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Zum Gedächtnis des Kommunistischen Manifestes | |
|---|---|
| Autor*in | Antonio Labriola |
| Verfasst in | 1895 |
| Verlag | Leipziger Buchdruckerei Aktiengesellschaft |
| Veröffentlicht | 1909 Leipzig |
| Quelle | https://www.marxists.org/deutsch/archiv/labriola/1895/manifest/index.htm |
Einleitung von Franz Mehring
Steglitz-Berlin, November 1909
Wenn wir die Abhandlung Antonio Labriolas über das Kommunistische Manifest durch eine Übersetzung den deutschen Arbeitern zugänglich machen, so geschieht es in erster Reihe um ihres sachlichen Wertes willen.
Labriola selbst wollte nur eine Gedenkschrift zu dem herannahenden fünfzigsten Geburtstage des Manifestes veröffentlichen, als er seine Arbeit im Frühling 1895 in italienischer und französischer Sprache zum erstenmal herausgab; er wollte weder eine Analyse noch einen Kommentar der weltgeschichtlichen Urkunde geben. Allein indem er die Entstehungsgeschichte des Manifestes schilderte und zugleich dessen Wirkungen in den Kreis seiner Darstellung zog, gab er doch beides, sowohl eine Analyse, wie einen Kommentar. Als leicht faßliche und durchsichtig klare Einführung in die Gedankenwelt des Manifestes steht seine Arbeit ebenbürtig neben der kleinen Schrift von Engels über Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, von der sie im übrigen völlig unabhängig ist.
Beide Schriften wiederholen sich so wenig, wie sie sich widersprechen, vielmehr ergänzen sie einander. Schon als Mitverfasser des Manifestes konnte Engels vieles nicht sagen, was Labriola mit gebührendem Nachdruck hervorhebt. Jedoch auch seine Art zu sehen ist eine andere. Labriola hat den historischen Materialismus, wie ihn Marx und Engels entwickelt haben, vollkommen durchdrungen, aber er reproduziert ihn als selbständiger Denker. So hat er abwechselnd den Vorwurf hören müssen, ein orthodoxer Marxist aber auch überhaupt kein Marxist zu sein. Darauf antwortete er mit feiner Ironie: „Ich bin kein Paladin von Marx, und ich nehme alle Kritiken an; ich bin selbst ein Kritiker in allem, was ich schreibe, und ich verleugne nicht den Satz: Verstehen heißt überwinden. Aber es scheint mir doch, notwendig, hinzuzufügen: Überwinden heißt verstanden haben.“ Gutmütiger und zugleich gründlicher ist der Revisionismus, und was in dies Gebiet schlägt, nie abgefertigt worden.
Labriola hat den historischen Materialismus verstanden, wie wenige. Er war aufs innigste vertraut mit der deutschen Literatur und namentlich auch mit der deutschen Philosophie. Als er Die heilige Familie von Marx und Engels, die doch selbst dem deutschen Leser so manches Kopfzerbrechen verursacht, zum ersten Male las, begrüßte er sie wie eine alte Freundin; er fühlte sich durch sie in seine Jugend zurückversetzt, die er unter den Hegelianern in Neapel verlebt hatte. Selbst bürgerliche Blätter rühmten bei seinem Tode: „Uns Deutsche geht sein Hinscheiden besonders deswegen an, weil wir in ihm den eifrigsten und kenntnisreichsten Vermittler deutschen Geistes in Italien verlieren“. Ein solcher Vermittler ist Labriola aber vor allem auf dem Gebiete des Sozialismus gewesen.
Er würdigte vollkommen die Schwierigkeit, die Werke von Marx und Engels in die romanischen Sprachen zu übertragen. „Seit siebenunddreißig Jahren“, schrieb er im Mai 1897, „lese ich deutsche Werke, und es hat mir immer scheinen wollen, daß wir, die Völker der lateinischen Zunge, in seltsamer Weise unsere sprachlichen und schriftstellerischen Fähigkeiten verlieren, wenn wir aus dieser Sprache übersetzen. Was im Deutschen voll Kraft und Klarheit und ergreifend ist, wird sehr oft, zum Beispiel im Italienischen, kalt, ohne Relief und manchmal selbst reiner Gallimathias“. Deshalb wollte Labriola ganz den Deutschen überlassen, die Werke von Marx und Engels herauszugeben und zu erläutern. Beide seien zwar internationale Geister, aber „die Form ihrer Gehirne, der Gang ihrer Produktionen, die Organisation ihrer Art zu sehen, ihre wissenschaftliche Bildung und ihre Philosophie sind die Frucht und das Resultat der deutschen Kultur“. Die romanischen Nationen empfahl Labriola, ihre eigene Geschichte mit der historisch-materialistischen Methode zu erleuchten, und er selbst weiß diese Methode mit einer unübertrefflichen Sicherheit zu handhaben, mit einer Sicherheit, die ein stählendes Geistesband auch für uns Deutsche ist, bei denen es in diesem Punkt auch manchmal hapert, trotz der Klarheit und Kraft, die Labriola bei uns vorauszusetzen so wohlwollend war.
Es ist sein bleibendes Verdienst, an seinem Teil die Schranken niedergerissen zu haben, die dem geschlossenen Zusammengehen des internationalen Proletariats durch die nationalen Unterschiede erwachsen, in erster Reihe durch die Unterschiede des Geisteslebens im deutschen Volk und in den romanischen Nationen. Von den Hindernissen, die ihr dadurch bereitet werden, weiß die internationale Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts fast auf jeder Seite zu erzählen. Die ökonomischen Unterschiede zwischen den Ländern, in denen sich die kapitalistische Produktionsweise durchgesetzt hat und durchsetzt, gleichen sich mehr und mehr aus; hier stößt die brutale Gewalt der Tatsachen die Proletarier der verschiedenen Länder unablässig auf ihre gemeinsamen Interessen. Aber weit schwieriger ist es, die überlieferten und an sich so verschiedenen Denkformen, in denen die Arbeiter Deutschlands, Frankreichs, Italiens und anderer Länder ausgewachsen sind, aus- und umzuschalten in die Denkformen des modernen wissenschaftlichen Sozialismus, der mit einem sehr krausen Schlüssel geöffnet worden ist, mit der deutschen und namentlich mit der Hegelschen Philosophie.
Von ihr war Labriola, wie Marx und Engels, zum Sozialismus gekommen. Es ist hier nicht der Ort, auf seine früheren philosophischen Schriften einzugehen; genug daß er sich in heißer Arbeit und in schweren Kämpfen zur proletarischen Weltanschauung durchgerungen hat, obgleich oder vielmehr weil seine sozialistischen Schriften nichts davon verraten. Diese durchsichtige Klarheit, diese sichere Beherrschung des Stoffes findet man nicht am Wege. Aber eben weil diese Schriften nicht erklügelt, Sondern erlebt sind, ergreifen sie mit lebendiger Gewalt den Leser. Es ist echtester Marxismus, unverfälschter Wein, jedoch umgegossen in romanische Darstellungs- und Denkform, frei von aller Pedanterie und allem Schulstaub, wovon die deutsche Denkform sich so schwer befreit.
Auch nach seiner Wendung zum wissenschaftlichen Sozialismus blieb Labriola in seiner Stellung als Professor an der Universität in Rom. Auf diesem alten Kulturboden achtet man – im Gegensatze zum neureichsdeutschen Protzenpatriotismus – die Wissenschaft auch noch, wenn ihre Ergebnisse den profitablen Augenblicksinteressen der herrschenden Klassen widersprechen. Auf der anderen Seite war es ein ehrenvolles Zeugnis für Labriola, daß er die Würde des sozialistischen Revolutionärs auch in einer offiziellen Stellung zu behaupten wußte. Mindestens seit dem Jahre 1895, seit der Veröffentlichung dieser Abhandlung über das Kommunistische Manifest, war er allgemein als Marxist bekannt, und er gehörte nicht zu denen, die den Marxismus mit irgendwelchen gelehrten oder gelehrt scheinenden Vorbehalten bekennen. Er vertrat ihn frank und frei.
Freilich ein Vielschreiber ist er nie gewesen; so sind auch seine sozialistischen Schriften wenig umfangreich. Neben der vorliegenden Gedenkschrift hat er noch eine vorläufige Aufklärung über den historischen Materialismus (beide Arbeiten sind von ihm unter dem gemeinsamen Titel: Essays über die materialistische Geschichtsauffassung zusammengefaßt worden), sowie eine Reihe von Briefen über Philosophie und Sozialismus veröffentlicht. Aber als Sozialist hat er doch immer noch mehr geschrieben, denn als Philosoph. Er sagt einmal: „Ich habe niemals eine sehr große Neigung gehabt, für das Publikum zu schreiben, und ich habe mich niemals um die Kunst zu schreiben gekümmert, so wenig, daß ich meine Feder gewöhnlich nur laufen lasse. Ich habe im Gegenteil immer die mündliche Unterweisung geliebt und liebe sie noch in allen ihren Formen. Erst später, als ich Sozialist geworden war, bin ich in dieser intellektuellen Wiedergeburt begieriger geworden, mit dem Publikum zu verkehren, durch Flugblätter, durch Gelegenheitsbriefe, durch Adressen, die sich mit den Jahren, sozusagen ohne mein Vorwissen, vervielfältigt haben.“ Da haben wir gleich den ganzen Mann; der deutsche Professor, den die Wehen der intellektuellen Wiedergeburt überraschen, flüchtet vielmehr in sein entlegenstes Kämmerlein.
Vom deutschen Professor hatte Labriola auch sonst nichts. Er kannte diese Rasse und redet sie einmal an: „In Deutschland erhalten die alten feudalen Gewohnheiten, die protestantische Heuchelei und die Feigheit einer Bourgeoisie, die zwar die Gunst der ökonomischen Umstände ausnützt, aber weder revolutionären Geist noch revolutionären Mut entwickelt, dem Wesen Staat den trügerischen Schein einer sittlichen Mission. In wieviel wenig appetitlichen Saucen habt ihr uns diese Ethik des Staates, und obendrein des preußischen, serviert, ihr deutschen Professoren, schwerfällig und pedantisch wie ihr seid.“ Von den deutschen Professoren unterschied sich Labriola noch in einer anderen Beziehung, die er mit den Worten andeutet: „Einige – es sind ihrer wenige – bieten dem Publikum das Ergebnis ihrer eigenen Arbeit und glauben nicht, die intime Geschichte ihrer Lektüre oder gar die Photographie ihrer Feder beifügen zu müssen. Andere – und Sie sind in der großen Mehrzahl – empfinden das gebieterische Bedürfnis, die ganze Frucht ihrer Lektüre drucken zu lassen. Sie sind aufmerksame Hüter ihrer Hefte, damit nichts von ihren Mühen für die Gegenwart oder die Zukunft verloren gehe.“ Zu jenen Wenigen gehörte Labriola. Wenn er behauptete, die Kunst des Schreibens nicht zu verstehen, so sprach er mit der lässigen Überlegenheit, die sich die Meister des Stiles erlauben dürfen, wie etwa Lessing geringschätzig von seinen „Schmierereien“ zu sprechen pflegte. Labriolas Schriften scheinen flüchtig und leicht hingeworfen zu sein, aber wie fest und sicher sind sie aufgebaut, wie durchdacht bis ins letzte Wort, und im Inhalt, wie klar und tief!
So glauben wir den deutschen Arbeitern einen Dienst zu erweisen, wenn wir ihnen zunächst die Gedenkschrift Labriolas über das Kommunistische Manifest zugänglich machen. Keiner von ihnen wird sie ohne reichen Nutzen lesen, ohne schärfer und tiefer in das Manifest einzubringen, das jedem klassenbewußten Arbeiter in Fleisch und Blut übergegangen sein sollte, wenn auch leider noch nicht übergegangen ist, eben wegen der Schwierigkeit, die fein Verständnis bietet. Hier kann ihnen Labriola als sicherer Führer dienen, als ein Führer, den es sich wahrlich lohnt, kennen zu lernen.
Und auch um des Willen haben wir seine Schrift übersetzt. Labriola ist dem deutschen Proletariat unbekannt, unbekannter selbst als der deutschen Bourgeoisie. Er selbst hätte darüber am wenigsten geklagt; er wußte wohl, daß, wer so glücklich ist, unter der Fahne des proletarischen Klassenkampfes zu streiten und gleichwohl noch einen anderen Lohn begehrt, damit seinen Lohn dahin hat. Allein, was der Lebende nicht beansprucht hat, das gebührt dem Toten in desto reicherem Maße.
Im Jahre 1904 hat ein Kehlkopfleiden dem Leben Labriolas im Alter von 62 Jahren ein allzu frühes Ziel gesetzt. Er trug die tückische Krankheit mit der stoischen Ruhe des Weisen; eine wenige Tage vor seinem Tode an deutsche Freunde gerichtete Karte, worin er meldete, daß die Schwierigkeit der Nahrungsaufnahme ihn zum Skelett abgemagert habe, trug die unveränderten Züge seiner festen und männlichen Handschrift. Aber in den Jahrbüchern des internationalen Sozialismus wird er fortleben, als der Besten einer von denen, die das Werk von Marx und Engels fortgeführt haben.
Und so mag dies Schriftchen dazu beitragen, dein Bild auch unter den deutschen Arbeitern wach zu halten.
Teil 1
In drei Jahren werden wir unser Jubiläum feiern können. Das denkwürdige Datum, an dem das Manifest der Kommunistischen Partei veröffentlicht wurde (Februar 1848), erinnert an unseren ersten und unanfechtbaren Eintritt in die Geschichte. Auf dies Datum beziehen sich alle unsere abwägenden Urteile über die Fortschritte, die das Proletariat seit fünfzig Jahren gemacht hat. Dies Datum bezeichnet den Anfang der neuen Ära. Sie beginnt und erhebt sich, oder besser entbindet sich aus der gegenwärtigen Ära und entwickelt sich in geheimer und innerlicher Bildung, also notwendig und unausweichbar, wie immer ihre Wandlungen, die sich heute nicht vorhersehen lassen, aufeinander folgen mögen.
Alle diejenigen unter ans, denen es am Herzen liegt ober einfach ein Bedürfnis ist, die vollkommene Erkenntnis ihres eigenen Werkes zu besitzen, müssen sich die Ursachen und die treibenden Kräfte vergegenwärtigen, die einst die Entstehungsgeschichte des Manifestes bestimmt haben, die Umstände, unter denen es erschienen ist, am Vorabend der Revolution, die von Paris bis Wien, von Palermo bis Berlin ausbrach. Auf diese Weise nur werden wir in der gegenwärtigen sozialen Form die sich entfaltende Tendenz zum Sozialismus finden und folglich durch seinen gegenwärtigen Daseinsgrund die vermutete Notwendigkeit seines Triumphes begründen können.
* * *
Liegt hier nicht in der Tat der Nerv des Manifestes, sein Wesen und sein eigentlicher Charakter?
Man würde sicherlich einen falschen Weg einschlagen, wenn man als seinen wesentlichen Teil die Maßregeln betrachten wollte, die am Schlüsse des zweiten Kapitels angeraten und vorgeschlagen werden, für den Fall einer erfolgreichen proletarischen Revolution, oder die politisch orientierenden Fingerzeige, die man im vierten Kapitel über andere revolutionäre Parteien der damaligen Zeit findet. Obgleich diese Fingerzeige und Ratschläge erwogen zu werden verdienten, im Augenblick und unter den Umständen, wo sie formuliert und gegeben wurden, und obgleich sie sehr wichtig sind für ein genaues Urteil über die politische Aktion der deutschen Kommunisten in der revolutionären Periode von 1848 bis 1850, so bilden sie für uns fortan Schuldigkeit getan und tut sie noch als lebendige Kritik und literarische Geißel. Aber in den Ländern, wo diese Formen schon theoretisch und praktisch überwunden worden sind, wie in Deutschland und Österreich, oder nur noch bei einzelnen als individuelle Meinung überleben, wie in Frankreich und England, ohne von den anderen Nationen zu sprechen, hat das Manifest unter diesem Gesichtspunkt seine Rolle vollendet. Es registriert dann nur gleichsam zum Gedächtnis das, woran man nicht mehr zu denken braucht, nachdem die politische Aktion des Proletariats gegeben ist und sich in ihrem regelmäßig aufsteigenden Fortschritt abrollt.
Dies war genau die vorweggenommene Geistesdisposition derer, die es geschrieben haben. Durch die Kraft ihres Gedankens und auf einige Proben von Erfahrung hin hatten sie die Ereignisse überflügelt, und sie begnügten sich, die Ausschaltung und die Verurteilung dessen festzustellen, was sie überschritten hatten. Der kritische Kommunismus – das ist sein wahrer Name, und keiner trifft mehr auf diese Lehre zu – gab sich nicht dazu her, mit den Feudalen die alte Welt zurück zu ersehnen, um aus dem Gegensatze zu ihr die gegenwärtige Gesellschaft zu kritisieren: – er hatte nur die Zukunft im Auge. Er verband sich nicht mehr mit den Kleinbürgern in dem Wunsche zu retten, was nicht gerettet werden kann: – wie zum Beispiel das kleine Eigentum oder das ruhige Leben der kleinen Leute, das die schwindelerregende Aktion des modernen Staats, als notwendigen und natürlichen Organs der gegenwärtigen Gesellschaft, zerstört und umwälzt, weil er durch seine unaufhörlichen Revolutionen die Notwendigkeit anderer, neuer und tieferer Revolutionen in sich und mit sich führt. Er übersetzte ebensowenig die reellen Gegensätze der materiellen Interessen, die sich im Leben jedes Tages zeigen, in übernatürliche Grillen, in eine krankhafte Sentimentalität oder in eine religiöse Betrachtung: – er setzte im Gegenteile diese Kontraste in ihrer ganzen prosaischen Wirklichkeit auseinander. Er baute nicht die Gesellschaft der Zukunft nach einem Plane auf, der in jedem seiner Teile harmonisch entworfen war. Er hatte kein Wort des Lobes oder der Entzückung, der Anbetung oder der Klage für die beiden Göttinnen der philosophischen Mythologie: die Gerechtigkeit und die Gleichheit, diese beiden Göttinnen, die sich so traurig in der täglichen Praxis ausnehmen, wenn man sieht, daß sich die Geschichte so vieler Jahrhunderte den unschicklichen Zeitvertreib macht, fast immer ihren unfehlbaren Zumutungen zu widersprechen. Ja sogar, obgleich diese Kommunisten auf beweiskräftige Tatsachen hin den Proletariern die Mission zuschrieben, die Totengräber der Bourgeoisie zu sein, huldigten sie dieser Bourgeoisie als der Urheberin einer Gesellschaftsform, die nach außen und nach innen ein wichtiges Stadium des Fortschrittes darstellt und allein den Schauplatz der neuen Kämpfe schaffen kann, die dem Proletariat schon einen glücklichen Erfolg versprechen. Man schrieb niemals eine so grandiose Leichenrede. In diesen Lobsprüchen an die Adresse der Bourgeoisie liegt ein gewisser tragischer Humor; einige haben sie dithyrambisch gefunden.
So unanfechtbar die ablehnenden Definitionen der anderen, damals landläufigen und seitdem bis auf den heutigen Tag oft wieder erschienenen Arten des Sozialismus sind, in der Sache, in der Form und in dem nicht mehr eine Gesamtheit von praktischen Gesichtspunkten, für oder gegen die wir uns bei jedem Ereignis entscheiden müssen. Die politischen Parteien, die sich seit der Internationalen in den verschiedenen Ländern aufgetan haben, im Namen des Proletariats und mit ihm als unumwundener Grundlage, haben stets die gebieterische Notwendigkeit empfunden und empfinden sie noch, im Maße wie sie entstehen und sich entwickeln, ihr Programm und ihre Taktik den immer verschiedenen und vielfältigen Umständen anzupassen. Aber keine dieser Parteien steht die Diktatur des Proletariats so nahe, daß sie das Bedürfnis, den Wunsch oder nur die Versuchung empfindet, von neuem die im Manifeste vorgeschlagenen Maßregeln zu prüfen und über sie zu entscheiden. In Wirklichkeit gibt es an historischen Erfahrungen nur die, welche die Geschichte selbst macht; man kann sie so wenig voraussehen, wie sie sich nach überlegtem Vorsatz oder auf Befehl vollziehen. Das ist im Augenblick der Kommune eingetreten. Sie war, ist und bleibt bis heute die einzige annähernde, obgleich – da sie jählings ausbrach und von kurzer Dauer war – verworrene Erfahrung, die wir von der Aktion des Proletariats haben, sobald es zum Herrn der politischen Macht geworden ist. Diese Erfahrung war zudem weder gewollt noch gesucht, sondern durch die Umstände aufgezwungen; sie wurde heroisch durchgeführt und ist heute für uns eine heilsame Lehre geworden. Da, wo die sozialistische Bewegung erst in ihren Anfängen ist, kann es vorkommen, daß sie sich aus Mangel an persönlicher und unmittelbarer Erfahrung – wie es in Italien häufig ist – auf die Autorität eines Textes wie auf eine Vorschrift beruft, aber das ist im Grunde ohne jede Wichtigkeit.
* * *
Man darf nach meiner Ansicht den Nerv, das Wesen, den entscheidenden Charakter des Manifestes auch nicht in dem suchen, was es über andere Formen des Sozialismus sagt, von denen es unter dem Namen Literatur spricht. Das ganze dritte Kapitel kann ohne Zweifel dazu dienen, durch Ausschließung und Entgegensetzung, durch kurze aber kräftige und starke Charakteristiken die Unterschiede klarzustellen, die tatsächlich bestehen zwischen dem Kommunismus, der heute gewöhnlich wissenschaftlich genannt wird – ein oft unbesonnen gebrauchter Ausdruck – das heißt, zwischen dem Kommunismus, der zum Gegenstande das Proletariat und zur Aufgabe die proletarische Revolution hat, und den anderen Formen des Sozialismus: dem reaktionären, dem bürgerlichen, dem halbbürgerlichen, dem kleinbürgerlichen, dem utopistischen usw. Alle diese Formen, mit einer Ausnahme,[Anmerkung 1] sind wieder erschienen und haben sich mehr als einmal erneuert, sie erscheinen selbst heute wieder und erneuern Sich in den Ländern, wo die moderne proletarische Bewegung eben entsteht. In diesen Ländern und unter solchen Umständen hat das Manifest seine Zwecke, den sie sich setzen, so beanspruchen sie doch nicht, die wirkliche Geschichte des Sozialismus zu geben, und geben sie auch nicht. Dem, der diese Geschichte schreiben will, liefern sie weder den Aufriß, noch die Richtfähnchen. Die Geschichte beruht in der Tat nicht auf der Unterscheidung des Wahren und des Falschen, des Gerechten und des Ungerechten und noch weniger auf dem mehr abstrakten Gegensatze des Möglichen und des Wirklichen: wie wenn die Dinge auf der einen Seite waren und auf der anderen Seite ihre Schatten und ihre Reflexe in den Ideen hatten. Die Geschichte ist ganz aus einem Stück, und sie beruht auf dem Bildungs- und Umbildungsprozeß der Gesellschaft; das heißt, sie vollzieht sich auf eine objektive Art, unabhängig von unserer Billigung oder Mißbilligung. Die Geschichte ist eine Dynamit besonderer Art, um mit den Positivisten zu sprechen, die so lecker nach derartigen Ausdrücken sind, aber sich oft an das neue Wort klammern, das sie losgelassen haben. Die verschiedenen Formen sozialistischen Denkens und Handelns, die im Laufe der Jahrhunderte erschienen und verschwunden sind, so verschieden in ihren Ursachen, ihrem Aussehen und ihren Wirkungen, müssen alle studiert und erläutert werden durch die besonderen und verwickelten Verhältnisse des sozialen Lebens, unter denen sie entstanden sind. Indem man sie in der Nähe studiert, bemerkt man, daß sie kein einziges Ganzes ununterbrochenen Fortschrittes bilden, und daß ihre Reihe mehrmals unterbrochen worden ist durch den Wechsel des sozialen Komplexes und das Verschwinden und den Bruch der Überlieferung. Erst von der großen Revolution ab gibt es eine gewisse Einheit in der Entwicklung des Sozialismus, die klarer seit dem Jahre 1830 hervortritt, seitdem die Bourgeoisie in Frankreich und England endgültig das politische Ruder ergriff, und die endlich anschaulich und sozusagen handgreiflich seit der Internationalen wird. Auf diesem Wege erscheint das Manifest als ein großer Meilenstein, der eine doppelte Inschrift trägt: auf der einen Seite den Wiegendruck der neuen Lehre, die seitdem die Runde um die Welt gemacht hat, auf der anderen Seite die Orientierung über die Formen, die es ausschloß, jedoch ohne deren Geschichte zu schreiben.[Anmerkung 2]
* * *
Der Nerv, das Wesen, der entscheidende Charakter dieses Werkes sind ganz in der neuen Geschichtsauffassung enthalten, die es beseelt und zum Teil in ihm auseinandergesetzt und entwickelt wird. Dank dieser Auffassung hörte der Kommunismus auf, eine Hoffnung, eine Sehnsucht, eine Erinnerung, eine Vermutung, ein Ausweg zu sein und fand zum ersten Male seinen angemessenen Ausdruck in dem Bewußtsein seiner Notwendigkeit, das heißt in dem Bewußtsein, daß er das Ende oder die Lösung der gegenwärtigen Klassenkämpfe sei. Diese Kämpfe haben nach Ort und Zeit gewechselt, und an ihnen hat sich die Geschichte entwickelt, aber sie gehen in unseren Tagen alle auf den einen Kampf zurück, zwischen der kapitalistischen Bourgeoisie und den Arbeitern, die unvermeidlich proletarisiert werden. Das Manifest hat die Entstehungsgeschichte dieses Kampfes geschildert, es bestimmt den Rhythmus seiner Entwicklung und sagt sein endgültiges Ergebnis voraus.
Auf diese Geschichtsauffassung führt sie ganze Lehre des wissenschaftlichen Kommunismus zurück. Von diesem Augenblick an haben die theoretischen Gegner des Sozialismus nicht mehr über die abstrakte Möglichkeit der demokratischen Sozialisation der Produktionsmittel zu diskutieren:[Anmerkung 3] wie wenn es möglich wäre, in dieser Frage sein Urteil auf Folgerungen zu stützen, die sich auf die allgemeinen und gemeinsamen Anlagen der angeblichen menschlichen Natur gründen. Es handelt sich fortan darum, in dem Laufe der menschlichen Dinge eine Notwendigkeit, die über unsere Sympathie und unseren subjektiven Beifall hinausgeht, anzuerkennen oder nicht anzuerkennen. Ist die Gesellschaft in den zivilisatorisch vorgeschrittensten Ländern so organisiert, daß sie zum Kommunismus übergehen wird durch die Gesetze, die ihre eigene Zukunft bestimmen, sobald ihre gegenwärtige ökonomische Struktur und die Reibungen gegeben sind, die notwendig in ihrem eigenen Schoße entstehen und die sie schließlich zerbrechen und auflösen werden? Das ist der Gegenstand aller Diskussionen seit dem Erscheinen dieser Theorie. Und daher ergibt sich auch die Taktik, die sich der Aktion der sozialistischen Parteien aufzwingt, mögen sie nur aus Proletariern zusammengesetzt sein oder mögen sie in ihren Reihen Leute zahlen, die aus anderen Klassen hervorgegangen sind und sich als Freiwillige dem Heere der Arbeiterklasse anschließen.
Insofern nehmen wir gern den Beinamen wissenschaftlich an, wenn man uns dadurch nicht mit den Positivisten zusammen werfen will, mitunter lästigen Gästen, die sich aus der „Wissenschaft“ ein Monopol machen. Wir suchen nicht wie Advokaten oder Sophisten einen Satz von abstrakter Geltung zu behaupten, und wir strengen uns nicht an, die Vernunft unserer Zwecke zu beweisen. Wir suchen nichts anderes als den theoretischen Ausdruck und die praktische Auslegung der gegebenen Größen, wie sie uns die Prüfung der Entwicklung bietet, die sich unter uns und um ums vollzieht, die ganz in den tatsächlichen Beziehungen des sozialen Lebens enthalten ist, dessen Subjekt und Objekt, dessen Ursache und Zweck wir sind. Unsere Zwecke sind vernünftig, nicht weil sie sich auf Gründe der räsonierenden Vernunft stützen, sondern weil sie sich aus dem fachlichen Studium der Dinge ergeben, das will sagen, aus der Deutung ihrer Entwicklung, die kein Ergebnis unserer Wahl ist oder sein kann, sondern im Gegenteil über unseren individuellen Willen triumphiert und ihm sich unterwirft.
Keines der früheren oder späteren Werke, die von den Verfassern des Manifestes selbst herausgegeben worden sind und wissenschaftlich eine viel beträchtlichere Bedeutung haben, kann das Manifest ersetzen und hat dieselbe spezifische Wirkungskraft. Es gibt uns in seiner klassischen Einfachheit den wahrhaftigen Aufdruck dieser Situation: das moderne Proletariat ist, setzt sich, wächst und entwickelt sich in der zeitgenössischen Geschichte als das konkrete Subjekt, als die positive Kraft, deren notwendig revolutionäre Aktion im Kommunismus ihr notwendiges Ziel finden muß. Deshalb bildet dies Werk, indem es seiner Vorhersage eine theoretische Grundlage gibt und sie in bündigen, kurzen, lebendigen Formeln ausdrückt, eine Sammlung, ja mehr, eine unerschöpfliche Mine an Gedankenkeimen, die der Leser befruchten und unendlich vervielfältigen kann; es bewahrt die ganze echte und ursprüngliche Kraft der Sache, die eben geboren ist und sich noch nicht von dem erzeugenden Erdreich gelöst hat. Diese Bemerkung richtet sich vor allem an diejenigen, die als Heuchler einer gelehrten Unwissenheit, wenn es anders nicht Prahler, Quacksalber oder liebenswürdige Dilettanten sind, der Lehre des kritischen Kommunismus Vorläufer, Beschützer, Verbündete und Meister jeder Art geben, ohne Achtung vor dem gefunden Menschenverstand und der gewöhnlichsten Zeitrechnung. Entweder leiten sie unsere materialistische Geschichtsauffassung in die Theorie der allgemeinen Entwicklung zurück, die bei vielen nur eine neue Metapher einer neuen Metaphysik ist, oder sie suchen in dieser Lehre eine Abzweigung des Darwinismus, der nur unter einem gewissen Gesichtspunkt und in einem sehr weiten Sinne eine ähnliche Theorie ist, oder sie haben die Liebenswürdigkeit, uns mit dem Bündnis oder der Protektion der positivistischen Philosophie zu beschenken, die von Comte, dem entarteten und reaktionären Schüler des genialen Saint-Simon, bis zu Spencer, der Quintessenz der anarchistischen Spießbürgerei, reicht; mit anderen Worten, sie wollen uns unsere erklärtesten Gegner zu Verbündeten geben.
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Seinem Ursprunge verdankt dies Werk seine keimfähige Kraft, seine klassische Stärke und die Möglichkeit, auf so wenigen Seiten so viele Reihen und Gruppen an Gedanken zusammenzufassen.[Anmerkung 4]
Es ist das Werk zweier Deutschen, aber es ist, weder in der Form noch im Gehalt, der Ausdruck einer persönlichen Meinung. Man findet darin weder die Flüche, noch die Sorgen, noch die grollenden Ausbrüche, die allen politischen Flüchtlingen geläufig sind, und allen denen, die freiwillig ihr Vaterland verlassen hatten, um anderswo eine freiere Luft zu atmen. Man findet darin ebensowenig die unmittelbare Widerspiegelung ihrer vaterländischen Zustände, die damals politisch kläglich waren und, ökonomisch und sozial, nur auf einzelnen Landstrecken mit England und Frankreich verglichen werden konnten. Sie legten vielmehr den philosophischen Gedanken hinein, der allein ihr Vaterland auf die Höhe der zeitgenössischen Geschichte gehoben und darauf erhalten hatte; den philosophischen Gedanken, der genau mit ihnen die wichtige Umbildung erfuhr, die dem schon von Feuerbach erneuerten Materialismus erlaubte, sich mit der Dialektik zu verbinden und so die Bewegung der Geschichte in ihren geheimsten Ursachen zu erfassen und zu verstehen; in den Ursachen, die bis dahin nicht erforscht worden waren, wegen ihrer Verborgenheit und der Schwierigkeit, sie zu beobachten! Sie waren alle beide Kommunisten und Revolutionäre, aber sie waren es weder aus Instinkt, noch aus treibender Leidenschaft; sie hatten eine ganz neue Kritik der ökonomischen Wissenschaft ausgearbeitet, und sie hatten die historische Bedeutung und Verkettung der proletarischen Bewegung auf beiden Seiten des Kanals verstanden, in England und in Frankreich, bevor sie berufen wurden, in dem Manifeste dem Bunde der Kommunisten Prinzip und Programm zu geben. Dieser Bund hatte seinen Sitz in London und zahlreiche Verzweigungen auf dem Kontinent; er hatte ein eigenes Leben und eine eigene Entwicklung hinter sich.
Engels hatte schon einen kritischen Aufsatz veröffentlicht, worin er unter Verzicht auf einseitige und subjektive Verbesserungen zum ersten Male objektiv die Kritik der politischen Ökonomie aus den inneren Widersprüchen hervorgehen ließ, die den Begriffen und Grundsätzen der Ökonomie selbst anhängen, und er war berühmt geworden durch die Veröffentlichung eines Buches über die Lage der englischen Arbeiter, des ersten Versuchs, die Bewegungen der arbeitenden Klasse darzustellen als hervorgegangen aus dem Spiele der Produktivkräfte und der Produktionsmittel selbst. Marx hatte sich in einigen Jahren als radikaler Publizist in Deutschland, in Paris und in Brüssel bekannt gemacht; er hatte die ersten Elemente der materialistischen Geschichtsauffassung erfaßt; er hatte in theoretisch siegreicher Kritik die Hypothesen und Schlußfolgerungen der Proudhonschen Lehre widerlegt und die erste genaue Erklärung vom Ursprünge des Mehrwertes gegeben als Folge des Kaufs und Gebrauchs der Arbeitskraft, das heißt, den ersten Keim der Gedanken, die später, in ihrem Zusammenhange und in ihren Einzelheiten, in seinem Kapital aufgezeigt und auseinandergesetzt worden sind. Alle beide standen mit den Revolutionären der verschiedenen europäischen Länder, namentlich Frankreichs, Belgiens und Englands, in Verbindung; ihr Manifest war nicht die Auseinandersetzung ihrer persönlichen Meinung, sondern die Lehre einer Partei, deren Geist, Zweck und Tätigkeit schon die Internationale der Arbeiter bildeten.
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Hier sind die Anfänge des modernen Sozialismus. Wir finden hier die Linie, die ihn von dem ganzen Reste trennt.
Der Bund der Kommunisten war aus dem Bunde der Gerechten hervorgegangen; dieser hatte sich seinerseits, durch ein klares Bewußtsein seiner proletarischen Zwecke, stufenweise aus der ganzen Gattung der Flüchtlinge, der Verbannten gebildet. Als Typus, der im Keime die Form aller sonstigen sozialistischen und proletarischen Bewegungen in sich trug, hatte er die verschiedenen Phasen der Verschwörung und des Gleichheitssozialismus durchlaufen. Er wurde metaphysisch mit Grün und utopistisch mit Weitling. Mit seinem Hauptsitz in London, hatte er sich für die chartistische Bewegung interessiert und einigen Einfluß auf sie gehabt; diese Bewegung zeigte durch ihren ungeordneten Charakter, da sie weder die Frucht einer vorher überlegten Erfahrung, noch die Tat einer Verschwörung oder einer Sekte war, wie peinlich und schwierig es sei, die Partei der proletarischen Politik zu bilden. Die sozialistische Tendenz offenbarte sich im Chartismus erst, als die Bewegung nahe an ihrem Ende stand und tatsächlich endete (unvergeßlich sind Jones und Harney). Der Bund der Kommunisten witterte überall die Revolution, sowohl weil die Sache in der Luft lag, als auch weil sein Instinkt und seine Lernmethode ihn dahin drängten. Während die Revolution tatsächlich aufbrach, bewaffnete er sich, dank der neuen Lehre des Manifestes, mit einem Werkzeuge der Erkenntnis, das zugleich eine Waffe des Kampfes war. In der Tat schon international durch die Art und die verschiedene Herkunft seiner Mitglieder, und mehr noch durch den Instinkt und die Neigung aller, nahm er seinen Platz in der allgemeinen Bewegung des politischen Lebens, als der genaue und klare Vorläufer alles dessen, was man nicht ein einfaches Datum äußerlicher Zeitrechnung verstehen muß, sondern ein Anzeichen der Entwicklung, die sich in der Gesellschaft durch deren innerliche Umbildung vollzieht.
Eine lange Unterbrechung, von 1852 bis 1864, eine Periode der politischen Reaktion, in der zugleich die alten sozialistischen Schulen verschwanden, sich zerstreuten oder aufgerieben wurden, trennt die Internationale des Arbeiterbildungsvereins in London von der Internationalen, die im eigentlichen Sinne so genannt wird, die von 1864 bis 1873 daran arbeitete, den Kampf des europäischen und des amerikanischen Proletariats einheitlich zu gestalten. Die Aktion des Proletariats hatte andere Unterbrechungen, vornehmlich in Frankreich und mit Ausnahme Deutschlands, seit der Auflösung der Internationalen glorreichen Angedenkens bis zu der neuen Internationalen, die heute durch andere Mittel lebt und sich in anderen Formen entwickelt, beides angepaßt der Situation, in der wir leben, und gestützt auf eine reifere Erfahrung. Aber ebenso wie die Überlebenden derer, die im Dezember 1847 die neue Lehre erörterten und annahmen, auf der öffentlichen Bühne in der großen Internationalen wieder erschienen sind und seitdem, von neuem, in der neuen Internationalen, so ist auch das Manifest nach und nach wieder erschienen und hat die Runde um die Welt gemacht, in allen Sprachen der zivilisierten Länder, was es sich bei seinem ersten Erscheinen vorgenommen hatte, aber nicht hatte ausführen können.
Hier ist unser wahrer Ausgangspunkt; hier waren unsere wahren Vorgänger. Sie marschierten vor allen anderen zur günstigen Stunde, mit schnellem, aber sicherem Schritt, auf dem Wege, den wir ebenso durchlaufen. müssen und auch wirklich durchlaufen. Es ist unpassend, unsere Vorläufer diejenigen zu nennen, die Wegen gefolgt sind, die man später hat verlassen müssen, oder diejenigen, die, um ohne Gleichnis zu sprechen, Lehren gebildet oder Bewegungen begonnen haben, die sich ohne Zweifel erklären lassen durch die Zeitläufte und die Umstände, worin sie entstanden, aber die seitdem durch die Lehre des kritischen Kommunismus, durch die Theorie der proletarischen Revolution überholt worden sind. Nicht, als ob diese Lehren und Versuche zufällige, unnütze und überflüssige Erscheinungen gewesen wären! Es gibt nichts Unvernünftiges in dem historischen Laufe der Dinge, weil nichts ohne Gründe geschieht und weil es folglich nichts Überflüssiges gibt. Wir können selbst auch heute nicht zum völligen Verständnis des kritischen Kommunismus gelangen, ohne im Kopfe durch jene Lehren zurückzuschreiten, indem wir verfolgen, wie sie entstanden und verschwunden sind. In der Tat sind sie nicht nur vergangen, sie sind innerlich überwunden worden, sowohl durch den Wechsel in den Lebensbedingungen der Gesellschaft, als auch durch die genauere Kenntnis der Gesetze, auf denen ihre Bildung und ihre Entwicklung beruhen.
Der Augenblick, wo sie in die Vergangenheit schwanden, das heißt der Augenblick, wo sie innerlich überwunden wurden, ist eben der Augenblick, wo das Manifest erschien. Als erste Geburtsurkunde des modernen Sozialismus, die nur die allgemeinsten und am leichtesten verständlichen Züge der Lehre gibt, trägt diese Schrift die Spuren des historischen Gebiets an sich, worin sie geboren ist, Frankreichs, Englands und Deutschlands. Ihr Fortpflanzungs- und Verbreitungsgebiet ist seitdem immer weiter geworden, und es ist fortan so weit, wie die zivilisierte Welt. In allen Ländern, in denen sich die Tendenz zum Kommunismus durchgerungen hat, mitten durch die verschieden ausschauenden, aber jeden Tag klareren Antagonismen zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat, hat sich die erste Entwicklung ganz oder zum Teil mehrere Male wiederholt. Die proletarischen Parteien, die sich nach und nach gebildet haben, sind von neuem durch die Bildungsbahnen gegangen, die von den Vorläufern gebrochen worden waren, aber diese Entwicklung hat sich, von Land zu Land und von Jahr zu Jahr, immer schneller vollzogen, wegen der größeren Klarheit und der kraftvoll drängenden Notwendigkeit der Antagonismen, und auch weil es leichter ist, eine Lehre und eine Leitung anzunehmen, als die eine wie die andere zum ersten Male zu schaffen. Unsere Mitarbeiter von vor fünfzig Jahren waren auch unter diesem Gesichtspunkt wahrhaft international, weil sie dem Proletariat der verschiedenen Nationen durch ihr Beispiel den allgemeinen Gang der Arbeit vorzeichneten, die vollbracht werden muß.
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Aber die vollkommene theoretische Kenntnis des Sozialismus besteht heute, wie sonst und wie es immer sein wird, in der Erkenntnis seiner historischen Notwendigkeit, das heißt in dem Bewußtsein der Art, wie er entstanden ist. Seine Entstehungsgeschichte spiegelt sich, wie in einem beschränkten Beobachtungsfelde und einem gedrängten Beispiel, genau in der Bildung des Manifestes wieder. Es sollte eine Kriegswaffe sein, und so trägt es selbst äußerlich nicht die Spuren seines Ursprungs; es enthält mehr substantielle Erklärungen, als Beweisführungen. Die Beweisführung ist ganz in dem Imperativ der Notwendigkeit enthalten. Allein man kann diese Bildung noch einmal machen, und sie wiederholen heißt wahrhaft die Lehre des Manifestes verstehen.
Es gibt eine Untersuchung, die auf abstraktem Wege die Teile eines Organismus trennt und sie in so viele Elemente zerstört, als zur Einheit des Ganzen zusammenlaufen, aber es gibt eine andere Untersuchung, und diese allein gestattet, die Geschichte zu verstehen, welche die Elemente nur scheidet und trennt, um in ihnen die objektive Notwendigkeit ihres Zusammenwirkens zum Endergebnis wieder zu finden.
Gegenwärtig ist es eine geläufige Meinung, daß der moderne Sozialismus ein normales und also unvermeidliches Erzeugnis der Geschichte sei. Seine politische Aktion, die in der Zukunft aufgeschoben und verzögert, aber niemals mehr völlig erstickt werden kann, begann mit der Internationalen. Das Manifest ging ihr nichtsdestoweniger voran. Seine Lehre ist vor allem in dem Licht enthalten, das es auf die proletarische Bewegung wirft, die sonst unabhängig von jeder Lehre geboren ist und sich entwickelt. Es ist auch mehr als dies Licht. Der kritische Kommunismus entsteht erst in dem Augenblick, wo die proletarische Bewegung nicht nur ein Ergebnis der sozialen Verhältnisse ist, sondern wo sie schon Kraft genug hat, zu erkennen, daß diese Verhältnisse sich ändern lassen, sowie die Mittel dieser Änderung zu ahnen, und in welchem Sinne sie erfolgen kann. Es genügte nicht, daß der Sozialismus ein Ergebnis der Geschichte war, sondern man mußte obendrein die inneren Ursachen dieser Tatsache erkennen und wohin seine ganze Tätigkeit führte. Die Bekräftigung, daß die Arbeiterklasse, als notwendiges Ergebnis der modernen Gesellschaft, die Mission hat, auf die Bourgeoisie zu folgen, als Produktivkraft einer neuen sozialen Ordnung, in der die Klassengegensätze notwendig verschwinden werden, macht aus dem Manifest einen charakteristischen Augenblick des allgemeinen Geschichtsverlaufs. Es ist eine Enthüllung, aber nicht im Sinne einer dunklen Offenbarung oder eines tausendjährigen Reiches. Es ist die wissenschaftliche und überlegte Enthüllung des Weges, den unsere bürgerliche Gesellschaft durchläuft.
Das Manifest gibt uns so die innere Geschichte seines Ursprungs und rechtfertigt damit seine Lehre, indem es zugleich ihre besondere Wirkung und ihre wunderbare Wirksamkeit erklärt. Ohne uns in Einzelheiten zu verlieren, geben wir hier die Reihen und Gruppen von Elementen, die, in dieser lebendigen und sorgfältigen Zusammenfügung, den Keim zur ganzen späteren Entwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus enthalten.
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Den nächsten, anschaulichen und unmittelbaren Stoff boten Frankreich und England, die schon nach 1830 eine Arbeiterbewegung gehabt hatten. Sie glich bald, und bald unterschied sie sich von den anderen revolutionären Bewegungen; sie ging von der instinktiven Empörung bis zu den praktischen Zwecken politischer Parteien (z.B. dem Chartismus und der Sozialdemokratie); aus ihr entstanden verschiedene zeitliche und vergängliche Formen des Kommunismus und des Halbkommunismus, wie man damals den Sozialismus nannte.
Um in diesen Bewegungen nicht nur die flüchtige Erscheinung vorübergehender Unruhen, sondern die neue gesellschaftliche Tatsache zu erkennen, bedurfte man einer Theorie, die sie erklärte, einer Theorie, die weder eine einfache Ergänzung der demokratischen Überlieferung, noch die subjektive Verbesserung der nunmehr erkannten Übelstände wäre, die (ich aus der Ökonomie der Konkurrenz ergeben, was damals viele ausschließlich beschäftigte. Diese neue Theorie würde das persönliche Werk von Marx und Engels: sie übertrugen den Gedanken des historischen Werdens durch die Entwicklung von Gegensätzen, aus der abstrakten Form, die Hegels Dialektik schon in den allgemeinsten Zügen beschrieben hatte, auf die konkrete Erklärung des Klassenkampfes, und in dieser historischen Bewegung, in der man den Übergang einer Gedankenform zu einer anderen zu sehen geglaubt hatte, sahen sie zum ersten Male den Übergang einer Form der sozialen Anatomie zu einer anderen, das heißt einer ökonomischen Produktionsweise zu einer anderen.
Diese historische Auffassung gab dem Bedürfnis der neuen sozialen Revolution, die sich mehr oder weniger in dem instinktiven Bewußtsein des Proletariats und seinen freiwillig-leidenschaftlichen Bewegungen aussprach, eine theoretische Form, und indem sie die innere Notwendigkeit der Revolution anerkannte, änderte sie zugleich ihren Plan. Was die Verschwörersekten als Sache der persönlichen Wahl, als eine beliebige Konstruktion aufgefaßt hatten, wurde eine einfache Entwicklung, die man fördern, aufrechterhalten und unterstützen kann. Die Revolution wurde der Gegenstand einer Politik, deren Bedingungen durch die verwickelte Lage der Gesellschaft gegeben werden; sie wurde also ein Ziel, das die Arbeiterklasse durch wechselnde Kampf- und Organisationsmittel erreichen muß, die sich die alte Taktik der Revolten noch nicht vorgestellt hatte. Dem ist aber so, weil das Proletariat keine Nebensache, kein Hilfsmittel, kein Auswuchs, kein Uebel ist, das man aus der gegenwärtigen Gesellschaft entfernen kann, sondern weil es deren Grundlage, wesentliche Bedingung, unvermeidliche Wirkung und an seinem Teil die Ursache ist, welche die Gesellschaft selbst erhält und stützt. Es kann sich also nur emanzipieren, indem es die ganze Welt emanzipiert, daß heißt indem es die Produktionsweise vollständig umwälzt.
Ebenso wie der Bund der Gerechten zum Bunde der Kommunisten geworden war, indem er sich seit der Revolution von Barbes und Blanqui (1839) von der symbolischen Form der Verschwörung befreite und allmählich die Mittel der politischen Aktion und Propaganda annahm, ebenso gab die neue Doktrin, die der Bund annahm und zur Seinigen machte, endgültig die Verschwörerpläne preis und faßte als das objektive Ergebnis einer Entwicklung auf, worin die Verschwörer das Ergebnis eines vorher überlegten Planes oder die Wirkung ihres Heldenmutes zu sehen glaubten.
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Da beginnt eine neue aufsteigende Linie in der Ordnung der Dinge und eine andere Verknüpfung von Gedanken und Plänen.
Der Verschwörerkommunismus, der Blanquismus von ehedem, führt uns über Buonarotti und auch über Bazard und die Carbonari bis zur Verschwörung Babeufs zurück, eines wahren Helden von antiker Tragik, der gegen das Schicksal anrennt, weil es zwischen seinem Ziel und der ökonomischen Lage der Zeit noch keine Verbindung gab, der noch kein Proletariat mit breitem Klassenbewußtsein auf den politischen Schauplatz stellen konnte. Von Babeuf und einigen weniger bekannten Elementen der jakobinischen Periode gelangt man zu dem anschaulichen Morelly, zu dem originellen und wankelmütigen Mably und, wenn man will, zu dem chaotischen Testament des Pfarrers Meslier, einer instinktiven und heftigen Rebellion des gesunden Menschenverstandes gegen die grausame Unterdrückung des unglücklichen Bauern.
Diese Vorläufer des heftig protestierenden Verschwörersozialismus waren alle Gleichheitsapostel; so auch waren es die meisten Verschwörer. Ausgehend von einem sonderbaren, aber unvermeidlichen Irrtum, nahmen sie zur Waffe des Kampfes dieselbe Doktrin der Gleichheit – sie umgekehrt auslegend und verallgemeinernd –, die, als Naturrecht gleichzeitig mit der ökonomischen Theorie entwickelt, ein Werkzeug in den Händen der Bourgeoisie geworden war. Die Bourgeoisie eroberte damit allmählich ihre gegenwärtige Stellung, um aus der Gesellschaft des Vorrechts die Gesellschaft des Liberalismus, des Freihandels und des bürgerlichen Rechts zu machen.[Anmerkung 5] Auf die unmittelbare Schlußfolgerung hin, die im Grunbe eine reine Illusion war, daß nämlich alle Menschen, da sie gleich von Natur seien, auch gleich in ihren Genüssen sein müßten, glaubte man, daß der Appell an die Vernunft alle Elemente der überzeugenden Propaganda enthielte, und daß man nur augenblicklich, schnell und gewaltsam die äußeren Werkzeuge der politischen Macht erobern müsse, um das einzige Mittel zu besitzen, das die Widerstrebenden zur Raison bringen könne.
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Aber woher kommen alle diese Ungleichheiten und wie halten sie sich aufrecht, die im Lichte einer gleich einfachen und einfältigen Gerechtigkeit so unvernünftig erscheinen? Das Manifest verwarf bündig das Prinzip der Gleichheit, das in einer so naiven und plumpen Weise verstanden wurde. Indem es die Vernichtung der Klassen in der zukünftigen Form der kollektiven Produktionsweise als unvermeidlich verkündete, setzte es uns zugleich den Daseinsgrund, die Geburt und die Entwicklung dieser Klassen selbst auseinander, die keine Ausnahme und keine Schmälerung eines abstrakten Prinzips, sondern die geschichtliche Entwicklung selbst sind.
Ebenso wie das moderne Proletariat die Bourgeoisie voraussetzt, ebenso kann die Bourgeoisie nicht leben ohne das moderne Proletariat. Das eine wie die andere sind das Ergebnis einer Bildungsprozesses, der ganz und gar auf der neuen Weise beruht, die für das Leben notwendigen Dinge zu produzieren, das will sagen auf der ökonomischen Produktionsweise. Die bürgerliche Gesellschaft ist aus der feudalen und zünftlerischen Gesellschaft hervorgegangen; sie ist daraus hervorgegangen durch Kampf und Revolution, um sich der Produktionsmittel und Produktionswerkzeuge zu bemächtigen, die alle darauf hinauslaufen, das Kapital zu bilden, zu entwickeln und zu vervielfältigen. Beschreibt man den Ursprung und die Fortschritte der Bourgeoisie in ihren verschiedenen Phasen, setzt man ihre Erfolge in der kolossalen Entwicklung der Technik und in der Eroberung des Weltmarktes auseinander, zeigt man die politischen Umbildungen auf, die diesen Eroberungen gefolgt sind und ihr Ausdruck, ihre Verteidigungsmittel und ihr Ergebnis sind, so schreibt man zugleich die Geschichte des Proletariats. Das Proletariat gehört in seiner gegenwärtigen Lage zur Epoche der bürgerlichen Gesellschaft, und es hat gehabt, es hat und es wird auch so viele Phasen haben, wie diese Gesellschaft selbst bis zu ihrer Erschöpfung hat. Der Gegensatz von Reichen und von Armen, von Genußmenschen und von Unglücklichen, von Unterdrückern und von Unterdrückten, ist nichts Zufälliges, das leicht beiseite gesetzt werden kann, so wie es sich die Enthusiasten der Gerechtigkeit gedacht hatten. Noch mehr, es ist eine notwendige Wechselbeziehung, sobald einmal das leitende Prinzip der gegenwärtigen Produktionsweise gegeben ist, das aus dem Arbeitslohn eine Notwendigkeit macht. Diese Notwendigkeit ist doppelt. Das Kapital kann sich der Produktion erst bemächtigen, indem es proletarisiert, und es kann nur dauernd leben, Früchte tragen, sich anhäufen, vervielfältigen und umbilden, wenn es die ablohnt, die es proletarisiert hat. Die Proletarier ihrerseits können nur leben und sich fortpflanzen, indem sie sich als Arbeitskraft verkaufen, deren Anwendung dem Belieben, dem gnädigen Befinden der Besitzer des Kapitals überlassen ist. Die Harmonie zwischen Kapital und Arbeit besteht ganz und gar darin, daß die Arbeit die lebendige Kraft ist, mit der die Proletarier beständig die in dem Kapital aufgehäufte Arbeit bewegen und wachsend reproduzieren. Dies Band ist das Ergebnis einer Entwicklung, die das ganze innere Wesen der modernen Geschichte enthält; es gibt den Schlüssel, um den eigentlichen Grund des neuen Klassenkampfes zu verstehen, dessen Ausdruck der kommunistische Gedanke ist, und es ist so beschaffen, daß kein sentimentaler Protest, kein Argument der Gerechtigkeit es auflösen und entknoten kann.
Aus diesen Gründen, die ich hier so einfach wie möglich auseinandergesetzt habe, blieb der Gleichheitskommunismus besiegt. Seine praktische Ohnmacht fiel zusammen mit seiner theoretischen Unfähigkeit, sich die Gründe der Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten klar zu machen, die er, mutig oder unbesonnen, mit einem Zuge ausschalten oder zerstören wollte.
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Die Geschichte zu verstehen, würde fortan die Hauptaufgabe der kommunistischen Theoretiker. Weshalb sollte man noch der harten Wirklichkeit der Geschichte ein geschmeicheltes Ideal gegenüberstellen? Der Kommunismus ist nicht zu allen Zeiten und an allen Orten der natürliche und notwendige Zustand des menschlichen Lebens gewesen, und der ganze Lauf der historischen Bildung kann nicht als eine Reche von Entgleisungen und Verirrungen betrachtet werden. Durch spartanische Einfügung oder christliche Ergebung gelangt man nicht zum Kommunismus und kehrt nicht zu ihm zurück. Er kann, mehr noch, er muß und wird aus der Auflösung unserer kapitalistischen Gesellschaft erwachsen. Aber diese Auflösung kann ihr weder künstlich eingepfropft, noch von außen auferlegt werden. Sie wird sich durch ihr eigenes Gewicht auflösen, würde Macchiavel sagen. Sie wird als Prokuktionsweise verschwinden, die aus sich und in sich selbst die beständige und fortschreitende Empörung der Produktivkräfte gegen die (juridischen und politischen) Produktionsverhältnisse erzeugt, und sie lebt nur, um durch die Konkurrenz, welche die Krisen erzeugt, und durch die schwindelerregende Ausdehnung ihrer Aktionsphäre die inneren Bedingungen ihres unvermeidlichen Todes zu verstärken. Der Tod einer sozialen Form wurde, wie das in einem anderen Zweige der Wissenschaft für den natürlichen Tod gilt, ein Lebensgesetz.
Das Manifest hat kein Bild der zukünftigen Gesellschaft entworfen, und dies war auch nicht seine Absicht. Es hat gezeigt, wie die gegenwärtige Gesellschaft sich durch die fortschreitende Dynamik ihrer Kräfte auflösen wird. Um das verständlich zu machen, war es vor allem nötig, die Entwicklung der Bourgeoisie auseinanderzusetzen, und das geschah in schnellen Zügen, als ein Muster von Geschichtsphilosophie, das berichtigt, entfaltet, vervollständigt, aber nicht verbessert werden kann.[Anmerkung 6]
Saint-Simon und Fourier fanden sich gerechtfertigt, obgleich man weder ihre Ideen, noch den allgemeinen Gang ihrer Entwicklungen aufnahm. Ideologen alle beide, hatten sie durch ihre genialen Blicke die liberale Periode überschritten, die innerhalb ihres Gesichtskreises die große Revolution zum Gesichtspunkt hatte. Saint-Simon setzte in seiner Geschichtsuntersuchung an die Stelle des Rechts die Ökonomie und an die Stelle der Politik die soziale Physik, und trotz vieler idealistischen und positiven Unsicherheiten entdeckte er beinahe die Entstehungsgeschichte des dritten Standes. Fourier, unbewandert in den Einzelheiten, die noch unbekannt waren oder von ihm vernachlässigt wurden, entwarf mit der Üppigkeit seines ungeschulten Geistes eine lange Kette von historischen Perioden, die undeutlich unterschieden wurden durch gewisse Eigentümlichkeiten in dem leitenden Prinzip der Produktions- und Distributionsweise. Er unternahm dann, eine Gesellschaft zu bilden, in der die gegenwärtigen Gegensätze verschwunden sein sollten. Von allen diesen Gegensätzen entdeckte er durch einen Geistesblitz und studierte er vornehmlich „den fehlerhaften Kreis der Produktion“; er begegnete sich darin, ohne es zu wissen, mit Sismondi, der zur selben Zeit, aber in anderen Absichten und aus anderen Wegen, indem er die Krisen studierte und die Übelstände der großen Industrie und der zügellosen Konkurrenz anklagte, das Scheitern der ökonomischen Wissenschaft ankündigte, die sich kaum erst aufgetan hatte. Von der heiteren Höhe seiner harmonischen Zukunftswelt betrachtete Fourier mit einer heiteren Mißachtung das Elend der Zivilisierten und schrieb kaltblütig die Satire der Geschichte. Als Ideologen kannten Saint-Simon und Fourier nicht den rauen Kampf, den das Proletariat führen muß, bevor es mit der Ausbeutung und den Klaffengegensätzen aufräumen kann, und aus dem persönlichen Bedürfnis, zu Ende zu kommen, wurde der eine Projektenmacher und der andere Utopist.[Anmerkung 7] Aber ahnend erkannten sie einige von den leitenden Gedanken einer Gesellschaft ohne Klassengegensätze. Saint-Simon erfaßte klar die technische Verwaltung der Gesellschaft, worin die Herrschaft des Menschen über den Menschen verschwinden sollte, und Fourier erriet, mutmaßte und prophezeite, neben den Ausschweifungen seiner wuchernden Einbildungskraft, eine große Zahl wichtiger Ausblicke in die Psychologie und Pädagogie jener zukünftigen Gesellschaft, in der, nach dem Ausdruck des Manifestes, die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.
Der Saint-Simonismus war schon verschwunden, als das Manifest erschien. Dagegen blühte der Fourierismus in Frankreich, jedoch seiner Natur nach nicht als Partei, sondern als Schule. Als diese Schule im Jahre 1848 ihre Utopie auf gesetzlichem Wege zu verwirklichen versuchte, waren die Pariser Proletarier schon in den Junitagen durch die Bourgeoisie geschlagen worden, die sich durch diesen Sieg einen Herrn schuf: es war ein Erzabenteurer, dessen Herrschaft zwanzig Jahre dauerte.
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Nicht im Namen einer Schule, sondern als das Versprechen, die Drohung und der Wille einer Partei stellte sich die neue Lehre des kritischen Kommunismus dar. Seine Verfasser und seine Anhänger zehrten nicht von der utopischen Einrichtung der Zukunft, aber ihr Geist war von der Erfahrung und der Notwendigkeit der Gegenwart durchdrungen. Sie verbanden sich mit den Proletariern, die ihr noch von keiner Erfahrung gekräftigter Instinkt in Paris und England dazu antrieb, die Herrschaft der Bourgeoisie mit einer Schnelligkeit zu stürzen, die von keiner überlegten Taktik geleitet wurde. Die Kommunisten verbreiteten in Deutschland die revolutionären Ideen; sie verteidigten die Juniopfer und hatten in der Neuen Rheinischen Zeitung ein politisches Organ, dessen Artikel, sowie sie von Zeit zu Zeit nach so vielen Jahren wieder erschienen sind, noch heute als klassisch gelten.[Anmerkung 8] Nachdem einmal die historische Situation verschwunden war, die im Jahre 1848 das Proletariat in den Vordergrund gedrängt hatte, fand die Lehre des Manifestes weder einen Boden, noch einen Bezirk zur Ausbreitung. Sehr viele Jahre waren nötig, ehe es sich von neuem verbreitete, und zwar, weil sehr viele Jahre nötig waren, ehe das Proletariat, auf anderen Wegen und in anderen Formen, wieder als politische Macht auf der Bühne erscheinen, aus dieser Lehre sein geistiges Organ machen und in ihm seine Selbstverständigung finden konnte.
Aber an dem Tage, wo die Lehre erschien, kritisierte sie im voraus den landläufigen Sozialismus, der vom Staatsstreiche bis zur Internationalen – die übrigens in ihrem kurzen Lebenslaufe nicht die Zeit hatte, ihn zu besiegen und auszuschalten – in Europa und besonders in Frankreich blühte. Dieser vulgäre Sozialismus nährte sich, wenn nicht an noch weniger zusammenhängendem und noch weniger geordnetem Material, an den Lehren und namentlich an den Paradoxen Proudhons, der schon theoretisch von Marx besiegt worden war, aber praktisch erst während der Kommune besiegt wurde, als seine Schüler, durch eine heilsame Lektion der Tatsachen selbst, das Gegenteil von dem zu tun gezwungen wurden, was sie und ihr Meister gelehrt hatten.
Seit ihrem Erscheinen war diese neue kommunistische Lehre die verhüllte Kritik aller Formen von Staatssozialismus, von Louis Blanc bis Lassalle. Der Staatssozialismus, obgleich er mit revolutionären Tendenzen gemischt war, konzentrierte sich damals in dem hohlen Trugbilde des Rechts auf Arbeit. Es ist eine hinterlistige Formel, wenn sie eine Forderung an eine Regierung enthält, würde diese Regierung selbst von revolutionären Bourgeois gebildet. Es ist eine ökonomische Absurdität, wenn man damit die Arbeitslosigkeit unterdrücken will, welche die Schwankungen der Löhne, will sagen die Bedingungen der Konkurrenz beeinflußt. Es kann ein politisches Mittel sein, wenn es einen Ausweg bietet, eine ungeordnete Masse nicht organisierter Proletarier zu beruhigen. Das ist sehr einleuchtend für jeden, der klar erkennt, wie eine siegreiche Revolution des Proletariats verlaufen muß: sie kann nur enden mit der Sozialisation der Produktionsmittel durch ihre Besitzergreifung, das heißt: sie kann nur enden in der ökonomischen Gesellschaftsform, in der es weder Waren noch Arbeitslohn gibt, in der das Recht auf Arbeit und die Pflicht zu arbeiten in eins zusammenfließen, in die gemeinsame Notwendigkeit: Arbeit für alle.
Die Luftspiegelung des Rechtes auf Arbeit endete in der Tragödie des Juni. Die parlamentarische Erörterung, deren Gegenstand es später wurde, war nur eine Parodie. Lamartine, dieser weinerliche Redner, dieser große Mann aus zweiter Hand, hatte das letzte oder das vorletzte seiner berühmten Worte verkündet: „Die Katastrophen sind die Erfahrung der Völker“, und das genügte für die Ironie der Geschichte.
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Wenn das Manifest, in seiner Kürze und mit seinem Stile, der sich der einschmeichelnden Rhetorik des Glaubens und Vertrauens so fern hält, so viele und viele Dinge umfaßte, zahlreiche Gedanken zum ersten Male in ein System brachte und Keime sammelte, die einer großen Entwicklung fähig waren, so war es doch nicht, und wollte auch nicht das Gesetzbuch des Sozialismus oder der Katechismus des kritischen Kommunismus oder das Vademecum der proletarischen Revolution sein. Wir können die „Quintessenzen“ dem berühmten Herrn Schäffle überlassen, dem wir auch gern die famose Phrase überlassen: Die soziale Frage ist eine Magenfrage. Der Magen des Herrn Schäffle hat lange Jahre eine ziemlich hübsche Rolle in der Welt gespielt, zum großen Vorteile der sozialistischen Dilettanten und zum Glück der Polizeibüttel. Der kritische Kommunismus begann eben erst mit dem Manifeste; er drängte nach seiner Entwicklung, und er hat sich tatsächlich entwickelt.
Die Gesamtheit der Lehren, die man mit dem Namen des Marxismus zu bezeichnen pflegt, ist erst in den Jahren 1860 bis 1870 zur Reife gelangt. Es ist weit von dem Schriftchen Kapital und Lohnarbeit, worin man zum ersten Male in genauen Ausdrücken erfährt, wie man aus dem Kauf und der Anwendung der Ware Arbeit ein Produkt über die Produktionskosten hinaus erhält, was den Knoten der Frage vom Mehrwert bildet; es ist weit von da bis zu den ausführlichen, verschlungenen und umfassenden Entwicklungen des Kapitals. Dies Buch erschöpft die Entstehungsgeschichte der bürgerlichen Geschichtsperiode in ihrer ganzen inneren ökonomischen Struktur, und es überschreitet geistig diese Periode, weil es ihren Gang, ihre besonderen Gesetze und die Gegensätze erklärt, die sie auf organischem Wege hervorbringt, um von ihnen auf organischem Wege aufgelöst zu werden.
Es ist auch weit von der proletarischen Bewegung, die im Jahre 1848 unterlag, bis zu der gegenwärtigen proletarischen Bewegung, die mitten durch große Schwierigkeiten, nach ihrem Wiedererscheinen auf der politischen Bühne, sich beständig und mit wohlerwogener Langsamkeit entwickelt hat. Bis vor einigen Jahren wurde dieser Vorwärtsmarsch des Proletariats nur in Deutschland beobachtet und bewundert; die Sozialdemokratie ist dort normal wie auf ihrem eigenen Boden gewachsen (seit dem Arbeitertage in Nürnberg im Jahre 1868 bis auf unsere Tage). Aber seitdem hat sich dieselbe Erscheinung, unter verschiedenen Formen, in anderen Ländern gezeigt.
Ist nun bei dieser breiten Entwicklung des Marxismus und bei diesem Wachstum der proletarischen Bewegung in den geregelten Formen der politischen Aktion, ist da nun, wie einige behaupten, der kriegerische Charakter verändert worden, den die ursprüngliche Form des kritischen Kommunismus besaß? Gibt es da einen Übergang von der Revolution zu der sogenannten Evolution? Hat sich da der revolutionäre Geist den Forderungen des Reformismus unterworfen?
Diese Einwürfe und Überlegungen sind entstanden und entstehen fortwährend bei den begeistertsten und leidenschaftlichsten Sozialisten und auch bei den Gegnern des Sozialismus, die ein Interesse daran haben, die vereinzelten Mißerfolge, Hindernisse und Störungen zu verallgemeinern, um damit zu bekräftigen, daß der Kommunismus keine Zukunft habe.
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Wer die gegenwärtige proletarische Bewegung und ihren mannigfaltigen und verwickelten Lauf mit dem Eindruck vergleicht, den das Manifest hinterlaßt, wenn man es liest, ohne sich sonst unterrichtet zu haben, der kann leicht glauben, daß es ein zu jugendliches und frühreifes Element in der zuversichtlichen Kühnheit dieser Kommunisten von vor fünfzig Jahren gegeben habe. Es klingt in ihrem Ton wie ein Schlachtruf und wie das Echo der schwingenden Beredsamkeit, die einige der chartistischen Redner besaßen: ein neues 93 wird angekündigt, das keinem neuen Thermidor den Platz räumen werde.
Und der Thermidor hat sich erneuert, und mehrere Male seitdem, unter verschiedenen, mehr oder minder enthüllten oder verschleierten Formen, mögen seine Urheber nun, seit 1848, französische Erzradikale sein oder italienische Expatrioten, oder deutsche Bureaukraten, Anbeter des Gottes Staat und in der Praxis ausgezeichnete Diener des Gottes Geld, oder englische Parlamentarier, abgerichtet in den Kunstgriffen der Kunst zu regieren, oder selbst Polizeibüttel unter der Masse von Anarchisten. Viele Leute glauben, daß der Stern des Thermidor nicht mehr vom Himmel der Geschichte verschwinden werde, oder um prosaischer zu sprechen, daß der Liberalismus, will sagen, eine Gesellschaft, worin die Menschen nur vor dem Gesetze gleich sind, die äußerste Grenze der menschlichen Entwicklung bilde, jenseits deren es nur eine Rückentwicklung gebe. Das ist die Meinung aller derer, die in der fortschreitenden Ausdehnung der bürgerlichen Gesellschaftsform über die ganze Welt Grund und Zweck jedes Fortschrittes sehen. Mögen sie Optimisten oder Pessimisten sein, für sie sind hier dem menschlichen Geschlechte die Säulen des Herkules gesetzt. Oft wirkt dieses Gefühl, in seiner pessimistischen Form, unbewußt auf einige von denen, die mit den anderen Deklassierten die Reihen des Anarchismus vergrößern helfen.
Es gibt dann andere, die weiter gehen, und die objektiven Unwahrscheinlichkeiten dessen erwägen, was der kritische Kommunismus darlegt. Die Behauptung des Manifestes, daß die Zurückführung der Klassenkämpfe auf einen einzigen die Notwendigkeit der proletarischen Revolution in sich trage, wäre innerlich falsch. Diese Lehre wäre ohne Halt, weil sie eine theoretische Schlußfolgerung und eine praktische Taktik aus der Voraussicht einer Tatsache ziehen wolle, die nach diesen Gegnern ein rein theoretischer Punkt sein würde, den man ins Unendliche verrücken und verschieben könne. Der angeblich unvermeidliche Zusammenstoß zwischen den Produktivkräften und der Produktionsweise würde sich niemals verwirklichen können, weil er sich, nach jenen, auf unzählige besondere Reibungen beschränke, weil er sich vervielfältige mit den einzelnen Zusammenstößen der ökonomischen Konkurrenz und weil er Anstößen und Hindernissen in den Auskunftsmitteln und den Gewaltsamkeiten der Regierungskunst begegne. Mit anderen Worten, die gegenwärtige Gesellschaft würde, statt sich zu zerbrechen und aufzulösen, beständig die Uebel ausgleichen, die sie erzeuge. Jede proletarische Bewegung würde, wenn sie nicht, wie im Juni 1848 und im Mai 1871, durch Gewalt unterdrückt werde, an langsamer Erschöpfung sterben, wie der Chartismus, der im Trade Unionismus geendet habe, dem Paradepferde dieser Beweisführung, der Ehre und dem Ruhm der vulgären Ökonomisten und Soziologen. Jede moderne proletarische Bewegung wäre meteorgleich und nicht organisch, sie wäre eine Verwirrung und nicht eine Umwicklung, und nach diesen Kritikern würden wir, sehr gegen unseren Willen, noch Utopisten bleiben.
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Die historische Voraussicht, die man in der Lehre des Manifestes findet und die der kritische Kommunismus seitdem durch eine eingehende und umfassende Untersuchung der gegenwärtigen Welt entwickelt hat, trägt sicherlich, infolge der Umstände, unter denen sie entstand, ein kriegerisches Gesicht und hat eine sehr lebhafte Form. Aber so wenig wie heute enthielt sie, sei es eine gegebene Zeitrechnung, sei es ein verfrühtes Gemälde einer sozialen Organisation, wie die alten Offenbarungen und Weissagungen.
Der heldenmütige Fra Dolcino war nicht gekommen, um von neuem einen Kriegsruf auszustoßen. Man feierte nicht von neuem in Münster die Auferstehung des Königreichs Jerusalem. Es gab weder Taboriten, noch Millenarier mehr, Fourier war nicht mehr da, um jahrelang zur bestimmten Stunde in seiner Wohnung den Kandidaten der Humanität zu künstlichen Mitteln den Keim einer neuen Organisation schaffen wollte, um den Menschen wieder herzustellen, wie es Bellers, Owen, Cabet wollten, und die Fourieristen in Texas, deren Unternehmen das Grab des Utopismus wurde. Es gab keine Sekte mehr, die sich schamhaft und furchtsam aus der Welt zurückzog, um im geschlossenen Zirkel die vollkommene Idee des gemeinschaftlichen Lebens zu pflegen, wie die sozialistischen Kolonien Amerikas. Im Gegenteil, in der Lehre des kritischen Kommunismus entdeckt die ganze Gesellschaft, in einem Augenblick ihrer allgemeinen Entwicklung, die Ursache ihres verhängnisvollen Marsches und an einer hervorspringenden Kurve klärt sie sich selbst auf, um die Gesetze ihrer Bewegung zu verkünden. Die Voraussicht des Manifestes bezog sich nicht auf die Zeitrechnung, sie war keine Verheißung und keine Weissagung, sondern sie sah die organische Umbildung der Gesellschaft voraus.
Unterhalb der lärmenden Leidenschaften, die sich im täglichen Streite der Meinungen entladen, über die sichtlichen Willenskundgebungen hinaus, die den historischen Stoff bilden, jenseits des juridischen und politischen Apparats unserer bürgerlichen Gesellschaft, sehr fern den Richtungen, die Kunst und Religion dem Leben geben, beharrt, ändert sich und bildet sich um der elementare Bau der Gesellschaft, der den ganzen Rest aufrecht erhält. Das anatomische Studium dieses unterirdischen Baues ist die Ökonomie. Und wenn die menschliche Gesellschaft zu mehreren Malen, zum Teil oder von Grund aus, ihre äußere sichtbarste Form oder ihre ideologischen, religiösen, künstlerischen etc. Kundgebungen geändert hat, so muß man vor allem Grund und Ursache dieser Änderungen, der einigen, von denen die Historiker erzählen, in den Umwandlungen finden, die sich verborgener und auf den ersten Blick weniger sichtbar in der ökonomischen Entwicklung jenes Baues vollziehen. Man muß die Unterschiede studieren, die es zwischen den verschiedenen Produktionsweisen gibt, wenn es sich darum handelt, die eigentlichen Geschichtsperioden klar zu unterscheiden. Handelt es sich darum, die Aufeinanderfolge dieser Formen zu erklären, den Ersatz der einen durch die andere, so muß man studieren, weshalb die verschwindende Form erlischt und untergeht. Endlich wenn man die historische Tatsache in ihrer Bestimmtheit und Greifbarkeit verstehen will, so muß man die Reibungen und Kontraste studieren, wie sie aus den verschiedenen Strömungen entstehen (das will sagen, den Klassen, ihren Unterabteilungen und ihren Durchkreuzungen), die eine gegebene Gesellschaft kennzeichnen.
Wenn das Manifest erklärte, daß die ganze bisherige Geschichte nur die Geschichte von Klassenkämpfen gewesen und daß sie die Ursache aller Revolutionen wie auch aller Reaktionen seien, so vollbrachte es zwei Dinge zu gleicher Zeit: es gab dem Kommunismus die Elemente einer neuen Lehre und den Kommunisten den leitenden Faden, um in den verwickelten Ereignissen des politischen Lebens die Bedingungen der ökonomischen Bewegung zu erkennen, die sich dahinter vollzog.
In den letzten fünfzig Jahren ist die allgemeine Voraussicht einer neuen historischen Lehre, für die Sozialisten die schwierige Kunst geworden, in jedem Falle zu verstehen, was zu tun angezeigt ist, weil diese neue Ära durch sich selbst in beständiger Bewegung ist. Der Kommunismus ist eine Kunst geworden, weil die Proletarier eine politische Partei geworden sind oder doch auf dem Sprunge stehen, es zu werden. Der revolutionäre Geist verkörpert sich heute in der proletarischen Organisation. Die gewünschte Verbindung der Kommunisten und der Proletarier ist fortan eine vollendete Tatsache. Die letzten fünfzig Jahre sind der immer stärkere Beweis für die immer wachsende Empörung der Produktivkräfte gegen die Produktionsweise
Wir „Utopisten“ haben keine andere Antwort, als diese Lektion der Tatsachen, denen zu bieten, die noch von meteorgleichen Unruhen sprechen und von diesen Unruhen hoffen, das sie allmählich alle verschwinden und sich auflösen würden in die Ruhe unserer endgültigen Zivilisationsperiode. Und diese Lektion genügt!
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Elf Jahre nach der Veröffentlichung des Manifestes faßte Marx in einer genauen und klaren Form die leitenden Gedanken der materialistischen Geschichtsauffassung zusammen, in der Vorrede eines Buches, das seinem Kapital voranging.
„Die erste Arbeit, unternommen zur Lösung der Zweifel, die mich bestürmten, war eine kritische Revision der Hegelschen Rechtsphilosophie, eine Arbeit, von der die Einleitung in den 1844 herausgegebenen Deutsch-Französischen Jahrbüchern erschien. Meine Untersuchung mündete in dem Ergebnis, daß Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind, noch aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln, deren Gesamtheit Hegel, nach dem Vorgänge der Engländer und Franzosen des 18. Jahrhunderts, unter dem Namen „bürgerliche Gesellschaft“ zusammenfaßt, daß aber die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft in der politischen Ökonomie zu finden sei. Die Erforschung der letzteren, die ich in Paris begann, setzte ich fort zu Brüssel, wohin ich infolge eines Ausweisungsbefehls des Herrn Guizot übergewandert war. Das allgemeine Resultat, das sich mir ergab und einmal gewonnen, meinen Studien zum Leitfaden diente, kann kurz so formuliert werden: In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Produktionsverhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen, oder was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, zünftlerischen oder philosophischen, kurz ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten. So wenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebensowenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewußtsein beurteilen, sondern muß vielmehr dies Bewußtsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären. Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoße der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet, wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind. In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und moderne bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden. Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im Sinne von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoße der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab.“
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Als Marx so schrieb, war er seit einigen Jahren von dem politischen Kampfplatze zurückgetreten, und er trat erst später wieder ein, mit der Internationalen. Die Reaktion hatte in Italien, in Österreich, in Ungarn, in Deutschland über die patriotische, liberale oder demokratische Revolution triumphiert. Die Bourgeoisie hatte an ihrem Teile die Proletarier in Frankreich und in England besiegt. Die Bedingungen, die für die demokratische und proletarische Bewegung unerläßlich waren, verschwanden ganz und gar. Die Kommunisten des Manifestes, ein gewiß wenig zahlreiches Bataillon, das sich an der Revolution und an allen volkstümlichen Handlungen der Empörung und des Widerstandes gegen die Reaktion beteiligt hatte, sahen ihre Tätigkeit durch den denkwürdigen Kölner Prozeß zerbrochen. Die Überlebenden der Bewegung versuchten in London wieder zu beginnen, aber bald trennten sich Marx und Engels und andere von den Revolutionären um jeden Preis und zogen sich aus der Bewegung zurück. Die Krisis war vorüber und es folgte eine lange Zeit der Ruhe. Ein Zeugnis dafür gab das langsame Verschwinden des Chartismus, der proletarischen Bewegung desjenigen Landes, das die Wirbelsäule des kapitalistischen Systems war. Für den Augenblick hatte die Geschichte den Illusionen der Revolutionäre abgesagt.
Bevor sich Marx fast ausschließlich daran gab, die schon entdeckten Elemente zur Kritik der Ökonomie in langer Anstrengung zu reifen, beleuchtete er in mehreren Arbeiten die Geschichte der revolutionären Periode von 1848 bis 1850, und besonders die Klassenkämpfe in Frankreich; er zeigte darin auf, daß, wenn die Revolution in ihren gegenwärtigen Formen nicht ans Ziel gelangt sei, deshalb die revolutionäre Theorie der Geschichte noch nicht verleugnet wäre. Die in dem Manifest gegebenen Fingerzeige fanden darin ihre völlige Entwicklung.
Später war die Schrift über den 18. Brumaire des Louis Bonaparte der erste Versuch, die neue Geschichtsauffassung auf eine Reihe zeitlich genau begrenzter Tatsachen anzuwenden. Es ist sehr schwierig, von der augenscheinlichen auf die reelle Bewegung, zurückzugehen, um ihr inneres Band zu entdecken. Es sind in der Tat große Schwierigkeiten zu überwinden, um von den leidenschaftlichen, rednerischen, parlamentarischen, agitatorischen und anderen Tatsachen zu dem inneren sozialen Räderwerk zu gelangen und in diesem die verschiedenen Interessen der Großbürger und der Kleinbürger, der Bauern, der Handwerker, der Arbeiter, der Priester und der Soldaten, der Bankiers, der Wucherer und der Kanaille zu entdecken; alle diese Interessen handeln bewußt oder unbewußt, indem sie sich auflehnen, sich ausschalten, sich vereinen und sich auflösen in das mißtönende Leben der Zivilisierten.
Die Krisis war vorüber, und gerade in denjenigen Ländern, von denen als seinem historischen Gebiete der kritische Kommunismus ausgegangen war. Alles, was die kritischen Kommunisten tun konnten, war die Arbeit, die Reaktion in ihren verborgenen ökonomischen Ursachen zu verstehen; für den Augenblick war das Verständnis der Reaktion die Fortsetzung des revolutionären Werkes. Das Gleiche geschah, unter anderen Bedingungen und in anderen Formen, zwanzig Jahre später, als Marx, im Namen der Internationalen, in seiner Schrift über den Bürgerkrieg in Frankreich eine Verteidigung der Kommune schrieb, die zugleich ihre objektive Kritik war.
Die heroische Entsagung, womit Marx nach dem Jahre 1850 das politische Leben verließ, bekundete sich noch einmal, als er sich nach dem Haager Kongreß im Jahre 1872 von der Internationalen zurückzog. Diese beiden Tatsachen haben ihren Wert für den Biographen von Marx, weil sie ihm gestatten, dessen persönlichen Charakter zu durchdringen; bei Marx war in der Tat Gedanke, Politik und Temperament nur eins. Aber auf der anderen Seite haben diese Tatsachen eine weit größere Bedeutung für uns. Der kritische Kommunismus fabriziert keine Revolutionen, er bereitet keine Insurrektion vor, er bewaffnet keine Revolten. Er verschmilzt sich mit der proletarischen Bewegung, aber er sieht und unterstützt diese Bewegung in voller Erkenntnis des Bandes, das sie mit der Gesamtheit aller Verhältnisse des sozialen Lebens verknüpft, verknüpfen kann und verknüpfen muß. Er ist mit einem Worte kein Seminar, worin man den Generalstab der proletarischen Revolution schult: er ist einzig das Bewußtsein dieser Revolution und vor allem das Bewußtsein ihrer Schwierigkeiten.
Teil 2
Die proletarische Bewegung ist in den letzten dreißig Jahren ungeheuer gewachsen. Mitten durch zahllose Schwierigkeiten, durch Fort- und Rückschritte, hat sie allmählich eine politische Form angenommen; ihre Methoden sind ausgearbeitet und stufenweise angewandt worden. Alles das hat nicht die magische Aktion der Lehre bewirkt, wie sie durch die überzeugende Kraft der geschriebenen oder gebrochenen Propaganda verbreitet wurde. Seit den ersten Anfängen hatten die Kommunisten das Gefühl, daß sie die äußerste Linke jeder proletarischen Bewegung seien, aber in dem Maße, wie diese sich entwickelte und spezialisierte, wurde es für sie eine Notwendigkeit und eine Pflicht, durch die Ausarbeitung von Programmen und ihre Teilnahme an der politischen Tätigkeit der Parteien, die veränderlichen Zufälligkeiten der ökonomischen Entwicklung und der von ihr abhängigen politischen Situation auszunützen.
In den fünfzig Jahren, die uns von der Veröffentlichung des Manifestes trennen, ist die Spezialisierung und die verwickelte Zusammensetzung der proletarischen Bewegung so groß geworden, daß es fortan keinen Geist mehr gibt, der fähig wäre, sie in ihrer Gesamtheit zu umfassen und sie in ihren Einzelheiten zu verstehen, der ihre wahren Ursachen und ihre richtigen Beziehungen ergreifen könnte. Die einheitliche Internationale, die von 1864 bis 1873 bestand, mußte verschwinden, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatte, die einleitende Ausgleichung der allgemeinen Tendenzen und der gemeinsamen Ideen, die das ganze Proletariat nicht entbehren kann, und niemand wird beanspruchen können oder beanspruchen, etwas, das ihr gliche, wiederherzustellen
Zwei Ursachen vornehmlich haben stark zu dieser Spezialisierung und Verwicklung der proletarischen Bewegung beigetragen. In vielen Ländern hat die Bourgeoisie das Bedürfnis gefühlt, im Interesse ihrer eigenen Verteidigung einige der Mißbräuche zu beseitigen, die sich aus dem industriellen Systeme ergeben hatten; daher ist die Arbeiterschutzgesetzgebung oder, wie man sie pompös genannt hat, die soziale Gesetzgebung entstanden. Dieselbe Bourgeoisie hat in ihrem eigenen Interesse oder unter dem Drucke der Verhältnisse in vielen Ländern die allgemeinen Bedingungen der Freiheit vermehren, und namentlich das Wahlrecht ausdehnen müssen. Diese beiden Umstände haben das Proletariat in den Kreis der Tagespolitik gezogen, sie haben seine Möglichkeit, sich zu bewegen, beträchtlich vermehrt; die Behendigkeit und die Beweglichkeit, die es so erworben hat, gestatten ihm, mit der Bourgeoisie in den gewählten Versammlungen zu kämpfen. Und wie die Entwicklung der Dinge die Entwicklung der Ideen bestimmt, so hat dieser praktisch vielfältigen Bewegung des Proletariats eine gleiche Entwicklung in den Lehren des kritischen Kommunismus entsprochen, sowohl in der Art, die Geschichte und das tägliche Leben zu verstehen, als auch in der peinlich eingehenden Beschreibung, die er von den innersten Partien der Ökonomie gibt: mit einem Wort, er ist ein System geworden.
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Gibt es da nicht, fragen sich einige, eine Abweichung von der einfachen und gebieterischen Lehre des Manifestes? Was man an Fülle und Umfang gewonnen hat, sagen einige andere, hat man es nicht an Kraft und Schärfe verloren?
Diese Fragen entstehen nach meiner Ansicht aus einer unrichtigen Auffassung der gegenwärtigen proletarischen Bewegung und einer optischen Täuschung über den Grad von revolutionärer Energie und Wucht in den Kundgebungen von ehedem.
Welches immer die Zugeständnisse seien, die die Bourgeoisie in der ökonomischen Ordnung machen kann, und wäre es selbst eine sehr große Verkürzung des Arbeitstages, so bleibt es immer wahr, daß die Notwendigkeit der Ausbeutung, auf der die ganze gegenwärtige soziale Ordnung beruht, Grenzen zieht, über die hinaus das Kapital, als privates Werkzeug der Produktion, nicht gehen kann. Wenn ein Zugeständnis heute im Proletariat eine Art von Beschwerden beschwichtigen kann, so kann das Zugeständnis selbst nur dazu führen, das Bedürfnis nach neuen und immer wachsenden Zugeständnissen zu erwecken. Das Bedürfnis einer Arbeitsgesetzgebung ist in England vor der chartistischen Bewegung entstanden und hat sich dann mit ihr entwickelt; es hatte seine ersten Erfolge in der Periode, die unmittelbar auf den Sturz des Chartismus folgte. Die Prinzipien und die Vernunft dieser gesetzgeberischen Reformbewegung wurden in ihren Ursachen und in ihren Zwecken von Marx im Kapital kritisch gewürdigt, und sie gingen dann, durch die Internationale, in die Programme der verschiedenen sozialistischen Parteien über. Schließlich ist diese ganze Entwicklung, indem sie sich in der Forderung des Achtstundentags zusammenfaßte, mit dem Ersten Mai eine internationale Heerschau des Proletariats geworden, und ein Verfahren, seine Fortschritte abzuschätzen. Auf der anderen Seite demokratisiert der politische Kampf, an dem das Proletariat teilnimmt, seine Sitten; mehr noch, eine wahrhaftige Demokratie entsteht, die sich mit der Zeit nicht mehr in die gegenwärtige politische Form wird schicken können. Organ einer auf der Ausbeutung gegründeten Gesellschaft, wird diese Form gebildet durch eine bureaukratische Hierarchie, durch eine rechtsprechende Bureaukratie und eine Assoziation auf gegenseitige Hilfeleistung unter den Kapitalisten, um die Herrenrechte zu verteidigen, die ewige Rente der öffentlichen Schuld, die Grundrente, kurzum das Interesse des Kapitals in allen seinen Formen. So werden diese beiden Tatsachen, die, nach der Meinung der Unzufriedenen und Überkritischen, uns ablenken ins Unendliche der kommunistischen Voraussichten, im Gegenteil neue Mittel und Wege, diese Voraussichten zu bekräftigen. Was anscheinend von der Revolution ableitet, das beschleunigt sie alles in allem.
Zudem darf man nicht die Bedeutung der revolutionären Erwartung übertreiben, die vor fünfzig Jahren von den Kommunisten gehegt wurde. Wenn sie einen Glauben hatten, sowie die politische Situation in Europa gegeben war, so war es der, Vorläufer zu fein, und sie sind es gewesen; – sie hofften, daß die politischen Verfassungen Italiens, Österreichs, Ungarns, Deutschlands und Polens sich modernen Formen nähern würden, und das ist später eingetreten, stückweise und auf anderen Wegen. Wenn sie eine Hoffnung hatten, so war es die, daß die proletarische Bewegung Frankreichs und Englands fortfahren würde, sich zu entwickeln. Die Reaktion fegte viele Dinge aus und hielt mehr als eine Entwicklung auf, die schon begonnen hatte. Sie fegte auch die alte revolutionäre Taktik aus, und in den letzten Jahren ist eine neue Taktik entstanden. Das ist der ganze Wechsel.
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Das Manifest hat nichts anderes sein wollen, als der erste Leitfaden einer Wissenschaft und einer Praxis, welche die Erfahrung und die Jahre allein entwickeln konnten. Es gibt nur das Schema und den Rhythmus für den allgemeinen Gang der proletarischen Revolution. Ganz augenscheinlich wurden die Kommunisten durch die Erfahrungen der beiden Bewegungen beeinflußt, die sie unter ihren Augen hatten, die französische und besonders die chartistische, die bald durch die Kundgebung vom 10. April 1848 gelähmt werden sollte. Aber dies Schema legt nicht ein für allemal eine Kampftaktik fest, wie das schon mehrere Male geschehen war. Die Revolutionäre hatten in der Tat oft in Katechismusform auseinandergesetzt, was sich einfach aus der Entwicklung der Dinge ergeben muß.
Dies Schema ist weiter und verwickelter geworden mit der Entwicklung und Ausdehnung des bürgerlichen Systems. Der Rhythmus der Bewegung ist langsamer und mannigfaltiger geworden, weil die Arbeitermasse als besondere politische Partei aufgetreten ist, was Art und Maß der Tätigkeit, und folglich auch die Bewegung ändert.
Ebenso wie vor der Vervollkommnung der Waffen und der anderen Verteidigungsmittel die Taktik der Empörungen unzulässig geworden ist, und ebenso wie die verschlungenen Verhältnisse des modernen Staats ausschließen, von einem durch Überraschung eroberten Rathause einem ganzen Volke die Ansichten und den Willen einer, sei es auch mutigen und fortschrittlichen Minderheit aufzuerlegen, ebensowenig hält sich die Masse der Proletarier ihrerseits an das Stichwort einiger Führer und ebensowenig regelt sie ihre Bewegungen nach den Vorschriften von Hauptleuten, die auf den Trümmern einer Regierung eine andere Regierung errichten könnten. Da, wo die Arbeitermasse politisch entwickelt ist, hat sie sich erzogen und erzieht sie sich demokratisch, sie wählt ihre Vertreter und unterwirft deren Tätigkeit ihrer Kritik; sie macht die Ideen und Vorschläge, die diese ihr unterbreiten, nach selbständiger Prüfung zu den ihrigen; sie weiß schon, oder sie beginnt doch, je nach den Ländern, zu verstehen, daß die Eroberung der politischen Macht nicht durch andere in ihrem Namen gemacht werden kann und darf, und besonders, daß diese Eroberung nicht die Folge eines Handstreichs sein kann. Mit einem Worte, sie weiß oder beginnt zu verstehen, daß die Diktatur des Proletariats, die zur Aufgabe haben wird, die Produktionsmittel zu sozialisieren, nicht die Tat einer von einigen Leuten geführten Masse sein kann, sondern daß sie das Werk der Proletarier selbst sein muß und wird, die schon in sich und durch eine lange Praxis eine politische Organisation geworden sind.
Die Entwicklung und die Ausdehnung des bürgerlichen Systems sind in den letzten fünfzig Jahren reißend und ungeheuer gewesen. Es zernagt bereits das alte und heilige Rußland und es schafft, nicht nur in Amerika, Australien und Indien, sondern selbst in Japan neue Zentren moderner Produktion, indem es so die Bedingungen der Konkurrenz und die Verwicklungen des Weltmarktes noch mehr verwirrt. In Folge davon sind politische Veränderungen entstanden oder werden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ebenso reißend und kolossal sind die Fortschritte des Proletariats gewesen. Seine politische Erziehung macht jeden Tag einen neuen Schritt zur Eroberung der politischen Macht. Die Empörung der Produktivkräfte gegen die Produktionsweise, der Kampf der lebenden Arbeit gegen die aufgehäufte Arbeit wird jeden Tag augenscheinlicher. Das bürgerliche System befindet sich fortan in der Verteidigung und enthüllt seinen Niedergang durch diesen sonderbaren Widerspruch: Die friedliche Welt der Industrie ist ein ungeheures Lager des Militarismus geworden. Die friedliche Periode der Industrie ist, durch die Ironie der Dinge, zugleich die Periode geworden, die ununterbrochen neue Kriegsmaschinen erfindet.
Der Sozialismus hat sich durchgesetzt. Diese Halbsozialisten, selbst diese Charlatane, die mit ihrer Person die Presse und die Versammlungen unserer Partei sperren und uns oft verlegen machen, sind eine Hüldigung, die Eitelkeit und Ehrgeiz aller Art auf ihre Weise der neuen Macht darbringen, die am Horizont aufsteigt. Trotz des frühzeitigen Gegengiftes, das der wissenschaftliche Sozialismus bietet – den viele Leute freilich niemals verstehen lernen – blühen die Pharmazeuten der sozialen Frage, die alle ein besonderes Heilmittel gegen dies oder jenes soziale Leiden haben: Nationalisierung des Grund und Bodens, staatliches Getreidemonopol, demokratische Steuern, Verstaatlichung der Hypotheken, Generalstreik usw. Aber die soziale Demokratie beseitigt alle diese Phantasien, weil das Bewußtsein ihrer Lage die Proletarier zum erschöpfenden Verständnis des Sozialismus führt, sobald sie auf dem politischen Kampfplatze heimlich werden. Sie verstehen nachgerade, daß sie nur auf eine Frage blicken dürfen, auf die Beseitigung des Lohnes; daß es nur eine Gesellschaftsform gibt, welche die Ausrottung der Klassen ermöglicht und selbst notwendig macht; nämlich die Assoziation, die keine Waren produziert, und daß diese Gesellschaftsform nicht mehr der Staat, sondern sein Gegensatz ist, die technische und pädagogische Verwaltung der menschlichen Gesellschaft, die Selbstverwaltung der Arbeit. Zurück mit den Jakobinern, den Heldenriesen von 93 und ihrer Karikatur von 48!
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Soziale Demokratie! – Aber ist das nicht, sagen einige, eine offenbare Abschwächung der kommunistischen Lehre, so wie sie im Manifest niedergelegt ist, mit so entscheidenden und schwingenden Worten?
Es ist hier nicht der Augenblick, daran zu erinnern, daß der Name Sozialdemokratie in Frankreich von 1837 bis 1848 sehr viele Bedeutungen gehabt hat, die dann alle in eine verschwimmende Tendenz zerflossen. Es ist ebensowenig notwendig, zu erklären, wie die Deutschen in diesem Namen die ganze reiche und weite Entwicklung ihres Sozialismus haben zusammenfassen können, von der Episode Lassalles, die heute überwunden und verschlungen ist, bis auf unsere Zeit. Es ist gewiß, daß soziale Demokratie viele Dinge bezeichnen kann, bezeichnet hat und bezeichnet, die weder der kritische Kommunismus, noch der bewußte Weg zur proletarischen Revolution gewesen sind, sind oder sein werden. Es ist auch gewiß, daß der zeitgenössische Sozialismus, selbst in den Ländern, wo er am weitesten entwickelt ist, viele Schlacken mit sich schleppt, deren er sich allmählich auf der Länge seines Weges entledigt; es ist endlich gewiß, daß der breite Name bei sozialen Demokratie vielen ungebetenen Gästen als Schild und Wappen dient. Aber hier kommt es nur darauf an, unsere Aufmerksamkeit auf gewisse Punkte von entscheidender Wichtigkeit zu lichten.
Wir müssen den zweiten Teil des Ausdruckes betonen, um jede Zweideutigkeit zu vermeiden. Demokratisch war die Einrichtung des Kommunistenbundes, demokratisch seine Art, die neue Lehre zu empfangen und zu diskutieren; demokratisch seine Einmischung in die Revolution von 1848 und seine Beteiligung an dem aufständischen Widerstande gegen die verwüstende Reaktion; demokratisch endlich selbst die Form, worin er sich auflöste. In diesem ersten Typus unserer gegenwärtigen Parteien, in dieser ersten Zelle sozusagen, unserer umfassenden, elastischen und sehr entwickelten Organisation, herrschte nicht nur das Bewußtsein der Mission, die Vorläufer zu erfüllen hatten, sondern es bestand auch schon die Art und Form der Assoziation, die allein für die ersten Vorkämpfer der proletarischen Revolution passen. Es war keine Sekte mehr; diese Form war tatsächlich schon überwunden; die unmittelbare und phantastische Herrschaft des Individuums war ausgeschaltet. Vorherrschend war eine Disziplin, die ihre Quelle in der Erfahrung der Notwendigkeit hatte, und in der Lehre, die genau das zurückgestrahlte Bewußtsein dieser Notwendigkeit sein soll. Es war ebenso in der Internationalen, die nur denen autoritativ erschien, die ihre eigene Autorität in ihr nicht vorwiegen lassen konnten. Es muß ebenso sein, und es ist ebenso in den Arbeiterparteien; da, wo dieser Charakter nicht oder noch nicht ausgeprägt ist, erzeugt die proletarische Agitation, noch elementar und verworren, wie sie ist, nur Illusionen und gibt nur einen Vorwand für Intriguen ab. Und wenn dem nicht so ist, dann gibt es eine Gesellschaft, worin der Sektirer sich mit dem Narren und dem Spion drängt; es mag etwa noch die Gesellschaft der Internationalen Brüder Sein, die sich wie ein Schmarotzer an die Internationale heftete und sie diskreditierte: oder auch wohl die Genossenschaft, die als Unternehmung entartet und sich an einen Mächtigen verkauft: eine Arbeiterpartei, die außerhalb der Politik bleibt und die Schwankungen des Marktes studiert, um mit ihrer Streiktaktik in die Windungen der Konkurrenz einzudringen, oder endlich eine Gruppe von Unzufriedenen, zumeist Deklassierten und Kleinbürgern, die sich Spekulationen über den Sozialismus als über eine beliebige Phrase der politischen Mode hingeben. Die soziale Demokratie ist allen diesen Hindernissen auf ihrem Wege begegnet, und sie hat sich davon befreien müssen, ganz wie sie es noch von Zeit zu Zeit tun muß. Die Kunst der Überzeugung genügt nicht immer. Am häufigsten mußte und muß man sich vertrösten und abwarten, daß die harte Schule der Enttäuschung als Lehre dient, was sie besser besorgt, als es Vernunftgründe vermögen.
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Alle diese inneren Schwierigkeiten der proletarischen Bewegung, welche die gewissenlos-gerissene Bourgeoisie am häufigsten selbst nährt und ausbeutet, umfassen zu einem beträchtlichen Teile die Geschichte des Sozialismus in den letzten Jahren.
Der Sozialismus hat für seine Entwicklung nicht nur in den allgemeinen Bedingungen der ökonomischen Konkurrenz und in dem Widerstande der politischen Macht Hindernisse gefunden, sondern auch in den Verhältnissen der proletarischen Masse selbst und in dem manchmal dunkeln, obgleich unvermeidlichen Mechanismus ihrer langsamen, veränderlichen, verwickelten, oft gegensätzlichen und widerstreitenden Bewegungen. Das hindert viele Leute, zu erkennen, wie alle Klassenkämpfe in wachsendem Maße auf den einen Kampf zwischen den Kapitalisten und den proletarischen Arbeitern zurückgehen.
So wenig das Manifest nach dem Vorbilde der Utopisten die Ethik und die Psychologie der zukünftigen Gesellschaft geschrieben hatte, so wenig gab es den Mechanismus dieser Gesellschaftsform und der Entwicklung, worin wir uns befinden. Es ist schon sehr viel, daß einige Pioniere den Weg geöffnet haben, den man einschlagen muß, um sie zu verstehen und sich in ihr zurechtzufinden. Zudem ist der Mensch das Versuchstier in erster Reihe; dafür hat er seine Geschichte oder vielmehr, dafür macht er seine eigene Geschichte.
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Auf diesem Wege des zeitgenössischen Sozialismus, der seinen Weg durch die Erfahrung macht, sind wir der Masse der Bauern begegnet.
Der Sozialismus, der sich praktisch und theoretisch zuerst an die Erkenntnis und Prüfung der Gegensätze gemacht hat, die in der eigentlich so genannten industriellen Produktion zwischen Kapitalisten und Proletariern bestehen, hat seine Tätigkeit der Masse zugewandt, in der die „bäuerische Beschränktheit“ blüht. Die Bauern erobern ist die Tagesfrage, obgleich der Quintessenz-Schäffle seit lange die antikollektivistischen Bauernschädel für die Verteidigung der Ordnung mobil gemacht hat. Die Ausschaltung und die Auswucherung der Hausindustrie durch das Kapital, der immer schnellere Übergang der Landwirtschaft in kapitalistische Betriebe, die Vernichtung oder Verminderung des Kleinbesitzes durch die Hypotheken, das Verschwinden der Gemeindeweiden, der Wucher, die Steuern und der Militarismus, alles das beginnt jetzt Wunder auszuüben an diesen Schädeln, die angeblich die gegenwärtige Ordnung stützen sollen.
Die Deutschen haben zuerst diesen Feldzug unternommen; sie wurden durch die Tatsache ihrer ungeheuren Ausdehnung dazu veranlagt; aus den Städten sind sie zu den kleineren Orten gegangen, und sie gelangten so unvermeidlich an die Grenzen des platten Landes. Die Versuche werden langwierig und schwierig sein; das erklärt, entschuldigt und wird die Irrtümer entschuldigen, die begangen worden sind oder in Zukunft begangen werden. So lange die Bauern nicht gewonnen sein werden, so lange werden wir immer diese „bäuerische Beschränktheit“ hinter uns haben, die unbewußt, und zwar weil sie beschränkt ist, den 18. Brumaire und den 2. Dezember macht oder von neuem versucht.
Die Entwicklung der modernen Gesellschaft in Rußland wird wahrscheinlich in gleichem Schritt mit dieser Eroberung des platten Landes marschieren. Wenn dies Land in die liberale Ära getreten sein wird, mit allen ihren Unvollkommehheiten und Übelständen, mit allen Formen der rein modernen Ausbeutung und Proletarisation, aber auch mit den Entschädigungen und Vorteilen, welche die politische Entwicklung des Proletariats bietet, dann wird die soziale Demokratie nicht mehr unvorhergesehene Gefahren von außen zu fürchten haben, und sie wird zugleich durch die Eroberung der Bauern über die inneren Gefahren triumphiert haben.
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Das Beispiel Italiens ist lehrreich. Nachdem dies Land die kapitalistische Ära eröffnet hatte, ist es für mehrere Jahrhunderte aus dem Laufe der Geschichte gefallen. Es ist ein typischer Fall von Niedergang, den man in allen seinen Phasen genau und urkundlich studieren kann. Zur Zeit der napoleonischen Herrschaft ist es teilweise wieder in die Geschichte eingetreten. Es hat seine Einheit wiedergewonnen und ist nach der Periode der Reaktion und der Verschwörungen unter den allgemein bekannten Umständen ein moderner Staat geworden. Schließlich besitzt Italien alle Laster des Parlamentarismus, des Militarismus und der modernen Finanzen, ohne gleichzeitig die moderne Produktionsweise und die Möglichkeit der Konkurrenz unter gleichen Bedingungen zu besitzen. Es kann mit den Ländern, wo die Industrie weiter vorgeschritten ist, nicht konkurrieren, wegen absoluten Mangels an Steinkohlen, wegen der Seltenheit des Eisens, wegen Mangels an technischen Fähigkeiten; es erwartet oder hofft jetzt, daß die Anwendung von Elektrizität ihm gestatten wird, die verlorene Zeit wieder einzuholen. Ein moderner Staat, in einer fast ausschließlich ackerbautreibenden Gesellschaft und in einem Lande, wo der Ackerbau zum großen Teile zurückgeblieben ist, nährt dies allgemeine Gefühl allumfassenden Ungemachs.
Daher kommt die Unbeständigkeit und Zusammenhanglosigkeit der Parteien, die reißend schnellen Schwankungen von der Demagogie bis zur Diktatur, das Gedränge, die Menge und die zahllose Armee der politischen Schmarotzer, Projektenmacher und Phantasten. Dies sonderbare soziale Schauspiel einer gehinderten, verzögerten, verschränkten und doch unsicheren Entwicklung wird in einer sehr lebendigen Art aufgeklärt durch einen durchdringenden Geist, der nicht immer der Ausdruck und die Frucht einer modernen, breiten und wahren Kultur ist und doch, als Rest einer tausendjährigen Kultur, das Zeichen eines sehr großen Geistesraffinements trägt. Italien ist aus leicht begreiflichen Gründen niemals ein geeigneter Boden für die ursprüngliche Entstehung sozialistischer Ideen und Tendenzen gewesen. Der Italiener Philipp Buonarotti, zuerst der Freund des jüngeren Robespierre, wird der Gefährte Babeufs uns später versucht er, nach 1830, den Babouvismus in Frankreich wieder herzustellen! Der Sozialismus ist in Italien zuerst zur Zeit der Internationalen erschienen, in der verworrenen und zusammenhanglosen Form des Bakunismus; er war zudem nicht eine Bewegung von Arbeitern, sondern von Kleinbürgern und Revolutionären aus Prinzip.[Anmerkung 9] In den letzten Jahren hat der Sozialismus sich in einer Form festgelegt, die beinahe den allgemeinen Typus der sozialen Demokratie widerspiegelt. Nun haben in Italien die Aufstände der sizilischen Bauern, denen andere Revolten derselben Art auf dem Kontinent gefolgt sind oder noch folgen werden, das erste Lebenszeichen des Proletariats gegeben. Ist das nicht sehr bezeichnend?
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Nach diesem Streifzug in die Geschichte des zeitgenössischen Sozialismus, lenkt sich der Gedanke gern zu unseren Vorläufern von vor fünfzig Jahren zurück, die mit dem Manifest einen vorgeschobenen Posten auf dem Wege des Fortschritts besetzten. Und das gilt nicht nur von den Theoretikern, nämlich Marx und Engels. Beide würden immer und unter allen Umständen, vom Katheder oder der Tribüne oder durch ihre Bücher, einen beträchtlichen Einfluß auf die Politik und die Wissenschaft ausgeübt haben, selbst wenn sie auf ihrem Wege nicht dem Bunde der Kommunisten begegnet sein würden; so groß war die Kraft und Ursprünglichkeit ihres Geistes und die Ausdehnung ihrer Kenntnisse. Aber ich will von all den Unbekannten sprechen, um den dünkelhaften und leeren Jargon der bürgerlichen Literatur anzuwenden, von dem Schuhmacher Bauer, dem Schneidern Leßner und Eccarius, dem Miniaturmaler Pfänder, dem Uhrmacher Moll, von Lochner usw., und von so vielen anderen, die zuerst die bewußten Träger unserer Bewegung gewesen sind. Der Ruf: Proletarier aller Länder, vereinigt euch, zeigt ihr Erscheinen an, der Übergang des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft kennzeichnet das Ergebnis ihrer Arbeit. Das Fortwirken ihres Instinkts und ihres ersten Anstoßes in dem Werke von heute ist der unvergeßliche Anspruch, den diese Vorläufer auf die Dankbarkeit aller Sozialisten erworben haben.
Als Italiener kehre ich um so lieber zu diesen Anfängen der modernen Sozialismus zurück, als, für mich wenigstens, folgende strikte Mahnung von Engels nicht ohne Wichtigkeit ist: „Die Entdeckung, daß überall und immer die politischen Zustände und Ereignisse ihre Erklärung finden in den entsprechenden ökonomischen Zuständen, wurde keineswegs von Marx im Jahre 1845 gemacht, sondern von Herrn Loria 1886. Wenigstens hat er dies seinen Landesleuten und, seit sein Buch französisch erschien, auch einigen Franzosen glücklich aufgebunden und kann jetzt als Autor einer neuen epochemachenden Geschichtstheorie herumstolzieren, bis die dortigen Sozialisten Zeit finden, dem Juristen Loria die gestohlenen, Pfauenfedern herunterzuzupfen.“
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Ich möchte schließen, ober ich muß noch zögern. Von allen Seiten und aus allen Lagern erheben sich Proteste, drängen sich Einwürfe gegen den historischen Materialismus. Und mit diesen Stimmen vereinigen sich auch, von hier und da, die zu neu angekommenen, die philantropischen, die sentimentalen und manchmal hysterischen Sozialisten. Und dann erscheint, wie eine Warnung, die Magenfrage wieder. Andere ergeben sich logischen Fechtübungen über die abstrakten Kategorien des Egoismus und des Altruismus; für andere endlich erscheint immer im günstigen Augenblicke der unvermeidliche Kampf ums Dasein.
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Die Moral! Aber wir haben längst die Moral der bürgerlichen Periode aus der Bienenfabel Mandevilles gelernt, die zugleich mit der Entstehung der klassisschen Ökonomie erschien. Und ist die Politik dieser Moral nicht in klassischen unvergeßlichen Zügen durch den ersten klassischen Schriftsteller des kapitalistischen Zeitalters erläutert worden, durch Macchiavel, der den Macchiavelismus nicht erfunden hat, aber sein fleißiger und treuer Sekretär und Redakteur war? Und das logische Lanzenbrechen zwischen dem Egoismus und Altruismus, haben wir es nicht vor uns. Von dem Geistlichen Malthus bis zu diesem langweiligen und weitschweifigen Schwätzer ins Leere, dem unvermeidlichen Spencer? Kampf ums Dasein! Aber wollt ihr einen solchen beobachten, studieren, verstehen, der für uns wichtiger wäre als der, den die proletarische Agitation erzeugt und in riesenhaftem Umfang uns bietet? Oder wollt ihr vielleicht die Erklärung dieses Kampfes, der Sich auf dem übernatürlichen Gebiete der Gesellschaft abspielt, das der Mensch selbst in der Folge der Zeiten durch die Arbeit, die Technik und die Einrichtungen geschaffen hat und das der Mensch selbst durch andere Formen der Arbeit, der Technik und der Einrichtungen ändern kann, wollt ihr sie einfach auf die Erklärung des allgemeinsten Kampfes beschränken, den die Pflanzen und die Tiere und auch die Menschen, so lange sie nur Tiere sind, im Schoße der Natur kämpfen?
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Aber kehren wir zu unserem Gegenstande zurück!
Der kritische Kommunismus hat sich niemals geweigert und weigert sich nicht, die reiche und vielfältige Anregung, ideologische, ethische, psychologische und pädagogische Anregung anzunehmen, die ihm aus der Kenntnis und dem Studium aller Formen des Kommunismus erwachsen kann, von Phaleas von Chalcedonien bis auf Cabet. Noch mehr: durch das Studium und die Kenntnis dieser Formen entwickelt und befestigt sich das Bewußtsein, wie sich der wissenschaftliche Sozialismus von dem ganzen Reste scheidet. Wer wird bei diesem Studium nicht anerkennen, daß Thomas Morus eine heroische Seele und ein großer Schriftsteller des Sozialismus war? Wer wird in seinem Herzen keinen reichen Zoll der Bewunderung für Robert Owen empfinden, der zuerst der Ethik des Kommunismus dies unanfechtbare Prinzip gab: der Charakter und die Moral der Menschen sind das notwendige Ergebnis der Verhältnisse, worin sie leben, und der Umstände, die sie umgeben? Und die Anhänger des kritischen Kommunismus halten es für ihre Pflicht, indem sie die Geschichte mit dem Gedanken durchlaufen, die Partei aller Unterdrückten zu nehmen, mag auch ihr Geschick fast immer gewesen sein, unterdrückt zu bleiben, und noch einem vorübergehenden Erfolge der Herrschaft neuer Unterdrücker den Weg zu bahnen.
Aber die Anhänger des kritischen Kommunismus unterscheiden sich an einem Punkte unzweideutig von allen anderen Arten oder Formen des alten, modernen ober zeitgenössischen Kommunismus oder Sozialismus, und dieser Punkt ist von entscheidender Wichtigkeit.
Sie können nicht zugeben, daß die vergangenen Ideologien ohne Wirkung geblieben seien, und daß die vergangenen Anläufe des Proletariats immer durch reinen Zufall, durch reines Ungefähr, durch eine Laune der Umstände besiegt worden seien. Obgleich alle diese Ideologien in der Tat soziale Gegensätze, das heißt reelle Klassenkämpfe empfunden haben, mit einem hohen Gerechtigkeitsgefühl und einer tiefen Hingebung an ein Ideal, so offenbaren sie alle ihre Unkenntnis der wahren Ursachen und der tatsächlichen Art der Gegensätze, gegen die sie sich durch eine Tat freiwilliger und oft heldenmütiger Empörung erhoben haben. Daher stammt ihr utopischer Charakter. Wir erklären uns gleichermaßen, weshalb die Unterdrückungszustände anderer Zeitalter, mochten sie selbst barbarischer und grausamer sein, nicht die gehäufte Energie, die gesammelte Kraft und den dauernden Widerstand hervorgerufen haben, die sich in dem Proletariat unserer Zeit verkörpern. Der Wechsel in der ökonomischen Struktur der Gesellschaft, die Bildung des Proletariats im Schoße der großen Industrie und des modernen Staats, das Erscheinen des Proletariats auf der politischen Bühne – das sind in Summa die neuen Tatsachen, die das Bedürfnis nach neuen Ideen erzeugt haben. So ist der kritische Kommunismus weder Moralist, noch Prediger, noch Ankläger, noch Utopist; – er hält schon die Sache in seinen Händen, und in die Sache selbst hat er seine Moral und seinen Idealismus gelegt.
Diese Erklärung, die den Sentimentalen zu hart erscheint, weil sie zu wahr und zu wirklich ist, gestattet uns rückschreitend die Geschichte des Proletariats zu schreiben und der anderen Unterdrückten, die ihm vorangegangen sind. Wir sehen ihre verschiedenen Phasen; wir machen uns den Mißerfolg des Chartismus und der Verschwörung der Gleichen klar, und wir gehen noch weiter zurück, zu den Erhebungen des Aufstandes und des Widerstandes, zu den Kriegen, zu dem berühmten Bauernkriege in Deutschland und zur Jacquerie und zu Fra Dolcino. In allen diesen Taten und allen diesen Ereignissen werden wir Formen und Phänomene entdecken, die sich auf das Werden der Bourgeoisie beziehen, wie sie das feudale System zerriß und umstürzte, darüber triumphierte und daraus hervorging. Wir können es ebenso mit den Klassenkämpfen der alten Welt machen, jedoch mit geringerer Klarheit. Diese Geschichte des Proletariats und der anderen unterdrückten Klassen, ihrer wechselnden Kämpfe und Revolten gibt uns schon ein genügendes Verständnis dafür, weshalb die Ideologien des Kommunismus in anderen Zeitaltern verfrüht gewesen sind.
Wenn die Bourgeoisie noch nicht überall an die Grenze ihrer Entwicklung gelangt ist, so ist sie bestimmt, in gewissen Ländern, auf ihrem Gipfel angekommen. In den vorgeschrittensten Ländern unterwirft sie in der Tat die verschiedenen älteren Produktionsformen, sei es mittelbar oder unmittelbar, der Aktion und dem Gesetze des Kapitals. Und so vereinfacht sie, oder strebt doch nach dieser Vereinfachung, die verschiedenen Klassenkämpfe von ehemals, die sich damals durch ihre vielfache Anzahl ausschlossen, in den einen Kampf zwischen dem Kapital, das alle zum Leben notwendigen Produkte der menschlichen Arbeit in Waren verwandelt, und der proletarisierten Masse, die ihre selbst zur einfachen Ware gewordene Arbeitskraft verkauft. Das Geheimnis der Geschichte ist vereinfacht. Es ist ganz prosaisch. Und ebenso wie der gegenwärtige Klassenkampf die Vereinfachung aller anderen ist, ebenso vereinfacht das Manifest in theoretisch klaren und allgemeinen Formen die ideologische, ethische, psychologische und pädagogische Anregung der anderen Formen des Kommunismus, nicht indem es sie leugnet, sondern indem es sie höher hebt. Alles ist prosaisch und der Kommunismus selbst nimmt Teil daran: er ist jetzt eine Wissenschaft. Auch gibt es im Manifest weder Rhetorik, noch Proteste. Es lamentiert nicht über den Pauperismus, um ihn zu beseitigen. Es vergießt keine Träne um nichts. Die Tränen der Dinge haben sich von selbst in freiwillig zurückfordernde Kraft verwandelt. Die Ethik und der Idealismus bestehen fortan darin, den wissenschaftlichen Gedanken in den Dienst des Proletariats zu stellen. Wenn diese Ethik den Sentimentalen, die meist einfältig und hysterisch sind, nicht moralisch genug erscheint, so mögen sie bei dem Hohenpriester Spencer eine Anleihe von Altruismus machen. Er wird ihnen dessen abgeschmackte und zerfließende Definition geben: mögen sie sich daran genügen lassen!
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Aber dann wird der ökonomische Faktor allein dazu dienen müssen, um die ganze Geschichte zu erklären?
Historische Faktoren! Das ist ein Ausdruck von Empiristen oder Ideologen, die ihren Herder wiederholen. Die Gesellschaft ist ein verwickeltes Ganzes, oder ein Organismus, nach dem Ausdruck einiger, die ihre Zeit damit verlieren, über den Wert und die analoge Anwendung dieses Ausdrucks zu streiten. Dieser Komplex hat sich gebildet und hat mehrere Male gewechselt. Was ist nun die Erklärung dieses Wechsels?
Schon lange ehe Feuerbach der theologischen Erklärung der Geschichte den Todesstoß gab (der Mensch macht die Religion, und nicht die Religion den Menschen), hatte der alte Balzac, der Balzac des 17. Jahrhunderts, ihre Satire geschrieben, indem er aus den Menschen die Marionetten Gottes machte. Und hatte nicht Vico schon anerkannt, daß die Vorsehung in der Geschichte nicht von außen her handle? Und hatte nicht dieser selbe Vico, ein Jahrhundert vor Morgan, die Geschichte auf eine Entwicklung zurückgeführt, die der Mensch selbst durch eine allmähliche Erfahrung macht, durch die Erfindung der Sprache, der Religionen, der Sitten und des Rechts? Hatte nicht Lessing bekräftigt, daß die Geschichte eine Erziehung des Menschengeschlechts sei? Hatte Jean-Jacques nicht gesehen, daß die Ideen aus den Bedürfnissen entspringen? Hatte nicht Saint-Simon, wenn er sich nicht in die Unterscheidung der organischen und unorganischen Epochen verlor, die wirkliche Entstehungsgeschichte des dritten Standes erkannt, und machten seine in Prosa übersetzten Ideen nicht aus Augustin Thierry einen Erneuerer der historischen Studien?
In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts und namentlich in der Periode von 1830 bis 1850 waren die Klassenkämpfe, welche die antiken Historiker und die italienischen Historiker zur Zeit der Renaissance so klar beschrieben hatten, belehrt durch die Erfahrung dieser Kämpfe in dem engen Bezirk ihrer städtischen Republik, gewaltig gewachsen und hatten auf beiden Seiten des Kanals immer größeren Umfang und ein immer handgreiflicheres Dasein gewonnen. In der Mitte der großen Industrie geboren, erleuchtet durch die Erinnerung und das Studium der großen Revolution, wurden sie anschaulich und lehrreich, weil sie in den Programmen der politischen Parteien mit mehr oder weniger Klarheit und Bewußtsein ihren anregenden und gegenwärtigen Ausdruck fanden: Freihandel oder Kornzoll in England usw. Die Geschichtsauffassung wechselte sichtbarlich in Frankreich, auf dem rechten wie auf dem linken Flügel der literarischen Parteien, von Guizot bis Louis Blanc und bis zum bescheidenen Cabet. Die Soziologie war das Bedürfnis der Zeit, und wenn sie ihren theoretischen Ausdruck vergebens in August Comte suchte, einem verspäteten Scholastiker, so fand sie ihren Künstler in Balzac, der in Wahrheit die Psychologie der Klassen gefunden hat. in die Klassen und ihre Reibungen den wirklichen Gegenstand der Geschichte, und die Bewegung dieser in die Bewegung jener zu setzen, das war man im Zuge zu suchen und zu finden, und die Theorie von alledem mußte in genauen Ausdrücken festgestellt werden.
Der Mensch hat seine Geschichte weder in bildlicher Entwicklung gemacht, noch um auf der Linie eines vorher beschlossenen Fortschrittes zu marschieren. Er hat sie gemacht, indem er sich seine eigenen Bedingungen schuf, das heißt, indem er sich durch seine Arbeit eine künstliche Umwelt schuf, indem er nach und nach seine technischen Fertigkeiten entwickelte und indem er die Früchte seiner Tätigkeit in dieser neuen Umwelt aufhäufte und umbildete. Wir haben nur eine einzige Geschichte, und wir können der wirklichen Geschichte, die sich tatsächlich abgespielt hat, nicht von einer anderen nur möglichen Geschichte näher kommen. Wo die Gesetze dieser Bildung und Entwicklung finden? Die sehr alten Bildungen sind nicht auf den ersten Blick durchsichtig. Aber die bürgerliche Gesellschaft, da sie frisch geboren ist und noch nicht einmal in allen Teilen Europas ihre volle Entwicklung gefunden hat, trägt die Keimspuren ihres Ursprungs und ihres Fortschritts an sich, uns setzt sie in volles Licht in den Ländern, wo sie eben erst unter unseren Augen entsteht, wie in Japan. Insoweit diese Gesellschaft alle Produkte menschlicher Arbeit mit Hilfe des Kapitals in Waren verwandelt, das Proletariat voraussetzt oder es schafft und in sich die Unruhe, die Verwirrung, die Unsicherheit beständiger Neuerungen trägt, ist sie in bestimmten Zeiten, nach klaren und aufzeigbaren, obgleich veränderlichen Weisen entstanden. In der Tat hat sie in den verschiedenen Ländern verschiedene Entwicklungsarten: in Italien z.B. beginnt sie zu allererst uns hört dann auf, in England ist sie das Produkt dreier Jahrhunderte, in denen die alten Produktionsformen oder, um mit den Juristen zu sprechen, die alten Eigentumsformen ökonomisch vernichtet wurden. In manchem Lande arbeitet sie sich allmählich heraus, indem sie sich mit den vor ihr bestehenden Kräften verbindet, wie in Deutschland, und durch Anpassung erleidet Sie deren Einfluß; in manch anderem Lande zerbricht sie heftig die Hülle und die Kräfte des Widerstandes, wie in Frankreich, wo die große Revolution uns das kräftigste und schwindelerregendste Beispiel der historischen Aktion gibt, das man kennt, und richtet so die größte Schule der Soziologie ein.
Wie ich schon hervorgehoben habe, ist diese Bildung der modernen oder bürgerlichen Geschichte mit lehrreichen und schnellen Zügen im Manifest gegeben worden, das ihr allgemeines anatomisches Profil in seinen aufeinanderfolgenden Ansichten gegeben hat: die Zunft, den Handel, die Manufaktur und die große Industrie, und so auch die Aufzählung ihrer abgeleiteten und verwickelten Organe und Werkzeuge; das Recht, die politischen Formen usw. Die Elemente der Theorie, welche die Geschichte durch das Prinzip des Klassenkampfes erklären soll, waren darin schon mittelbar enthalten.
Diese selbe bürgerliche Gesellschaft, die die früheren Produktionsformen revolutionierte, hatte sich selbst und ihre Entwicklung beleuchtet, indem sie die Lehre ihres Baues schuf, die Ökonomie. Sie hat sich in der Tat nicht in der Unbewußtheit entwickelt, die den ursprünglichen Gesellschaften eigen war, sondern im vollen Lichte der modernen Welt, von der Renaissance an.
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Wie man weiß, entstand die Ökonomie in ihrem Ursprunge bruchstückweise, mit der ersten Bourgeoisie, die Handel trieb und große geographische Entdeckungen machte, das will sagen, mit der ersten und zweiten Phase des Merkantilismus. Und sie entstand, um auf spezielle Fragen zu antworten, zum Beispiel: – Ist der Nutzen berechtigt? Ist es vorteilhaft für die Staaten und die Nationen, Reichtümer aufzuhäufen? Sie wuchs dann und beschäftigte sich mit den verwickeltsten Seiten, die das Problem des Reichtums bot, und sie entwickelte sich in dem Übergange vom Merkantilismus zur Manufaktur und dann reißender und rücksichtsloser noch im Übergange von dieser zur großen Industrie. Sie wurde die geistige Seele der Bourgeoisie, welche die Gesellschaft erobern sollte. Sie hatte fast schon, als Wissenschaft, ihre großen allgemeinen Linien am Vorabend der großen Revolution gezogen; sie würde das Signal der Empörung gegen die alten Formen der Feudalität, der Zunft, des Vorrechts, der Arbeitsbeschränkungen; mit einem Worte, sie wurde das Signal der Freiheit. In der Tat war das Naturrecht, das sich von den Vorläufern des Grotius bis auf Rousseau, Kant und die Konstitution von 93 entwickelte, nichts anderes, als die Verdoppelung und die ideologische Ergänzung der Ökonomie, bis zu dem Grabe, daß oft die Sache und ihre Ergänzung im Geiste und in den Forderungen der Schriftsteller zusammenfallen, wie wir ein typisches Beispiel dafür bei den Physiokraten gehabt haben.
Als Lehre trennte, unterschied, untersuchte sie die Elemente und die Formen der Entwicklung in der Produktion, der Zirkulation und der Distribution, indem sie das Ganze auf Kategorien zurückführte: Geld, Geldkapital, Zinsen, Profit, Grundrente, Lohn usw. Sicher ihrer selbst uns ihre Untersuchungen häufend, marschierte sie von Petty zu Ricardo. Alleinige Herrin des Terrains, reizte sie nur zu seltenen Einwürfen. Sie ging von zwei Behauptungen aus, die sie sich nicht einmal die Mühe gab, zu beweisen, so selbstverständlich erschienen sie ihr: daß die soziale Ordnung, die sie erklärte, die natürliche Ordnung sei und daß das Privateigentum an den Produktionsmitteln eins sei mit der menschlichen Freiheit, woraus sich das Lohnsystem und die Minderwertigkeit der Lohnarbeiter notwendig ergab. Mit anderen Worten, sie erkannte nicht den historischen Charakter der Formen, die sie studierte. Die Gegensätze, auf die sie bei ihrem, mehrmals vergebens, unternommenen Versuche der Schematisierung stieß, versuchte sie auf logischem Wege zu beseitigen, wie z.B. Ricardo in seinem Kampfe gegen die Grundrente.
Am Beginne des Jahrhunderts brechen mit Heftigkeit die Krisen und die ersten Arbeiterbewegungen aus, die ihren unmittelbaren Ursprung in einer starken Arbeitslosigkeit haben. Das Ideal der natürlichen Ordnung ist umgestürzt! Der Reichtum hat das Elend erzeugt! Indem die große Industrie alle sozialen Beziehungen umwälzte, hat sie die Laster, die Krankheiten, die Untertänigkeit vermehrt; sie ist, mit einem Worte, eine Quelle der Entartung. Der Fortschritt hat den Rückschritt erzeugt. Was tun, damit der Fortschritt nur den Fortschritt erzeuge, das heißt, im gleichen Maße für alle das Gedeihen, die Gesundheit, die Sicherheit, die Erziehung und die geistige Entwickelung? In dieser Frage ist der ganze Owen enthalten, der mit Fourier und Saint-Simon darin übereinstimmt, daß sie nicht mehr an die Entsagung und die Religion appellieren, sondern die sozialen Gegensätze auslösen und überwinden wollen, ohne die technische und industrielle Energie des Menschen zu Schwächen, ja sie noch stärkend. Auf diesem Wege ist Owen zum Kommunisten geworden, und er ist der erste, der es in einer Umgebung wurde, die von der modernen Industrie geschaffen war. Der Gegensatz ist ganz in dem Widersprüche zwischen der Produktions- und der Distributionsweise enthalten. Dieser Gegensatz muß also in einer Gesellschaft, die kollektiv produziert, unterdrückt werden. Owen wird Utopist. Er will die vollkommene Gesellschaft auf dem Wege des Versuchs herstellen, und er widmet sich der Aufgabe mit einer heroischen Ausdauer und einer beispiellosen Entsagung, indem er seine Vorschläge im einzelnen selbst mit mathematischer Genauigkeit ausarbeitet.
Nachdem der Gegensatz zwischen Produktion und Distribution einmal entdeckt war, fanden sich in England, von Thompson bis Bray, eine Reihe von Schriftstellern, deren Sozialismus nicht im strengen Sinne utopistisch, aber einseitig war, weil er sich das Ziel steckte, die enthüllten und angezeigten Fehler der Gesellschaft durch ebensoviele ihnen angepaßte Heilmittel zu beseitigen. In der Tat ist der erste Schritt aller derer, die sich auf der Straße des Sozialismus befinden, die Entdeckung des Widerspruchs zwischen Produktion und Distribution. Dann erheben sich unverweilt die harmlosen Fragen: Warum nicht die Armut vernichten? Warum nicht die Arbeitslosigkeit beseitigen? Warum nicht das Zwischending des Geldes unterdrücken? Warum nicht den direkten Austausch der Produkte fördern, auf Grund der Arbeit, die sie enthalten? Warum nicht dem Arbeiter das ganze Produkt seiner Arbeit geben? Und so weiter. Diese Fragen führen die widerstrebenden und zähen Dinge des wirklichen Lebens auf ebensoviele Vernünftgründe zurück, und sie bekämpfen das kapitalistische Regiment, als ob es eine Maschine wäre, der man Stücke, Räder und Triebwerke wegnehmen oder zufügen könne. Die Anhänger des kritischen Kommunismus haben endgültig mit allen diesen Tendenzen gebrochen. Sie haben die klassische Ökonomie als ihre Nachfolger fortgesetzt, als die Lehre vom Bau der gegenwärtigen Gesellschaft. Niemand kann diesen Bau praktisch, politisch, revolutionär bekämpfen, ohne sich vorher eine genaue Rechnung seiner Beziehungen und Elemente zu machen, indem er gründlich die Lehre studiert, die ihn erklärt. Diese Beziehungen, Elemente und Formen entstehen unter bestimmten historischen Bedingungen, oder sie bilden ein System und eine Notwendigkeit. Wie kann man hoffen, ein solches System durch eine logische Verneinung zu zerstören oder es durch Vernunftgründe zu beseitigen? Den Pauperismus ausrotten? Aber er ist eine notwendige Bedingung des Kapitalismus. Dem Arbeiter das ganze Produkt seiner Arbeit geben? Aber was sollte dann aus dem Profit des Kapitals werden? Und wo und wie könnte das für den Kauf von Waren ausgelegte Geld sich vermehren, wenn unter allen Waren, auf die es trifft und mit denen es sich austauscht, sich nicht gerade eine befände, die dem, der sie gekauft hat, mehr einbringt, als sie ihm gekostet hat: und ist diese Ware nicht gerade die gelohnte Arbeitskraft? Das ökonomische System ist kein Gewebe von Vernunftgründen, sondern ein zusammenhängender Komplex von Tatsachen, der ein verwickeltes Gewebe von Beziehungen erzeugt. Es ist töricht, zu glauben, daß dies System von Tatsachen, das die herrschende Klasse mit großer Mühe, Jahrhunderte lang, durch Gewalt, List, Talent und Wissenschaft eingerichtet hat, abdanken und sich selbst zerstören werde, um den Ansprüchen der Armen, die ihre Rechte wiederfordern, und den Vernunftgründen ihrer Fürsprecher Platz zu machen. Wie kann man die Unterdrückung des Elends fordern, ohne den Umsturz des ganzen Restes zu fordern? Es heißt, eine abgeschmackte Forderung stellen, wenn man von dieser Gesellschaft beansprucht, das Recht zu wechseln, wodurch sie sich verteidigt. Es heißt im Mangel an Logik ertrinken, wenn man vom Staate beansprucht, daß er aufhören solle, der Verteidigende Schild dieser Gesellschaft und dieses Rechts zu sein.[Anmerkung 10] Der einseitige Sozialismus, der, ohne gerade utopistisch zu sein, von der Annahme ausgeht, daß die Gesellschaft die Verbesserung einzelner Fehler zulasse ohne Revolution, daß heißt, ohne gründliche Umwandlung in dem allgemeinen und elementaren Bau der Gesellschaft selbst, ist nur eine harmlose Einbildung. Der Widerspruch mit den strengen Gesetzen der tatsächlichen Entwicklung zeigt sich in ganzer Klarheit bei Proudhon, der einige jener einseitigen Sozialisten in England wissentlich ober unwissentlich nachahmte und die Geschichte aufhalten und ändern wollte, durch eine Definition und bewaffnet mit einem schulgerechten Vernunftschluß.
Die Anhänger des kritischen Kommunismus erkannten der Geschichte das Recht zu, ihren Beruf zu verfolgen. Die bürgerliche Periode kann überschritten, und sie wird überschritten werden. Aber solange sie existiert, hat sie ihre Gesetze. Die Bedingtheit der Gesetze besteht darin, daß sie sich unter bestimmten Bedingungen bilden und entwickeln, jedoch die Bedingtheit ist nicht einfach das Gegenteil der Notwendigkeit, kein bloßer Schein, keine Seifenblase. Diese Gesetze können verschwinden, und sie werden verschwinden, sobald sich tatsächlich der Wechsel der Gesellschaft vollzieht. Aber sie weichen nicht der willkürlichen Anregung, die eine Verbesserung fordert, eine Reform verkündet oder einen Plan entwirft. Der Kommunismus macht gemeinsame Sache mit dem Proletariat, weil nur in diesem die revolutionäre Kraft beruht, welche die gegenwärtige soziale Form zerbricht, zerschlägt, erschüttert und auflöst und in ihr allmählich neue Verhältnisse schafft, oder um genauer zu sein, die Tatsache seiner Bewegung selbst zeigt uns, daß diese neuen Verhältnisse bereits entstehen.
Die Theorie des Klassenkampfes war gefunden. Man sah ihn in den Ursprüngen der Bourgeoisie erscheinen, deren innere Entwicklung schon durch die Wissenschaft der Ökonomie erklärt worden war, und in dieser neuen Erscheinung des Proletariats. Die Bedingtheit der ökonomischen Gesetze war entdeckt, aber zugleich verstand man ihre bedingte Notwendigkeit. Hierin besteht die ganze Methode und Vernunft der neuen Geschichtsauffassung. Diejenigen täuschen sich, die mit der Berufung auf die ökonomische Auslegung der Geschichte alles zu verstehen glauben. Diese Berufung paßt besser und ausschließlich auf gewisse analytische Versuche, die, getrennt voneinander, auf der einen Seiten die ökonomischen Formen und Kategorien, auf der anderen zum Beispiel das Recht, die Gesetzgebung, die Politik, die Sitten untersuchen und dann die wechselseitigen Einflüsse der verschiedenen, in abstrakter Weise betrachteten Seiten des Lebens aufeinander studieren. Ganz anders ist unsere Stellung. Wir stehen einer organischen Auffassung der Geschichte gegenüber. Vor unserem Geiste steht das Ganze des einheitlichen sozialen Lebens. Die Ökonomie selbst löst sich in dem Laufe einer Entwicklung auf, um in ebensovielen morphologischen Stadien zu erscheinen, in deren jedem sie als Unterbau für alles übrige dient. Es handelt sich, alles in allem, nicht darum, den sogenannten ökonomischen Faktor, in abstrakter Weise isoliert, auf den ganzen Rest auszudehnen, wie es sich unsere Gegner einbilden, sondern es handelt sich vor allem darum, die Ökonomie historisch zu verstehen und durch ihre Änderungen die anderen Änderungen zu erklären. Das ist die Antwort auf alle die Kritiken, die uns von allen Gebieten der gelehrten Unwissenheit kommen, mit Einschluß der ungenügend unterrichteten, sentimentalen und hysterischen Sozialisten. Und so erklären wir uns, weshalb Marx im Kapital nicht das erste Buch des kritischen Kommunismus, sondern das letzte große Werk der bürgerlichen Ökonomie geschrieben hat.
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Als das Manifest geschrieben wurde, ging der historische Horizont nicht über die antike Welt, die germanischen Altertümer, die kaum erst studiert waren, und über die biblische Überlieferung hinaus, die man seit kurzem auf die profanen Bedingungen aller Geschichte zurückgeführt hatte. Unser historischer Horizont ist jetzt ganz anders, weil er bis auf die arischen Altertümer zurückgeht, auf die sehr alte Gesellschaftsform Ägyptens und Mesopotamiens, die allen semitischen Traditionen vorhergehen. Und man geht noch weiter zurück in die Prähistorie, das heißt in die ungeschriebene Geschichte. Morgan hat uns die Kenntnis der alten, will sagen vorpolitischen Gesellschaft gegeben, und den Schlüssel des Verständnisses dafür, wie von daher alle späteren Gesellschaftsbildungen ausgegangen sind, die Einehe, die Entwicklung der väterlichen Familie, das Eigentum erst der Gens, dann der Familie, endlich des Individuums, die allmählichen Bündnisse zwischen den Gentes, aus denen der Staat hervorging. Alles das wird beleuchtet durch die Kenntnis der technischen Entwicklung in der Erfindung und Anwendung der Arbeitsmittel und Arbeitswerkzeuge, und der Einsicht in die Aktion, die diese Entwicklung auf den sozialen Komplex ausübt, indem sie ihn in gewisser Richtung vorwärts treibt und ihn gewisse Stadien durchlaufen läßt. Diese Entdeckungen können an gewissen Punkten verbessert werden, namentlich durch
das Studium der verschiedenen spezifischen Formen, nach denen sich in den verschiedenen Teilen der Welt der Übergang von der Barbarei zur Zivilisation vollzogen hat. Aber von nun an ist es eine unbestreitbare Tatsache, daß wir den allgemeinen Entwicklungsgang des menschlichen Geschlechtes unter den Augen haben, vom ursprünglichen Kommunismus bis zu den verwickelten Bildungen, beispielsweise in Athen und Rom, mit ihren die Bürger nach dem Zensus in Klassen teilenden Verfassungen, die bis vor kurzem die Säulen des Herkules für die historischen Studien in der geschriebenen Überlieferung bildeten. Die Klassen, die das Manifest voraussetzte, sind fortan in ihren Bildungsprozeß aufgelöst, und in diesem erkennt man schon das Schema der verschiedenen ökonomischen Gründe und Ursachen wieder, die in unserer bürgerlichen Periode die Kategorien der ökonomischen Wissenschaft bilden. Der Traum Fouriers, die Epoche der Zivilisation in die Reihe einer langen und weiten Entwicklung eintreten zu sehen, hat sich verwirklicht. Man hat wissenschaftlich die Frage gelöst, wie die Ungleichheit unter den Menschen entstanden ist, eine Frage, die Jean Jacques Rousseau durch Gründe einer originalen Dialektik, aber mit einer zu geringen Zahl tatsächlicher Anhaltspunkte zu beantworten versucht hatte.
In zwei Punkten, den äußersten Punkten für uns, ist die menschliche Entwicklung handgreiflich: in den Ursprüngen der Bourgeoisie, die noch so frisch sind und von der Wissenschaft der Ökonomie erleuchtet werden, und in der alten Form der in Klassen geteilten Gesellschaft, um mit Morgan zu sprechen, in dem Übergange von der höheren Stufe der Barbarei zur Zivilisation (die Epoche des Staats). Alles, was zwischen diesen beiden Perioden liegt, ist das, womit sich bisher die Chronikenschreiber und die eigentlich so genannten Historiker, die Juristen, die Theologen und die Philosophen beschäftigt haben. Dies ganze Gebiet mit der neuen Geschichtsauffassung zu durchgehen und wieder aufleben zu lassen, ist keine leichte Sache. Man darf sich nicht überhasten und an schematischer Auffassung kleben. Vor allen Dingen muß man die Ökonomie kennen, die jeder historischen Periode eigentümlich war,[Anmerkung 11] um genau die Klassen zu unterscheiden, die sich in ihr entwickeln; man muß unsichere Hypothesen vermeiden und sich hüten, unsere eigenen Verhältnisse in jede dieser Epochen zu übertragen. Für diesen Zweck sind Phalangen von Arbeitern nötig. So gilt zum Beispiel nicht allgemein, was das Manifest über den ganzen ersten Ursprung der Bourgeoisie sagt, die aus den Sklaven des Mittelalters hervorgegangen sei und sich allmählich in den Städten gesammelt habe. Diese Art der Entstehung gilt für Deutschland und die anderen Länder, die eine ähnliche Entwicklung gehabt haben. Nicht so war es in Italien oder in Südfrankreich oder in Spanien, den Gebieten, wo die erste Geschichte der Bourgeoisie, das will sagen der modernen Zivilisation begonnen hat. In dieser ersten Phase findet man alle Voraussetzungen der ganzen kapitalistischen Gesellschaft wieder, worauf Marx in einer Note zum ersten Bande des Kapitals hinweist. Diese erste Phase, die ihre vollkommene Form in der italienischen Kommune findet, bildet die Vorgeschichte der kapitalistischen Akkumulation, die Marx mit so vielen bezeichnenden Einzelheiten in der englischen Entwicklung nachgewiesen hat. Aber hier will ich aufhören.
Die Proletarier können nur die Zukunft im Auge haben. Vor allem beschäftigt die wissenschaftlichen Sozialisten die Gegenwart, in der sich die Verhältnisse der Zukunft von selbst entwickeln und heranreifen. Die Kenntnis der Vergangenheit ist praktisch nur in dem Maße interessant und nützlich, worin sie die Erklärung der Gegenwart fördert und stärkt. Für den Augenblick genügt es, daß die Anhänger des kritischen Kommunismus schon seit fünfzig Jahren die Elemente der neuen und endgültigen Geschichtsphilosophie erfaßt haben. Bald wird sich diese Art zu denken durchsetzen, weil es unmöglich geworden sein wird, das Gegenteil zu denken: es wird mit dieser Entdeckung dann gehen, wie mit dem Ei des Kolumbus. Vielleicht werden, ehe noch ein Heer von Gelehrten diese Auffassung auf die fortlaufende Darstellung der ganzen Geschichte angewandt hat, die Erfolge des Proletariats so groß geworden sein, daß die bürgerliche Epoche allen als überwunden gelten wird, weil sie auf dem Punkte stehen wird, überwunden zu werden. Verstehen, heißt überwinden (Hegel).
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Als das Manifest vor fünfzig Jahren die Proletarier aus Unglücklichen, mit denen man Mitleid hat, zu berufenen Totengräbern der Bourgeoisie machte, mußte der Umfang dieses Kirchhofs sehr klein erscheinen, in der Vorstellung der Schriftsteller, die in der Wucht des Stils den Idealismus ihrer intellektuellen Leidenschaft schlecht verbargen. Der Umfang, der ihnen wahrscheinlich erscheinen mochte, umfaßte damals nur Frankreich und England; er würde kaum die Grenzen der anderen Länder, zum Beispiel Deutschlands, berührt haben. Heute erscheint uns dieser Umfang ungeheuer, durch die gewaltige und reißende Ausdehnung der bürgerlichen Produktionsweise, die im Gegenschlage die proletarische Bewegung erweitert, verallgemeinert und vervielfältigt und den Schauplatz, auf den sich die Anwartschaft des Kommunismus richtet, ins Ungeheure ausbreitet. Der Kirchhof reckt sich unabsehbar aus. Je mehr Produktivkräfte der Magier erweckt, um so mehr Kräfte der Empörung reizt und rüstet er gegen sich.
Alle ideologischen, religiösen und utopistischen, oder selbst prophetischen und mystischen Kommunisten haben in der Vergangenheit immer geglaubt, das Reich der Gerechtigkeit, der Gleichheit und des Glücks müßte die Welt zur Bühne haben. Heute wird die Welt durch die Zivilisation verwüstet und überall entwickelt sich die Gesellschaft, die auf den Klassengegensätzen und der Klassenherrschaft, will sagen, der bürgerlichen Produktionsweise beruht. (Japan kann uns als Beispiel dienen.) Das gleichzeitige Dasein zweier Nationen in einem und denselben Staat, das schon der göttliche Plato erkannt hatte, verewigt sich. Die Erde wird nicht schon von morgen ab für den Kommunismus erobert sein. Aber je breiter die Grenzen der bürgerlichen Welt werden, um so zahlreichere Massen strömen hinein, indem sie die niederen Produktionsformen überschreiten; – und so klärt und stärkt sich die Erwartung des Kommunismus: vorzüglich weil sich auf dem Gebiete und im Kampfe der Konkurrenz die Irrungen der Eroberung und der Kolonisation vermindern. Die Internationale der Proletarier, die der Bund der Kommunisten vor fünfzig Jahren noch im Keime enthält, wird fortan interozeanisch, und sie bekräftigt an jedem ersten Mai, daß die Proletarier der ganzen Welt tatsächlich und tätig vereinigt sind. Die nahen ober zukünftigen Totengräber der Bourgeoisie, ihre Nachfahren und ihre Urenkel werden sich ohne Aufhören an den Tag erinnern, wo das Manifest der Kommunisten entstand.
Rom, 7. April 1895
- ↑ Ich spreche von der Form, die das Manifest ironisch als wahren oder deutschen Sozialismus kennzeichnet. Dieser Paragraph, der für alle die unverständlich ist, die nicht in der deutschen Philosophie der damaligen Zeit sehr bewandert sind, namentlich in gewissen ihrer stark entarteten Tendenzen, ist in der spanischen Übersetzung mit Recht weggelassen worden.
- ↑ Die Vorlesungen, die ich seit mehreren, seit acht Jahren schon, an der Universität über den Ursprung des modernen Sozialismus oder über die allgemeine Geschichte des Sozialismus oder über die materialistische Geschichtsuntersuchung halte, haben mir erlaubt, mich zum Herrn dieser ganzen Literatur zu machen, ihre Perspektiven zu entwerfen und sie systematisch zu ordnen. Die Sache ist schon an sich schwierig, aber sie ist es noch mehr in Italien, wo es keine Überlieferungen sozialistischer Schulen gibt und wo die Partei so jung ist, daß sie nicht als Beispiel für Bildung und Entwicklung dienen kann. – Diese Abhandlung wiederholt keine meiner Vorlesungen. Die Vorlesungen wiederholen so wenig die Bücher, aus denen sie entstehen, wie man Bücher schreibt, indem man Vorlesungen veröffentlicht
- ↑ Es ist besser, von demokratischer Sozialisation der Produktionsmittel zu sprechen, als vom Gemeineigentum, weil dieses einen gewissen theoretischen Irrtum einschließt. Erstens insofern, als es an sie Stelle der wirklichen ökonomischen Tatsache einen juristischen Ausdruck setzt und dann, weil es, in dem Geiste mancher, mit der Vermehrung der Monopole, mit der wachsenden Verstaatlichung der öffentlichen Dienste oder mit all den anderen Phantasmagorien des immer wieder auftauchenden Staatssozialismus zusammenfließt dessen ganze Wirkung darin besteht, die ökonomischen Mittel zur Unterdrückung in den Händen der Unterdrückerklasse zu vermehren.
- ↑ 25 Seiten in Oktav in der Originalausgabe (London, Februar 1848), die ich der großen Liebenswürdigkeit von Engels verdanke. Ich muß hier im Vorbeigehen bemerken, daß ich der Versuchung widerstanden habe, bibliographische Noten, Verweisungen, Zitate zu geben, denn ich würde dann vielmehr eine gelehrte Arbeit oder ein Buch, als einen einfachen Essai geschrieben haben. Hoffentlich glaubt mir der Leser aufs Wort: ich kann jede Anspielung, jeden Fingerzeig, jeden hineinspielenden Gedanken dieses ganzen Essais auf Quellen stützen.
- ↑ In der letzten Jahren haben viele Juristen in der Umarbeitung des bürgerlichen Rechts ein praktisches Mittel zu finden geglaubt, um die Lage des Proletariats zu verbessern. Aber warum haben sie nicht vom Papste verlangt, an die Spitze der Freidenker zu treten? Am drolligsten ist jener italienische Autor, der sich mit dem Klassenkampfe beschäftigt und neben dem Gesetzbuche, das die Rechte des Kapitals begründet, ein anderes Gesetzbuch verlangt, das sie Rechte der Arbeit verbürge.
- ↑ Diese Entfaltung ist in dem Kapital von Marx gegeben worden, das als eine Art von Geschichtsphilosophie betrachtet werden kann.
- ↑ Ich stimme mit Anton Menger fast darin überein, daß Saint-Simon tatsächlich kein Utopist war, wie Fourier und Owen, die klassischen und typischen Utopisten.
- ↑ Einige Monate habe ich ein vollständiges Exemplar der Neuen Rheinischen Zeitung zur Verfügung gehabt. Der Eindruck dieser Lektüre übersteigt jede Erwartung. Es ist wünschenswert, daß diese sehr selten gewordene Zeitung vollständig wieder gedruckt wird oder die wichtigsten Korrespondenzen und Artikel veröffentlicht werden. (Der Wunsch Labriolas ist inzwischen in seinem zweiten Teil erfüllt. Siehe Aus dem literarischien Nachlaß von Marx, Engels und Lassalle, 3. Band. – F.M.)
- ↑ Anders war es in Deutschland. Nach 1830 wurde der Sozialismus dort eingeführt; er wurde eine literarische Strömung und erlitt die philosophischen Änderungen, deren Hauptvertreter Grün war. Aber schon vor der neuen Lehre hatte der Sozialismus ein chrakteristisches proletarisches Gepräge durch die Propaganda und die Schriften Weitlings erhalten. Es war der Riese in der Wiege, wie Marx im Vorwärts von 1844 sagte
- ↑ So ist namentlich in Preußen die Illusion einer sozialen Monarchie entstanden, die, über die liberale Periode hinaus, harmonisch die sogenannte soziale Frage lösen würde. Diese Albernheit ist in zahllosen Spielarten von Katheder- und Staatssozialismus reproduziert worden. Zu den verschiedenen Formen von ideologischem und religiösem Utopismus hat sich eine neue Form gesellt; die bureaukratische und fiskalische Utopie, die Utopie der Kretins.
- ↑ Wer hätte vor wenigen Jahren an die Entdeckung und die zuverlässige Erklärung eines alten babylonischen Rechtes geglaubt?