangen eines öffentlichen Bibliotheksausweises und die damit verbundenen Unsicherheiten und Minderwertigkeitsgefühle schmerzhaft nachempfinden. Für mich war Leslies Geschichte eine in dieser Form bislang ungehörte Geschichte, die Queerness, Klassenzugehörigkeit und Zugang zu Bildung in einen Zusammenhang brachte und mich dadurch tief mit ihr*ihm verband.

Literatur bietet Identifizierungs- und Stärkungsmöglichkeiten für junge Menschen, die als Freaks oder Perverse stigmatisiert werden, weil sie aus den Geschlechter- und Sexualitätsnormen ihres sozialen Umfeldes herausfallen. Aus solchen Ausgrenzungserfahrungen oder auch einfach dem fortgesetzten Erleben des eigenen Andersseins resultieren oft Gefühle von Isolation und Entfremdung, wodurch ein besonderes Bedürfnis nach Spiegelung und Anerkennung entstehen kann. Lesend lässt sich erfahren, ›du bist nicht die*der Einzige‹, ›du bist nicht allein‹. Darum besitzt Literatur das enorm wichtige Potenzial, an den Rand gedrängten Personen eine Spiegelungsmöglichkeit zu bieten, Differenzen anzuerkennen und Raum für gesellschaftlich Marginalisierte zu schaffen.

Auch in dieser Hinsicht sind die Bedeutung und die Auswirkungen von Leslie Feinbergs Werk auf unsere Leben, unser Denken und die politischen Kämpfe von Queers, Butches, Femmes und trans Leuten aller Geschlechter kaum zu überschätzen. Ich verneige mich voller Dankbarkeit.

Der US-amerikanische Sänger und Schriftsteller Lynn(ee) Breedlove schrieb in einer fiktiven Nachricht an Leslie Feinberg:

Liebe_r Leslie Feinberg, als ich dir zum ersten Mal 1993 auf den Seiten von Stone Butch Blues begegnete, da sagtest du, es wäre nicht deine eigene Lebensgeschichte. Aber es war unsere. Alles Liebe, Lynnee (Breedlove 2014, Übersetzung S. F.)[Anmerkung 17]

Die Femmes und Butches, Queers und trans Leute meiner Generation und auf dieser Seite des Atlantiks konnten nicht ganz dasselbe behaupten wie Lynnee. Jahrzehnte und ein Ozean lagen zwischen uns, aber unsere Herzen empfanden mit ihr*ihm. Direkt nach Leslies Tod schrieb Lynn Breedlove:

Du hast meine Welt ohne Schnörkel aufgezeichnet, geradlinige Wahrheit, nicht erzähltes Leben, die Poesie der Maskulinität und der Frauen, die sie verstanden, die mich geformt haben, uns Niedergeschmetterte, die zurückschlagen, aufstehen, mit allen Teilen, dem Hass aus dem Weg gehen, der Liebe nachjagen. Wie Gewalt lesbar machen, über etwas hinwegkommen, einen Punkt auf einer Linie finden, auf dem eine*r stehenbleiben kann, eine ganze Generation inspirieren und es an sich vorbeiziehen lassen, damit es immer ein Zuhause gibt, einen Orientierungspunkt, einen Elternteil, der Verständnis hatte. Danke, dass du uns gezeigt hast, wie man Schatzkarten aufzeichnet. Eine sternenklare Reise. (ebd., Übersetzung S. F.)[Anmerkung 18]

Danke Lynnee, danke Leslie.

Literatur

belladonna – Kultur, Bildung und Wirtschaft für Frauen e. V. (o. D.) »Frau des Monats April 2019: Leslie Feinberg«, belladonna blog. https://belladonna-bremen.de /historische-frau-april-2019/ (letzter Zugriff am 07.03.2024).

Breedlove, L.(2014) o. T., Facebook.https://www.facebook.com/lynnbreedlove/(letzter Zugriff am 07.03.2024).

Feinberg, L. (1993) Stone Butch Blues.Ithaca, NY: Firebrand.

––– (1996) Träumein den erwachenden Morgen. Berlin: Krug & Schadenberg.

––– (2006) Drag King Dreams. New York: Carroll & Graf.

––– (2008) Drag King Träume. Berlin: Querverlag.

Fuchs, S.(2020) »Sternenklare Reise.Eine Reminiszenz an Leslie Feinberg,in Dankbarkeit«, in: Fuchs, S. (Hg.) Femme/Butch. Dynamiken von Gender und Begehren. Berlin: Querverlag, S. 344–354. Krug & Schadenberg (o. D.) »Autorinnen«, Verlag Krug & Schadenberg. https://www .krugschadenberg.de/autorinnen-bei-krug-und-schadenberg/ (letzter Zugriff am 06.03.2024).

Robinet,J. C.(o. D.) »Ein Hoch auf…! Lana K.«,JayrômeC.Robinet. https://jayromeau fdeutsch.wordpress.com/ein-hoch-auf/lana-k/(letzter Zugriff am 07.03.2024).

Sönser Breen, M.(2010) »Narratives ofQueer Desire«,GLBTQ.AnEncyclopedia ofGay, Lesbian, Bisexual, Transgender, & Queer Culture. www.glbtqarchive.com/essays/br een_narratives.pdf (letzter Zugriff am 07.03.2024).

Medea: Bubbles: oder Weggefährt*innen

Nike Hartmond & Fred Heinemann

Die Arbeit an diesem Projekt begann mit der Idee, uns an einer Tankstelle zu treffen. Nike schlug vor, wir könnten dann dort als zwei Autobahncops auftauchen. Es war ein erster Vorschlag für Drag und eine Verabredung gemeinsam den Raum der Tankstelle zu claimen–einen Ort, von dem wir als FLINTA-Personen tendenziell erwarteten, unpassend angesprochen zu werden, darauf hingewiesen zu werden, dass es ein Raum ist, der uns nicht ›gehört‹ oder dort mit ›Männlichkeit‹ in verschiedensten Formen konfrontiert zu werden. Wie der Ort sich in das Projekt einschreiben würde, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Für eine künstlerische Zusammenarbeit zwischen unseren Arbeitsbereichen Bühnenbild und Sprachkunst beschäftigten wir uns mit dem Mythos von Medea. Medea ist ein vielfach erzählter Stoff in Oper und Theater, mit dem sich unzählige Inszenierungen auseinandersetzen. Der Fokus liegt meist darauf, dass Iason Medea – nachdem sie mit ihm angeblich aus Liebesgründen aus dem Königreich ihres Vaters in sein Land geflohen ist, ihn geheiratet und mit ihm zwei Kinder bekommen hat – wegen einer anderen Frau verlassen will und sie daraufhin die gemeinsamen Kinder und die neue Frau tötet. In Luigi Cherubinis Opernfassung von 1797, die uns als Ausgangspunkt diente, wird Medea (wie in vielen anderen Inszenierungen auch) als Tyrannin dargestellt und das einseitige Narrativ von Rache, Eifersucht und leidenschaftlicher Liebe als Beweggrund für ihr Handeln angegeben.

Zu dem Treffen an der Tankstelle brachte Nike eine Ausgabe von Leslie Feinbergs Stone Butch Blues mit. Im Tankstellenimbiss besprachen wir bei Filterkaffee Jess’ Geschichte mit den vielen Codes, die Transidentitäten und lesbische Realitäten beschreiben: über die als »Rüstung« bezeichnete Motorradjacke von Butch Rocco (Feinberg 1996: 328); wie ein so bezeichnetes Männersakko ein anderes Auftreten ermöglicht (vgl. ebd.: 41); wie im Buch die Femmes den Butches das Revers richten (vgl. ebd.: 44, 90, 93,167); über queere Räume und wie sie gefunden werden können; wie dieses Finden oftmals mit Netzwerken oder Kontakten zusammenhängt, wie wir eingeladen oder mitgenommen werden müssen; was es verändern kann, lesbische, genderqueere und trans Personen kennen zu lernen oder Personen, die Hormone nehmen oder eine Mastektomie bereits hinter sich haben; zuletzt auch darüber, wie der Umzug von einer ländlichen Umgebung in die Stadt andere Räume für queere Realitäten eröffnet.

Jess ist in Stone Butch Blues vielen Schwellensituationen ausgesetzt. Der Umzug vom Land in die Stadt, die Job- und Wohnortwechsel, der Wechsel sozialer Räume. Das viele Herumfahren mit dem Motorrad betrachteten wir als symbolische Aneignung dieses Ständig-In-Transit-Seins. Wir nahmen Jess als starke Figur wahr, welche trotz verschiedener großer Bedrohungen, langen Phasen von Einsamkeit und teilweise extremer Diskriminierung, ihrer Identität und Queerness nachgeht und sie irgendwie zu leben versucht. Als genauso wichtig empfanden wir außerdem die Figuren, welche um Jess herum auftauchen und Jess in verschiedenen Lebenssituationen begleiten. Wir bezeichneten diese Figuren als Weggefährt*innen.

Auch Medea ist eine Schwellenfigur: als Figur, die sich entscheiden muss zwischen Iason und ihrer Familie; als Figur, die auf der Fluchtist; als Figur, die in Iasons Königreich nicht als zugehörig anerkannt wird; als Ausgestoßene; als Figur, die sich immer wieder rächen soll; als Figur, die sich gerächt hat und dann keinen Ort hat, an den sie gehen kann. Auch in Medeas Geschichte tauchen Weggefährt*innen und Personen mit queerem Potenzial auf.

Wir beschlossen eine Foto-Love-Story zu machen, in der die beiden Geschichten Medea und Stone Butch Blues füreinander Weggefährt*innen sind. Dabei gefiel uns die Verwandtschaft zwischen Foto-Love-Story und Oper, welche sich im Verhältnis zwischen Text und Bild zeigt – große Gesten, eindeutige Gefühle, erzählt wird in großen, wenigen Worten. Beide Formate erinnerten uns außerdem an Drag-Performances. Und gleichzeitig könnten sich Oper und Foto-Love-Story in ihrem angesprochenen Publikum nicht deutlicher unterscheiden. Mal abgesehen vom Kostenfaktor und der Frage, wer es sich leisten kann, in die Oper zu gehen, spricht sie ein Publikum des Bildungsbürgertums an, welches an Hochkultur und klassischen Erzählungen eines männlich-weißen Kanons interessiert ist. Hinzu kommt, dass die Opern-Aufführung oft nur einen Ausschnitt der Geschichte behandelt, folglich Vorwissen nötig ist, um die Geschichte zu verstehen. Die Foto-Love-Story ist heutzutage vor allem bekannt aus dem Magazin Bravo (auch wenn der Fotoroman schon viel früher und in einem anderen Kontext entstanden ist) als Format für Teenager, welches schon in seiner textlichen Form (simple Bildbeschreibungen sowie klar markierte Sprech- oder Denkblasen auf aussagekräftigen Bildern) wesentlich leichter zu rezipieren ist als die Geschichte in der Oper.

Die Tankstelle, die wir zunächst aus einer privaten Sehnsucht heraus aufgesucht hatten, schien uns passend als Ort, der am Weg liegt, und sie taucht darum in der Foto-Love-Story als Gaysoline Station auf. Die Tankstelle betrachteten wir als einen Transitraum, eine Raststätte, einen Ort, der angefahren, aber auch wieder verlassen wird. Sie taucht in diesem Kontext außerdem als Gegenentwurf zum Opernhaus auf – mit einer offeneren Architektur, nicht nur inklusiv, aber weniger exklusiv als die Oper.

Die Geschichte von Medea: Bubbles versucht einerseits Medeas Geschichte mit ihren vielen Zuschreibungen nicht einfach zu reproduzieren und anderseits die Strukturen, aus denen ihr Mythos erwächst, trotzdem weiter zu benennen. In Oper und Theater wurde die Figur Medeas als Zugehörige verschiedenster marginalisierter Gruppen gezeigt. Darum wollten wir Medea den Raum vor allem für ihre Wut geben und sie nicht in eine weitere Blase stecken, sondern ihr die Schwelle als einen Ort anbieten, an dem sie eine eigene Handlungsmacht hat, an dem sie eine Pause machen kann, an dem sie Spaß hat.

Die Geschichte von Medea: Bubbles beginnt damit, dass sich Medea auf dem Weg zu ihrer eigenen Opern-Aufführung befindet und an der Tankstelle hält, an der wir ihr verschiedene Weggefährt*innen und Zeug*innen zur Seite stellten: Zum einen Medeas Tante Circe – in der antiken Geschichte eine Zauberin, die auf eine Insel verbannt wird, auf der sie sexuell übergriffige Männer in Schweine verwandelt und Medea auf ihrer Flucht berät. In der Foto-Love-Story wird Circe zu Zirz und ist Tankwärt*in an der Gaysoline Station und Medeas Zeug*in, als Medea zu Beginn der Geschichte dort stoppt und sich darüber ärgert, dass sie immer wieder diese Rolle der Tyrann*in erfüllen soll und dass sie ständig mit Zuschreibungen konfrontiert ist. Zirz stellt Medea zum anderen weitere Weggefährt*innen vor: eine Gruppe Dykes on Bikes, die wir uns als Figuren aus Stone Butch Blues ausgeliehen haben und welche auftauchen, als andere Autofahrer*innen Medea an der Tankstelle mit Originalzitaten aus der Cherubini-Oper beschimpfen.

Während der Arbeiten an diesem Projekt kam es bei einem Punk-Konzert zu einem Streit mit oberkörperfreien Männern, in dessen Verlauf die misgenderten Personen aufforderten: »Wie wär’s erstmal mit’ner Pronomen-Runde?« Diese Frage gaben wir nun den Dykes on Bikes, die sie den verärgerten Autofahrer*innen an der Tankstelle stellen.

Während der Arbeiten an diesem Projekt fragte der*die Autor*in Sivan Ben Yishai in einem Workshop zum dramatischen Schreiben: »Warum müssen wir eine Rolle haben? Warum eine Figur sein?« Und gab die Antwort darauf: »Um der Dramaturgie zu dienen, um sie zu halten.« Wir begriffen die Dramaturgie in der Medea-Erzählung also als die Struktur, welche anzugreifen, aus dem Gleichgewicht zu bringen war.

In ihrer Wut über ihre Rolle und darüber, dass ihre Geschichte ständig neu inszeniert wird, sie immer wieder als Repräsentantin anderer marginalisierter Gruppen dienen soll, sind Medeas Sprechblasen fast Bildfüllend und drängen sie an den Rand des Bildes. Als Referenz auf den queeren Community-Begriff der ›Bubble‹ und aus dem Gedanken heraus, dass die queere ›Blase‹ auch nur bedingt ein Schutzraum sein kann, sprengt Medea ihre eigene Sprechblase und damit das Format der Foto-Love-Story. Schließlich bekommt Medea an der Tankstelle den Raum für eine Auszeit mit den Dykes on Bikes und die Möglichkeit, ihre eigene Queerness auszuprobieren; sie verpasst deswegen ihre Aufführung in der Oper und Jason (Iason) springt für sie ein und spielt ihre Rolle. Medea: Bubbles will keine Lösung für die Probleme des Medea-Mythos anbieten.

Die Figuren der Foto-Love-Story wurden von lesbischen, queeren und trans Personen gespielt, die wir über befreundete Personen, linke Strukturen und feministische Mailverteiler fanden. Da wir die gesamte Arbeit unbezahlt machten, konnten wir den Spieler*innen nur anbieten, den Raum für die Erweiterung eines queeren Netzwerks zunutzen,alsRaumeine andereRolle auszuprobierenundinDrag zugehen. Sowohl inhaltlich als auch in der Umsetzung wollten wir sowohl uns selbst als auch den spielenden Personen einen Raum anbieten, in dem die eigene Queerness oder mögliche Formen davon Sichtbarkeit finden und ausprobiert werden können. Als Gruppe queerer Personen nahmen wir für das Shooting einen Abend lang eine Tankstelle in Wien für uns ein und der Besitzer stellte uns bereitwillig den Raum. Er wird außerdem ein Poster von der Arbeit in seinen Schaufenstern aufhängen. Die entstandene Foto-Love-Story ist Ergebnis einer auch privaten Auseinandersetzung mit Fragen nach Pronomen, Zeug*innenschaft für die Queerness einer anderen Person, Weggefährt*innentum sowie den Vor- und Nachteilen von Bubbles.

Literatur

Feinberg, L. (1996) Stone Butch Blues. Träume in den erwachenden Morgen. Berlin: Krug & Schadenberg.

Queere Arbeiter*innen und umkämpfte Räume: Eine intersektionale Betrachtung des Raums der schwul-lesbischen Bar in Stone Butch Blues und seiner Ein- und Ausschließungsmechanismen

Jojo Hofmann

Die germanistische Literaturwissenschaft tut sich bislang schwer mit intersektionalen Perspektiven, wodurch immer wieder Leerstellen in der Betrachtung von Texten entstehen. Im Rahmen dieses Beitrags wird daher der Frage nachgegangen, durch welche Intersektionen die Ein- und Ausschließungsmechanismen[Anmerkung 19] eines ›queeren Raums‹ verlaufen und für wen schwul-lesbische Bars tatsächlich safer spaces[Anmerkung 20] darstellen.

Diese Analysebrille will die Grenzüberschreitungen, Raumaneignungs- und Verteidigungsstrategien sowie Selbstermächtigungen im Kontext queerer Kämpfe sichtbar machen, wobei Erfahrungen von Jess, der Hauptfigur in Leslie Feinbergs Roman Stone Butch Blues, im Mittelpunkt stehen. Mithilfe von Michel Foucaults Konzept der Heterotopie sowie raumtheoretischen Ansätzen von Jurij Lotman und Karl Renner wird die Struktur und Konstitution queerer Räume in Stone Butch Blues genauer betrachtet. Judith Butlers Ausführungen zur heterosexuellen Matrix und zur Performance von Geschlecht bilden die Grundlage für die Analyse.

1. Raumtheorien

Um den narrativen Raum greifen zu können, wird sich diesem nun theoretisch genähert. Dazu folgen Erläuterungen zu Raum und Grenze nach Lotman und Renner und zu Heterotopien nach Foucault. Im Anschluss werden diese mit Überlegungen zu Queerness und Raum verbunden und bilden so die Grundlage für die spätere Analyse.

1.1 Raum und Grenze bei Lotman und Renner

Jurij Lotman hält fest, dass der Mensch die Welt stets visuell wahrnimmt und somit auch verbale Zeichen im Kontext einer räumlichen Welt eingeordnet werden (vgl. Lotman 1993: 312). Dabei betont Lotman, dass Raum dem Menschen stets durch seinen Inhalt begreifbar wird (vgl. ebd.: 329). Hinter dieser Füllung des Raumes ist das Systemräumlicher Strukturen zu erkennen, welches über die Organisation des Raumes hinaus auch eine Grundlage zur Beschreibung der nichträumlichen Relationen bietet (vgl. ebd.: 330). Raum hat somit stets eine explizit semantische Ebene und eine semiotische Qualität: Die »Raummodelle werden zum Organisationsprinzip für den Aufbau eines ›Weltbildes‹« (ebd.: 313) – und bilden so die Grundlage für die Bedeutsamkeit der in einem Text realisierten Räume (vgl. ebd.).

Die Grenze versteht er hierbei als Hauptstrukturmerkmal der Raummodelle; sie liegt zwischen zwei Teilräumen, welche grundsätzlich unterschiedlich strukturiert sind (vgl. ebd.: 327). Lotman definiert: »Ein Ereignis im Text ist die Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen Feldes« (ebd.: 332). Hier sieht Karl Renner die Grenzen von Lotmans Konzept, da stets zwei beschriebene (Teil-)Räume von Nöten sind, um eine Grenzüberschreitung diagnostizieren zu können. Renner erweitert Lotmans Konzept: (Bedeutungs-)Räume können, müssen jedoch nicht, topographisch realisiert sein; Grenzverletzungen können auch ausschließlich auf Normebene passieren und durch Ordnungssätze und ihre Infragestellung markiert werden (vgl. Renner 2004: 367–369). Hierfür beschreibt Renner die Figurenbewegung durch die Mengenzugehörigkeit[Anmerkung 21] zu einem bestimmten Zeitpunkt. Hinzu kommen die Ordnungssätze, welche die Struktur der dargestellten Welt abstecken (vgl. ebd.: 367). In der Kombination beider kann ein Ereignis nun wie folgt beschrieben werden: »Ein Ereignis liegt immer dann vor, wenn zwischen einer Situationsbeschreibung und einem Ordnungssatz ein Widerspruch entsteht« (ebd.). Entsprechend definiert Renner, dass es sich um ein Ereignis handelt, wenn zu einem bestimmten Augenblick der Geltungsanspruch einer dieser Ordnungssätze hinterfragt wird. Topographisch realisiert ist dies eine Grenzüberschreitung, semantisch eine Regelverletzung (vgl. ebd.). Renner beruft sich weitergehend auf das Konsistenzprinzip: »Verletzungen semantischer Ordnungen – also Widersprüche zwischen Figuren und den semantischen Räumen, denen die Figuren zugeordnet sind – müssen im Verlauf der Geschichte behoben werden« (Renner 1983: 42–43).

1.2 Heterotopien nach Foucault

Ausgehend davon, dass »wir […] nicht in einem leeren, neutralen Raum« (vgl. Foucault 2013: 9) leben, beschreibt Michel Foucault neben Transitorten und geschlossenen Räumen, wie dem Zuhause, auch die vollkommen anderen Orte (vgl. ebd.: 10). Es sind Gegenräume, die sich durch ihre Widerständigkeit allem anderen gegenüber auszeichnen und sich durch ihre tatsächliche Existenz und Erlebbarkeit von Utopien unterscheiden (vgl. ebd. 10–11). Utopien zeichnen sich durch ihre Perfektion aus, während Heterotopien durch ihre Realisation ihre Imperfektion als Teil ihrer Selbst vereinnahmen (vgl. Simmons 2018: 10). Stefan Tetzlaff fasst Heterotopien daher als begehbare Utopien, welche als Verbindungsräume zwischen einem ›Normalraum‹ und einer Utopie existieren (vgl. Tetzlaff 2016: 15). Heterotopien sind Gegenentwürfe zum Normalraum: ohne Normalraum keine Heterotopie (vgl. ebd.: 17).Heterotopien sind, wie Gefängnisse und andere Institutionen, auch Teil des Systems, zu dem sie sich als Gegenräume entwerfen und das sie zeitgleich ein- und aussperren. Tetzlaff versteht dieses Paradoxon als elementaren Bestandteil – als funktionale Paradoxie – der Heterotopie (vgl. ebd.: 15).

Mit Rückbezug auf Lotman und Renner kann die Heterotopie als Raum verstanden werden, in welchem die ihr eigenen Ordnungssätze grundsätzlich verschieden zu denen des Normalraums sind. Ein Ereignis verläuft in diesen Gegenräumen also über vollkommen andere Grenzen hinweg als im Normalraum; ein Ereignis im Normalraum muss kein Ereignis im Gegenraum sein und andersrum.

1.3 Queering Space(s): Queertopia

Folglich wird von einem Raum und einem Subjekt ausgegangen, welche sich stets erst durch Handlung(en) konstituieren müssen (vgl. Cuntz 2015: 58). Zusammengedacht mit der Genderperformance nach Judith Butler bietet dies einen Ansatzpunkt für subversive Praktiken und ihre Untersuchung, denn verschiedenste Normen können im Laufe ihrer stetigen Reproduktion nicht nur bestätigt, sondern auch unterlaufen werden (vgl. Schößler 2008: 102). Diese Normbrüche können als Regelverletzungen im semantischen Raum und somit als Sujets verstanden werden. Gleichzeitig gibt es Räume, in denen bestimmte subversive Praktiken nicht als Normbrüche, sondern als normgerechte Handlungen verstanden werden (vgl. Weaver 2014: 86) – wie es beispielsweise bei Homosexualität und Drag in schwul-lesbischen Bars der Fall ist. Sabine Hark betont, dass das Queeren von Raum eine Form schwul-lesbischen Aktivismus’ im Kampf gegen diskriminierende Strukturen und homofeindliche Repressionen ist (vgl. Hark 2001: 95). Die Notwendigkeit des Queerens von Räumen verdeutlicht, »dass es Zugangsbarrieren zum öffentlichen Raum gibt, dass dieser entlang sexueller, geschlechtlicher und rassischer Linien strukturiert ist, die bestimmte Erfahrungen privilegieren und andere marginalisieren« (ebd.). Topologien sind, wie hier deutlich wird, immer als umkämpft zu verstehen (vgl. Schuster 2010: 75). In diesem Rahmen muss auch das Konzept der klaren Trennung von privaten und öffentlichen Räumen kritisiert werden, in welchem Heteronormativität transportiert wird: Dem privaten Raum werden intime und emotionale Dinge (z.B. Sexualität und Familie), dem öffentlichen Raum Lohnarbeit, Politik und rationale Dinge zugeordnet (vgl. ebd.: 77). Dabei verschleiert diese binäre Aufteilung, dass heteronormative Strukturen sich durch alle Alltagsbereiche ziehen und erst diese strikte Trennung hervorbringen (beispielsweise in Form von privater Care-Arbeit und öffentlicher Lohnarbeit und ihrer Aufteilung) (vgl. ebd.: 77–78). Die Heterosexualisierung des öffentlichen Raumes ist auch performativ zu verstehen: Überall im öffentlichen Raum wird die heterosexuelle Norm produziert und als angemessenes Verhalten markiert; durch die Abgrenzung vom als pervers markierten ›Anderen‹ wird diese Struktur gefestigt (vgl. ebd.: 79).

Um dem entgegen zu wirken und explizit queere Räume zu schaffen, bedarf es Raumaneignungsstrategien (vgl. ebd.: 80–81). Schuster beschreibt diese als gegenöffentliche Raumproduktion (vgl. ebd.: 92). Teil dieses Konzepts ist auch die Kritik an Jürgen Habermas’ Öffentlichkeitsbegriff, welcher eine vor allem bürgerliche und männliche Öffentlichkeit beschreibt (vgl. Fraser 1996). Stattdessen werden also Gegenöffentlichkeiten begründet, welche andere politische Verhaltensweisen und Normen ermöglichen: »In Gegenöffentlichkeiten gälten dabei eigene Regeln und alternative Lebensvorstellungen und Abläufe, sowie andere Vorstellungen darüber, was sagbar sei und was nicht« (Schuster 2010: 87).

Schuster kritisiert in diesem Zuge auch, dass in der Diskussion queerer Raumaneignung in der Öffentlichkeit oftmals die Ambivalenz der damit einhergehenden Sichtbarkeit(spolitiken) außen vor gelassen wird (vgl. ebd.: 92): Es werden wichtige Räume geschaffen, die gleichzeitig zum Angriffspunkt für Queerfeindlichkeit werden. Die Existenz von queeren und insbesondere trans* Personen ist von Diskriminierung und Gewalt geprägt und ist aufgrund ihrer Abweichung zur cishetero Norm am Rande der Gesellschaft verortet (vgl. ebd.: 182). Die Schaffung von Gegenöffentlichkeiten bringt folglich stets den Raum gefährdende Sichtbarkeit mit sich, welche zu gesellschaftlichen Repressionen führt. Dennoch lassen sich die selbstgeprägten Räume durch widerständiges Aufbegehren gegen die hegemoniale Zweigeschlechtlichkeit und durch »eigene[] Entwürfe[] von Geschlecht, Sexualität und sozialem Miteinander« (ebd.) charakterisieren: Hier gelten andere Ordnungssätze. Denn während im Normalraum heteronormative Ordnungssätze Homosexualität und Transidentität als Sujets markieren, wirken im queeren Gegenraum queere Ordnungssätze, durch welche Homosexualität und Transidentität unmarkiert bleiben und als normal verstanden werden.

Im nächsten Schritt können nun auch Heterotopien durch eine queere Brille betrachtet werden. So argumentiert Ashley Simmons:

[I]magining queer futurity as heterotopia aligns with the disruptive characteristics of queerness. Queer heterotopias combine Foucault’s philosophy with queer theory to critique the functions of ›ideal‹ spaces and question to whom these spaces are supposed to be catered. (Simmons 2018: abstract)

Sie definiert queere Identität als etwas sich fortlaufend aus Erfahrungen und äußeren Einflüssen Konstituierendes (vgl. ebd.: 4). Folglich ergibt sich hieraus und daraus, dass nach Butler Queerness immer in Opposition zu einer heteronormativen Subjektkonstitution entsteht, dass queere Utopien gar nicht existieren können: Die Perfektion derUtopie würde die Notwendigkeit einerOpposition zum hegemonialenCis-Heteronormativen überflüssig machen undQueerness sowie Heteronormativität in einer utopischen Sexualitätspolitik aufgehen lassen. In Heterotopien treffen jedoch die utopischen Wünsche auf die gesellschaftlichen Konventionen und Normen, wodurch sich im anderen Ort eine Subversion dieser realisieren zu lassen versucht; ein Ort, an dem innerhalb einer repressiven Gesellschaft Queerness als Gegenentwurf existieren darf. Elizabeth Nguyen bringt Queerness mit Heterotopien zusammen, indem sie sie als widerständigen Akt gegen kulturelle Normalvorstellungen versteht, welcher in seiner Differenz an den gesellschaftlichen Rändern gefeiert wird (vgl. Nguyen 2011). Ein Ort, an dem Queerness zelebriert werden kann, muss folglich zwangsläufig eine Heterotopie sein. Diese spezielle Verknüpfung soll im Folgenden durch die Kombination beider Begriffe zu ›Queertopia‹ deutlich gemacht werden.

2. Ein Blick in den Normalraum: Das Anderssein der Bars in Stone Butch Blues

Was im ersten Kapitel theoretisch erläutert wurde, wird nun mit Blick auf die schwul-lesbischen Bars in Stone Butch Blues und ihre Abgrenzung als Gegenräume zum sog. Normalraum exemplarisch angewandt. Zuerst werden drei Teilräume des Normalraums – nämlich Familie und Zuhause; Öffentlichkeit und Polizei; Fabrik, Arbeit und Gewerkschaft – betrachtet, um die Differenz der Bars zu ihnen herauszuarbeiten.

2.1 Familie und Zuhause

In Stone Butch Blues fordern die Eltern von Jess, der Hauptfigur, in wechselhafter Intensität die ›richtige‹ Genderperformance. Zu sehen ist dies beispielsweise in ihrer Reaktion auf Jess’ Anprobieren des väterlichen Anzugs, wonach Jess’ Eltern Jess in eine psychiatrische Anstalt bringen, um Jess so durch Zwang die ›richtige‹ Genderperformance anzutrainieren. Die fehlerhafte Performance stört die Vergeschlechtlichung von Jess und führt zu Jess’ gewaltvoller Entfernung aus dem Normalraum.

Queerness alleine ist bereits eine Regelverletzung im Normalraum: Jess ist an die Ordnungssätze und Grenzen des Normalraumes gebunden, die der heterosexuellen Matrix entsprechen. Jess entwickelt allerdings immer weitere Eigenschaften, welche diesen Ordnungssätzen widersprechen: Jess ›missperformt‹ das zugewiesene Geschlecht und stört dadurch den Prozess der Vergeschlechtlichung. Diese Abweichung von den Normen ist eine Regelverletzung und die Reaktionen der Figuren, die Jess umgeben, sind gewaltgeprägt, was die Frage aufwirft, inwiefern eine Ordnungswiederherstellung möglich ist. Nach Renner führt die Entwicklung der raumfremden Eigenschaften zur Berufung in einen anderen Raum, welcher in diesem Fall die psychiatrische Anstalt zu sein scheint. Die Lösung ist dabei nicht die dauerhafte Aufbewahrung, sondern die Umerziehung von Jess, damit Jess den Ordnungssätzen des Normalraumes entspricht und durch die heterosexuelle Matrix vergeschlechtlicht werden kann. Da eine solche Umerziehung jedoch niemals erfolgreich sein kann, bleibt die Möglichkeit einer Ordnungswiederherstellung fraglich.

Hingegen fällt in der Betrachtung des Raumes eines selbstgewählten und selbstgeschaffenen Zuhauses und einer selbstgewählten Familie die große Bedeutung des Sicherheitsaspekts auf: »Butch[es] knew that their femme lovers created space in which butches could safely project their identities, heal their wounds, and survive in a homophobic world« (Goetz 1997: 57). Goetz betont in diesem Kontext die Rolle von Theresa, Jess’ Partnerin, bei Jess’ Aufbau eines Zuhauses. Durch das notwendige Versteckspiel wird deutlich, dass auch der private Raum gesellschaftlich stark sanktioniert wird. Als offizielles Paar hätten Jess und Theresa ihre Wohnung nicht bekommen und Jess fürchtet, den heimischen Raum jederzeit wieder zu verlieren, sollten die Nachbar*innen Verdacht schöpfen. Der topographische Ort ist also keineswegs privat, sondern im Rahmen gesellschaftlicher Sichtbarkeitspolitiken umkämpft.

Der semantische Raum des Zuhauses ist Ort der Verhandlung von Gegen-Privatheit und Queeren des Zuhauses, da Jess und Theresa ihn als lesbisches Paar formen. Hier erleben sie gegenseitige Fürsorge und Akzeptanz. Durch diese Eigenschaften zeichnet sich das Zuhause als saferspace aus. Gleichzeitig ist dieser Raum in den Möglichkeiten queeren Lebens begrenzt: Sexualität kann hier zwar gelebt, Partner*innen können jedoch nicht gesucht werden. Gemeinschaft mit anderen queeren Figuren kann nur im (gegen-)öffentlichen Raum der Bars gefunden werden, da diese im Gegensatz zu (gegen-)privaten Räumen nicht verschlossen, sondern als Begegnungsräume konstituiert sind.

2.2 Öffentlichkeit und Polizei

Der Alltag und die Suche nach Gemeinschaft führen die Figuren also immer wieder in den öffentlichen Raum, in welchem sich auch die schwul-lesbischen Bars als gegenöffentliche Räume befinden. Hier sind sie aber auch in der Eingriffssphäre der Polizei, die aufgrund der Verschlossenheit der (Gegen-)Privatheit und der unterschiedlichen Sichtbarkeit der Figuren in diesen Sphären hauptsächlich in derÖffentlichkeit zu verorten ist. Cat Moses charakterisiert die Polizei als Hauptakteurin in Bezug auf die gewaltvolle Bestrafung vonGendertransgressionen und die Durchsetzung obligatorischer Heterosexualität (vgl. Moses 1999: 79), verordnet durch die heterosexuelle Matrix. Die queeren Figuren performen Gender nicht den heteronormativen Ordnungssätzen des Normalraums entsprechend, wodurch bereits ihre Existenz im Normalraum eine Regelverletzung darstellt, welche beispielsweise durch polizeilicheRepressionengeahndetwird.DiePolizeifolgtderMarkierungder queeren Figuren als Perverse (vgl. ebd.: 80); sie entfernt die queeren Figuren gewaltvoll aus dem öffentlichen Raum der Straße sowie aus dem gegenöffentlichen Raum der Bar durch Razzien und Verhaftungen. Die Polizei hat eine exekutive Funktion in der Aufrechterhaltung und Verteidigung der Normen des Normalraums, welche durch das Sujet der Queerness infrage gestellt werden. Aufgrund dessen führt die grenzüberschreitende Genderperformance neben der gesellschaftlichen auch zur staatlichen Bestrafung.

Moses sieht dabei speziell das Arbeiter*innen-Dasein der Butches und Femmes als Hauptgrund für ihre extremen Gewalterfahrungen: »In a reiterated cycle of oppression, the butches’ gender expression limits their employment opportunities, thus placing them in economic peril and on the margins of the working class, and their working-class status makes their gender expression doubly dangerous« (ebd.). Sie begründet dies damit, dass finanziell besser gestellte Lesben sich eher in (gegen-)privaten Räumen zusammenfinden und somit weniger den Repressionen in (gegen-)öffentlichen Räumen ausgesetzt sind (vgl. ebd.).Gerade, weil queere Arbeiter*innen also besonders auf den öffentlichen Raum für die Zusammenkunft angewiesen sind, ist dieser einerseits ein Ort für Gemeinschaft, andererseits ein Raum von Gewalt und Diskriminierung.

In der heteronormativen Öffentlichkeit können Lesben keine Sexualität leben und keine Gemeinschaft finden. Artikuliert wird dies beispielsweise in der Aussage der Figur Edna zum Sterben schwul-lesbischer Bars: »I don’t know where to go to find the butches I love or the other femmes« (Feinberg 2014: 232). Auch in Jess’ Beschreibung von Einsamkeit nach der Transition und der damit einhergehenden Wahrnehmung als Mann im Normalraum zeigt sich dies: »The loneliness became more and more unbearable. I ached to be touched. I feared I was disappearing and I’d cease to exist if someone didn’t touch me« (ebd.: 200). Aus dem Moment der Suche der queeren Figuren nach einem Raum,in welchen sie hineinpassen, ergibt sich folglich die Raumaneignungsstrategie der Konstitution einer Gegenöffentlichkeit im Raum der schwul-lesbischen Bar. Sie ist ein Teilraum des öffentlichen Raumes und gleichzeitig ein Gegenraum – eine funktionale Paradoxie.

Fußnote

  1. Dies zeigt sich etwa darin, dass in den Beiträgen, in denen Stone Butch Blu s zentral verhandelt wird, einige Beitragende wie im Roman weibliche Pronomen (›sie/ihr‹) für die Hauptfi­gur Jess Goldberg verwenden, während andere die genderneutralen bzw. nicht-binären Formen ›they/them‹ oder ›zie/hir‹ vorziehen. Wir halten beide Vorgehensweisen – den Rückgriff auf die Pronomen aus der Romanvorlage und eine Anpassung der Pronomen im Sinne eines queer reading – für valide und haben uns deshalb gegen eine Vereinheitlichung entschieden
  2. Rawson bezieht sich hier auf den (fantastischen) fiktionalen Dokumentarfilm The Watermelon Woman (USA 1996, Regie: Cheryl Dunye).
  3. Sabine Fuchsschreibt, dass im Kontext von Queerness zwei Sichtweisen auf Gender auszumachen sind: einerseits Genderphilie, welche eine pluralistische Herangehensweise und ein Zelebrieren von Genderausprägungen bezeichnet, und andererseits ein Verständnis von Queerness, welches Genderphobie zentriert, also die »Abschaffung und Ablehnung« von Gender (Fuchs 2020a: 37).
  4. Dass ein substanzieller Anteil des trans Literaturkanons aus autofiktionalen und autobiografischen Texten besteht, diskutiert Vivian Namaste in Invisible Lives. The Erasure of Transsexual and Transgendered People (2000) und kritisiert dabei, dass trans Personen nur in Autobiografien zu Wort kommen dürfen. Jordy Rosenberg beschreibt es als Zumutung, nur dann kreativ schreiben zu dürfen, wenn die Authentizität der eigenen Subjektivität attestiert wird (vgl. Rosenberg 2021: 271).
  5. Die Schreibweise von Fem(me) (›Femme‹ oder ›Fem‹) variiert je nach Ort, Zeit oder Person, weshalb ich im Folgenden die Variante ›Fem(me)‹ nutzen werde. Sabine Fuchs bietet Erläuterungen zu den verschiedenen Formen und Schreibweise (vgl. Fuchs 2009: 13).
  6. Die Lesbian oder auch Feminist Sex Wars waren kontrovers geführte Diskussionen innerhalb feministischer und lesbischer Kontexte der späten 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahre, die vor allem im angloamerikanischen Raum geführt wurden. Verhandelt wurden Themen, die sich unter dem Oberbegriff ›Sexualität‹ wiederfinden. Zentrale Streitpunkte waren Pornografie, BDSM, Sexarbeit, verschiedene sexuelle Praktiken und die Frage nach Ein- und Ausschlüssen von trans Frauen (vgl. Duggan und Hunter 2006).
  7. Eine umfassende Darstellung nahm ich in meiner Dissertation vor (vgl. Weinberg 2023)
  8. Die UKZ (Unsere kleine Zeitung) war eine Westberliner Lesbenzeitschrift, die von 1975 bis 2001 von der Gruppe L74, einer Lesbengruppe für ältere Lesben, herausgegeben wurde.
  9. So auch in der Erstfassung der deutschen Übersetzung des Klassikers Stone Butch Blues von Leslie Feinberg (vgl. Feinberg 1996).
  10. Trans-Exclusionary Radical Feminism.
  11. Die Gesprächsauszüge stammen aus Unterhaltungen mit meiner Partnerin und Freund*innen.
  12. In meinem Umfeld (Großstadt, studiert, überwiegend weiß und alle durchschnittlich in ihren 30ern) begegnet mir eher das Label ›Masc‹ mit ›Femme‹ als Counterpart, als die Paarung ›Butch/Femme‹. Dies mag in der Geschichte der Begriffe liegen. In den 1940ern entwickelte sich die Selbstbezeichnung ›Butch‹ in amerikanischer, lesbischer Subkultur:»Overall, ›butch‹ described a specific kind of queer masculinity thatchallenged the genderconventions at the time and spoke to aworking-classlesbian experience.«(Lopéz 2024) ›Masc‹ ist weniger spezifisch in Geschichte und Genderidentität, wird genutzt in schwuler, lesbischer, trans und nichtbinärer Szene als Artikulation von maskuliner Ästhetik und sexueller Vorliebe. Insbesondere in queeren Datingkontexten/-apps finden sich Äußerungen wie ›masc4masc‹, ›masc4fem‹, ›femme4femme‹ o.Ä. Eine genauere Auseinandersetzung damit, wie die akademische lesbische feministische Bewegung den durch die Arbeiter:innenklasse geprägten Begriff ›Butch‹ unsichtbarer werden lässt, wäre an dieser Stelle spannend und gut diskutierbar vor dem Hintergrund von Jess’ Erfahrungen in Stone Butch Blues.
  13. Dieser Essay erschien erstmals 2018 als Vorabdruck, dann 2020 als Beitrag in dem von mir herausgegebenen Sammelband Femme/Butch. Dynamiken von Gender und Begehren beim Querverlag, Berlin. Ich danke insbesondere k kater für unsere Diskussionen und seine Unterstützung beim Entstehen dieses Textes.
  14. In Margret Sönser Breens Essay »Narratives of Queer Desire«(2010) beschäftigt die Literaturwissenschaftlerin sich mit der besonderen Bedeutung von Literatur für LSBTIQ-Leser*innen.
  15. Die Geschichte des Titels der deutschen Übersetzung von Stone Butch Blues verdient eine Anmerkung: Die erste Ausgabe von 1996 erschien im Verlag Krug & Schadenberg (»Der Verlag für lesbische Literatur«) unter dem entstellenden Titel Träume in den erwachenden Morgen. Diesen Fehler nach siebzehn Jahren möglicherweise einsehend, wurde der fünften Auflage der deutschen Übersetzung im Frühjahr 2013 der Titel Stone Butch Blues. Träume in den erwachenden Morgen gegeben. Ich halte diese anfängliche aktive Entnennung und Entkontextualisierung für durchaus symptomatisch für den Versuch, einen lesbisch-queer-trans-butch-femme und so viele weitere intersektionale Faktoren thematisierenden Roman für ein eindimensional-lesbisch gedachtes Lesepublikum einfacher konsumierbar zu machen. Dafür spricht auch, dass Krug & Schadenberg sich für Feinbergs zweiten Roman Drag King Dreams (2006) nicht interessierte und daher der Querverlag die deutsche Übersetzung dieses intersektionale Verschränkungen von Identitäten und Politiken thematisierenden Buches herausbrachte. Auch der trans-butch-identifizierte Autor Ivan E. Coyote wurde von dem Verlag durchgängig als ›Autorin‹ ohne Unterstrich oder Sternchen und mit ausschließlich femininen Pronomen falsch geführt. Coyote wurde in seiner Autorenbiografie von Krug & Schadenberg zwar als queer, nicht jedoch seiner transmaskulinen Identifizierung entsprechend benannt und damit – über die Selbstidentifizierung des Autors hinweggehend – für ein scheuklappen-lesbisches Publikum vermarktbar gemacht (vgl. Krug & Schadenberg o. D.). Der Verlag existiert seit 2023 nicht mehr.
  16. Trans exclusionary radical feminists.
  17. Lynn Breedloves Facebook-Beitrag vom 18.11.2014:»dear leslie feinberg. when i first met you in 93 on the page. stone butch blues, you said it wasn’t your life story. but it was ours. love, lynnee«.
  18. Ebd.: »mapped my world without flourish, straight line truth, untold life, poetry of masculinity and the women who got it, who shaped me, us crushed, bashing back, standing up, all the parts, dodging hate, chasing love. how to inlay violence, move along, find a point on a line you can stay, inspire a generation and let it rush past you, so there will always be home, true north, a parent who understood. thank you for showing us treasure map-making. starry travels.«
  19. Es wird bewusst anstelle des Begriffs ›Ausschlussmechanismus‹ das Wort ›Ausschließungsmechanismus‹ verwendet, um zu betonen, dass es ein Prozess ist, der (auch) auf aktiven Handlungen beruht.
  20. Der Begriff safe space bezeichnet einen Raum, welcher sich durch die Abwesenheit von diskriminierenden Strukturen auszeichnet und somit einen gewalt- und diskriminierungsfreien Ort bieten möchte. Die Abänderung zu safer space verdeutlicht, dass dies eine nicht umsetzbare Idee ist, da es sich bei gesellschaftlichen Strukturen, wie beispielsweise dem Patriarchat und Rassismus, um tief verwurzelte Konstrukte handelt, die nicht einfach aus einem Raum ausgekoppelt werden können (vgl. Carroll 2015: 37). Stattdessen kann nur versucht werden, diese zu reflektieren und einen diskriminierungs- und gewaltarmen Raum zu schaffen.
  21. Renner ersetzt den Raumbegriff Lotmans durch den Begriff der ›Menge‹. Mengen können durch örtliche Zuschreibung oder soziale Zugehörigkeit, Religion und Nation gebildet werden (vgl. Renner 2004: 363–364).
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