Bibliothek:Stalin Werke, Band 1/Arbeiter des Kaukasus, es ist Zeit, Rache zu nehmen!

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Arbeiter des Kaukasus, es ist Zeit, Rache zu nehmen!
Written byJosef Stalin
First published8. Januar 1905
TypeProklamation
Sourcehttps://web.archive.org/web/20070517083532/http://www.stalinwerke.de/band01/b01-011.html


Die Bataillone des Zaren lichten sich, die Flotte des Zaren geht zugrunde, Port Arthur hat endlich schmählich kapituliert, - und dadurch tritt noch einmal die Morschheit der zaristischen Selbstherrschaft zutage...

Die schlechte Ernährung und das Fehlen jedweder sanitären Maßnahmen lassen ansteckende Krankheiten unter den Soldaten um sich greifen. Diese unerträglichen Zustände werden noch schlimmer dadurch, dass es an einigermaßen leidlichen Unterkünften und an Bekleidung fehlt. Die geschwächten, abgequälten Soldaten sterben wie die Fliegen. Und das, nachdem Zehntausende durch Kugeln ums Leben gekommen sind! ... Alles das ruft unter den Soldaten Gärung und Unzufriedenheit hervor. Die Soldaten erwachen aus ihrem Schlaf, sie beginnen sich als Menschen zu fühlen, sie unterwerfen sich schon nicht mehr blind den Befehlen ihrer Vorgesetzten und empfangen häufig die übereifrigen Offiziere mit Pfiffen und Drohungen.

Da schreibt uns ein Offizier aus dem Fernen Osten:

„Ich habe eine Dummheit gemacht! Auf Verlangen meines Vorgesetzten hielt ich kürzlich vor den Soldaten eine Rede. Kaum hatte ich begonnen, von der Notwendigkeit zu sprechen, sich für den Zaren und das Vaterland einzusetzen, als ein Gepfeife, Geschimpfe und Drohungen mich überschütteten ... Ich war gezwungen, mich von der wutentbrannten Menge recht weit zu entfernen ..."

So steht die Sache im Fernen Osten!

Man füge hierzu die Unruhen unter den Reservisten in Rußland, ihre revolutionären Demonstrationen in Odessa, Jekaterinoslaw, Kursk, Pensa und anderen Städten, die Proteste der Rekruten in Gurien, Imeretien, Kartalinien, Süd- und Nordrußland, man beachte, dass weder Gefängnis noch Kugeln die Protestierenden zurückschrecken (kürzlich wurden in Pensa mehrere Reservisten wegen einer Demonstration erschossen), und man begreift leicht, was der russische Soldat denkt...

Die zaristische Selbstherrschaft verliert ihre Hauptstütze - ihr „zuverlässiges Heer"!

Auf der anderen Seite schmilzt der zaristische Staatsschatz von Tag zu Tag mehr zusammen. Eine Niederlage folgt der anderen. Die Zarenregierung verliert allmählich das Vertrauen in den Augen der ausländischen Staaten. Sie kann sich nur mit Mühe die nötigen Gelder beschaffen, und nicht fern ist die Zeit, wo sie jeden Kredit verloren haben wird! „Wer wird uns bezahlen, wenn man dich stürzt, und dein Sturz wird gewiss nicht mehr lange auf sich warten lassen", mit solcher Antwort wird die Zarenregierung, die jedes Vertrauen verloren hat, weggeschickt! Das Volk aber, das enterbte, hungrige Volk, was kann es der Zarenregierung geben, wenn es selber nichts zu essen hat!

Die zaristische Selbstherrschaft verliert also auch ihre zweite Hauptstütze - die wohlgefüllte Staatskasse mit dem sie nährenden Kredit!

Gleichzeitig damit wächst von Tag zu Tag die Industriekrise, Fabriken und Werke werden stillgelegt, Millionen von Arbeitern verlangen Brot und Arbeit. Die Hungersnot packt mit neuer Kraft die gemarterte Dorfarmut. Immer höher gehen die Wogen der Volksempörung, immer stärker schlagen sie an den Zarenthron, - und die morsche zaristische Selbstherrschaft wankt bis auf die Grundfesten...

Die hart bedrängte zaristische Selbstherrschaft streift, einer Schlange gleich, die alte Haut ab, und während das unzufriedene Rußland zum entscheidenden Sturmangriff rüstet, lässt sie ihre Peitsche beiseite (scheinbar beiseite!) und verkündet, in einen Schafspelz verkleidet, eine Politik der Versöhnung!

Hört ihr, Genossen? Sie bittet uns, das Sausen der Peitschen und das Schwirren der Kugeln, die Hunderte von gefallenen Heldengenossen und ihre ruhmreichen Manen zu vergessen, die um uns schweben und uns zuraunen: „Rächt uns!"

Die Selbstherrschaft streckt uns schamlos ihre blutbefleckten Hände hin und gibt uns den Rat, uns mit ihr zu versöhnen! Sie hat irgendeinen „allerhöchsten Ukas"[23] veröffentlicht, worin sie uns irgendeine „Freiheit" verheißt... Die alten Räuber! Sie gedenken, die Millionen hungernden Proletarier Rußlands mit Worten zu sättigen! Sie hoffen, die verelendete und gemarterte, viele Millionen zählende Bauernschaft mit Worten zufrieden zu stellen! Sie wollen mit Versprechungen das Weinen der verwaisten Familien der Kriegsopfer ersticken! Die Kläglichen! Sie ertrinken und greifen nach einem Strohhalm! ...

Jawohl, Genossen, bis auf die Grundfesten wankt der Thron der Zarenregierung! Die Regierung, die die uns geraubten Steuern als Gehälter an unsere Henker verteilt - an Minister, Gouverneure, Kreishauptleute und Gefängnisdirektoren, Polizeivorsteher, Gendarmen und Spione; die die unter uns ausgehobenen Soldaten - unsere Brüder und Söhne - zwingt, unser eigenes Blut zu vergießen; die in jeder Weise die Gutsherren und Unternehmer in ihrem tagtäglichen Kampf gegen uns unterstützt; die uns an Händen und Füßen gefesselt und uns zu rechtlosen Sklaven gemacht hat; die unsere Menschenwürde - unser Allerheiligstes - bestialisch mit Füßen getreten und verhöhnt hat, - gerade diese Regierung wackelt jetzt und verliert den Boden unter den Füßen!

Es ist Zeit, Rache zu nehmen! Rache zu nehmen für unsere ruhmreichen Genossen, die von den Zarenschergen in Jaroslawl, Dombrowa, Riga, Petersburg, Moskau, Batum, Tiflis, Slatoust, Tichorezkaja, Michailow, Kischinew, Gomel, Jakutsk, Gurien, Baku und anderen Gegenden bestialisch gemordet wurden! Es ist Zeit, von der Zarenregierung Rechenschaft zu verlangen für die ganz unschuldigen Unglücklichen, die zu Zehntausenden auf den Feldern des Fernen Ostens umgekommen sind! Es ist Zeit, die Tränen ihrer Frauen und Kinder zu trocknen! Es ist Zeit, sie zur Verantwortung zu ziehen für die Leiden und Erniedrigungen, für die die Menschen schändenden Ketten, in die sie uns vor langer Zeit geschlagen hat! Es ist Zeit, mit der Zarenregierung Schluss zu machen und den Weg zu bahnen zu einer sozialistischen Ordnung! Es ist Zeit, das Zarenregime in Scherben zu schlagen!

Und wir werden es in Scherben schlagen.

Vergebens bemühen sich die Herren Liberalen, den einstürzenden Thron des Zaren zu retten! Vergebens strecken sie dem Zaren die helfende Hand entgegen! Sie bemühen sich, von ihm ein Almosen zu erflehen und ihn für ihr „Verfassungsprojekt" [24] geneigt zu machen, um sich durch kleine Reformen den Weg zur politischen Herrschaft zu bahnen, den Zaren zu ihrer Waffe zu machen, die Selbstherrschaft des Zaren zu ersetzen durch die Selbstherrschaft der Bourgeoisie und dann das Proletariat und die Bauernschaft planmäßig zu würgen! Aber umsonst! Zu spät, ihr Herren Liberalen! Blickt um euch, was euch die Zarenregierung gegeben hat, seht euch ihren „allerhöchsten Ukas" an: die kleine „Freiheit" der „städtischen und Semstwoinstitutionen", die kleine „Garantie" gegen „die Schmälerung der Rechte der Privatpersonen", die kleine „Freiheit" des „gedruckten Worts" und die große Ermahnung zur „unbedingten Wahrung der Unerschütterlichkeit der Reichsgrundgesetze", zur „Ergreifung wirksamer Maßnahmen zwecks Wahrung der vollen Kraft des Gesetzes, der in einem absolutistischen Staate wichtigsten Stütze des Throns"!... Und was geschah? Man hatte den lächerlichen „Befehl" des lächerlichen Zaren noch nicht verdaut, als die Zeitungen mit einem Hagel von „Warnungen" überschüttet wurden, als die Überfälle der Gendarmen und Polizisten einsetzten und sogar friedliche Bankette verboten wurden! Die Zarenregierung hat sich selbst bemüht zu beweisen, dass sie in ihren geringfügigen Versprechungen nicht über klägliche Worte hinausgehen wird.

Auf der anderen Seite rüsten die empörten Volksmassen zur Revolution, und nicht zur Versöhnung mit dem Zaren. Sie halten sich nachdrücklich an das Sprichwort: „Den Buckligen kann nur der Tod gradmachen." Jawohl, ihr Herren, eure Bemühungen sind vergebens! Die russische Revolution ist unabwendbar. Sie ist ebenso unabwendbar, wie der Sonnenaufgang unabwendbar ist! Könnt ihr der aufgehenden Sonne Einhalt gebieten? Die Hauptmacht dieser Revolution ist das städtische und ländliche Proletariat, ihr Bannerträger aber ist die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, und nicht ihr, meine Herren Liberalen! Warum vergesst ihr diese augenscheinliche „Kleinigkeit"?

Schon erhebt sich der Sturm, der Vorbote des Morgenrots. Erst kürzlich hat das kaukasische Proletariat von Baku bis Batum der zaristischen Selbstherrschaft einmütig seine Verachtung bezeigt. Kein Zweifel, dass dieser wackere Versuch der kaukasischen Proletarier an den Proletariern der anderen Gegenden Rußlands nicht folgenlos vorübergehen wird. Blättert ferner die zahllosen Resolutionen der Arbeiter durch, die der Zarenregierung ihre tiefe Verachtung aussprechen; horcht auf das dumpfe, aber starke Murren in den Dörfern - und ihr werdet euch überzeugen, dass Rußland ein geladenes Gewehr mit gespanntem Hahn ist, das bei der kleinsten Erschütterung losgehen kann. Jawohl, Genossen, die Zeit ist nicht fern, wo die russische Revolution die Segel hissen und den schändlichen Thron des verabscheuungswürdigen Zaren „vom Antlitz der Erde wegfegen" wird!

Unsere ureigenste Pflicht ist es, für diesen Augenblick gerüstet zu sein. Also rüsten wir uns, Genossen! Lasst uns den guten Samen in den breiten Massen des Proletariats aussäen. Reichen wir einander die Hände und schließen wir uns zusammen um die Parteikomitees! Wir dürfen keinen Augenblick vergessen, dass nur die Parteikomitees uns in würdiger Weise führen können, dass nur sie uns den Weg beleuchten können in das „gelobte Land", das sozialistische Welt heißt! Die Partei, die uns die Augen geöffnet und die Feinde gewiesen hat, die uns zu einer machtvollen Armee zusammengefasst und uns in den Kampf gegen die Feinde geführt hat, die uns in Freud und Leid nicht verlassen hat und uns immer vorangeschritten ist, das ist die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands! Sie wird uns auch in Zukunft führen, und nur sie“

Eine Konstituierende Versammlung, gewählt auf der Grundlage der allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmabgabe - das ist es, wofür wir jetzt kämpfen müssen!

Nur eine solche Versammlung wird uns die demokratische Republik bringen, die wir in unserem Kampf für den Sozialismus dringend nötig haben.

Vorwärts denn also, Genossen! Wenn die zaristische Selbstherrschaft wankt, ist es unsere Pflicht, zum entscheidenden Ansturm zu rüsten! Es ist Zeit, Rache zu nehmen!

Nieder mit der zaristischen Selbstherrschaft!

Es lebe die allgemeine Konstituierende Versammlung!

Es lebe die demokratische Republik!

Es lebe die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands!

Januar 1905.