Bibliothek:Stalin Werke, Band 1/Brief aus Kutais (Von dem gleichen Genossen)

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Brief aus Kutais (Von dem gleichen Genossen)
Written byJosef Stalin
Written inOktober 1904
First published1952
TypeBrief
Sourcehttps://web.archive.org/web/20070523182802/http://www.stalinwerke.de/band01/b01-009.html


Habe mich mit dem Brief verspätet, sei nicht böse. Ich war dauernd beschäftigt. Alles von Dir Geschickte habe ich erhalten (Protokolle der Liga; "Unsere Missverständnisse" von Galorka und Rjadowoi; "Sozialdemokrat" Nr. 1; die letzten Nummern der "Iskra"). Der Gedanke Rjadowois ("Eine der Schlussfolgerungen") hat mir gefallen. Gut ist auch der Artikel gegen Rosa Luxemburg. Diese Herrschaften - Rosa, Kautsky, Plechanow, Axelrod, Wera Sassulitsch u. a. - haben offenbar als alte Bekannte irgendwelche Familientraditionen ausgearbeitet. Sie können nicht einander "untreu werden", sie verteidigen einander so, wie die Mitglieder eines Klans patriarchalischer Stämme einander verteidigten, ohne sich auf eine Untersuchung der Schuld oder Unschuld des Verwandten einzulassen. Gerade dieses "verwandtschaftliche" Familiengefühl hat Rosa gehindert, die Parteikrise objektiv zu betrachten (natürlich gibt es auch andere Gründe, z. B. schlechte Bekanntschaft mit den Tatsachen, die Auslandsbrille usw.). Ebenso erklären sich übrigens auch einige unwürdige Handlungen Plechanows, Kautskys u.a.

Hier gefallen allen die von Bontsch herausgegebenen Schriften als meisterhafte Wiedergabe des Standpunkts der Bolschewiki. Galorka würde gut getan haben, wenn er auf die Artikel Plechanows (Nr. 70 und 71 der "Iskra") sachlich eingegangen wäre. Der Hauptgedanke der Artikel Galorkas ist der, dass Plechanow früher das eine gesagt hat und jetzt das andere sagt, also sich selber widerspreche. Wichtigkeit! Als ob das eine Neuigkeit wäre! Er widerspricht sich nicht zum ersten Mal. Und er ist darauf vielleicht sogar stolz und hält sich für eine lebendige Verkörperung des "dialektischen Prozesses". Selbstredend ist die Inkonsequenz ein Makel auf der politischen Physiognomie eines "Führers", und er (der Makel) muss zweifellos vermerkt werden. Hier aber (d.h. in Nr. 70 und 71) handelt es sich nicht darum, sondern um eine wichtige Frage der Theorie (die Frage des Verhältnisses von Sein und Bewusstsein) und der Taktik (das Verhältnis der Geführten zu den Führern). Galorka hätte meiner Meinung nach zeigen müssen, dass Plechanows theoretischer Krieg gegen Lenin die reinste Donquichotterie, ein Krieg gegen Windmühlen ist, da Lenin in seinem Büchlein in konsequentester Weise sich an den Satz von K. Marx über die Entstehung des Bewusstseins hält. Plechanows Krieg in der Frage der Taktik aber ist eine einzige Konfusion, charakteristisch für ein "Individuum", das in das Lager der Opportunisten hinübergeht. Hätte Plechanow die Frage klar gestellt, sei es auch nur in dieser Fassung: "Wer formuliert das Programm, die Führer oder die Geführten?" Und dann: "Wer hebt wen zum Verständnis des Programms empor, die Führer die Geführten oder die letzteren die ersteren?" Oder: "Vielleicht ist es unerwünscht, dass die Führer die Masse bis zum Verständnis des Programms, der Taktik und der Prinzipien der Organisation emporheben?" Hätte Plechanow sich diese Fragen so klar gestellt, die kraft ihrer Einfachheit und Tautologie ihre Lösung in sich selbst enthalten, so wäre er vielleicht über seine Absicht erschrocken und nicht mit solchem Getöse gegen Lenin aufgetreten. Und da Plechanow dies nicht getan hat, d. h. da er die Frage mit Phrasen über "Helden und Haufen" verwirrt hat, ist er in die Richtung des taktischen Opportunismus abgeschwenkt. Verwirrung der Fragen ist ein Charakterzug der Opportunisten.

Hätte Galorka diese und ähnliche Fragen ihrem Wesen nach gestellt, so wäre das meiner Ansicht nach besser gewesen. Du wirst sagen, dies sei Lenins Sache, aber ich kann mich hiermit nicht einverstanden erklären, da die kritisierten Ansichten Lenins nicht Lenins Eigentum sind, und ihre Entstellung die anderen Parteigenossen nicht weniger berührt als Lenin. Natürlich hätte Lenin besser als die anderen diese Aufgabe bewältigen können.

Es liegen bereits Resolutionen zugunsten der von Bontsch herausgegebenen Schriften vor. Vielleicht wird auch Geld einlaufen. Du hast. wahrscheinlich in Nr. 74 der "Iskra" die Resolutionen "zugunsten des Friedens" gelesen. Die Resolutionen des Imeretinisch-Mingrelischen und des Bakuer Komitees wurden nicht erwähnt, weil in ihnen nichts über ein "Vertrauen" zum ZK enthalten war. Die Septemberresolutionen verlangten, wie ich geschrieben habe, nachdrücklich einen Parteitag. Wollen wir sehen, was kommt, d. h. was die Resultate der Sitzungen des Parteirates[17] zeigen werden. Hast Du die 6 Rubel bekommen oder nicht? In diesen Tagen bekommst Du noch mehr. Vergiss nicht, durch jenes Subjekt die Broschüre "Brief an einen Genossen“[18] zu schicken, hier haben sie viele nicht gelesen. Schicke auch die nächste Nummer des "Sozialdemokrat".

Kostrow[19] hat uns noch einen Brief geschickt, wo er von Geist und Stoff spricht (es scheint, es ist von Baumwollstoff die Rede). Dieser Esel begreift nicht, dass er nicht den Leserkreis der Zeitung "Kwali"[20] vor sich hat. Was gehen ihn die Organisationsfragen an?

Die neue (7.) Nummer der Zeitung "Borba Proletariata" ("Proletariatis Brdsola")[21] ist erschienen. Übrigens steht dort ein Artikel von mir gegen den organisatorischen und politischen Föderalismus[22]. Wenn ich kann, schicke ich diese Nummer.